Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag der klagenden Parteien auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung: „ Zur Sicherung der Ansprüche der klagenden und gefährdeten Parteien gegen die beklagte Partei auf Unterlassung der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Plakate, wird dem Gegner der gefährdeten Parteien aufgetragen, ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils es zu unterlassen, die unten angeführten Bilder über das Internet und/oder in Form einer der Öffentlichkeit zugänglichen Ausstellung zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen und/oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen:
1. Bild: „Wandelnde Skelette" (Beilage ./B)
2. Bild: „Endgültige Demütigung" (Beilage ./C)
3. Bild: „Die Fahrt in die Hölle" (Beilage ./D)
4. Bild: „Massenmord" (Beilage ./E)
5. Bild: „Kinder‑Schlachter" (Beilage ./F)
6. Bild: „Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi" (Beilage ./G)
7. Bild: „Der Holocaust auf Ihrem Teller" (Beilage./H)"
abgewiesen wird.
Die klagenden Parteien haben zu gleichen Teilen der beklagten Partei die Kosten des Provisorialverfahrens, nämlich die mit 1.531,76 EUR (darin 255,29 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.913,65 EUR (darin 318,94 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 2.295,31 EUR (darin 382,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der Zweck des beklagten, in Deutschland ansässigen Vereins besteht ua im Tierschutz. Er veranstaltete am 26. 3. 2004 in Wien eine Wanderausstellung mit dem Titel „Der Holocaust auf Ihrem Teller". Dort wurden auf mehreren quadratmetergroßen Tafeln jeweils unmittelbar nebeneinander Bilder (Fotos) aus Konzentrationslagern der Nazizeit mit Bildern aus Massentierhaltung und Tierschlachtung gegenübergestellt. Im Einzelnen zeigten die Bilder Folgendes:
unter dem Begleittext „Wandelnde Skelette" eine Gruppe nackter, extrem abgemagerter männlicher KZ‑Häftlinge gegenübergestellt einem abgemagerten Jungrind;
unter dem Begleittext „Endgültige Demütigung" einen Haufen Leichen von KZ‑Häftlingen gegenübergestellt einem Haufen getöteter Schweine;
unter dem Begleittext „Die Fahrt in die Hölle" einen Juden‑Transport in Viehwaggons gegenübergestellt einem Massentiertransport;
unter dem Begleittext „Massenmord" eine unübersehbare Menge nackter KZ‑Häftlinge gegenübergestellt einer Massenhaltung von Hühnern;
unter dem Begleittext „Kinder‑Schlachter" Kinder in Sträflingskleidung hinter Stacheldraht gegenübergestellt Schweinen hinter Gitterstäben;
unter dem Begleittext „Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi" eine große Zahl männlicher KZ‑Häftlinge in aneinandergereihten Stockbetten gegenübergestellt Hühnern in Legebatterien;
unter dem Begleittext „Der Holocaust auf Ihrem Teller" einen zum Skelett abgemagerten KZ‑Häftling, gegenübergestellt einem stark abgemagerten Jungrind. Letztere Tafel enthielt außerdem den Text „Zwischen 1938 und 1945 starben 12 Millionen Menschen im Holocaust. Genauso viele Tiere werden für den menschlichen Verzehr jede Stunde in Europa getötet".
Die Tafeln waren auch im Internet zu sehen. Dort wurde ua auch das Zitat eines jüdischen Schriftstellers angeführt „Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere".
Das Landgericht Berlin hat am 18. 3. 2004 (27 O 207/04) wegen der Wanderausstellung und wegen deren Veröffentlichung im Internet auf Antrag anderer Personen als der hier klagenden Parteien eine einstweilige Verfügung erlassen, in der die Verbreitung der Bilder untersagt wurde.
