OGH 1Ob612/95

OGH1Ob612/9517.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht

I. durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl S*, vertreten durch Dr.Johann Kahrer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Manfred P*, vertreten durch Dr.Manfred Denkmayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen S 78.500 s.A. und Feststellung (Streitwert S 5.000) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 26.April 1994, GZ 4 R 251/93‑31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 23.August 1993, GZ 4 Cg 36/92‑24, bestätigt wurde, am 27.Juli 1995 den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:E40430

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Verstärkter Senat

 

Spruch:

Es liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 Z 2 OGHG vor; zur Entscheidung über die Revision ist deshalb ein verstärkter Senat berufen.

II. durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Warta, Dr.Zehetner und Dr.Schlosser sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter am 17.Oktober 1995 den

Beschluß

gefaßt:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden als nichtig aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

 

Zu I.:

Der Kläger leitet aus einem Verhalten des Beklagten, dessentwegen dieser vom Strafgericht des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und § 84 Abs 1 StGB rechtskräftig schuldig erkannt wurde, Schadenersatzansprüche gegen diesen ab; dennoch fanden die Vorinstanzen die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe ihm diese Verletzungen zugefügt, nicht als erwiesen, weshalb das Klagebegehren in beiden Instanzen abgewiesen wurde.

Damit hängt die Entscheidung über die außerordentliche Revision des Klägers von der Lösung einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung ab, die ‑ wie noch in der Folge zu zeigen sein wird ‑ in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wurde (§ 8 Abs 1 Z 2 OGHG): Entfaltet die materielle Rechtskraft jenes Ausspruchs im strafgerichtlichen Urteil, mit dem der Angeklagte (Beschuldigte) einer bestimmten, eine strafbare Handlung begründenden Tat schuldig befunden wurde (§ 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO), auf das Urteil im nachfolgenden Rechtsstreit über die aus dieser Tat abgeleiteten (schadenersatzrechtlichen) Ansprüche eine ‑ der rechtskräftigen präjudiziellen zivilgerichtlichen Entscheidung vergleichbare ‑ Bindungswirkung oder hat der Zivilrichter bei einer solchen Verfahrenslage die davon betroffenen Anspruchsgrundlagen ohne jede Bindung ‑ wie es die Vorinstanzen getan haben ‑ von neuem zu prüfen.

Es liegen demnach die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 Z 2 OGHG vor, weshalb die Verstärkung des Senats zur Entscheidung über die außerordentliche Revision auszusprechen ist.

II.:

Im Zuge eines Fußballmeisterschaftsspieles am 20.5.1990 kam es beim Kläger als Spieler einer der beiden Mannschaften zum Abriß der rechten Achillessehne.

Das Kreisgericht Ried im Innkreis erkannte den Beklagten, der in der gegnerischen Mannschaft gespielt hatte, mit Urteil vom 11.10.1990 schuldig, er habe den Kläger durch Versetzen eines Fußtritts vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat einen Abriß der rechten Achillessehne verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe; er habe hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und § 84 Abs 1 StGB begangen, verurteilte ihn zu einer ‑ teils bedingt nachgesehenen ‑ Geldstrafe und erkannte ihn ferner schuldig, gemäß § 369 Abs 1 StPO dem Kläger als Privatbeteiligtem einen „Teilschmerzengeldbetrag“ von S 5.000 zu bezahlen.

Der dagegen wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufung des Beklagten gab das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht mit Urteil vom 21.1.1992 nach Wiederholung der Beweise lediglich im Strafausspruch Folge.

Mit der Behauptung, der Beklagte habe ihm gegen Spielende die Verletzung durch einen Fußtritt zugefügt und sei deshalb strafgerichtlich verurteilt worden, begehrte der Kläger dessen Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Schmerzengeldbetrags von S 55.000, eines Verdienstentgangs von S 22.500 sowie eines Fahrtkostenbetrags von S 1.000 und ferner die Feststellung, der Beklagte habe ihm für künftige Nachteile aus dem Vorfall vom 20.Mai 1990 einzustehen.

Der Beklagte bestritt eine Verursachung der Verletzung des Klägers durch ihn und wendete weiters ein, seine strafgerichtliche Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt; die Achillessehne des Klägers sei aufgrund einer degenerativen Vorschädigung im Zuge einer Drehbewegung und des Weggehens von selbst gerissen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte ‑ soweit für die Erledigung der Revision von Bedeutung ‑ fest, nachdem kurz vor Spielende ein gegen die Mannschaft des Beklagten verhängter Elfmeterstrafstoß zur Führung der Mannschaft des Klägers verwandelt worden war, habe dieser im Zuge der dabei „entstandenen Hektik“ einen Schlag gegen die Achillessehne seines rechten Fußes verspürt und sei zum Sturz gekommen. Als er aufgeblickt habe, habe er den Beklagten in seiner Nähe wahrgenommen und deshalb dessen Täterschaft vermutet. Es könne aber nicht festgestellt werden, daß der Beklagte dem Kläger einen Schlag oder Tritt versetzt habe, der diese Verletzung zur Folge gehabt habe.

Rechtlich meinte das Erstgericht, damit sei dem Kläger der Beweis der Täterschaft des Beklagten nicht gelungen, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei. Eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung sei ‑ nach Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof ‑ zu verneinen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm entgegen den Ausführungen in der Berufung des Klägers, die lediglich eine Beweisrüge enthielt, die erstinstanzlichen Feststellungen als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist aus den im Verstärkungsbeschluß dargelegten Erwägungen zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist allerdings zu klären, ob der damit als Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens gerügte Umstand in Stattgebung (oder aus Anlaß) der Revision überhaupt noch aufgegriffen werden kann, weil sich der Kläger im Berufungsverfahren ausschließlich auf eine Beweisrüge beschränkte. Käme der Mißachtung einer (zu bejahenden) Bindungswirkung durch das Erstgericht bloß der Stellenwert eines (schlichten) Verfahrensmangels zu, so wäre diese Frage zweifellos zu verneinen, weil das Gericht zweiter Instanz dann einen Verfahrensmangel erster Instanz nicht hätte wahrnehmen dürfen und somit kein Verfahrensmangel zweiter Instanz vorläge, so daß der behauptete erstinstanzliche Verfahrensfehler nicht mehr erfolgreich als Revisionsgrund geltend gemacht werden könnte (Kodek in Rechberger, ZPO § 503 Rz 3 mit Nachweisen aus der einheitlichen Rechtsprechung; ebenso Schima in FS 100 Jahre OGH 252; aA allerdings Fasching, LB2 Rz 1909). Käme indessen einem solchen Umstand das Gewicht eines (in § 477 Abs 1 ZPO nicht angeführten) Nichtigkeitsgrundes zu, wäre er vom Obersten Gerichtshof selbst dann zu beachten, wenn er in der Revision nicht geltend gemacht worden wäre: Die ständige Rechtsprechung, Verfahrensnichtigkeiten erster Instanz könnten in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (SZ 59/104 uva), ist auf jene Fälle zu beschränken, in welchen der Nichtigkeitsgrund schon vom Gericht zweiter Instanz ‑ nach entsprechender Rüge in der Berufung oder von Amts wegen wahrgenommen ‑ verneint wurde, liegt doch dann in diesem Umfang ein berufungsgerichtlicher Beschluß vor, der gemäß § 519 ZPO unanfechtbar ist. Da das Berufungsgericht diesen Umstand auch nicht von Amts wegen aufgegriffen hat (und auch keine andere bindende, die Nichtigkeit verneinende Entscheidung der Vorinstanzen vorlag, die deren Berücksichtigung entgegenstünde, zumal sich auch das Erstgericht in seinen Entscheidungsgründen nicht mit der Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung, sondern bloß mit der Beseitigung der in § 268 ZPO verfügten Bindung befaßte ‑ JB 63 neu = SZ 28/265), schlüge die vom Kläger erstmals in der Revision behauptete Nichtigkeit erster Instanz ‑ bei deren Bejahung ‑ auf das Verfahren zweiter Instanz durch, so daß sie ‑ wie sich nicht zuletzt aus § 510 Abs 2 ZPO erschließen läßt, auch erst in der Revision mit Erfolg geltend gemacht werden kann bzw sonst von Amts wegen zu berücksichtigen wäre (Kodek aaO Rz 2 mwN).

