OGH 1Ob545/95

OGH1Ob545/9529.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer, Dr.Zechner und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr.Gerhard Engin-Deniz und Mag.Dr.Christian Reimitz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der ***** Theresia H*****, vertreten durch die Nachlaßkuratorin Eva H*****, diese vertreten durch Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 13.Oktober 1993, GZ 41 R 688/93-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19.Mai 1993, GZ 41 C 409/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

1942 mietete der Ehegatte der Erblasserin die nun aufgekündigte Wohnung in einem Haus der klagenden Partei. Er benützte sie gemeinsam mit der Erblasserin und den gemeinsamen Kindern. Nach seinem Tod lebte die Erblasserin zunächst allein im Mietobjekt; zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt nahm sie ihren Sohn als Mitbewohner auf. Im Oktober 1986 - damals benützte der Sohn der Erblasserin die Wohnung nur mehr zu Aufbewahrungszwecken - zog die Enkelin der Erblasserin, die Nachlaßkuratorin, in die Wohnung ein. Sie plante, jedenfalls während der Dauer ihres Studiums dort gemeinsam mit ihrer Großmutter zu wohnen. Vereinbarungen zwischen den beiden über die Dauer der Wohngemeinschaft gab es nicht. Im Mai 1987 erlitt die Erblasserin, die bis dahin in der aufgekündigten Wohnung mit ihrer Enkelin einen gemeinsamen Haushalt geführt hatte, einen Schlaganfall, der einen Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Es war zunächst vorgesehen, daß sie wieder in die Mietwohnung zurückkehren sollte; im Juli 1987 stellte sich aber heraus, daß sie ständiger Pflege bedurfte, weshalb sie in ein Pflegeheim aufgenommen wurde, in dem sie im November 1987 starb. Der Vater der Enkelin teilte im Jahre 1988 der Hausverwaltung mit, diese habe als Enkelkind der Verstorbenen ein Eintrittsrecht gemäß § 14 MRG. Die Hausverwaltung bestritt das Vorliegen der Voraussetzungen für den behaupteten Eintritt, war aber unpräjudiziell bereit, den Eintritt unter bestimmten Bedingungen anzuerkennen; sie behielt sich für den Fall mangelnden Einverständnisses die Aufkündigung vor. Nachdem die Enkelin einen Antrag auf Überprüfung des gesetzlich zulässigen Mietzinses an die Schlichtungsstelle gerichtet hatte, teilte ihr die Hausverwaltung im Oktober 1988 mit, die Voraussetzungen des § 14 MRG seien nicht gegeben, sodaß die gerichtliche Kündigung eingebracht werde. Die Enkelin wohnt zur Zeit in der aufgekündigten Wohnung; sie verfügt über keine andere Wohnmöglichkeit.

Die klagende Partei kündigte der beklagten Verlassenschaft zu 48 C 700/88 des Erstgerichts die Mietrechte an der Wohnung aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG auf. Das Prozeßgericht erklärte mit Urteil vom 31.7.1989 die Aufkündigung für rechtswirksam; der von der Enkelin als Nebenintervenientin erhobenen Berufung wurde vom Gericht zweiter Instanz mit Urteil vom 31.1.1990 nicht Folge gegeben. Der Oberste Gerichtshof hob jedoch infolge deren Revision die Aufkündigung mit Urteil vom 12.9.1990 (1 Ob 608/90) auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Am 17.2.1989 begehrte die Enkelin der Erblasserin zu 48 C 120/89 des Erstgerichts der klagenden Partei gegenüber die Feststellung, daß sie Hauptmieterin der Wohnung sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil vom 31.7.1989 ab; der von der Enkelin dagegen erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz mit Urteil vom 31.1.1990 nicht Folge. Die gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 5.9.1990 (2 Ob 569/90) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

Am 3.12.1990 brachte die klagende Partei zu 48 C 710/90 des Erstgerichts eine Wiederaufnahmsklage mit dem Begehren ein, das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 12.9.1990 (1 Ob 608/90) zu beseitigen und die Aufkündigung für rechtswirksam zu erklären. Diese Wiederaufnahmsklage wurde vom Höchstgericht mit Beschluß vom 30.10.1991 (1 Ob 581/91) zurückgewiesen.

