OGH 2Ob578/95

OGH2Ob578/9521.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Katarina K*****, vertreten durch Dr.Heinz Dieter Flesch, Rechtsanwalt in Voitsberg, wider die beklagte Partei Horst K*****, vertreten durch Dr.Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterhalt (Streitwert S 252.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 31. Juli 1995, GZ 2 R 223/95-51, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18. April 1995, GZ 29 C 149/92t-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.195,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.032,50 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde aus beiderseitigem und gleichteiligem Verschulden geschieden. Der Ehe entstammen zwei Kinder. Der Sohn Peter besucht die Volksschule und wird anschließend bis etwa 14.00 Uhr im angrenzenden Schülerhort versorgt. Die Tochter Marina besucht den Vormittagskindergarten; hinsichtlich beider Kinder steht der Mutter die Obsorge zu.

Mit der am 3.12.1992 bei Gericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin ab 1.10.1992 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 7.000,-- weil sie als Hausfrau kein eigenes Einkommen beziehe, die Pflege und Erziehung der Kinder so viel Zeit in Anspruch nehme, daß es ihr nicht möglich sei, eine entsprechende Arbeitsleistung anderweitig zu erbringen, von seiten etwaiger unterhaltspflichtiger Verwandter keinerlei Vermögenszuwendungen aufgrund der finanziellen Situation dieser Verwandten zu erlangen sei und der Beklagte aufgrund seines Einkommens zum begehrten Unterhalt in der Lage sei.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wandte ein, daß der Unterhaltsanspruch erst ab Klagseinbringung gegeben sei, die Klägerin jedoch ohnedies Einkommen beziehe, es ihr jedenfalls ohne weiteres möglich sei, einer beruflichen Halbtagsbeschäftigung nachzugehen, zumal die Klägerin die Hochschule für Wirtschaftswissenschaften in der Slowakei besucht habe und sowohl ausgezeichnet deutsch und ihre Muttersprache slowakisch wie russisch spreche. Ihre Eltern seien als nicht unvermögend anzusehen. Im Hinblick auf die jahrelange Verweigerung des Besuchsrechtes des Beklagten hinsichtlich der beiden ehelichen Kinder durch die Klägerin liege aber jedenfalls eine Unterhaltsverwirkung vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, die Klägerin verweigere dem Beklagten seit Juli 1993 böswillig den Kontakt zu den aus der Ehe stammenden Kindern Peter und Marina, obwohl dem Beklagten rechtskräftig ein Besuchsrecht an zwei Sonntagen im Monat zustehe. Über die Klägerin seien aus diesem Grund bereits Geldstrafen und Beugehaft verhängt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Klägerin habe einen allfälligen Unterhaltsanspruch gemäß § 68 EheG nach § 74 EheG verwirkt, weil ihr Verhalten eine schwere Verfehlung gegen den Beklagten darstelle.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, da zur Frage der Unterhaltsverwirkung bei krasser Besuchsrechtsverweigerung höchstgerichtliche Judikatur fehle.

Das Berufungsgericht übernahm sowohl die Feststellungen als auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes zur Gänze.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne gänzlicher Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend. Sie vertritt die Ansicht, daß sie keine schwere Verfehlung gegen den Beklagten begangen habe und das Besuchsrecht unabhängig von Unterhaltszahlungen zu beurteilen sei.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.

Wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausführte, ist nach ständiger Judikatur an das Verhalten geschiedener Ehegatten kein allzu strenger Maßstab anzulegen. Eine schwere Verfehlung im Sinne des § 74 EheG muß zwar gravierender sein als jene nach § 49 EheG, muß jedoch kein Verbrechen oder Vergehen im strafrechtlichen Sinn darstellen und nicht die Intensität eines Enterbungs- bzw Erbunwürdigkeitsgrundes aufweisen. Es ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände zu prüfen, ob die Verfehlung so schwer wiegt, daß dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (Schwimann-Zankl, ABGB I, Rz 7 und 9 zu § 74 EheG; 6 Ob 549/84 = EFSlg 46.324 mwN). Bei dieser Abwägung ist auch zu berücksichtigen, auf welcher Gesinnung die begangene Verfehlung beruht und welche Auswirkungen sie auf die Interessensphäre des Unterhaltspflichtigen hat (EFSlg 46.324). § 74 EheG schützt den Unterhaltspflichtigen sowohl in persönlichen als auch wirtschaftlichen Belangen vor der Situation, in diesen Bereichen schwere Übergriffe des Unterhaltsberechtigten zu erleiden und trotzdem die auf der früheren Ehe beruhende Unterhaltspflicht erfüllen zu müssen (EFSlg 46.324).

Das Besuchsrecht ist als konkrete Umsetzung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Kind ein fundamentales Recht der Eltern-Kind-Beziehung, welches als allgemeines Menschenrecht unter dem Schutz des Art 8 MRK steht. Der Zweck dieses Rechtes ist, den Zusammenhang zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten, eine Entfremdung zu verhindern und dem Berechtigten zu ermöglichen, sich vom körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache laufend zu überzeugen (4 Ob 1540/92; 6 Ob 574/92; Pichler in Rummel2, Rz 1 zu § 148 mwN). Dadurch, daß die Klägerin dem Beklagten über einen Zeitraum von zwei Jahren die Ausübung des Besuchsrechts nahezu lückenlos grundlos und böswillig verweigerte, verletzte sie dessen Interessen so nachhaltig, daß dem Beklagten nicht zugemutet werden kann, in Zukunft eine Unterhaltslast für die Klägerin zu tragen. Die konsequente Unterbindung des Kontaktes zu den leiblichen Kindern hat zumindest gleiches Gewicht wie anhaltende Beschimpfungen, Bedrohungen oder Ehrverletzungen (vgl Schwimann-Zankl, ABGB I, Rz 8 zu § 74 EheG mwN) durch den unterhaltsberechtigten Ehegatten.

Nach ständiger Rechtsprechung (EFSlg 40.745 uva) ist die Erfüllung der Unterhaltspflicht keine Voraussetzung für die Besuchsrechtsgewährung, jedoch bezieht sich diese Judikatur ausschließlich auf das Eltern-Kind-Verhältnis, nicht aber auf das Verhältnis zwischen geschiedenen Ehegatten, in welchem durch § 74 EheG in Extremfällen eine Wechselbeziehung zwischen der böswilligen Verhinderung des Besuchsrechtes und dem Unterhaltsanspruch des (verhindernden) geschiedenen Ehegatten entstehen kann. Diese Rechtsansicht findet eine Stütze in der Wertung des Gesetzes, welches nur im Verhältnis zwischen geschiedenen Ehegatten einen Verwirkungstatbestand enthält, nicht jedoch zwischen Eltern und Kindern.

Im Gegensatz zum Sachverhalt der Entscheidung EFSlg 46.327, bei dem die Ablehnung des Kontaktes zum Vater nicht allein von der Mutter beeinflußt, sondern auch auf die persönliche Einstellung der Kinder zum Vater zurückzuführen war, steht hier fest, daß die Klägerin böswillig (grundlos) den gerichtlich festgesetzten Besuchskontakt des Beklagten zu den beiden Kindern nahezu vollständig verhinderte. Diese schwerwiegende und nachhaltige Beeinträchtigung des väterlichen Besuchsrechtes hat nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanzen die Verwirkung eines "Billigkeitsunterhaltsanspruches" zur Folge.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist daher zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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