Mangels einer entsprechenden Rüge im Berufungsverfahren könnte die Mißachtung der Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils ‑ wäre sie zu bejahen ‑ deshalb im Revisionsverfahren nur dann berücksichtigt werden, wenn auf sie von Amts wegen Bedacht zu nehmen, ihr also das Gewicht eines Nichtigkeitsgrundes beizumessen wäre. Nach einhelliger Auffassung (Fasching aaO Rz 1539; Rechberger in Rechberger aaO § 411 Rz 3; Rechberger/Simotta, ZPR4 Rz 698; Deixler in PraktZPR 253) ist die materielle Rechtskraft auch, soweit sie als Bindungswirkung auftritt, von Amts wegen wahrzunehmen, so daß die durch diesen Nichtigkeitsgrund betroffenen Entscheidungen aufzuheben, die neuerliche Sachentscheidung aber unter Bindung an die rechtskräftig entschiedene Vorfrage zu treffen ist. Billigt man nun ‑ wie noch zu zeigen sein wird ‑ dem rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnis eines Strafgerichts, das dasselbe Verhalten wie der nachfolgende Rechtsstreit zum Gegenstand hat, abseits der Erwägungen des Gesetzgebers, die diesen zu der in § 268 ZPO (aF) verankert gewesenen ausdrücklichen Bindungsanordnung veranlaßten (vgl die Nachweise in VfSlg 12.504/1990), die einer präjudiziellen zivilgerichtlichen Entscheidung vergleichbare Bindungswirkung zu, so wäre es wohl ein Wertungswiderspruch, würde man deren Mißachtung lediglich als ‑ nur auf Rüge zu beachtenden ‑ (schlichten) Verfahrensmangel einstufen, obwohl ‑ nun nach Aufhebung des § 268 ZPO ‑ auch die Bindungswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung nur Ausfluß der materiellen Rechtskraft sein kann. Daß zu § 268 ZPO vielfach (vgl nur Fasching aaO Rz 864) der Standpunkt vertreten wurde, auf die dort angeordnete Bindung sei nur über ausdrückliche Rüge im Rechtsmittel Bedacht zu nehmen, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Abgesehen davon, daß der Oberste Gerichtshof wiederholt (etwa 1 Ob 11/86) aussprach, auch die durch § 268 ZPO verfügte Bindung sei von Amts wegen wahrzunehmen, darf nicht übersehen werden, daß diese Bindung von einer Verfahrensnorm angeordnet wurde, die die Sicht auf die aus der materiellen Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils erfließende Bindungswirkung ‑ davon weiter unten ‑ verstellte, war man doch vielfach sogar der Ansicht, daß es für die Bindung des Zivilrichters überhaupt erst einer Bestimmung nach Art des § 268 ZPO bedürfe (so etwa Schima FS 50 Jahre ZPO 277).

Ist demnach die Bindungswirkung der materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ‑ so sie bejaht wird ‑ von Amts wegen wahrzunehmen, hat sie der Kläger, auch wenn er sie erst in der Revision ins Treffen führte, wirksam gerügt.

Die Revision ist ‑ im Ergebnis ‑ auch berechtigt.

Die maßgeblichen Ausführungen in diesem Rechtsmittel lassen sich dahin zusammenfassen, daß ein strafgerichtliches Urteil trotz der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof bindende Wirkung auf das nachfolgende Zivilverfahren entfalte. Habe der Verurteilte im Strafverfahren volle Parteienrechte genossen, müsse er das dort ergangene Urteil in dessen gesamten Umfang gegen sich gelten lassen. Der rechtskräftig Verurteilte könne sich niemandem gegenüber darauf berufen, er habe die Tat in Wahrheit nicht begangen. Deshalb äußere das Strafurteil auch nach der gegenwärtigen Rechtslage im Zivilprozeß Feststellungswirkung.

Nach § 268 ZPO war der Richter an den Inhalt eines hierüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts gebunden, wenn die Entscheidung von dem Beweis und der Zurechnung einer strafbaren Handlung abhing.

Diese Gesetzesbestimmung hob der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck mit dem Erkenntnis vom 12.10.1990 (= BGBl 1990/706 = VfSlg 12.504/1990 = JBl 1991, 104 = AnwBl 1990, 734) als verfassungswidrig auf, nahm von der Bestimmung einer Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung Abstand und führte hiezu ‑ soweit hier bedeutsam ‑ aus, aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn des Instituts müsse geschlossen werden, daß die darin verfügte Bindung nicht etwa nur dem Verurteilten gegenüber oder allenfalls zu Lasten von Prozeßparteien wirken solle, die vor dem Strafgericht sonst als Beteiligte aufgetreten sind. Daß eine solche Regelung in offenkundigem Widerspruch zu dem in Art. 6 Abs 1 EMRK jedermann gewährleisteten Recht stehe, von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört zu werden, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat, bedürfe keiner näheren Begründung. Wer den Beweis und die Zurechnung einer für die Entscheidung über seine Ansprüche und Verpflichtungen wesentlichen Handlung im zivilgerichtlichen Verfahren nicht in Frage stellen könne, weil das Gericht an die Entscheidung in einem anderen (strafgerichtlichen) Verfahren gebunden ist, zu welchem er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang hatte, dessen Anspruch auf Gehör durch das seine Sache entscheidende unabhängige und unparteiische Gericht sei nicht erfüllt. Das für die Einführung des § 268 ZPO ausschlaggebend gewesene rechtspolitische Bedürfnis, Feststellungen in einem Strafurteil von niemandem in Frage stellen zu lassen, könne eine derart umfassende, alle denkbaren ‑ auch die schwerwiegendsten ‑ zivilrechtlichen Folgen miteinschließende Bindung keinesfalls rechtfertigen. Ein derart, daß Bedenken aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 EMRK ausgeräumt wären, eingeschränktes Verständnis der angeführten Bestimmung im Wege verfassungskonformer Auslegung hinge davon ab, daß die Bindung angesichts des beschriebenen Zwecks der Privatbeteiligung wohl auf den Verurteilten selbst eingeschränkt werden müsse. Eine solche Auslegung halte der Gerichtshof indessen für ausgeschlossen, beständen doch erhebliche Zweifel, ob die mit einer unvollständigen Verwirklichung des Gesetzeszwecks verbundenen Auswirkungen vom ‑ hypothetischen ‑ Willen des Gesetzgebers überhaupt noch getragen würden. Träte nämlich die Bindung in einer beachtlichen Zahl von Fällen nicht ein, wurde nicht nur das ursprüngliche Ziel der Bestimmung ‑ eine Überprüfung des Strafprozesses durch den Zivilrichter zu vermeiden ‑ nicht mehr erreicht, vielmehr würfe das Nebeneinander gebundener und nicht gebundener Beteiligter ‑ etwa in Rückgriffs‑ oder in Haftungsfällen ‑ eine Reihe rechtspolitischer Fragen auf, die der Lösung durch den Gesetzgeber bedürften. Eine allfällige Bindung des Zivilrichters an ein Strafverfahren ‑ zu welchem Zwecke immer ‑ in Einklang mit Art 6 EMRK zu regeln und abzugrenzen, sei weder Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs noch der Strafgerichte, sondern des Gesetzgebers.

