Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden nur Kläger) ist Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins "profil" und des Wirtschaftsmagazins "trend". Die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden nur Beklagter) ist Klubobmann der FPÖ.
In seiner Ausgabe vom 28. September 2000 befasste sich das Nachrichtenmagazin NEWS unter dem Titel "Der Biss der Königskobra ..." mit der "blauen Society". Im Zusammenhang mit dem Bemühen freiheitlicher ("blauer") Politiker, in der "Wiener Gesellschaft" Fuß zu fassen, beschäftigte es sich dabei mit den ständigen Besuchern des "Stammtisches im Wiener Nobelrestaurant Do & Co", zu denen - nach dem Inhalt des Artikels ("kleine, auserwählte Runde von Journalisten, Geschäftsleuten und Adabeis") - auch der Kläger gehört. Diese Runde habe sich daran gestoßen, dass Niki Lauda, der mehrfache Formel-1 Weltmeister, die Vizekanzlerin an den Stammtisch mitgenommen habe.
Ein Exponent dieser Runde habe erklärt: "Der Stammtisch gehört uns - wir wollen an der FPÖ nicht anstreifen". Hiezu zitiert NEWS den Beklagten, der diese Stammtischrunde gegenüber einer näher genannten NEWS-Redakteurin als "degenerierte Clique" bezeichnete. Dass der Kläger dieser Stammtischrunde angehört, ist über diese Runde hinaus insbesondere den ständigen Besuchern sowie dem Personal des Restaurants bekannt.
Die Vorinstanzen geboten dem Beklagten mit antragsgemäß erlassener einstweiliger Verfügung, ab sofort die Verbreitung des Inhaltes zu unterlassen, die Stammtischrunde im Wiener Restaurant "Do & Co", der der Kläger angehöre, sei eine degenerierte Clique, der Kläger sei degeniert oder inhaltsgleiche Behauptungen. Denn die dem Kläger vom Beklagten angediehene Zuordnung, Mitglied in einer "degenerierten Clique" zu sein, stelle gemäß § 1330 Abs 1 ABGB eine Ehrenbeleidigung dar. So stehe "degenerieren" für "verfallen, verkümmern; vom üblichen abweichen, sich negativ entwickeln, entarten; körperlich oder geistig verfallen". In einer solchen Wortwahl sei eine Beschimpfung des Klägers zu sehen. Der angegriffene Personenkreis sei einigermaßen überschaubar und begrenzt und hebe sich als verhältnismäßig kleines Kollektiv von der Allgemeinheit deutlich ab.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten bringt keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO zur Darstellung.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 21/99b = MR
1999, 76 = ecolex 1999, 688 ua) zur Frage der individuellen
Betroffenheit einzelner Mitglieder eines in seiner Ehre angegriffenen Kollektivs - hier "Stammtischrunde im Wiener Nobelrestaurant Do & Co" - ist zur Geltendmachung von Ansprüchen nach § 1330 ABGB derjenige legitimiert, in dessen Ehre mit ehrenrührigen Behauptungen eingegriffen wird. Wenn sich die Ehrenbeleidigung gegen ein Kollektiv mit einem überschaubaren Kreis von Angehörigen richtet, ist jedes einzelne Mitglied dieses Kollektivs zur Klage berechtigt. Diese Ansicht wird sowohl im Bereich des Strafrechtes (vgl dazu 10 Os 196, 197/77 = SSt 49/2 "Nittel-Entscheidung" und die bei Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4, 127 f angeführten
Entscheidungen) als auch des Zivilrechtes (4 Ob 107/92 = MR 1993, 16
= WBl 1993, 29; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht, 51 f mit Beispielen aus der Praxis zur "Kollektivbeleidigung") vertreten. Das Kriterium der "Überschaubarkeit" ist deshalb von Bedeutung, weil die persönliche Betroffenheit des einzelnen von der Zahl der Angehörigen des Kollektivs abhängt. Die Intensität des Vorwurfs ist bei einem relativ kleinen Kreis naturgemäß höher als bei einem gegen ein Kollektiv mit unüberschaubarem Personenkreis gerichteten Vorwurf. Der Grad der persönlichen Betroffenheit verringert sich, je größer die Zahl der Mitglieder des Kollektivs ist. Der entscheidende Gesichtspunkt für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen durch eine gegen ein Kollektiv gerichtete, den Ruf und die Ehre verletzende Äußerung ist die Identifizierbarkeit des einzelnen. Ob diese zu bejahen ist, hängt von der Auslegung der Äußerung ab, die nach dem Verständnis des maßgerechten Durchschnittsmenschen (vgl § 1297 ABGB) als Adressaten
der Äußerung (6 Ob 21/99b), oder - wie es der 4. Senat (4 Ob 107/92 =
MR 1993, 16 = WBl 1993, 29) in Anlehnung an die Grundsätze im Wettbewerbsrecht formulierte - nach der Auffassung eines nicht unbeträchtlichen Teils des Durchschnittspublikums vorzunehmen ist. Dies ist aber ganz von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Daher stellt die Frage, ob eine "Stammtischrunde" in einem "Wiener Nobelrestaurant" ein derartiges Kollektiv darstellt, ungeachtet der Tatsache, dass dies noch nie in der Judikatur ausgesprochen wurde, keine erhebliche Rechtsfrage dar.
Eine auffallende Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, liegt nicht vor. Die im Ehrenstrafrecht in Lehre und Rechtsprechung aufzufindenden Beispiele (vgl dazu Korn/Neumayer aaO 51 f) lassen eine einschränkende Auslegung nach dem Kriterium der Überschaubarkeit erkennen (die Klagebefugnis wurde beispielsweise bei einem gegen eine politische Landespartei gerichteten Vorwurf für alle 70 Mitglieder des Parteigremiums bejaht). Dass ein Kollektiv aber auch wechselnde Mitglieder haben kann, liegt in dessen Wesen. Bei Stammtischrunden wird eine Personenzahl von 20 bis 30 Mitgliedern wohl schon angesichts der Platzverhältnisse in einem Restaurant nicht überschritten werden. Welche konkreten - mehrheitlich offenbar der FPÖ fernstehende (nach dem NEWS-Artikel "altkoalitionäre Eintracht") - Personen dem hier zu beurteilenden Kollektiv "Stammtischrunde im Wiener Nobelrestaurant Do & Co" angehören, ist bedeutungslos, kann doch das Kollektiv ausreichend genug identifiziert werden. Für die Betroffenheit nach § 111 StGB und damit auch § 6 MedienG genügt es, wenn der Privatankläger oder Antragsteller (innerhalb des Kollektivs) für einen kleineren Personenkreis erkennbar ist (14 Os 42, 43/95 = MR 1995, 172). Für die Anspruchsberechtigung nach § 1330 ABGB muss Gleiches gelten. Diese Voraussetzung ist aber hier erfüllt.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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