Die Kläger verbanden ihre am 28. 5. 2004 beim Erstgericht eingelangte, auf die Unterlassung der Veröffentlichung und/oder Verbreitung der angeführten sieben Bildtafeln gerichtete Klage mit einem gleichlautenden, aus dem Spruch ersichtlichen Sicherungsantrag. Die Kläger seien Juden und Überlebende des Holocaust, hätten mehrere Jahre in Konzentrationslagern verbracht und dort den Großteil ihrer Familie verloren. Sie seien deshalb zur Klageführung legitimiert, weil sie von den in ihre Persönlichkeitsrechte (§ 1330 ABGB iVm § 16 ABGB) eingreifenden Äußerungen der beklagten Partei betroffen seien. Die Tierschutzkampagne stelle eine Verhöhnung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus dar und sei tatbildlich iSd § 283 Abs 2 StGB. Durch die Gleichsetzung jüdischer NS‑Opfer mit Schweinen, Hühnern und Kühen würden die Opfer des Holocaust verächtlich gemacht und werde ihnen die Menschenwürde abgesprochen. Es lägen Verstöße gegen das Verbot der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts nach Art IX Abs 1 Z 4 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991, BGBl 1991/50 (EGVG) und gegen Art 1 § 3h des Verbotsgesetzes 1947 (Leugnung, gröbliche Verharmlosung, Gutheißung oder Rechtfertigung des nationalsozialistischen Völkermords oder anderer nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit) vor. Die Gefangenschaft in KZ‑Lagern habe der Vernichtung von Menschen gedient. Dem gegenüber seien Massentierhaltungsbetriebe wirtschaftliche Betriebe zum Zweck der allgemeinen Nahrungsversorgung. Tiere würden nicht deshalb geschlachtet werden, weil sie als lebensunwert angesehen würden. Der Vergleich Nutztier und Mensch sei menschenverachtend. Die visuelle Gleichsetzung von menschlichem und tierischem Schicksal bedeute eine Geringschätzung des Verfolgungsschicksals der Juden im Dritten Reich, wenn die Aussage getroffen werde, dass der Holocaust um nichts schlimmer gewesen sei, als der alltägliche Tod von Tieren in Schlachthäusern. Die Kläger hätten nach den §§ 16 und 1330 ABGB einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags im Wesentlichen mit folgenden Argumenten:
Aufgrund der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin vom 18. 3. 2004, die mit Urteil dieses Gerichts vom 22. 4. 2004 bestätigt worden sei, bestehe das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit bzw der Rechtskraft. Der Tatbestand des § 283 Abs 2 StGB sei nicht erfüllt, weil es am erforderlichen Vorsatz mangle. Den Opfern des Holocaust werde nicht das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung abgesprochen. Die Ausstellung versuche nur klarzumachen, dass die Ursache sowohl der Vernichtung von Menschenleben wie auch der heutigen Tierhaltungs‑ und Ausbeutungsmethoden die gleiche sei, nämlich die Einstufung nach Lebenswertem und Lebensunwertem. Die Bilder sollten der Verharmlosung der Tierausbeutung entgegenwirken. Die Auslegung des Landesgerichts Berlin sowie diejenige der Kläger treffe nicht zu. Der Vergleich Mensch/Tier sei objektiv nachvollziehbar und greife nicht die Holocaustopfer an. Aus „advokatorischer Vorsicht" werde bestritten, dass die Kläger während des Holocaust in Konzentrationslagern untergebracht gewesen seien.
Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass die Gegenüberstellung von menschlichem und tierischem Schicksal eine objektive Geringschätzung des Verfolgungsschicksals der Juden im Dritten Reich bedeute. Es werde der Massenmord in den KZ‑Lagern herabgemindert, um auf das Schicksal von Tieren aufmerksam zu machen. Die Verletzung der Menschenwürde in den Konzentrationslagern werde missbraucht. Die Überschriften und Texte verstärkten diesen Eindruck. Für die Betroffenheit der Personen komme es nicht darauf an, wie die Beklagte ihre Äußerungen gemeint habe, sondern wie die Äußerungen vom Publikum aufgefasst würden. Die beklagte Partei könne sich nicht auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Der Vergleich von Menschen und Tieren sei völlig unangebracht.