OGH 3Ob20/05w

OGH3Ob20/05w16.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Egon S*****, vertreten durch Dr. Ingo Gutjahr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Jutta S*****, vertreten durch Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, wegen Einwendungen gemäß § 35 EO und Feststellung, infolge ordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. August 2004, GZ 43 R 296/04d-88, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 6. Februar 2004, GZ 7 C 41/00k-75, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der klagende Partei fallen die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zur Last.

Text

Begründung

Die Streitteile waren Ehegatten. Deren Ehe wurde mit Urteil vom 18. Juli 1995 aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers geschieden. Mit Notariatsakt vom 24. Oktober 1995 verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten bis zu ihrer allfälligen Wiederverehelichung oder bis zur „Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft" einen wertgesicherten Unterhalt von monatlich 13.000 S (= 944,75 EUR) bis zu ihrer Pensionierung zu zahlen. Ab dem der Pensionierung folgenden Monat sollte sich die wertgesicherte monatliche Unterhaltsleistung auf 6.500 S (= 472,37 EUR) reduzieren. Am 26. März 1996 tötete die Beklagte vorsätzlich den Sohn der Streitteile mittels eines tiefen Halsschnitts. Sie war im Tatzeitpunkt nicht wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig, das Unrecht ihrer Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Sie wurde deshalb mit rechtskräftigem Urteil vom 29. November 1996 wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom 1. Dezember 1999 wurde der Beklagten wider den Kläger auf Grund des Notariatsakts vom 24. Oktober 1995 die Exekution zur Hereinbringung des im Zeitraum April 1996 bis Oktober 1999 angelaufenen Unterhaltsrückstands von 559.000 S (= 40.624,11 EUR) und des laufenden Unterhalts ab 1. November 1999 von monatlich 13.000 S (= 944,75 EUR) bewilligt.

Das Erstgericht sprach aus, dass der exekutiv betriebene Unterhaltsanspruch der Beklagten und die zwischen den Streitteilen mit dem Notariatsakt vom 24. Oktober 1995 vereinbarte Unterhaltspflicht des Klägers erloschen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Nach dessen Ansicht sind die Zivilgerichte an die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung der Beklagten wegen Mordes gebunden. Diese Bindung schließe Ermittlungen darüber aus, „ob ein krankhafter Zustand der Frau die freie Willensbildung oder die moralische Widerstandskraft zu untergraben geeignet" gewesen sei. Die Tötung des gemeinsamen Sohns der Streitteile habe - als „besonderer Fall eines verwerflichen Verhaltens" - eine schwere Verfehlung im Sinne des § 74 EheG verwirklicht. Demnach habe das Erstgericht zutreffend ausgesprochen, dass die Beklagte ihren titulierten Unterhaltsanspruch verwirkt habe. Die Entscheidung hänge von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO ab, weil der Oberste Gerichtshof über einen vergleichbaren Fall noch nicht erkannt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist unzulässig.

1. Nach der stRsp des Obersten Gerichtshofs hat die rein objektive Verwirklichung einer "schweren Verfehlung" noch keine Unterhaltsverwirkung gemäß § 74 EheG zur Folge, sondern es muss auch eine subjektive Verantwortlichkeit - ein "schuldig machen" - vorliegen. Daran mangelt es im Fall eines krankhaften Zustands, der die freie Willensbildung oder die moralische Widerstandskraft zu untergraben geeignet war (RIS-Justiz RS0057404). In der Entscheidung 2 Ob 578/95 (= SZ 68/243) wurde in Fortführung bisheriger Rsp weiter ausgesprochen, es dürfe an das Verhalten geschiedener Ehegatten kein allzu strenger Maßstab angelegt werden. Eine schwere Verfehlung nach § 74 EheG müsse zwar gravierender als eine solche nach § 49 EheG sein, sie müsse jedoch nicht das Tatbild eines strafgerichtlich zu ahndenden Verbrechens oder Vergehens erfüllen oder der „Intensität eines Enterbungs- bzw Erbunwürdigkeitsgrundes" entsprechen. Es sei nach allen objektiven und subjektiven Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob die maßgebende Verfehlung so schwer wiege, dass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar sei. Für diese Abwägung sei ferner relevant, auf welcher Gesinnung die jeweilige Verfehlung beruhe und wie sich diese auf die Interessenssphäre des Unterhaltspflichtigen auswirke. § 74 EheG schütze den Unterhaltsschuldner in persönlichen und wirtschaftlichen Belangen davor, schwere Übergriffe des Unterhaltsberechtigten zu erleiden, dennoch aber die auf die frühere Ehe gestützte Unterhaltspflicht erfüllen zu müssen. Vor dem Hintergrund solcher Leitlinien verwirkliche eine nachhaltige, grundlose und böswillige Verhinderung der Ausübung des elterlichen Kindesbesuchsrechts durch den unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten den Verwirkungstatbestand des § 74 EheG.