Dieses verfassungsgerichtliche Erkenntnis hat im Schrifttum zu der nun geänderten Rechtslage zahlreiche, teils jedwede Bindung ablehnenden, teils die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft strafgerichtlicher Verurteilungen befürwortenden und schließlich auch Stellungnahmen ausgelöst, die die Bindungswirkung zwar ablehnen, aber doch zu ähnlichen Ergebnissen gelangen wie die diese befürwortenden Autoren. Der Meinungsstand kann wie folgt zusammengefaßt werden:

Jedwede Bindung leugnete zunächst Konecny, Versicherungen im Zivilprozeß nicht mehr an verurteilende Straferkenntnisse gebunden! in ecolex 1990, 737: Die Bedeutung des § 268 ZPO sei vor allem darin gelegen, daß strafgerichtliche Tatsachenfeststellungen im weiten Umfang für bindend erklärt wurden. Künftig seien sie für Zivilgerichte unbeachtlich, ohne daß das ein Rückgriff auf die Rechtskraftwirkung von Strafentscheidungen überspielen könnte. Zum einen bleibe diese im Zivilprozeß wegen des dort gebotenen rechtlichen Gehörs für alle am Strafverfahren nicht beteiligten Personen unbeachtlich; andererseits sei die Feststellungswirkung von Strafentscheidungen überhaupt „umstritten“. Schließlich sei es gerade angesichts der bisher ausdrücklichen Regelung des § 268 ZPO abzulehnen, den Tatsachenfeststellungen in Strafentscheidungen ‑ anders als denen in Zivilurteilen ‑ im Zivilprozeß „uneingeschränkt“ Bindungswirkung zuzubilligen. Die Prozeßgerichte hätten daher sämtliche Tatumstände, die bereits im Strafverfahren festgestellt wurden, zum Gegenstand des eigenen Beweisverfahrens zu machen.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Simotta, Die Bedeutung einer strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilprozeß nach Aufhebung des § 268 ZPO, in NZ 1991, 75: Nach Darstellung verschiedener Fallgruppen gelangt sie zum Resümee (80), nach Aufhebung des § 268 ZPO sei ein präjudizielles verurteilendes Erkenntnis eines Strafgerichtes für den Zivilrichter nur mehr unter der Voraussetzung von Bedeutung, daß man eine Bindungswirkung des Schuldspruchs annehme, was aber nur in Betracht komme, wenn einander der Privatankläger und der Verurteilte im Zivilprozeß gegenüberstehen; bei Offizialdelikten könne daher die strafgerichtliche Verurteilung selbst bei Privatbeteiligung des Geschädigten angesichts dessen eingeschränkten verfahrensrechtlichen Stellung keine Bindungswirkung entfalten. Sonst komme Strafurteilen nur in jenen Fällen im Zivilprozeß Bedeutung zu, in welchen das Zivilrecht dem Strafurteil Tatbestandswirkung zubillige. Ferner könnten die Beweisergebnisse des Strafverfahrens, was schon Konecny (aaO) anklingen läßt, gemäß § 281a ZPO, aber auch nur dann verwertet werden, wenn dem Verurteilten bzw Beschuldigten der Staat, der Privatankläger, der Subsidiarankläger oder der Privatbeteiligte im Zivilprozeß gegenübersteht.

In einem weiteren Aufsatz (Ein Nachfolger für § 268 ZPO? in ecolex 1991, 521) versucht Simotta ‑ ausgehend von der mit der Aufhebung des § 268 ZPO unterstellten Beseitigung jedweder Bindungswirkung strafgerichtlicher Verurteilungen ‑ im rechtspolitischen Bereich Wege aufzuzeigen, die Ergebnisse des strafgerichtlichen Beweisverfahrens für den nachfolgenden Zivilprozeß nutzbar zu machen. Sie gelangt dabei zum Ergebnis (524), durch eine legistische Erweiterung des § 281a ZPO sollte angeordnet werden, daß bei einer Verurteilung von einer neuerlichen Beweisaufnahme Abstand genommen werden könne, wenn alle Parteien des Zivilprozesses ‑ mit Ausnahme des Verurteilten ‑ ausdrücklich auf eine solche verzichten oder das Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht.

Zu den „Konsequenzen der Aufhebung der § 268 ZPO“ nimmt schließlich V.Steininger in FS Matscher (1993), 477, 479 ff, jede Bindungswirkung ablehnend Stellung: Nach kritischer Auseinandersetzung mit der gleich weiter unten dargestellten Stellungnahme Walters, Strafgerichtliche Verurteilung im Zivilprozeß, in ecolex 1991, 379, und nach dabei auch gegen eine angebliche Gerichtspraxis polemisierender (484) Behauptung „schutzwürdiger Verhaltenstendenzen innerhalb eines Strafverfahrens“, zu welchem er unter anderem das taktierende Unterlassen der Bekämpfung einer erstinstanzlichen strafgerichtlichen Verurteilung durch den Verurteilten rechnet, gelangt er zum Schluß, die Annahme einer Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung für das nachfolgende Zivilverfahren liefe schon den Argumenten des Verfassungsgerichtshofs gegen eine Einschränkung der in § 268 ZPO angeordneten Bindung im Wege verfassungskonformer Auslegung zuwider. Im übrigen solle ein im Strafverfahren Involvierter nicht befürchten müssen, er könnte unausweichlich mit juristischen Konsequenzen belastet werden, die sich zwar rein logisch aus Verfahrensergebnissen ableiten ließen, tatsächlich aber bei angemessener Beachtung der Teleologie des betreffenden Verfahrens außerhalb der unmittelbaren Verfahrensinteressen des Betroffenen hätten bleiben dürfen. Deshalb müßte sich der Angeklagte im Strafverfahren ausschließlich auf seine Verurteilung konzentrieren dürfen, ohne zusätzlich alle aus der angeklagten Tat möglicherweise und zugunsten derzeit vielleicht noch gar nicht bekannter Personen ableitbaren zivilrechtlichen Ansprüche im Rahmen seiner Verteidigung juristisch mitberücksichtigen zu müssen (482).

Auch Ballon (ZPR4, 172) meint ohne nähere Begründung, daß keine Bindung an Straferkenntnisse bestehe.

