OGH 2Ob541/92

OGH2Ob541/9229.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Adolf L*****, 2.) Christine F*****, 3.) Martha N*****, 4.) Gerhard L*****, 5.) Helmut L*****, 6.) Roland L*****, 7.) Sabine H*****, 8.) Jutta L*****, sämtliche vertreten durch Dr.Götz Schattenberg und Dr.Ernst Moser, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Manfred A*****, vertreten durch den Sachwalter Harald S*****, Verein für Sachwalterschaft, ***** dieser vertreten durch Dr.Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, wegen 70.000 S sA, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14.November 1991, GZ 6 R 209/91-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3.Juni 1991, GZ 8 Cg 6/90-16, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Prozeßkosten erster Instanz.

Text

Begründung

Am 11.April 1989 kam es zwischen dem am 22.Jänner 1931 geborenen Adolf L***** und dem Beklagten zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bei der Adolf L***** verletzt wurde. Adolf L***** ist am 25.Februar 1990 verstorben. Die nunmehrigen Kläger sind gesetzliche Erben des Adolf L*****. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 15.November 1989, 26 E Vr 798/89, 26 E Hv 59/89, wurde der Beklagte wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB verurteilt, weil er am 11.April 1989 in Linz Adolf L***** dadurch, daß er ihm einen Stoß und einen Fußtritt gegen dessen Körper versetzte, wodurch dieser zu Boden stürzte, mißhandelt und ihn dadurch fahrlässig in Form einer Schenkelhalsfraktur rechts und einer Schädelprellung am Körper an sich schwer verletzt hat, wobei die Tat eine längere als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung des Adolf L***** zur Folge hatte.

Mit der am 19.Februar 1990 erhobenen Klage begehrte Adolf L***** vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 100.000 S sA. Der Beklagte habe ihn am 11.April 1989 grundlos tätlich angegriffen und durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten zu Boden gestoßen, wodurch er eine Schenkelhalsfraktur rechts und eine Schädelprellung erlitten habe.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragt dessen Abweisung. Er sei wohl strafgerichtlich verurteilt worden, die Darstellung Adolf L*****'s, wonach er ihn durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten zu Boden gestoßen und er dadurch die angeführten Verletzungen erlitten habe, sei jedoch unrichtig. Richtig sei vielmehr, daß L***** die Auseinandersetzung damit begonnen habe, daß er ihm grundlos eine Ohrfeige angedroht habe. Als dieser aufgezielt habe, habe er ihm im Rahmen einer Abwehrhandlung einen leichten Stoß mit dem Fuß gegen den Unterschenkel versetzt. Da das Strafgericht L***** bereits ein Schmerzengeld von 5.000 S zuerkannt habe, werde im Umfang dieses Privatbeteiligtenzuspruches der Einwand der entschiedenen Rechtssache erhoben.

Demgegenüber wendete Adolf L***** ein, daß ihn selbst bei Annahme einer gewissen Provokation maximal 1/3 Mitverschulden treffe und auch unter Berücksichtigung dieses Mitverschuldens und des Teilschmerzengeldzuspruches von 5.000 S das eingeklagte Schmerzengeld berechtigt sei.

Schließlich brachte der Beklagte noch vor, er habe in Notwehr gehandelt, da L***** bereits gegen ihn aufgezielt hätte und somit ein rechtswidriger Angriff vorgelegen sei, den er durch einen leichten "Schubs" mit dem Fuß abgewehrt habe. Soferne seine Reaktion eine Notwehrüberschreitung darstellen sollte, werde eingewendet, daß ihm diese Notwehrüberschreitung subjektiv nicht zurechenbar sei. Es sei für ihn ein Sachwalter bestellt worden und er sei aufgrund seines geistigen Zustandes nicht in der Lage, zu erkennen, daß seine Reaktion unangemessen sei und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Im übrigen könne Adolf L***** Schadenersatzansprüche nach § 1308 ABGB nicht geltend machen, weil dieser durch seinen Angriff selbst die Reaktion verursacht habe. Außerdem sei bei der Vermögensabwägung zu berücksichtigen, daß es der Klagsseite leichter möglich sei, den Schaden zu tragen, als ihm selbst, der lediglich über eine bis zum Existenzminimum gepfändete Mindestpension verfüge. Schließlich wendete der Beklagte noch ein, Adolf L***** habe sich in einem sehr schlechten Allgemeinzustand befunden, die erlittenen Verletzungen seien wesentlich auf Vorschäden zurückzuführen. Auch aus diesem Grund sei die Handlung dem Beklagten nicht im vollen Umfang zurechenbar. Einen Armbruch und eine Schädelprellung habe der Beklagte Adolf L***** jedenfalls nicht zugefügt.