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge. Die Kläger seien von den bekämpften Äußerungen individuell betroffen. Bei einer Kollektivbeleidigung, die sich gegen einen überschaubaren Kreis von Angehörigen richte, sei jedes einzelne Mitglied zur Klage berechtigt, wenn es identifizierbar sei. Zwar müsse das Kriterium der Überschaubarkeit des Kollektivs erfüllt sein, der Oberste Gerichtshof habe in seiner Rechtsprechung aber eine absolute Obergrenze, ab welcher Anzahl von einem „anonymen" Kollektiv auszugehen sei, nicht festgelegt. Auch der deutsche Bundesgerichtshof nehme eine restriktive Haltung gegenüber der Klagebefugnis Einzelner bei Kollektivbeleidigungen ein. Mit seinem Urteil vom 18. 9. 1979 (NJW 1980, 45) habe er allerdings ausgesprochen, dass bei beleidigenden Äußerungen gegen „die Juden" der Kreis der betroffenen Personen eindeutig genug umrissen sei, um die Klagebefugnis von Einzelpersonen bejahen zu können. Das Schicksal der jüdischen Bürger in der NS‑Zeit verbinde sie zu einer Einheit, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lasse und personal in jedem ihr Zugehörenden verkörpert werde. Schließlich existiere auch ein postmortaler Persönlichkeitsschutz. Hier sei davon auszugehen, dass die Kläger Juden und Überlebende des Holocaust seien und einen Großteil ihrer Familien in Konzentrationslagern verloren hätten. Diese Klagebehauptungen habe die Beklagte nicht bestritten. Dieser Sachverhalt reiche auch aus, um die Klagebefugnis bejahen zu können. Auf den bestrittenen, vom Erstgericht nicht festgestellten Sachverhalt, ob die Kläger in Konzentrationslagern angehalten gewesen seien, komme es daher nicht mehr an. Unwesentlich sei auch der mangelnde Vorsatz bei der Verwirklichung des Tatbilds des § 283 Abs 2 StGB. Schon Fahrlässigkeit mache verantwortlich iSd § 1330 ABGB. Der Unterlassungsanspruch setze überdies kein Verschulden voraus. Der Eingriff in die Menschenwürde der Kläger könne auch nicht mit dem Hinweis auf die Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Frage der Betroffenheit der einzelnen Mitglieder eines großen Kollektivs stelle eine erhebliche Rechtsfrage dar.
Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die beklagte Partei die Abänderung dahin, dass der Sicherungsantrag zurückgewiesen (hilfsweise: abgewiesen) werde.
Die Kläger beantragen, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Abweisung des Sicherungsantrags auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Auf den vorliegenden Fall ist gemäß § 48 Abs 1 IPRG österreichisches Recht anzuwenden. Der Unterlassungsanspruch wegen ehrverletzender und/oder rufschädigender Äußerungen ist ein außervertraglicher Anspruch, der dazu dient, eine künftige Ehrverletzung oder Rufschädigung zu verhindern. Der Anspruch ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt wurde bzw künftig gesetzt werden könnte. Das Gesetz knüpft an den Handlungsort an, der bei der bekämpften Tierschutzkampagne in Österreich lag. Auf den Handlungsort kommt es auch bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten an (Verschraegen in Rummel³, ABGB § 48 IPRG Rz 24).
Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit oder Rechtskraft wegen der in Deutschland über Antrag anderer Kläger erlassenen einstweiligen Verfügung besteht schon wegen fehlender Parteienidentität nicht. Es geht auch um unterschiedliche Sachverhalte. Dass die hier bekämpfte Kampagne in Österreich schon Gegenstand in Deutschland gewesen wäre, wird von der beklagten Partei konkret nicht einmal behauptet. Mit ihrem Einwand hat sie nur die Identität der Unterlassungsansprüche und der Bildtafeln der Ausstellungen sowohl in Deutschland als auch in Österreich releviert.