Dagegen vertritt Nowakowski, Die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs, in ÖJZ 1948, 546, auf den sich die die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung befürwortenden Autoren berufen, die Meinung, nur das verurteilende Erkenntnis entfalte außer dem Ausspruch über den Strafanspruch aufgrund der Tat (im prozessualen Sinn des Anklagegegenstands) noch die ‑ im freisprechenden Urteilstenor fehlende - Feststellung, daß der Angeklagte eine bestimmte strafbare Handlung begangen habe. Dem Schuldspruch werde damit die Wirkung zugeschrieben, daß er die verantwortliche Begehung der strafbaren Handlung durch den Verurteilten feststelle. Nicht nur prozeßökonomische, sondern auch allgemeinere Erwägungen verlangten die rechtskräftige Erledigung der Frage, ob der Verurteilte die strafbare Handlung begangen habe, durch den Schuldspruch. Dieser nehme dem Verurteilten die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, er habe das Verbrechen in Wahrheit nicht begangen. Aus § 260 Z 1 und 2 sowie § 270 Abs 2 Z 6 und 7 (aF, jetzt Z 4 und 5) StPO folge, daß die Bezeichnung der strafbaren Handlung im Spruch nicht bloß einen Teil der Entscheidungsgründe vorwegnehme; würde daher im Tenor bloß die Tat im prozessualen Sinn individualisiert und über den Strafanspruch entschieden werden, wäre der Nichtigkeitsgrund des § 281 (Abs 1) Z 3 StPO selbst dann gegeben, wenn die strafbare Handlung in den Gründen genau bezeichnet wäre. Die Subsumtion solle nicht bloß den Strafausspruch begründen, sie sei vielmehr Inhalt des Erkenntnisses und habe damit selbständige Bedeutung. Das folge nicht zuletzt auch daraus, daß das Urteil im übrigen in Rechtskraft erwachse, wenn lediglich eine Strafberufung erhoben wurde; der Verurteilte könne auch den Schuldspruch trotz Behängung einer Strafberufung mit Wiederaufnahme gemäß § 353 StPO bekämpfen. Bei einem verurteilenden Erkenntnis erwachse somit nicht nur der Strafausspruch, sondern auch der Schuldspruch selbst in materielle Rechtskraft: Das Urteil stelle demgemäß mit materieller Rechtskraft fest, daß der Verurteilte das ihm angelastete Verbrechen rechtswidrig und schuldhaft begangen habe. Im Gegensatz zum Zivilerkenntnis, das über Rechte und Rechtsverhältnisse befinde, würden im Schuldspruch Tatsachen ‑ daß der Angeklagte das ihm angelastete Verbrechen begangen habe ‑ rechtskräftig festgestellt. Die Bezeichnung des Deliktstypus und die Anführung seiner abstrakten Merkmale im Spruch seien zugleich Feststellungen dieser Tatsache und rechtliche Qualifikation. Das Urteil könne gerade nur deshalb die Begehung der Tat durch den Angeklagten und nicht bloß seine Verurteilung wegen dieser Tat dartun, weil es die rechtskräftige Tatsachenfeststellung enthalte. Es müsse aber auch die konkreten Umstände darstellen, die als erwiesen angenommen wurden und in welchen die Deliktsmerkmale erfüllt gefunden worden sind. Der konkret geschilderte Vorgang müsse den abstrakten gesetzlichen Merkmalen entsprechen, die in ihrer Feststellungsfunktion bloß eine sprachliche Darstellungsweise des konkreten Sachverhalts seien. Der Feststellungsinhalt der abstrakten und konkreten Schilderung sei derselbe. Erwachse die im Schuldspruch enthaltene Tatsachenfeststellung in Rechtskraft, so müsse das auch für die konkrete Schilderung so gut wie für die abstrakte gelten. Auch im Anschlußverfahren könne die Rechtskraft der konkreten Tatsachenfeststellungen bedeutsam sein. Bei Anfechtung des im Adhäsionsverfahren ergangenen Ausspruchs könne die Berufung nicht auf die Unrichtigkeit konkreter Tatsachenfeststellungen gegründet werden, die den abstrakten Gesetzesmerkmalen zugeordnet sind, das Rechtsmittel müsse vielmehr den Schuldspruch und dessen Feststellungen unangetastet lassen. Wären die konkreten Tatsachenfeststellungen der Rechtskraft nicht teilhaft, wäre ihre Anfechtung, soweit sie den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüchen tragen, denkbar, während sie als Grundlage des Schuldspruchs unanfechtbar blieben. Der Schuldspruch werde deshalb in allen seinen Teilen der Rechtskraft teilhaft, also nicht bloß in der Feststellung der strafbaren Handlung nach deren abstrakten Merkmalen, sondern auch in der Feststellung der konkreten Sachverhaltselemente, die ihnen entsprechen. Aus Gründen des rechtlichen Gehörs wirke der Schuldspruch aber nur für und gegen den Verurteilten selbst Rechtskraft, nicht aber bezüglich anderer Personen: Seine materielle Rechtskraft wirke lediglich für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen jedoch gegenüber jedermann, weshalb man den Umfang der Rechtskraft als „persönlich‑absolut“ bezeichnen könnte.

Zu ‑ damit übereinstimmenden ‑ Ergebnissen kommt auch Sachers, Strafurteil und Zivilprozeß, Grenzen der Wirkung des Strafurteils gemäß § 268 der Zivilprozeßordnung, in FS Rittler (1957), 341, insbesondere 353.

Auch Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht (1953) 153, hat diese Arbeit gebilligt.

Nach Roeder, System, 350 FN 7 entscheidet der rechtskräftige Schuldspruch endgültig nicht nur darüber, daß ein bestimmter Strafanspruch vorliegt, sondern auch, daß der Verurteilte eine mit Strafe bedrohte Handlung rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.

Anderer Ansicht ist dagegen ‑ ohne diese allerdings zu begründen - Bertel, Strafprozeßrecht4 Rz 236: Nach ihm kann materielle Rechtskraft in Strafsachen überhaupt keine Bindungswirkung hervorrufen.

Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes in Strafsachen beschäftigte sich bisher nur am Rande mit der Problematik der materiellen Rechtskraft von Strafurteilen. So wurde unter Berufung auf Nowakowski, aaO 550 ausgesprochen, daß die Verurteilung eines Angeklagten keine Rechtskraftwirkung für ein Strafverfahren entfalte, das wegen derselben Tat gegen einen anderen Angeklagten geführt wird (EvBl 1983/136); die Rechtskraft eines Strafurteiles sei auf den konkreten Fall beschränkt, eine weitergehende rechtserzeugende Wirkung komme ihm nicht zu (EvBl 1976/152; SSt 6/36).

Für den deutschen Rechtsbereich hatte schon Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen II (1915) 358, ausgeführt, werde eine Zivilklage oder ‑einrede auf einen Verbrechenstatbestand gestützt, bezüglich dessen eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, werde durch die Beibringung des Urteils die tatsächliche Basis der Klage oder Einrede als durch den Staat autoritativ festgestellt erwiesen; vom Antritt eines Gegenbeweises könne keine Rede sein. Eine Ausnahme macht Binding aaO 351 f allerdings für den Fall, daß eine Partei das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes für das Strafverfahren unter Beweis stellt.

Die deutsche Rechtsprechung und Lehre beschäftigte sich zwar auch nach Binding weiterhin mit der Frage der Bindungswirkung verurteilender Straferkenntnisse; doch kommt in Deutschland dem Problem weniger praktische Bedeutung zu, weil ganz einhellig aus der Vorschrift des § 14 Abs 2 Z 1 dEGZPO der Schluß gezogen wird, daß Zivilgerichte an die Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen verurteilenden Straferkenntnisses nicht gebunden seien (Manfred Wolf in MünchKomm Rz 4 zu § 14 EGZPO; Schlosser in Stein/Jonas 20 Rz 2 zu § 14 EGZPO; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO20 Rz 1 zu § 14 EGZPO; Pohle in JBl 1957, 113 mwN in FN 3). Dies gelte auch dann, wenn der Verletzte als Nebenkläger im Strafverfahren aufgetreten ist (RG Gruch 52, 466). Der Zivilrichter könne aber seine Überzeugung auf den Inhalt des strafrichterlichen Urteiles als Beweisurkunde stützen (Schlosser aaO; Albers aaO).

Die überwiegende deutsche Lehre hält die Bestimmung des § 14 Abs 2 Z 1 EGZPO nicht für eine Ausnahme von einer sonst bestehenden Bindungswirkung, sondern für eine Anwendung des sich aus dem Wesen der materiellen Rechtskraft von Strafurteilen ergebenden Prinzips, wonach die dem verurteilenden Erkenntnis zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen nicht Gegenstand der Rechtskraft sind (Meyer‑Goßner, StPO42 Einl Rz 170; Bruns in FS Eb. Schmidt 609 ff mwN in FN 54; KK‑Pfeiffer3 Einl Rz 167).