Das Erstgericht sprach den infolge Ablebens Adolf L*****'s in den Prozeß eingetretenen Klägern - von einem Mitverschulden Adolf L*****'s im Ausmaß eines Viertels ausgehend - den Betrag von 70.000 S s. A. unter Abweisung des Mehrbegehrens von 30.000 S zu. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Am 11.April 1989 gegen 18 Uhr kam es zwischen Adolf L***** und dem Beklagten vor dem Haus L***** zu einer wörtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Adolf L***** dem Beklagten mit einer Ohrfeige drohte, indem er mit der Hand gegen den Beklagten aufzielte. Der Beklagte versetzte hierauf Adolf L***** einen Stoß, wodurch dieser zu Boden stürzte. Sodann trat der Beklagte mit dem Fuß gegen den am Boden liegenden Adolf L*****, wodurch dieser eine Schädelprellung und eine Schenkelhalsfraktur rechts erlitt. Im Rahmen der stationären Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus in L***** stürzte Adolf L***** noch am 11.April 1989 vom Operationstisch, wodurch er einen Oberarmbruch erlitt.

Der am ***** (richtig:) 1968 geborene Beklagte verfügt über einen Intelligenzquotient von 55 %; er ist grundsätzlich zurechnungsfähig. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes L***** (vom 29.November 1988, [richtig 13.Oktober 1988] 2 SW 18/88-18) wurde für den Beklagten ein Sachwalter für die Einkommens- und Vermögensverwaltung, dem Umgang mit Ämtern und Behörden und für die Wohnungssuche bestellt. Die Invaliditätspension des Beklagten ist bis auf das Existenzminimum gepfändet.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß der Beklagte die Verletzungen Adolf L*****'s und ihre Folgen verursacht und verschuldet habe, weshalb der Schadenersatzanspruch nach § 1295 Abs. 1 ABGB zu Recht bestehe. Der Angriff des Beklagten sei jedoch von Adolf L***** durch Drohung mit einer Ohrfeige provoziert worden, weshalb dem Verletzten ein Mitverschulden an dem Vorfall im Ausmaß von einem Viertel zuzurechnen sei. Den erlittenen Verletzungen entspreche ein Schmerzengeld von 100.000 S, das um die Mitverschuldensquote und den Privatbeteiligtenzuspruch im Strafverfahren zu kürzen sei, woraus sich der Zuspruch von 70.000 S ergebe.

Das Gericht zweiter Instanz gab der vom Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil in seinem stattgebenden Teil erhobenen Berufung Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichtes - wohl im Rahmen der Anfechtung - auf und verwies die Rechtssache - in diesem Umfang - zu fortgesetzter Verhandlung und neuerlicher Entscheidung an das Erstgericht zurück, wobei es aussprach, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht ging im wesentlichen nur auf die vom Beklagten in seiner Berufung vorgetragene, in der Unterlassung der Einholung des von ihm zum Beweis seiner Unzurechnungsfähigkeit beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens erblickte Mängelrüge ein und erachtete diese aus folgenden Gründen für berechtigt:

Der Beklagte habe sich zum Nachweis seiner Ausführungen über seine Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit auf die Einholung bzw. Ergänzung des medizinischen Sachverständigengutachtens berufen. Diesem Vorbringen hätten die Kläger entgegengehalten, der Beklagte sei bereits im Strafverfahren für zurechnungsfähig erklärt worden. Das Erstgericht habe aufgrund des psychiatrischen Gutachtens Dris. Herbert S***** vom 20.Juni 1988, welches im Sachwalterschaftsverfahren des Beklagten beigeschafft worden sei, des Strafaktes des Landesgerichtes Linz und der Einvernahme des Beklagten festgestellt, daß der Beklagte über einen Intelligenzquotient von 55 % verfüge und grundsätzlich zurechnungsfähig sei. Eine Begründung, warum das Erstgericht den Sachverständigenbeweis zur vom Beklagten eingewendeten Zurechnungsunfähigkeit bzw. Deliktsunfähigkeit nicht durchgeführt habe, sei dem Ersturteil nicht zu entnehmen. Das erstinstanzliche Verfahren erweise sich daher im aufgezeigten Sinn als mangelhaft im Sinn des § 496 Abs. 1 Z 2 ZPO, zumal auch aufgrund der Aufhebung des § 268 ZPO die Tatsachenfeststellungen des den Beklagten verurteilenden Strafurteiles, in welchem von einer Zurechnungsfähigekit des Beklagten ausgegangen worden sei, unbeachtlich seien. Mit Erkenntnis vom 12.Oktober 1990, GZ 73/89, habe nämlich der Verfassungsgerichtshof § 268 ZPO als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung dieser Bestimmung sei mit sofortiger Wirkung erfolgt. Da sie am 16.November 1990 im BGBl. 1990/706 kundgemacht worden sei, sei sie gemäß Art. 140 Abs. 5 B-VG mit diesem Tag in Kraft getreten. § 268 ZPO sei daher gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG auf Verfahren, die nach dem 15.November 1990 geschlossen worden seien, also auch im vorliegenden Fall mit Schluß der Verhandlung vom 8.Mai 1991, nicht mehr anwendbar. Nach der nunmehrigen, somit auch im vorliegenden Fall relevanten Rechtslage, hätten die Prozeßgerichte sämtliche Tatumstände, die bereits im Strafverfahren festgestellt wurden, trotzdem zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu machen. Es bestehe auch dann, wenn im Zivilprozeß einander der Verurteilte und der Privatbeteiligte gegenüberstehen - wie vorliegen- denfalls - keine Bindung des Zivilrichters an ein verurteilendes Straferkenntnis. Wenn Kläger (als Privatbeteiligter oder Privatankläger) und Beklagter (als Beschuldigter) am Strafverfahren beteiligt gewesen seien, könne allerdings das Zivilgericht anregen, die dort aufgenommenen Beweise gemäß § 281a ZPO durch Protokolls- und Gutachtensverlesung zu wiederholen. Meine jedoch der Beklagte, im Zivilverfahren günstigere Feststellungen erreichen zu können, werde dieses Geschehen an seinem Widerstand gegen die mittelbare Beweisaufnahme scheitern. Seien nicht alle Parteien des Zivilverfahrens am Strafverfahren beteiligt gewesen, fehle es von vornherein an einer zwingenden Voraussetzung des § 281a ZPO (vgl. Konecny, Versicherungen im Zivilprozeß nicht mehr an verurteilende Erkenntnisse gebunden?, in ecolex 1990, 737; Simotta,

Die Bedeutung einer strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilprozeß nach Aufhebung des § 268 ZPO, in NZ 1991, 75 f, 77). Im gegenständlichen Verfahren ergäbe sich aus dem ausdrücklichen Antrag des Beklagten dessen Widerstand gegen eine mittelbare Beweisaufnahme zur Frage seiner Zurechnungsfähigkeit durch Verlesung des diesbezüglichen Gutachtens im Strafakt. Auch das vom Beklagten selbst vorgelegte Gutachten Dris. S***** könne die Frage der Zurechnungsunfähigkeit bzw. der Deliktsunfähigkeit des Beklagten nicht abschließend beantworten, da einerseits Gegenstand dieses Gutachtens die Frage gewesen sei, ob der Beklagte der Unterstützung eines Sachwalters bedürfe bzw. für welche Bereiche diese notwendig erscheine, und anderseits das Gutachten auch bereits am 20.Juni 1988 erstattet worden sei. Der Vorfall, aus dem die Kläger nunmehr Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend machen, habe sich aber am 11.April 1989 ereignet. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren dem vom Beklagten in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10.April 1991 gestellten Antrag auf Einholung eines medizinischen (psychiatrischen) Gutachtens zu entsprechen haben. Auch sei angesichts der bisherigen Aktenlage die Auffassung des Gutachters Dr. S***** nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß unter den gegebenen Umständen auch ein von verstärkter Aggressionsneigung unbelasteter Mensch, insoweit gleich dem Beklagten, irgendeine Abwehrhandlung gegenüber der Angriffshaltung des Adolf L***** gesetzt hätte (Strafakt S. 85 und 2 SW 18/88 BG Linz, AS 21, 65, 80 und 91), weil dann unter Umständen von einem Täter mit von vornherein gestörtem Gefühlsleben eine dem Angriff völlig adäquate Gegenreaktion, umso weniger erwartet werden könne.