Die Kläger erachten sich durch den Sinngehalt von Bildern (Fotos) aufgrund der (unmittelbaren) Gegenüberstellung in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt und relevieren die Bestimmungen der §§ 16 und 1330 ABGB sowie die Delikte nach den zitierten Bestimmungen des EGVG, des Verbotsgesetzes 1947 und des StGB. Erhebliche Rechtsfragen sind die im engen Konnex stehenden Themen der Betroffenheit der Kläger von den bekämpften Äußerungen sowie der Ermittlung des Aussagegehalts der Bildtafeln unter Einbeziehung des Begleittextes. Schon an dieser Stelle ist festzustellen, dass die zweifellos erhebliche Rechtsfrage der individuellen Betroffenheit bei einer Kollektivbeleidigung dann nicht entscheidungswesentlich ist, wenn die bekämpften Aussagen mit der Meinungsfreiheit (Art 10 MRK) gerechtfertigt werden können. Zunächst sind die in der oberstgerichtlichen Judikatur vertretenen Rechtsgrundsätze darzulegen:
1. Auch massiv in die Ehre eines anderen eingreifende Äußerungen können gerechtfertigt sein:
Aus § 1330 ABGB leitet die ständige Rechtsprechung bei Eingriffen in die Ehre (Abs 1) und den wirtschaftlichen Ruf eines anderen (Abs 2) einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch ab. Das Persönlichkeitsrecht auf Ehre ist ein absolut geschütztes Gut. Eingriffe können allerdings, gestützt auf verfassungsrechtlich geschützte Rechte, hier auf die Rede‑ und Meinungsfreiheit (Art 10 MRK; Art 13 StGG), gerechtfertigt sein. Über die Kollision der widerstreitenden Rechte ist nach einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden. Den Interessen des Klägers am Rechtsgut der Ehre sind die Interessen des Handelnden und diejenigen der Allgemeinheit gegenüberzustellen (dazu ausführlich SZ 64/36). Bei der Interessenabwägung kommt es auf die Art der eingeschränkten Rechte, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung an (SZ 61/210 uva). Auf diese Kriterien ist bei der Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung einerseits und zulässiger Kritik und Werturteil andererseits Bedacht zu nehmen. Dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung kommt in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Es ist daher auch die Meinung von Außenseitern, Querdenkern oder sogar Dilettanten zu respektieren. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS‑Justiz RS0054817; 6 Ob 93/98i = SZ 71/96 mwN, 6 Ob 244/02d; 6 Ob 296/02a uva). Auch in Deutschland vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) die Ansicht, dass in für die Allgemeinheit „fundamentalen" Fragen in einer freiheitlichen Demokratie grundsätzlich auch extreme Meinungen toleriert werden können (BGH, Urteil vom 30. 5. 2000 ‑ VI ZR 276/99, NJW 2000, 3421). Diese Grundsätze stehen mit der Judikatur des EGMR im Einklang, der zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Interesses der Öffentlichkeit an der Diskussion von Fragen allgemein‑öffentlichen Interesses einen großzügigen Maßstab anlegt (EGMR‑Urteil vom 26. 2. 2002 ‑ Unabhängige Initiative Informationsvielfalt in Österreich, MR 2002, 149; EGMR‑Urteil vom 26. 2. 2002 ‑ Dichand gegen Österreich, NL 2002/1, 26, MR 2002, 84 = ÖJZ 2002, 464/18).
Massive Kritik und extreme Meinungsäußerungen sind nur dann unzulässig, wenn sie exzessiv sind (4 Ob 71/06d, 4 Ob 55/00p; 6 Ob 21/99b = SZ 72/39). Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ein Meinungsexzess wird jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn die Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung rechtsmissbräuchlich ist oder doch an einen Rechtsmissbrauch heranreicht. Ein solcher liegt nach der jüngeren ständigen Judikatur schon dann vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, sodass zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (RIS‑Justiz RS0026265; 1 Ob 215/97t mwN).
2. In die Ehre eines anderen eingreifende unwahre Tatsachenbehauptungen können mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nie gerechtfertigt werden. Sie sind ebenso unzulässig wie Werturteile auf der Basis eines unwahren Sachverhalts (RIS‑Justiz RS0107915; RS0032201; zuletzt 6 Ob 11/06w; 6 Ob 291/00p = SZ 73/198 uva).
3. Auch das Verbreiten wahrer Tatsachen kann rechtswidrig in den Schutzbereich des Betroffenen eingreifen. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn dessen Interessen unnötig verletzt werden, also kein überwiegendes Informationsbedürfnis der Allgemeinheit oder doch des Mitteilungsempfängers vorliegt (RIS‑Justiz RS0031649). Dieser Grundsatz ist zwar dogmatisch umstritten (vgl ausführlich 6 Ob 161/97p), völlig einheitlich wird aber in der Rechtsprechung vertreten und vom Schrifttum gebilligt, dass eine Güterabwägung notwendig ist. Die Interessenabwägung hat die Interessen des Verletzten an seinem guten Ruf und der Ehre den Interessen des Erklärenden und der Erklärungsempfänger gegenüberzustellen (6 Ob 211/05f mwN).
4. Der Bedeutungsinhalt einer Äußerung und die Abgrenzung einer Tatsachenbehauptung von einem Werturteil sind stets nach dem einem unbefangenen Durchschnittsadressaten vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0031883). Es kommt auf den durchschnittlich verständigen Leser, Hörer oder Betrachter an (§ 1297 ABGB). Hier ist also der Eindruck zu beurteilen, den die Bildtafeln der beklagten Partei samt Begleittext vermittelten.