Unter Verweisung auf die rechtskräftige Beendigung des Feststellungsprozesses (48 C 126/89 des Erstgerichts) erhob die klagende Partei am 7.11.1990 zu 48 C 660/90 des Erstgerichts gegen die Enkelin eine Räumungsklage, die mit Urteil vom 19.2.1991 abgewiesen wurde; der dagegen erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben. Die außerordentliche Revision wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 6.2.1992 (8 Ob 1503/92) gemäß § 502 Abs 1 ZPO zurück.

Mit nun am 24.4.1991 eingebrachtem Schriftsatz kündigte die klagende Partei der beklagten Verlassenschaft die Mietrechte an der Wohnung aus den Gründen des § 30 Abs 2 Z 1 , 4 , 5 und 6 MRG auf. In erster Linie stützte die klagende Partei ihre Kündigung auf § 30 Abs 2 Z 4 MRG und brachte dazu vor, die beklagte Verlassenschaft habe den Mietgegenschaft zur Gänze an die Enkelin der Erblasserin als einer nicht eintrittsberechtigten dritten Person weitergegeben; das Gericht sei im übrigen an das Feststellungsurteil gebunden.

Die beklagte Partei wendete ein, das Mietobjekt werde von der Enkelin der Erblasserin, deren Eintrittsrecht bereits rechtskräftig bejaht worden sei, bewohnt.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Aufkündigung rechtswirksam sei und verpflichtete die beklagte Partei zur Räumung des Mietobjekts. Die beklagte Verlassenschaft sei als Mieterin der Wohnung anzusehen. Da das Feststellungsbegehren der Enkelin der Erblasserin rechtskräftig abgewiesen wurde, könne nicht davon ausgegangen werden, daß ihr Mietrechte an der Wohnung zustünden. Aus der rechtskräftigen Aufhebung der zu 48 C 700/88 des Erstgerichts eingebrachten Aufkündigung könne lediglich abgeleitet werden, daß diese Aufkündigung rechtsunwirksam sei. Die rechtskräftige Abweisung des Feststellungsbegehrens der Enkelin der Erblasserin habe zur Folge, daß der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG vorliege, weil sie nicht als Mieterin der Wohnung anzusehen sei. Es liege aber auch der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG vor, weil die Wohnung von der nicht eintrittsberechtigten Enkelin bewohnt werde. Ob diese Gesamtrechtsnachfolgerin nach der Erblasserin sei, sei unerheblich, weil eine Einantwortung bei Schluß der Verhandlung erster Instanz noch nicht erfolgt sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, Kündigungen zu verschiedenen Terminen seien nicht im Sinne des § 411 ZPO identisch, die Aufhebung einer zu einem bestimmten Termin ausgesprochenen Kündigung stünde daher einer selbst auf dieselben Kündigungsgründe gestützten Aufkündigung zu einem anderen Termin nicht entgegen. Im Feststellungsprozeß seien die klagende Partei und die Enkelin der Erblasserin Prozeßparteien gewesen. Die vorliegende Aufkündigung richte sich indessen gegen die Verlassenschaft nach der Erblasserin. Demnach liege keine Parteienidentität vor; die materielle Rechtskraft wirke aber grundsätzlich nur zwischen den Parteien eines Rechtsstreits. Ein rechtskräftiges Urteil äußere aber für alle Dritten ein gewisse Tatbestandswirkung. Die von der Abweisung des Feststellungsbegehrens der Nachlaßkuratorin ausgehende Tatbestandswirkung liege darin, daß sich die beklagte Partei nicht auf eine Eintrittsberechtigung der Enkelin der Erblasserin berufen könne. Es sei aufgrund dieser Reflexwirkung im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, daß diese Mietrechte an der Wohnung nicht zustünden. Bei Zustellung der Aufkündigung sei das Mietobjekt von der beklagten Partei an die Enkelin zur Gänze weitergegeben gewesen, ohne daß diese eintrittsberechtigt gewesen sei. Das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG sei sohin zu bejahen, auf die weiteren Kündigungsgründe müsse deshalb nicht eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Zu 1 Ob 608/90 hob der erkennende Senat die - wie auch nun - gegen die Verlassenschaft nach der verstorbenen Hauptmieterin gerichtete, auf § 30 Abs 2 Z 5 MRG deshalb, weil deren Enkelin keine eintrittsberechtigte Person sei, gestützte Aufkündigung auf; die Eintrittsberechtigung der Nachlaßkuratorin im Sinne des § 14 Abs 3 MRG sei zu bejahen. Nunmehr beruft sich die klagende Partei - soweit sie nicht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 1 MRG geltend macht - auf das ihrer Ansicht nach bindende Ergebnis des von der Nachlaßkuratorin gegen die klagende Partei eingeleiteten Feststellungsprozesses: Die Enkelin der Erblasserin sei - entgegen dem Ausgang des vorher dargestellten Kündigungsstreits - nicht eintrittsberechtigt, sodaß die Kündigungsgründe der Z 4, 5 und 6 der zitierten Gesetzesstelle verwirklicht seien.