Obwohl also die positivrechtliche Ausgangslage für die Bindung der Zivilgerichte an verurteilende Straferkenntnisse in Österreich und Deutschland verschieden ist, sind auch in Deutschland nach Binding gewichtige Stimmen zu verzeichnen, die dem rechtskräftigen verurteilenden Straferkenntnis auch Feststellungs- und damit Bindungswirkung für die das Urteil tragenden tatsächlichen Feststellungen beimessen (Henkel, Strafverfahrensrecht2 391 mwN in FN 25). So führt Hellmuth Mayer in Der Gerichtssaal 99, 104 ff, aus, daß die Eigentümlichkeit des Strafurteils gerade darin bestehe, daß es ebensowohl Feststellung des Tatbestandes als auch Feststellung des staatlichen Strafanspruches sei, die Tatsachenfeststellung nehme daher an der Rechtskraft teil, ja das Strafurteil sei in erster Linie autoritative Feststellung des Tatbestandes (aaO 110), jedes verurteilende Erkenntnis beschreibe in bindender Weise den fortan als wahr zu geltenden Tatbestand; anders als die Tat urteilsmäßig festgestellt ist, könne sie in den Augen des Rechts nicht gewesen sein (aaO 114); die Hauptwirkung des Strafurteils, das Verbot der Wiederholung der Strafklage, lasse sich nur aus der bindenden Kraft der Tatsachenfeststellungen erklären (aaO 115). Auch Grunsky in FS Kern 236 ff kommt zum Ergebnis, daß im Strafverfahren keinesfalls auf den bloßen Strafanspruch, sondern immer nur auf den rechtlich eingeordneten, den gesamten damit unlösbar verbindenden Tatsachenkomplex abzustellen sei, sodaß auch dem Strafurteil eine Feststellungswirkung eigne, kraft derer der Richter in einem zweiten Prozeß gehalten ist, das Ergebnis eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens als richtig zu übernehmen. Selbst Bruns aaO 602 ff, der nach ausführlicher Untersuchung eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des verurteilenden Straferkenntnisses verneint, weil nur die Rechtsfolgenentscheidung bindend sei, konzediert, daß die Beurteilung der Lehre Henkels über die autoritativen Tatsachenfeststellungen „von der Grundeinstellung des Beurteilenden abhängt, zu welcher Lösung er sich gedrängt fühlt“ (aaO 617).

Ähnlich wie in Deutschland ist die Rechtslage in der Schweiz.

Nach Art 53 des schweizerischen Obligationenrechts (OR), der im ganzen schweizerischen Privatrecht gilt, ist bei der Beurteilung der Schuld oder Nichtschuld, Urteilsfähigkeit oder Urteilsunfähigkeit der Richter an die Bestimmungen über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit oder an die Freisprechung durch das Strafgericht nicht gebunden. Ebenso ist das strafgerichtliche Erkenntnis mit Bezug auf die Beurteilung der Schuld und die Bestimmung des Schadens für den Zivilrichter nicht verbindlich. Nach neuerer Auffassung (vgl dazu Brehm im Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Art 53 OR N 3 ff mwN) ist dabei folgende Auslegung maßgeblich: Was Art 53 OR ausdrücklich erwähnt (Fragen der Zurechnungsfähigkeit, der Schuld - insbesondere des Freispruchs - und des Schadens), ist für sämtliche kantonale Zivilprozeßrechtsordnungen bindend. Was Art 53 OR nicht regelt, bleibt der Zuständigkeit des kantonalen Prozeßrechts vorbehalten. Die Aufzählung ist in dieser Bestimmung also nicht abschließend; sie stellt vielmehr einen auf die Schuldfrage und die Schadensbestimmung beschränkten Eingriff des Bundesgesetzgebers in das sonst den Kantonen vorbehaltene Prozeßrecht dar. Dieses Stillschweigen von Art 53 OR über die Tatbestandfragen läßt die kantonalen Gesetze darüber entscheiden, ob der Zivilrichter an die „tatbeständlichen“ Feststellungen des Strafrichters - einschließlich der Adäquanz - gebunden ist. Bejaht wird diese Frage im Tessin (Brehm aaO N 24 mwN). Überdies können die kantonalen Gerichte durch ihre Rechtsprechung den Zivilrichter an die Feststellung des Sachverhalts durch den Strafrichter binden. Dies ist in Zürich und Aargau der Fall (Brehm aaO Art 53 OR N 25). In den übrigen Kantonen besteht dazu weder eine gesetzliche Regelung noch eine einschränkende Rechtsprechung, so daß der Zivilrichter unabhängig entscheidet (Honsell/Vogt/Wiegand, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Art 53 OR N 3), allerdings mit der Einschränkung, daß im Adhäsionsprozeß die tatsächlichen Feststellungen des „Vorderrichters“, sofern sie nicht aktenwidrig sind und nicht bundesrechtliche Normen verletzen, als Grundlage für den Entscheid zu gelten haben (Brehm aaO N 25 mwN). Dessenungeachtet stimmen die Feststellungen und Erwägungen des Zivilrichters meistens mit denjenigen des Strafrichters überein (Brehm aaO N 30 mwN). Auch darf der Zivilrichter nach der Praxis eines Teils der kantonalen Rechtsprechung „ohne Not“, „ohne zureichende Gründe“ oder sogar „ohne sehr gewichtige Gründe“ nicht vom Strafurteil abweichen.

An die „wohl begründete“ Meinung Nowakowskis knüpft auch Walter (aaO) an: Schon Konecny (aaO) habe auf die umstrittene Feststellungswirkung von Strafurteilen hingewiesen. Zwar verneine auch Nowakowski eine absolute Rechtskraft des Strafurteils, erachte diese aber weitergehend als die strikte relative Rechtskraft. Sie wirke so, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen müsse; es wirke somit für dessen Rechtskreis, für diesen aber gegen jedermann. Demgemäß könne sich im Zivilprozeß niemand gegen eine andere Partei darauf berufen, daß er die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel welche verfahrensrechtliche Stellung die andere Partei im Strafprozeß gehabt habe. Diese Lösung erscheine deshalb gerechtfertigt, weil der Verurteilte alle Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung gehabt habe, um die Verurteilung abzuwehren. Die andere Partei habe aber durch die fehlende Beteiligung am Strafprozeß, soweit sie sich auf eine erfolgte Verurteilung stütze, keinerlei Nachteile. Dieses Ergebnis sei mit dem verfassungsgerichtlichen Erkenntnis durchaus in Einklang zu bringen und begegne auch keinerlei Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art 6 EMRK.

Auch Böhm hat in einem von G.Jelinek in WR 29 (1992), 14, 16, referierten Vortrag („Aktuelle Fragen des Beweisrechts“) die Meinung vertreten, daß schon vor Einführung des § 268 ZPO und damit auch ohne diese Vorschrift eine Rechtskraftwirkung des Strafurteils für den Zivilprozeß bestanden habe, so daß sich durch die Aufhebung dieser Vorschrift an der Feststellungswirkung des Strafurteils nichts geändert habe. Auch nach Walter, Kralik und Nowakowski (aaO) könne sich ein rechtskräftig Verurteilter niemandem gegenüber darauf berufen, er habe die Tat in Wahrheit nicht begangen. Es gebe daher, so Böhm, „auch nach Aufhebung des § 268 ZPO eine Feststellungswirkung des Strafurteils in den Zivilprozeß hinein“.

Rechberger (in Rechberger aaO § 281 Rz 3) vertritt den Standpunkt, bestehe zwar seit der Aufhebung des § 268 ZPO keine allseitige Bindungswirkung der Tatsachenfeststellungen des Strafurteils mehr und könne diese auch aus der materiellen Rechtskraft des Strafurteils nicht abgeleitet werden, stehe doch die strafgerichtliche Verurteilung fest, die eine unsubstantiierte Berufung des Verurteilten darauf, die Tat in Wahrheit nicht begangen zu haben, „widersinnig“ erscheinen lasse. Dann sei aber sein Antrag auf neuerliche Beweisaufnahme als unzulässig anzusehen (so auch Rechberger/Simotta aaO Rz 715 und Fucik in Rechberger aaO § 191 Rz 6).