5. Wenn sich der Eingriff gegen ein Kollektiv mit einem überschaubaren Kreis von Angehörigen richtet, ist jedes einzelne Mitglied davon betroffen und zu einer Klageführung nach § 1330 Abs 1 und 2 ABGB legitimiert (RIS‑Justiz RS0031766). Die persönliche Betroffenheit des Einzelnen hängt, wenn er namentlich nicht genannt wurde, von seiner Identifizierbarkeit ab (RIS‑Justiz RS0111732).
Vor Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist die Besonderheit hervorzuheben, dass die bekämpfte Meinungsäußerung hier nicht in einem direkten Angriff gegen das Kollektiv (die Juden), dem die Kläger angehören, besteht. Die bekämpfte Meinungsäußerung ist vielmehr ein Vergleich des tragischen Schicksals ‑ des Lebens und des Sterbens ‑ von Insassen in nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern mit der Situation von Tieren in Massentierhaltungen, worin die Kläger Strafdelikte und eine Verletzung ihrer Persönlichkeit erblicken. Dazu ist Folgendes auszuführen:
Zur Betroffenheit als Voraussetzung der Klagelegitimation:
Bei der Beurteilung nach § 1330 ABGB kommt es für die individuelle Betroffenheit einer Person durch eine gegen das Kollektiv gerichtete Beleidigung darauf an, dass die Äußerung gegen ein Kollektiv mit einem übersehbaren Kreis von Angehörigen gerichtet war. Das Kriterium der „Überschaubarkeit" ist deshalb von Bedeutung, weil die persönliche Betroffenheit des Einzelnen von der Zahl der Angehörigen des Kollektivs abhängt. Die Intensität des Vorwurfs ist bei einem relativ kleinen Kreis naturgemäß höher als bei einem gegen ein Kollektiv mit unüberschaubarem Personenkreis gerichteten Vorwurf. Der Grad der persönlichen Betroffenheit des einzelnen Mitglieds wird umso schwächer, je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht. Der entscheidende Gesichtspunkt für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen durch eine gegen ein Kollektiv gerichtete, den Ruf und die Ehre verletzende Äußerung ist die Identifizierbarkeit des Einzelnen (6 Ob 231/01s = MR 2002, 24; 6 Ob 21/99b). Es kann offen bleiben, ob alle die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager überlebenden Juden nach dem Grundsatz der Identifizierbarkeit zur Klage berechtigt sind. Wenn man diese Frage bejahte, wäre das Verfahren noch nicht spruchreif, weil das angebotene Bescheinigungsverfahren zum Thema, ob die Kläger mehrere Jahre in Konzentrationslagern angehalten waren, nicht durchgeführt und dazu keine Feststellungen getroffen wurden. Entgegenzutreten ist aber der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass es schon ausreichte, dass die Kläger unstrittig Juden sind, die einen Großteil ihrer Familien in Konzentrationslagern verloren hätten (nach Ansicht der beklagten Partei ist auch dieser Sachverhalt keineswegs unstrittig). Mit dieser Ansicht setzte sich das Rekursgericht mit der zitierten oberstgerichtlichen Judikatur zum Kriterium der „Überschaubarkeit" in Widerspruch. An diesem Kriterium als Voraussetzung einer individuellen Betroffenheit des Einzelnen von einer Kollektivbeleidigung ist aber festzuhalten. Es ist bei der Vielzahl der im Sinne der Entscheidung des Rekursgerichts für betroffen erachteten Personen bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden nicht gegeben.