Demgemäß ist zu prüfen, ob im vorliegenden Rechtsstreit das Urteil des erkennenden Senats, das zwischen den Streitteilen ergangen ist, oder das im Rechtsmittelweg bestätigte Urteil des Erstgerichts im Feststellungsverfahren Rechtskraftwirkung entfaltet:

Die Identität des Anspruchs, bei der die neue Klage überhaupt ausgeschossen ist (Einmaligkeitswirkung oder Wiederholungsverbot) ist nur dann zu bejahen, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage und der Gegenstand des im früheren Verfahren ergangenen Urteils identisch sind, demnach sowohl das Begehren inhaltlich auf dasselbe (oder bloß quantitative Minus) gerichtet ist, was bereits rechtskräftig zugesprochen oder aberkannt wurde, als auch - im Sinne des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs - die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den im Prozeß festgestellten entsprechen (Fasching, LB2 Rz 1514; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 7 zu § 411). Die Anspruchsidentiät ist daher zu verneinen, wenn der neue Anspruch entweder auf einem anderen Klagegrund oder auf zumindest teilweise neuen rechtserzeugenden Tatsachen beruht (RZ 1994/51 mwN). In beiden Elementen des Streitgegenstands unterscheidet sich die neue Aufkündigung vom Gegenstand des Urteils des erkennenden Senats im früheren Kündigungsstreit. Zum einen besteht zwischen der urteilsmäßig aufgehobenen Aufkündigung und einer selbst auf dieselben Kündigungsgründe gestützten neuen Aufkündigung zu einem anderen Termin keine Anspruchsidentität (SZ 18/160 uva; Fasching aaO Rz 1515), zum anderen erweiterte die klagende Partei in der vorliegenden Aufkündigung den rechtserzeugenden Sachverhalt durch die Behauptung, das zwischen der Enkelin der Erblasserin und ihr ergangene abweisliche Feststellungsurteil entfalte im vorliegenden Rechtsstreit bindende Wirkung, sodaß das Eintrittsrecht der Nachlaßkuratorin nicht mehr bejaht werden dürfe. Daraus folgt, daß das Urteil des erkennenden Senats im früheren Kündigungsstreit eine neuerliche Aufkündigung mit der Begründung, der Enkelin stehe das Eintrittsrecht nicht zu, nicht ausschließt.

Deshalb ist die weitere Prüfung geboten, ob die materielle Rechtskraft einer der beiden Entscheidungen Bindungswirkung äußert, also eine inhaltliche Bindung des Ergebnisses des Folgeprozesses an das Urteil im früheren Prozeß bewirkt.

Eine solche Bindungswirkung auf das vorliegende Verfahren kann - entgegen der Auffassung der klagenden Partei - jedenfalls das Urteil im Feststellungsprozeß nicht entfalten. Die neuere Judikatur anerkennt neben der unmittelbaren Rechtskraftwirkung eine inhaltliche Bindungswirkung des materiell rechtskräftigen Ergebnisses im Vorprozeß auf das Folgeverfahren, wenn zwar die Begehren nicht identisch sind, der rechtskräftig entschiedene Anspruch aber Vorfrage für den neuen Anspruch ist oder - als Sonderfall der Präjudizialität - ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen den Begehren besteht und dieser inhaltliche Zusammenhang so eng ist, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie einer widersprechenden Beantwortung derselben in beiden Fällen ausschlaggebenden Rechtsfrage entgegenstehen. In solchen Fällen nötigt die inhaltliche Bindung an die Vorentscheidung, diese unter Ausschluß der sachlichen Behandlung und Prüfung des Gegenstands dem späteren Urteil zugrundezulegen; das Ausmaß der Bindung bestimmt zwar der Urteilsspruch, die Entscheidungsgründe sind jedoch zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen (JBl 1994, 482; JBl 1990, 52; SZ 55/74; 7 Ob 612/93 uva).