Anders beurteilt Graff (in seiner Glosse zu der in AnwBl 1993, 273, veröffentlichten Entscheidung 2 Ob 541/92) den Stellenwert einer strafgerichtlichen Verurteilung für den nachfolgenden Zivilprozeß: Das Strafurteil sei öffentliche Urkunde, die im Zivilprozeß gemäß § 292 ZPO vollen Beweis dessen begründe, was darin amtlich verfügt, erklärt oder bezeugt wird; es beweise daher nicht bloß, daß der Betroffene verurteilt wurde, sondern auch, daß er die ihm angelastete Tat mit den die Strafe bestimmenden Merkmalen begangen habe. Das sei zwar weniger als die Bindungswirkung nach § 268 ZPO, weil § 292 Abs 2 ZPO den Beweis der Unrichtigkeit zulasse, es werde aber weiterhin die Richtigkeit des Strafurteils vermutet.

Die Rechtsprechung verneinte seit der Aufhebung des § 268 ZPO ganz überwiegend eine Bindung des Zivilrichters an eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung, beschränkte sich aber in den meisten Fällen zur Begründung auf den Hinweis auf die Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof (so etwa in ecolex 1992, 89 = ZVR 1992/106 = RZ 1992/39; SZ 65/47 = EvBl 1992/178 = ZVR 1992/142; ecolex 1994, 491 = RdW 1994, 287 = ARD 4555/14/94 und 2 Ob 1022/92).

Eine eingehendere Begründung findet sich ‑ soweit überblickbar ‑ nur in der Entscheidung ecolex 1993, 238 (Konecny) = AnwBl 1993, 273 (Graff): Gegenstand des Strafverfahrens sei in erster Linie die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Daraus folge, daß sich eine ‑ aus dem rechtsstaatlichen Bauprinzip sowie der bundesverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur ableitbare ‑ Bindung anderer Staatsorgane lediglich auf die Tatsache des urteilsmäßig festgestellten staatlichen Strafanspruchs beziehe, andere Staatsorgane demnach nicht berechtigt seien, die Frage der Strafbarkeit des dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhalts einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen. Für den Rechtsstreit, in dem zivilrechtliche Ansprüche aus einem bestimmten Verhalten einer strafgerichtlich verurteilten Person abgeleitet werden, bedeutet das aber noch nicht die Bindung des Zivilrichters an die im Strafurteil festgestellten Tatsachen, so daß er sie ungeprüft seinem Urteil zugrundezulegen hätte. Es bestehe nämlich keine Identität zwischen dem auf Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gerichteten Zweck des Strafverfahrens und jenem des Zivilprozesses, in welchem das Bestehen zivilrechtlicher Ansprüche gegen den strafgerichtlichen Verurteilten zu klären sei und entfalte die strafgerichtliche Verurteilung Feststellungswirkung nur im Hinblick auf künftige Verfahren, in denen das Vorliegen einer Vorstrafe von Bedeutung sei. Könne somit einem strafgerichtlichen Schuldspruch keine weiterreichende Feststellungswirkung zuerkannt werden und bestehe die Wirkung des § 268 ZPO nicht mehr, seien die für das Bestehen der zivilrechtlichen Ansprüche erheblichen Tatsachen beweisbedürftig.

In der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 15.1.1992, 9 Ob A 240/91, machte sich der Oberste Gerichtshof, der dort zu den Voraussetzungen der Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 191 ZPO Stellung nahm, dagegen die Meinung Walters (aaO) zu eigen, auch ohne die in dem nun aufgehobenen § 268 ZPO verfügt gewesene Bindung entfalte ein rechtskräftiges Strafurteil Rechtskraftwirkung, so daß sich niemand gegen eine andere Person darauf berufen könne, er habe eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt worden sei, nicht begangen.

Bei Abwägung aller für und gegen die Bejahung einer (eingeschränkten) Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung auf das Ergebnis eines nachfolgenden Rechtsstreits, in dem über Ansprüche aus dem als strafbare Handlung erkannten Verhalten des Beklagten abzusprechen ist, erscheint dem verstärkten Senat die auf den Thesen Nowakowskis über die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs aufbauende Argumentation Walters überzeugend:

Die aus der materiellen Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung abzuleitende Bindungswirkung kann nicht einfach deshalb geleugnet werden, weil im Verfahrensrecht ‑ seit der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof ‑ eine die Bindung des Zivilrichters ausdrücklich anordnende Norm (im Verfahrensrecht) fehlt; selbst die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft der in § 411 Abs 1 ZPO genannten zivilgerichtlichen Urteile, vor allem die Frage, wie ein Verstoß gegen sie zu sanktionieren sei, hat in der Zivilprozeßordnung keine ausdrückliche Regelung erfahren (vgl dazu Rechberger aaO § 411 Rz 3) und ist dennoch unumstritten. Einer solchen expliziten Anordnung bedarf auch die hier zur Beurteilung stehende Bindungswirkung der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung nicht:

Morscher führt in seinem Aufsatz „Bindung und Bundesverfassung“ (in JBl 1991, 86) aus, der Bundesverfassung könne insgesamt entnommen werden, daß individuelle Rechtsakte regelmäßig Bindungswirkung entfalten. Diese ergebe sich zunächst schon aus dem rechtsstaatlichen Bauprinzip der Bundesverfassung und namentlich aus den einzelnen Anordnungen über den Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung. Es sei dem Kernbereich des rechtsstaatlichen Prinzips zuzurechnen, daß in der Regel alle staatlichen Organe an individuelle Rechtsakte ‑ stammten sie nun von diesem selbst oder aber von anderen Staatsorganen ‑ gebunden seien und sich nicht über diese hinwegsetzen dürften. Bei anderer Auffassung käme dem dem rechtsstaatlichen Prinzip zwingend innewohnenden Element der Rechtssicherheit praktisch kaum Bedeutung zu, könnte doch dann jedes Organ der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung bei jeder sich bietenden Gelegenheit jeden Aspekt eigenständig und unabhängig von im Rechtsweg erstrittenen Rechtspositionen des Rechtsunterworfenen neu entscheiden. Im übrigen könne aber auch der Bundesverfassung nicht unterstellt werden, sie führe zwar das rechtsstaatliche Prinzip ein und schaffe ein ausgefeiltes Rechtsschutzsystem mit den Höchstgerichten als Kontrollorganen, lasse aber zu, daß diese Einrichtungen letztlich wirkungslos seien. Aber auch die Organisationsstruktur der Bundesverfassung gehe im Zusammenhalt mit dem in Art 18 Abs 1 B‑VG verankerten Legalitätsprinzip, das unter anderem eine präzise gesetzliche Determinierung des jeweils zur Entscheidung berufenen Organs gebiete, von der Vorstellung aus, daß jede Rechtssache jeweils nur von einem Organ zu entscheiden sei. Schließlich liege der Bundesverfassung auch der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zugrunde, der unter anderem auch die Bindung der Gerichte und Verwaltungsbehörden an individuelle Rechtsakte auch anderer Staatsorgane umfasse. Allerdings sei aus der Bundesverfassung auch ableitbar, daß eine solche Bindungswirkung nicht grenzenlos bestehe, sie erstrecke sich vielmehr regelmäßig nur auf die Parteien jenes Verfahrens, dessen Ergebnis Bindung schaffen solle.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt ‑ wenngleich in Ableitung einer allgemeinen Regel aus bloß einfachgesetzlichen Anordnungen ‑ Walter (Bundesverfassungsrecht, 722; desgleichen Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht7 Rz 1081).