2. Seit der Entscheidung eines verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 612/95 (= SZ 68/195) nach Aufhebung des § 268 ZPO aF durch den Verfassungsgerichtshof entwickelte sich eine gefestigte Rsp dahin, dass ein strafgerichtlich Verurteilter das Urteil gegen sich gelten lassen müsse und sich in einem nachfolgenden Rechtsstreit gegenüber einer anderen Partei nicht darauf berufen dürfe, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe. Auch der Zivilrichter dürfe infolge seiner Bindung an das verurteilende rechtskräftige strafgerichtliche Erkenntnis keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen (1 Ob 81/00v = EvBl 2000/190 mwN).

3. An den zuvor referierten Grundsätzen ist festzuhalten. Dagegen führt die Beklagte ins Treffen, ihre strafgerichtliche Verurteilung sei für die Frage nach der Erfüllung des Unterhaltsverwirkungstatbestands nicht maßgebend, weil sie im Strafverfahren nicht hätte geltend machen können, „sie sei deshalb nicht zu verurteilen, weil sie in einem krankhaften Zustand gehandelt habe, der ihre freie Willensbildung oder die moralische Widerstandskraft zu untergraben geeignet" gewesen sei. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Beklagte wurde wegen Mordes verurteilt, weil sie im Zeitpunkt der Tat gerade nicht in einer psychischen Verfassung war, die sie unfähig gemacht hätte, das Unrecht ihrer Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die erörterte Verurteilung setzt daher deren Schuldfähigkeit voraus, ist doch gemäß § 4 StGB nur jemand strafbar, der schuldhaft handelte. Ist aber der Beklagten - für die Zivilgerichte bindend - ein Verschulden an der Tötung des Kindes der Streitteile anzulasten, so führt kein Weg daran vorbei, dieses Vorsatzdelikt als „schwere Verfehlung" gegen den Unterhaltspflichtigen iSd § 74 EheG zu werten, kann doch ein bestimmter Grad der Untergrabung der freien Willensbildung oder der moralischen Widerstandskraft, der jedoch die Schuldfähigkeit des Täters nicht ausschließt und daher keine strafrechtliche Unzurechnungsfähigkeit bewirkt, hier nicht zum Ergebnis führen, die Ermordung eines Kindes des Unterhaltspflichtigen nicht als „schwere Verfehlung" nach § 74 EheG zu beurteilen.

4. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof über einen Sachverhalt wie im vorliegenden Fall noch nicht zu entscheiden hatte. Wenn aber zufolge der Entscheidung 2 Ob 578/95 bereits die nachhaltige, grundlose und böswillige Verhinderung der Ausübung des elterlichen Kindesbesuchsrechts durch den unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten zur Unterhaltsverwirkung nach § 74 EheG führt, so gilt das - im Licht der eingangs referierten Leitlinien - um so mehr für die Ermordung des Kindes des Unterhaltspflichtigen durch den unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten. Dieser Sachverhalt ist daher kein Anlass für eine Anpassung oder Entwicklung der die Bindung der Zivilgerichte an rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen oder die Unterhaltsverwirkung nach § 74 EheG prägenden Leitlinien der Rsp des Obersten Gerichtshofs. Damit hängt aber die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab, andernfalls müsste der Obersten Gerichtshof in jedem Fall die Sachentscheidung treffen, wenn er zuvor noch nicht über einen identischen Sachverhalt abgesprochen hätte.

Die Revision ist somit zurückzuweisen. Dabei kann sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

5. Die Rechtsmittelbeantwortung des Klägers diente nicht einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, weil er auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hinwies. Er hat daher deren Kosten gemäß §§ 40, 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO selbst zu tragen.

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