Voraussetzung auch dieses Sonderfalls dieser Präjudizialität kraft Bindungswirkung ist aber die Parteienidentät in beiden Verfahren (ecolex 1994, 624; SZ55/74; RZ 1980/31 ua), wäre doch andernfalls das rechtliche Gehör einer Partei, die am früheren Verfahren nicht beteiligt war, nicht gewährleistet, sodaß bei Bejahung einer Bindungswirkung des Ergebnisses dieses Verfahrens in Art 6 EMRK verankerte Verfahrensgarantien verletzt würden (vgl nur VfGH in VfSlg 12.504/1990 = JBl 1991, 104 zu § 268 ZPO aF). Am Feststellungsprozeß, dessen Ausgang die klagende Partei Bindungswirkung zumessen will, war aber die beklagte Partei nicht beteiligt.

Aber auch die vom Gericht zweiter Instanz bejahte Tatbestandswirkung des Feststellungsurteils kann dem Standpunkt der klagenden Partei nicht zum Erfolg verhelfen. Das Berufungsgericht will die von ihm gewählte Lösung auch an die Tatbestands- (oder Reflex-) Wirkung des Urteils knüpfen, verkennt dabei aber deren Wesen und Tragweite. Die Tatbestandswirkung eines Urteils oder eines anderen der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit teilhaften individuellen staatlichen Hoheitsakt ist nur dann anzunehmen, wenn dieser Willensakt rechtliche Voraussetzungen für andere privatrechtliche Ansprüche zwischen denselben oder anderen Parteien ist. Sie ist nicht - wie etwa die erweiterte Rechtskraft - eine Folgewirkung der materiellen Rechtskraft, sondern tritt nur dann und insoweit ein, als das im materiellen Recht angeordnet ist (SZ 63/4 mzN aus Rechtsprechung und Schrifttum). Dem Hoheitsakt kommt somit nur dann Tatbestandswirkung zu, wenn das historische Ereignis der Setzung dieses hoheitlichen Willensakts für die Tatfrage des Folgeverfahrens deshalb von Bedeutung ist, weil entweder schon das Gesetz oder doch mindestens ein Rechtsgeschäft an das Vorhandensein dieses Hoheitsakts besondere Rechtsfolgen knüpft oder dessen Existenz einen Sachverhalt schafft, der selbst wieder das Merkmal eines bestimmten Tatbestands ist (SZ 59/116 uva; zuletzt wieder 1 Ob 541/93). Die Tatbestandswirkung des das Feststellungsbegehren abweislichen Urteils - wie hier des Urteils im Vorprozeß - besteht nun darin, daß jeder Dritte die Tatsache, es sei zwischen den Streitteilen dieses Verfahrens bindend festgestellt worden, daß das behauptete Rechtsverhältnis nicht zu Recht bestehe, auch gegen sich gelten lassen muß. Soweit der Dritte aber nicht Gesamt- oder auch nur Einzelrechtsnachfolger einer der Parteien dieses Rechtsstreits ist (vgl SZ 59/116; SZ 53/42; 6 Ob 701/89), muß er jedoch im Rechtsstreit über einen von einem anderen (vor allem einer der Parteien des Vorprozesses) aus dieser Tatsache abgeleiteten Anspruch die Richtigkeit des Urteils im vorangegangenen Verfahren sowie die Rechtsbeziehungen der Streitteile in diesem Prozeß - soweit für den nun anhängigen Rechtsstreit von Bedeutung - nicht einfach hinnehmen, sondern kann sich vom Prozeßgericht überprüfen lassen (vgl die soweit in JUS-extra 1994/1451 veröffentlichte Entscheidung des erkennenden Senats 1 Ob 541/93). Wer - wie das Berufungsgericht - den in den Folgeprozeß involvierten Dritten an das Urteil des Vorprozesses, dessen Inhalt und Ergebnis er mangels Beteiligung gar nicht hätte beeinflussen können, unter Berufung auf dessen Tatbestandswirkung binden wollte, befände sich damit, wie Kralik in seiner Glosse zu JBl 1976, 90 (dort 92 f) überzeugend nachwies, auf den Boden der materiellen Rechtskrafttheorie, die aber wenigstens für den österreichischen Rechtsbereich einhellig abgelehnt wird. Das unrichtige Urteil gestaltet die privatrechtliche Rechtslage zwischen den Parteien keineswegs neu, sondern schneidet den von der Rechtskraft betroffenen Personen (also regelmäßig den Prozeßparteien bzw deren Rechtsnachfolgern) jede dem Feststellungsinhalt des Urteils widersprechende Behauptung in einem künftigen Verfahren ab. Auf den Boden der prozessualen Rechtskrafttheorie taucht die Frage, ob ein unrichtiges Urteil die Rechtslage verändert, daher gar nicht auf (SZ 63/4 mwN), sodaß von der Rechtskraft nicht berührte Personen in einem Folgeprozeß Behauptungen, die mit dem Urteil des Vorprozesses in (selbst unlösbarem) Widerspruch stehen, nicht verwehrt sein können. Diese subjektiven - parteibezogenen - Grenzen der Rechtskraft müssen trotz der dadurch möglichen unterschiedlichsten Verfahrensergebnisse beachtet werden, um den höher zu bewertenden, durch Art 6 Abs 1 EMRK im Verfassungsrang anerkannten Grundrecht des rechtlichen Gehörs in gebotener Weise Rechnung zu tragen (Kralik aaO 93; VfSlg 12.504/1990; vgl auch G.Musger in JBl 1991, 420, 423 ff).