Die erforderliche Eingrenzung hängt also von den persönlichen Lebensverhältnissen der Kläger während der NS‑Zeit ab. Eine Ergänzung der Feststellungen ist aber nur erforderlich, wenn die Auslegung der bekämpften bildlichen Äußerungen zur Bejahung eines Eingriffs in die Ehre anderer führte. Wäre dies nicht der Fall, können die Rechtsfragen der Betroffenheit der Kläger von der Meinungsäußerung auf sich beruhen und braucht auch nicht zur Judikatur des BGH Stellung genommen werden, der für den Fall der „Auschwitz‑Lüge" allen Menschen mit jüdischer Abstammung wegen Herabsetzung ihres individuellen Persönlichkeitsrechts (§ 823 BGB) die Aktivlegitimation einräumt, selbst wenn die Kläger nach 1945 geboren wurden und nicht alle ihre Vorfahren jüdischer Abstammung waren (BGH, Urteil 18. 9. 1979, VI ZR 140/78 = NJW 1980, 45). Alle diese Fragen, wie auch die weitere, ob die Klageansprüche auch auf den sogenannten postmortalen Persönlichkeitsschutz (dazu 6 Ob 283/01p) gestützt werden können, sind nicht entscheidungswesentlich, wenn die Auslegung des Aussageinhalts der bekämpften Werbekampagne zum Ergebnis führt, dass dem Recht auf freie Meinungsäußerung im Rahmen der Interessenabwägung der Vorrang zukommt. Dies ist aus folgenden Gründen zu bejahen:
Die Bildcollage besteht aus zweifellos schockierenden Bilddokumenten über das Leben und den Tod von Menschen, die während des nationalsozialistischen Holocausts in Konzentrations- und Vernichtungslagern angehalten wurden. Zwanglos kann hiebei davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Personen ganz überwiegend nur um Juden handeln kann (linke Seite der Plakate). Auch die Bilddokumente der Nutztiere (rechte Seite der Plakate) vermitteln zumindest für einen maßgeblichen Teil des angesprochenen Publikums und für sich alleine betrachtet einen aufrüttelnden, schockierenden oder doch zumindest unangenehm berührenden Eindruck. Den Bildtafeln und ihren Überschriften wird ein verständiger Betrachter unschwer entnehmen, dass eine Tierschutzorganisation die Ausstellung veranstaltet.
Die von den Klägern relevierte Verächtlichmachung einer Rasse oder eines Volkes wird mit der Werbekampagne nicht bewirkt:
Die hinter den Bildern stehende Wahrheit des jeweiligen Sachverhalts (Leben, Leiden und Sterben der Juden bzw der Tiere) ist unstrittig. Die relevierte Herabsetzung der Menschenwürde infolge eines Vergleichs jüdischer NS‑Opfer mit Schweinen, Kühen und Hühnern geht ohne weitere Begründung davon aus, dass schon die bloße Gegenüberstellung der Lebens- und Sterbeverhältnisse von Menschen und Tieren inhaltlich zur Aussage führt, dass die Juden mit Tieren gleichgestellt (im Sinne Juden sind Tiere) werden, die Werbekampagne also geradezu einen nazistischen Inhalt hätte. Diese Schlussfolgerung ist jedoch unzutreffend und aus den Bildern samt Text keineswegs ableitbar. Sie lässt sich auch nicht mit dem Grundsatz begründen, dass missverständliche Äußerungen stets zu Lasten des Äußernden gehen. Nach dem vermittelten Gesamteindruck ist vielmehr ein Missverständnis des Betrachters dahin, die Kampagne hätte die inhaltliche Aussage, Juden seien Tiere, ausgeschlossen. Die Aussage geht nur dahin, dass Juden wie Tiere behandelt wurden. Die Gegenüberstellung führt jedenfalls beim maßgeblichen verständigen Durchschnittsbetrachter nicht zu der von den Klägern gezogenen Schlussfolgerung.
Zweifellos hätte die beklagte Tierschutzorganisation auch mit der Veröffentlichung bloß der Tierbilder eine aufrüttelnde Wirkung erzielen können. Zu untersuchen ist hier die allfällige Rechtswidrigkeit der Instrumentalisierung des Holocaust für Zwecke des Tierschutzes. Den Klägern ist zuzugestehen, dass zumindest der Teil des angesprochenen Publikums der Kampagne, der Fragen des Tierschutzes ablehnend gegenübersteht, die Gegenüberstellung als völlig überzogen und unzulässig ansehen wird. Ein anderer Teil des Publikums wird jedoch der gänzlich anderen Auffassung im Sinn des Standpunkts der beklagten Partei sein. Zu untersuchen ist die Rechtswidrigkeit des bekämpften Vergleichs. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist dieser nicht schon per se unzulässig und damit rechtswidrig, weil mit einer solchen Ansicht eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Rede‑ und Meinungsfreiheit verbunden wäre:
Nach der schon zitierten Judikatur sind auch extreme Meinungsäußerungen, insbesondere auch von Minderheiten und Querdenkern zulässig.