Fasching (JBl 1976, 557; derselbe in LB2 Rz 96) lehnt zwar eine Bindung der Gerichte an Bescheide der Verwaltungsbehörden ab, weil die verfassungsrechtlich garantierte richterliche Unabhängigkeit den Gerichtsverfahren eine besondere Rechtsschutzqualität verleihe, die mit den anders gearteten Rechtsschutzformen der weisungsgebundenen Verwaltung nicht in Einklang gebracht werden könne, dieses Argument könnte aber naturgemäß gegen die Bejahung der Bindung des Zivilrichters an rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen nicht erfolgreich ins Treffen geführt werden, weil das gerichtliche Strafverfahren gleichermaßen von der durch die richterliche Unabhängigkeit getragenen Rechtsschutzqualität bestimmt ist.

Von den Gegnern der Bejahung einer Bindungswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung wird nicht selten (vgl nur Rechberger aaO § 281a Rz 3) damit argumentiert, eine Bindungswirkung der Tatsachenfeststellungen im Strafurteil könne auch aus dessen materieller Rechtskraft nicht abgeleitet werden: Eine eingehende Begründung dafür, weshalb dem entgegen den treffenden Erwägungen Nowakowskis nicht so sein solle, lassen diese Stellungnahmen allerdings vermissen. Lediglich V.Steininger (aaO 480 f) unterzieht die Thesen Nowakowskis punktuell einer Kritik: Soweit er freilich ins Treffen führt, dieser Autor habe die gegenwärtige verfassungsrechtliche Bedeutung des Art 6 EMRK noch nicht vorausahnen können, übersieht er, daß Nowakowski gerade unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs die von ihm vertretene Bindungswirkung allein auf den Verurteilten eingegrenzt hat. Auch der Vorwurf, Nowakowski hätte bei dem von ihm angeführten Beispiel einer Privatanklage wegen Übertretung nach § 487 StG zur Erklärung der Unzulässigkeit der Behauptung des Privatanklägers, seine Verurteilung wegen der vorgeworfenen strafbaren Handlung sei zu Unrecht erfolgt, bloß die Tatbestandswirkung des Strafurteils bemühen müssen, ist verfehlt, weil das Urteil als Tatsache nur beweist, daß der darin Genannte der dort angeführten strafbaren Handlung schuldig erkannt wurde, nicht aber auch, daß das zu Recht oder zu Unrecht geschehen sei.

Auch Graffs Versuch, die Ergebnisse des Strafverfahrens für den nachfolgenden Rechtsstreit nutzbar zu machen, erweist sich bei näherer Betrachtung nicht als haltbar: Er ist mit § 292 ZPO nicht zu vereinbaren. Gemäß Abs 1 dieser Gesetzesstelle begründet eine öffentliche Urkunde nur den vollen Beweis dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder bezeugt wird. Mit einem Strafurteil wird aber bloß die Bestrafung des Verurteilten verfügt, erklärt wird dagegen darin nichts; bezeugt kann aber nur eine Tatsache werden, mit einem Strafurteil also die Tatsache der Verurteilung und gegebenenfalls die weitere Tatsache, daß das Strafgericht sein Urteil auf die darin niedergeschriebenen Tatsachenfeststellungen stützte; zu diesen gelangten die Richter aber nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung (§ 258 Abs 2 zweiter Satz StPO). Bezeugt wird mit dem Strafurteil somit nur die Überzeugung der Richter und ihr Ergebnis, nicht aber dessen Richtigkeit.

Der erkennende Senat pflichtet der von Sachers, Roeder, Kralik und Walter (jeweils aaO) gebilligten Auffassung Nowakowskis bei, daß nicht bloß der Ausspruch über die Strafe, sondern ebenso der Schuldspruch (auch) der materiellen Rechtskraft teilhaft ist, daß also damit rechtskräftig ausgesprochen wird, der Angeklagte (Beschuldigte) habe die darin angeführte Tat und damit die dort bezeichnete strafbare Handlung begangen. Aus der darauf abzielenden ‑ bis jetzt nicht widerlegten ‑ Beweisführung dieses Autors ist ‑ soweit erforderlich, auf die gegenwärtige Rechtslage übertragen, ‑ besonders hervorzuheben:

a) Begeht der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine strafbare Handlung, (die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht), so wird der Ablauf der Verjährung gehemmt (§ 58 Abs 2 StGB). Wurde er wegen der neuerlichen Straftat rechtskräftig verurteilt, so kann er sich dementgegen bei der Prüfung der Verjährungsfrage nicht darauf berufen, daß er in Wahrheit die strafbare Handlung nicht oder jedenfalls keine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Handlung begangen habe. Erwüchse dagegen der Schuldspruch für sich nicht in (materielle) Rechtskraft, müßte das Gericht den Verurteilten der Straftat, die den Verjährungsablauf hemmt, aufs Neue überführen.

b) Desgleichen müßte das Gericht, ist der Rückfall gemäß § 39 Abs 1 StGB in Betracht zu ziehen, erneut prüfen, ob der Angeklagte (Beschuldigte) die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vortat, derentwegen er rechtskräftig verurteilt wurde, tatsächlich begangen hat (für eine „Feststellungswirkung“ des rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses ausdrücklich Platzgummer, Grundzüge des österr. Strafverfahrens6 176, während Pohle in JBl 1957, 120 von einer Tatbestandswirkung spricht).

c) Erhebt derjenige, den ein anderer der Begehung einer strafbaren Handlung beschuldigt (früher § 487 StG, jetzt ‑ im Regelfall - § 111 Abs 1 StGB), gegen diesen Privatanklage, ist der Beschuldigte ohne weiteres freizusprechen, wenn die Begehung der vorgeworfenen strafbaren Handlung zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Privatanklägers geführt hat; mit der Einwendung, er habe die strafbare Handlung dennoch nicht begangen, wird er im Privatanklageverfahren nicht gehört.

d) Der Angeklagte kann gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO die Subsumtion unabhängig davon bekämpfen, ob das von ihm angestrebte Ergebnis eine Änderung des Strafrahmens zur Folge hätte (EvBl 1981/67 ua); hat er ‑ losgelöst vom Strafausspruch ‑ das Recht auf richtige Subsumtion, so wird auch damit dargetan, daß diese Gegenstand der Entscheidung ist.

e) Wird das verurteilende Erkenntnis nur mit Strafberufung angefochten, so erwächst es im übrigen Umfang in Rechtskraft. Deshalb könnte der Verurteilte trotz der noch nicht erledigten Strafberufung den Schuldspruch gemäß § 353 StPO mit einem Wiederaufnahmsantrag bekämpfen, weil er jedenfalls bereits „rechtskräftig verurteilt“ ist. Auch damit wird dargetan, daß der Schuldspruch für sich in materielle Rechtskraft erwächst.

All diesen Erwägungen zufolge vermag der verstärkte Senat auch der in der Entscheidung vom 25.3.1992, 2 Ob 514/92 (= ecolex 1993, 238 = AnwBl 1993, 273) vertretenen, nach seiner Auffassung zu engen Sicht der materiellen Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung nicht zu folgen, die diese ‑ entgegen den Thesen Nowakowskis ‑ auf den Strafausspruch einschränken will.