Ist aber die Bindungswirkung des abweislichen Feststellungsurteils mangels Parteienidentität zu verneinen und kann auch dessen Tatbestandwirkung nicht jenen Einfluß, den ihr das Berufungsgericht beimißt, ausüben, weil es der beklagten Partei nicht verwehrt ist, sich - wie im früheren Kündigungsstreit - auf die Eintrittsberechtigung der Enkelin der Erblasserin zu berufen, bleibt noch zu prüfen, ob das Urteil des erkennenden Senates 1 Ob 608/90 aus seiner materiellen Rechtskraft Bindungswirkung im vorliegenden Verfahren entfalte; diese Frage ist zu bejahen:

Auf die Bindung bewirkenden Sonderfälle der Präjudizialität wurde schon weiter oben hingewiesen. Im früheren Kündigungsstreit hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß eine Aufkündigung des Bestandverhältnisses zwischen den Streitteilen aus dem Grunde mangelnder Eintrittsberechtigung der Enkelin der Erblasserin nicht berechtigt ist. Mit demselben dem Ergebnis des Kündigungsstreits entgegenstehenden Vorbringen hat die klagende Partei - sieht man von der schon weiter oben als verfehlt erkannten Behauptung ab, das Feststellungsurteil äußere Bindungswirkung, - das Bestandverhältnis zwischen den Streitteilen erneut zu einem nun in Frage kommenden Termin aufgekündigt. Die beiden Aufkündigungen stehen in einem derart engen Sachzusammenhang, daß die Bindungswirkung des Urteils des erkennenden Senats im Vorprozeß aus dem weiter oben wiedergegebenen Erwägungen zu bejahen ist. Andernfalls bliebe es dem Vermieter unbenommen, trotz des schon mit dem Tod der Erblasserin vollständig abgeschlossenen Sachverhalts - des Anfalls des Eintrittsrechts der Enkelin der Erblasserin, die mit ihr in diesem Zeitpunkt in der Wohnung im gemeinsamen Haushalt gewohnt hat (§ 14 Abs 3 MRG), - das Mietverhältnis zu jedem neuen in Betracht kommenden Kündigungstermin mit der immer gleichen Behauptung aufzukündigen, daß der Enkelin das Eintrittsrecht nicht angefallen sei. Daß dies ein unerträgliches Ergebnis wäre, bedarf wohl keiner weitwendigen Erörterung. Die Aufkündigung aus dem Grunde des § 30 Abs 2 Z 5 MRG ist schon deshalb rechtsunwirksam.