Den auf § 519 Abs. 2 ZPO gestützten Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof begründete das Berufungsgericht damit, daß auch nach Aufhebung des § 268 ZPO ein Teil der Lehre (etwa Morscher, Bindung und Bundesverfassung JBl. 1991 S. 86 und - mit vielen Vorbehalten - Simotta, Bedeutung einer strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilprozeß NZ 1991 S. 75) den Standpunkt zu vertreten scheine, daß bei Identität der Prozeßparteien die grundsätzliche Bindung an eine Vorentscheidung des Strafgerichtes nicht schlechthin beseitigt worden sei, und hiezu, soweit überblickbar, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege. Immerhin bestehe aber, wie schon Morscher aaO dargelegt habe, eine gegenseitige Bindung der Gerichte und Verwaltungsbehörden nach §§ 190 f ZPO und 38 AVG, wenn in einem Parallelverfahren über eine Vorfrage bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei, könne nach rechtskräftiger Abweisung eines mit actio confessoria geltend gemachten Anspruches nicht einer inhaltsgleichen Einwendung im Verfahren aufgrund einer actio negatoria sodann auf einmal entsprochen werden, könne - ähnlich wie nach § 9 EO - nach rechtskräftigem Ausspruch über die Zulässigkeit einer Realteilung der Singularsukzessor im Eigentum eines ideellen Anteils im Folgeprozeß nur mehr die Singularsukzession, nicht aber die Zumutbarkeit der Realteilung zum Streitthema machen, während anderseits - ohne Zwischenfeststellung nach §§ 236 bzw. 259 ZPO - im Folgeprozeß über andere Ansprüche aus ein und demselben Unfall mit vertauschten Parteirollen ausgetragen, die Bindungswirkung an der fehlenden Anspruchsidentität, trotz bestehenden Sinnzusammenhanges (hiezu Fasching, Kommentar III S. 708), scheiterte. Möge es daher auch dem Verfassungsgerichtshof bei der Aufhebung des § 268 ZPO in erster Linie darum gegangen sein, die Bindung eines am Verfahren nicht beteiligten Dritten an die strafgerichtliche Verurteilung zu vermeiden, hätten für den Senat in diesem Verfahren die Argumente doch in der Richtung überwogen, daß die aus anderen Bestimmungen als aus § 268 ZPO noch immer resultierende Tatbestandswirkung des Strafurteils sich auf jene Fälle beschränke, in denen eine gesetzliche Bestimmung die Anspruchsvoraussetzungen unmittelbar an eine solche strafgerichtliche Verurteilung knüpfe, wie etwa bei gewissen Enterbungs- oder Erbunwürdigkeitsgründen, Obliegenheitsverletzungen (zB Alkoholisierung nach dem Versicherungsrecht) u.ä. Die damit aufgezeigten fließenden Grenzen und variierenden Denk- und Argumentationsmöglichkeiten rechtfertigten aber, ja erforderten geradezu den Zulässigkeitsausspruch, angesichts der problematischen Kongruenz zwischen staatlichem Straf- und zivilrechtlichem Schadenersatzanspruch.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der klagenden Parteien mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils abzuändern.