Die Heranziehung des Holocaust als Vergleichsmaßstab wurde gerade bei der Verfolgung eines Tierschutzanliegens mit dem Ausspruch „Schweine‑KZ" für zulässig erachtet (6 Ob 93/98i = SZ 71/96; vgl im Ergebnis auch das Urteil des BGH vom 30. 5. 2000 - VI ZR 276/99, NJW 2000, 3421, in dem es um den „Kinder‑Mord" in einer Abtreibungsklinik ging und dabei der Vergleich "Damals: Holocaust - heute: Babycaust" angestellt wurde; s dazu auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1 BvR 49/00 vom 24. 5. 2006). Die grundsätzliche Zulässigkeit des Vergleichs muss auch für die hier zu beurteilende Werbekampagne gelten. Ein allgemeines Verbot, die Verbrechen und Gräuel des NS‑Staats zu Vergleichszwecken in Meinungsäußerungen heranzuziehen, gibt es nicht. Ob ein in die Ehre eines anderen eingreifender Vergleich nach der gebotenen Interessenabwägung gerechtfertigt ist, hängt von den zitierten Abwägungskriterien ab, also insbesondere von der Gewichtigkeit des Themas im Interesse der Allgemeinheit (diese Gewichtigkeit ist nach der zitierten Vorjudikatur zweifellos gegeben) im Vergleich zu den verletzten Interessen. Im vorliegenden Fall wird durch die Werbekampagne der beklagten Partei im Allgemeinen auch der positive Effekt der Erinnerung der Öffentlichkeit an den nationalsozialistischen Völkermord herbeigeführt. Die KZ‑Bilder dokumentieren historische Wahrheiten und rufen unfassliche Verbrechen in Erinnerung, was grundsätzlich zur Vergangenheitsaufarbeitung sowie zur Aufklärung der „Nachgeborenen" als positiv beurteilt werden kann. Bei der Gegenüberstellung sind die Interessen der verletzten Kläger zu berücksichtigen. Ihre persönliche Betroffenheit ist aber, weil es sich um eine Kollektivbeleidigung handelt, nach den dargelegten Gründen zum Kriterium der „Überschaubarkeit" eine reduzierte. Demgegenüber verfolgt die beklagte Partei ein legitimes Interesse, ihr Tierschutzanliegen auch mit drastischen Mitteln an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Interessenabwägung ergibt daher kein zugunsten der Kläger ausschlagendes Übergewicht. Ob die Meinungsäußerung exzessiv war, wird noch zu erläutern sein.
Wegen der Bejahung von Rechtfertigungsgründen verwirklicht die bekämpfte Kampagne der beklagten Partei aus den dargelegten Gründen auch nicht die von den Klägern relevierten strafrechtlichen Tatbestände, die jeweils Vorsatz voraussetzen.
Die Wanderausstellung der beklagten Partei ist auch nicht als Wertungsexzess zu qualifizieren:
Der erkennende Senat verkennt nicht, dass die bekämpfte Kampagne zugunsten des Tierschutzes durchaus als pietätlos, geschmacklos, überzogen und sogar als unmoralisch beurteilt werden kann. Beim zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch kommt es aber auf die Rechtswidrigkeit an, die ‑ wie ausgeführt ‑ ein Überwiegen der Interessen der Kläger im Rahmen der Interessenabwägung voraussetzte. Ein Wertungsexzess, dem der Gedanke des Rechtsmissbrauchs innewohnt, könnte zwar allenfalls dann bejaht werden, wenn das mit der Kampagne verfolgte Ziel von geringer Bedeutung wäre, sodass das Mittel dazu in einem krassen Missverhältnis stünde, oder aber die Vergleichsgrundlagen (die Sachverhalte) so differierten, dass von einem thematisch völlig verfehlten („an den Haaren herbeigezogenen") Vergleich gesprochen werden könnte. Beides liegt hier nicht vor. Die schockierende Wirkung der Fotomontagen ist zum Großteil vom Thema vorgegeben (durch Menschen brutal verursachtes Leid anderer). Die Heranziehung eines drastischen Vergleichs dient einem grundsätzlich erlaubten Zweck, nämlich in einer von Werbung reizüberfluteten Gesellschaft Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erzielen. Das Tierschutzanliegen selbst ist ‑ wie ausgeführt ‑ gewichtig, gesellschaftspolitisch umstritten und aktuell (vgl die Tierschutzgesetzgebung aus der jüngsten Vergangenheit).
Aus den dargelegten Gründen ist eine exzessive Meinungsäußerung zu verneinen.
Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens beruht auf den §§ 402 iVm § 78 EO, §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
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