Gleiches gilt aber auch für die weiteren geltendgemachten Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG, zu deren Begründung sich die klagende Partei gleichfalls auf das mangelnde Eintrittsrecht der Enkelin der Erblasserin stützt. Der erkennende Senat hält im übrigen bei der Beurteilung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts, der gegenüber der Entscheidung im Vorprozeß keine substanzielle Änderung erfahren hat, an seiner damals geäußerten Rechtsansicht fest:

§ 14 Abs 3 MRG setzt nur voraus, daß der gemeinsame Haushalt auf Dauer berechnet ist. Die Erblasserin nahm ihre Enkelin zwar aus Anlaß des Beginns eines Universitätsstudiums in den gemeinsamen Haushalt auf, die Aufnahme war aber unabhängig von der Dauer des Studiums auf unbestimmte Zeit gedacht: Die Mieterin hat die Aufnahme ihrer Enkelin in eine Wohngemeinschaft nicht auf die Dauer des Studiums begrenzt; auch hatte diese keinerlei konkrete Pläne für die Zeit danach. Die Enkelin wurde somit von der Erblasserin auf unbestimmte und nicht bloß auf vorübergehende Zeit in eine Haushaltsgemeinschaft aufgenommen; daß diese Aufnahme unwiderruflich sein müßte, wird vom Gesetz nicht verlangt. Diese Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft wurde auch mit der Unterbringung der Erblasserin in einem Pflegeheim nicht beendet. Die durch besondere Lebensumstände bewirkte Unterbrechung des Zusammenlebens hebt den gemeinsamen Haushalt nicht auf, sofern die Absicht besteht, die erzwungene Trennung bei Änderung der Sachlage wieder zu beenden. Ob die Abwesenheit bloß vorübergehend oder dauernd ist, wird maßgeblich von der Willensrichtung der Betroffenen bestimmt, die Rückkehr darf nur nicht schlechthin ausgeschlossen sein. Wer eintrittsberechtigt zu sein behauptet, ist mit dem Beweis belastet, daß die Eintrittsvoraussetzungen gegeben sind. Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß Feststellungen über die Absichten der Erblasserin aufgrund deren Krankheitsbildes offenbar deshalb nicht getroffen werden konnten, weil sie nicht mehr in der Lage war, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Das kann aber nicht der Eintrittberechtigten zur Last fallen. Es liefe wohl massiv den Intentionen des Gesetzgebers zuwider, wollte man etwa dem Ehegatten, der mit dem Mieter jahrzehntelang im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung lebte, das Eintrittsrecht allein deshalb verwehren, weil dieser nach Aufnahme in ein Krankenhaus und spätere Überstellung in ein Pflegeheim schicksalhaft nicht mehr in der Lage war, seinen Willen, für den Fall der Besserung in seine Wohnung zurückzukehren, zum Ausdruck zu bringen. Liegt keine dagegen sprechende Willensbekundung des Mieters vor Eintritt der Krankheit vor, etwa die Anmeldung für die Aufnahme in ein Altenheim, die Äußerung, die Mietrechte aufgeben zu wollen oder den Haushalt aufzulösen, oder ähnliche Äußerungen, ist zu unterstellen, daß jeder Kranke bei Änderung der Umstände in die vor Ausbruch der Krankheit kraft Mietrechts benützte Wohnung zurückkehren wolle. Daß die Rückkehr der Erblasserin schlechthin ausgeschlossen gewesen wäre, steht nicht fest. Es bestand daher auch noch beim Ableben der Erblasserin ein gemeinsamer Haushalt. Das Eintrittsrecht der Enkelin der Erblasserin ist daher zu bejahen.

Demnach ist das Vorliegen der übrigen Kündigungsgründe, die den Mangel des Eintrittsrechts der Enkelin der Erblasserin voraussetzen (§ 30 Abs 2 Z 5 und 6 MRG) gleichfalls zu verneinen, zumal festgestellt ist, daß die Enkelin den Bestandgegenstand derzeit bewohnt und über keine andere Wohnmöglichkeit verfügt.

Einzig und allein das Vorliegen des auf die Behauptung unterlassener Mietzinszahlung gestützten Kündigungsgrunds bedarf mangels entsprechender Feststellung einer Klärung im fortgesetzten Verfahren, auf die sich das Prozeßgericht aber auch zu beschränken hat.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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