Der vom Beklagten erstatteten Rechtsmittelbeantwortung ist der Antrag zu entnehmen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Im Rekursverfahren wird nicht in Zweifel gezogen, daß die durch § 268 ZPO geschaffene Bindung im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr gegeben ist, also das frühere Beweisthemenverbot hinsichtlich von Tatsachen, die die Zurechnung der strafbaren Handlung an den verurteilten betreffen, nicht mehr gilt. Festzuhalten ist weiters, daß sich der Oberste Gerichtshof mit den verfahrensrechtlichen Folgen der Aufhebung der Bestimmung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof bereits mehrmals zu befassen hatte. In seiner Entscheidung vom 18.September 1991, 2 Ob 41/91 (ecolex 1992, 89) ging der erkennende Senat davon aus, daß die für die Entscheidung des Gerichtes erheblichen Tatsachen eines Beweises bedürfen, sofern das Gesetz keine Ausnahmen von der Beweisbedürftigkeit angeordnet hat und § 268 ZPO eine derartige Ausnahme dahin enthielt, daß dann, wenn die Entscheidung von den Beweisen und der Zurechnung einer strafbaren Handlung abhing, der Richter an den Inhalt eines hierüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes gebunden war. Infolge der Aufhebung dieser Vorschrift besteht dessen Wirkung nicht mehr. Daraus folgerte der erkennende Senat unter Hinweis auf Konecny in ecolex 1990, 738 und die Entscheidung 5 Ob 1503/91 = nRsp 1991/134, daß der Zivilrichter - in Zukunft - die im Strafurteil festgestellten Tatsachen nicht mehr ungeprüft seinem Urteil zugrundezulegen hat, die relevanten Tatsachen vielmehr beweisbedürftig sind. Auch in seiner Entscheidung vom 11.März 1992, 2 Ob 1022/91 wurde unter Hinweis auf die Entscheidung ecolex 1992, 89 ausgesprochen, daß für ein nach Aufhebung des § 268 ZPO ergehendes Zivilurteil die in dieser Bestimmung normiert gewesene Bindungswirkung nicht mehr besteht. Zu dem vom Berufungsgericht in der Begründung der Zulassung des Rekurses relevierten Lehrmeinungen wurde dabei nicht Stellung genommen. Der Rekurs erscheint deshalb zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Bei Beurteilung der Frage, ob und allenfalls inwieweit individuelle gerichtliche Rechtsakte andere Gerichte binden, ist vorerst davon auszugehen, daß die österreichische Bundesverfassung dazu keine ausdrückliche Anordnung enthält, eine Bindungswirkung sich aber in der Regel einerseits aus dem rechtsstaatlichen Bauprinzip der Bundesverfassung insgesamt, wonach in der Regel alle staatlichen Organe an individuelle Rechtsakte, stammen sie von diesen selbst oder aber von anderen Staatsorganen, gebunden sind und sich nicht darüber hinwegsetzen dürfen, anderseits aber auch aus der gesamten Organisationsstruktur der österreichischen Bundesverfassung ergibt, die im Zusammenhalt mit dem Legalitätsprinzip des § 18 Abs. 1 B-VG welches u.a. die präzise gesetzliche Determinierung des jeweils zu einer Entscheidung berufenen Staatsorganes erfordert, von der Vorstellung ausgeht, daß die einzelne Rechtssache in der Regel jeweils (nur) von einem Organ zu entscheiden ist (Morscher, Bindung und Bundesverfassung, JBl. 1991, 86 f).