Ist aber mit diesem Autor auch die materielle Rechtskraft des strafgerichtlichen Schuldspruchs zu bejahen, so kann folgerichtig dann auch ‑ im Sinne der richtig verstandenen Thesen Morschers (aaO) ‑ deren Bindungswirkung nicht geleugnet werden. Sie ist allerdings ‑ da, abgesehen vom öffentlichen Ankläger, bei der Verfolgung von Offizialdelikten, wie hier, ausschließlich dem Angeklagten (Beschuldigten) volle Parteienrechte zugestanden werden ‑ auf den Rechtskreis des Verurteilten zu beschränken. Diese subjektiven ‑ parteibezogenen ‑ Grenzen der Rechtskraft müssen trotz der dadurch möglichen unterschiedlichsten Verfahrensergebnisse beachtet werden, um den höher zu bewertenden, durch Art 6 Abs 1 EMRK im Verfassungsrang anerkannten Grundrecht des rechtlichen Gehörs in gebotener Weise Rechnung zu tragen (zuletzt wieder 1 Ob 545/95 ua; vgl Kralik in JBl 1976, 92 f; vgl auch G.Musger in JBl 1991, 420, 423 ff). Die Rechtskraft wirkt also derart, daß der Verurteilte das Erkenntnis gegen sich gelten lassen muß, es wirkt somit für den Rechtsbereich des Verurteilten, bezogen auf diesen Rechtsbereich aber gegen jedermann. Damit kann sich aber im nachfolgenden Rechtsstreit niemand gegen eine andere Partei darauf berufen, er habe eine Tat, derentwegen er vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt wurde, nicht begangen, ganz unabhängig davon, ob diese andere Partei am Strafprozeß beteiligt und bejahendenfalls, welche prozessuale Stellung ihr in diesem Verfahren eingeräumt war.

Diese Lösung ist ‑ wie Walter treffend bemerkt ‑ vor allem deshalb gerechtfertigt, weil dem Verurteilten alle Rechtsschutzmöglichkeiten an die Hand gegeben waren, um die Verurteilung abzuwehren. Die andere Partei des Zivilprozesses hat aber aus der fehlenden Beteiligung am Strafprozeß oder - wie der Privatbeteiligte ‑ aus der eingeschränkten verfahrensrechtlichen Position im Strafverfahren keinerlei Nachteil zu besorgen, soweit sie sich auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Gegners beruft. Auch das von Simotta (NZ 1991, 75), die eine Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils im Zivilprozeß überhaupt nur dann für erwägenswert hält, wenn beide Parteien des Rechtsstreits im Strafverfahren volle Parteistellung genossen haben, was aber im Regelfall zu verneinen sei, aufgezeigte Problem, der Geschädigte könnte, wäre auch er gebunden, gar nicht vorbringen, daß ein anderer als der Verurteilte der Täter sei (aaO 77), könnte bei dieser auf den Verurteilten beschränkten Bindungswirkung gar nicht auftreten, weil im Rechtsstreit zwischen dem Geschädigten und einem nicht strafgerichtlich Verurteilten eine Bindungswirkung nicht eintreten kann.

Die auf den Rechtskreis des Verurteilten beschränkte Bindungswirkung begegnet auch aus dem Blickwinkel der in Art 6 EMRK im Verfassungsrang festgeschriebenen Verfahrensgarantien keinen Bedenken: Das kann zwanglos dem verfassungsgerichtlichen Erkenntnis, mit dem § 268 ZPO aufgehoben wurde (VfSlg 12.504/1990), entnommen werden, das die Verletzung des in Art 6 Abs 1 EMRK verankerten Grundrechts des rechtlichen Gehörs darin erblickt, daß der Anspruch desjenigen auf Gehör durch das seine Sache entscheidende Gericht nicht erfüllt sei, der den Beweis und die Zurechnung einer für die Entscheidung über seine Ansprüche und Verpflichtungen wesentlichen Handlung im Rechtsstreit nicht in Frage stellen kann, weil das Gericht an die Entscheidung im Strafverfahren gebunden ist, zu dem er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang hatte. War ihm dagegen dieser Zugang gesichert, so ist ihm auch im gebotenen Ausmaß rechtliches Gehör eingeräumt worden. Wäre man anderer Ansicht, müßte dann wohl auch die Bindungswirkung an die materielle Rechtskraft zivilgerichtlicher präjudizieller Entscheidungen in Frage gestellt werden (vgl zur ähnlich gelagerten Problematik der Wiederaufnahmsgründe gemäß § 530 Abs 1 Z 1 bis 4 ZPO EKMR in ÖJZ 1990, 216 und jüngst VfGH in JBl 1995, 576).

Auch die Einwände V.Steiningers (aaO 479) gegen die hier gebilligte Auffassung Walters sind nicht stichhältig. Daß Walter beim Zitat einer Stelle des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses das einschränkende Wort „allenfalls“ weggelassen hat, bringt lediglich zum Ausdruck, daß er die Erstreckung der Bindungswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung selbst auf im Strafverfahren „sonst“ als Beteiligte aufgetretene „Prozeßparteien“ ablehnt, weil ihnen im Strafprozeß keine volle Parteistellung zukommt, obwohl deren verfassungsrechtlich einwandfreie Bindung der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ‑ zumindest ‑ für erwägenswert hält.

Auch ist ‑ entgegen V.Steiningers ‑ ein Verstoß dieser Auffassung gegen „wesentliche Tendenzen des Aufhebungserkenntnisses“ nicht zu erkennen: Der Verfassungsgerichtshof hatte sich ausschließlich mit der Verfahrensnorm des § 268 ZPO und dessen von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Vorschrift getragenen Auslegungsmöglichkeiten zu befassen und die von Walter keineswegs in Zweifel gezogene Ansicht vertreten, die genannte gesetzliche Vorschrift verstoße ihrem Wortlaut und dem ihr von diesem Gerichtshof unterstellten Willen des Gesetzgebers nach gegen das Grundrecht des rechtlichen Gehörs. Keinesfalls war Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses auch die durch die positive verfahrensrechtliche Anordnung des § 268 ZPO in den Hintergrund gerückte Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung für den Rechtskreis des Verurteilten, soweit sich dieser auf einen nachfolgenden Rechtsstreit ausdehnt.

Im übrigen wäre es auch ein Wertungswiderspruch, müßten dem Zuspruch an den Privatbeteiligten im Strafverfahren - dort auch im Rechtsmittelverfahren (§ 295 Abs 1 StPO) ‑ die im Schuldspruch festgestellten Tatsachen zugrundegelegt werden, wogegen es dem Verurteilten freistände, diese im nachfolgenden Rechtsstreit zu bestreiten, wenn sich der Geschädigte am Strafverfahren nicht beteiligte oder auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde; dieser Wertungswiderspruch wird besonders auch im vorliegenden Verfahren ‑ nach dem Ergebnis des vorinstanzlichen Verfahrens ‑ auf drastische Weise deutlich.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch Rechberger (aaO § 281a Rz 3) letztlich zum gleichen Ergebnis gelangt, ohne aber die dogmatischen Grundlagen seiner Ansicht klar zum Ausdruck zu bringen.

Der verstärkte Senat formuliert (§ 65 Abs 7 OGH‑Geo) daher folgenden Rechtssatz:

„Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muß, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, daß er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist.“

Nicht zu entscheiden ist hier, ob das verurteilende Straferkenntnis für die Frage der vertraglichen Deckungspflicht eines Versicherers Tatbestandswirkung haben kann.

Das Erstgericht hätte demnach ‑ zumal sich der Kläger schon in der Klageschrift ausdrücklich auf das Ergebnis des Strafverfahrens bezogen hatte ‑ den rechtskräftigen Schuldspruch im vorangegangenen Strafverfahren von Amts wegen unter Ausschluß der neuerlichen Behandlung und Prüfung des Gegenstands der strafgerichtlichen Verurteilung seiner Entscheidung zugrundezulegen gehabt, zumal der Beklagte im Strafverfahren von keiner der umfassenden, sein rechtliches Gehör sichernden Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschlossen war und davon auch im Strafverfahren im vollen Umfang Gebrauch gemacht hatte.

Diese Grundsätze wird das Erstgericht im erneuerten Verfahren zu befolgen und lediglich ‑ im Rahmen des Parteivorbringens ‑ zu prüfen haben, ob die Ersatzansprüche des Klägers nach Eintritt, Verursachung und Höhe des behaupteten Schadens berechtigt sind.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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