Gegenstand des Strafverfahrens ist in erster Linie die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches. Zur Beurteilung des Vorliegens eines gerichtlich strafbaren Tatbestandes, dessen Zurechnung an eine bestimmte Person und die Frage der Strafwürdigkeit bzw. der Ausmessung der dafür angemessenen Strafe sind die Strafgerichte berufen. Daraus folgt, daß eine Bindung anderer Staatsorgane lediglich hinsichtlich der Tatsache des urteilsmäßig festgestellten staatlichen Strafanspruches besteht, andere Staatsorgane also nicht berechtigt sind, die Frage der Strafbarkeit des dem Strafurteil zugrunde liegenden Sachverhaltes einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen. Für einen Zivilprozeß, in dem zivilrechtliche Ansprüche aus einem bestimmten Verhalten einer strafgerichtlich verurteilten Person abgeleitet werden, bedeutet dies daher noch nicht, daß der Zivilrichter auch an die im Strafurteil festgestellten Tatsachen gebunden wäre, sie also seinem Urteil ungeprüft zugrundezulegen hätte. Denn es besteht keine Identität zwischen dem auf Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches gerichteten Zweck des Strafverfahrens und jenem des Zivilprozesses, in dem das Bestehen zivilrechtlicher Ansprüche gegen den strafgerichtlich Verurteilten zu klären ist, und entfaltet ein verurteilendes Erkenntnis eines Strafgerichtes nach herrschender Lehre - die von Nowakowski, Die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs, ÖJZ 1948, 546, vertretene Meinung eines "persönlich-absoluten" Umfangs der Rechtskraft in dem Sinn, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen müsse, hat sich nicht durchgesetzt und scheint nach Aufhebung des § 268 ZPO hinsichtlich der Auswirkungen auf den Zivilprozeß zusätzlich anfechtbar - Feststellungswirkung nur im Hinblick auf künftige Verfahren, in denen das Vorliegen einer Vorstrafe von Bedeutung ist (vgl. Platzgummer, Grundzüge des österreichischen Strafverfahrens2, 158, derselbe in der dritten und vierten Auflage seines Lehrbuches, jeweils S. 158; Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts, 2. und 3. Auflage, jeweils Rz 787 ff, erwähnt bei Behandlung der Rechtskraft von Strafurteilen eine solche Feststellungswirkung überhaupt nicht mehr, während er in der ersten Auflage dieses Grundrisses eine Feststellungswirkung noch anführt, allerdings nicht iS der Ausführungen Nowakowskis (Grundriß1 153 f). Kann somit einem strafgerichtlichen Schuldspruch keine weiterreichende Feststellungswirkung zuerkannt werden, und besteht die Wirkung des § 268 ZPO nicht mehr, so sind die für das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruches relevanten Tatsachen beweisbedürftig. Die von den Klägern in ihrem Rekurs gegen diese Beurteilung der Rechtsfolgen der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen, weil sie sich offensichtlich an der in der Zeit vor der genannten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergangenen Rechtsprechung orientieren.

Den Rekurswerbern kann aber auch darin nicht gefolgt werden, daß das Berufungsgericht die "offen gebliebenen Fragen der Zurechnungsfähigkeit des Beklagten" auf der Basis des durchgeführten Beweisverfahrens hätte abschließend beurteilen können. Daß der Beklagte sich in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10. April 1991 mit der Verlesung des wesentlichen Inhalts des Strafaktes und somit mit dem im Strafverfahren beigeschafften medizinischen Sachverständigengutachten einverstanden erklärt hätte, ist aktenwidrig. In dieser Tagsatzung wurde zwar "der wesentliche Inhalt des Strafaktes verlesen" (AS 11) es wurde aber nicht festgehalten, ob dies mit oder ohne Zustimmung der Parteien erfolgte. Da das Protokoll mangels Vorliegens des Widerspruches einer Partei vollen Beweis über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung liefert (§ 215 Abs. 1 ZPO), kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Verlesung der wesentlichen Teile des Strafaktes mit Zustimmung des Beklagten erfolgte. Aus § 281 a ZPO ergibt sich, daß die Verwertung von im Strafverfahren aufgenommenen Beweisen durch Protokolls- und Gutachtensverlesung im Zivilprozeß - von dem hier in diesem Zusammenhang nicht bedeutsamen Fall, daß das betreffende Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht, abgesehen - nur dann zulässig ist, wenn die Parteien des Zivilprozesses auch am Strafverfahren beteiligt waren, und nicht eine dieser Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt. Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10.April 1991 vorgebracht, in Notwehr gehandelt zu haben und auf Grund seines geistigen Zustandes für den Fall, daß seine Reaktion eine Notwehrüberschreitung darstellen sollte, nicht in der Lage gewesen zu sein, die Unangemessenheit seiner Reaktion zu erkennen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Darüber hinaus wendete er noch ein, daß eine Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen ihn im Hinblick auf § 1308 ABGB ausscheide, weil Adolf L***** seine Reaktion durch seinen Angriff verursacht habe.

Damit erweist sich der Rekurs als unberechtigt, weshalb ihm kein Erfolg beschieden sein konnte.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte