OGH 10ObS93/06h

OGH10ObS93/06h17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz M*****, derzeit ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. April 2006, GZ 11 Rs 26/06g-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Dezember 2005, GZ 32 Cgs 74/05d-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. 11. 1949 geborene Kläger ist gelernter Fleischer. Von 1973 bis 1990 übte er selbständig das Gewerbe „Vieh- und Fleischhandel" aus. Von 1991 bis 1994 verkaufte er Wein im Außendienst. Auch von Herbst 1994 bis Sommer 1995 arbeitete er als Außendienstverkäufer. Zuletzt war er von April 1997 bis April 2001 bei einer Räucheranlagenservice- und -handelsfirma als Angestellter im Außendienst beschäftigt. Dort verrichtete er folgende Tätigkeiten:

Kundenberatung und -betreuung, Service- und Wartungsarbeiten an den Räucheranlagen, Tätigen von Verkaufsabschlüssen, Instruktion und Einweisungen in die Bedienung der Räucheranlagen sowie Verwaltung der Kundenkartei und Akquisition neuer Kunden. Seine Wochenarbeitszeit betrug inklusive der Reisetätigkeit (seine Jahreskilometerleistung betrug rund 120.000 km) durchschnittlich 55 Stunden. Seit Beendigung dieser Tätigkeit ist der Kläger arbeitslos.

Aufgrund seines Gesundheitszustandes ist der Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten in wohl temperierten Räumen, vornehmlich im Sitzen unter Einhaltung der üblichen Arbeitspausen „vollschichtig" zu verrichten. Zur Heranschaffung von Arbeitsmaterialien kann er kurzfristig auch Arbeiten im Gehen und Stehen leisten. Auszuschließen sind Arbeiten in Kälte- und Nässeexposition, in kniender oder hockender Stellung, mit Treppensteigen, auf Leitern und Gerüsten, mit einseitiger Belastung der Beine, mit unphysiologischen Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten mit häufigem Bücken bis zum Boden, sämtliche Arbeiten über Schulterniveau, Arbeiten unter vermehrter physischer und psychischer Belastung, unter besonderem Zeitdruck sowie mit intensivem Parteien- und Kundenverkehr. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit kann der Kläger aufgrund dieses Leistungskalküls nicht mehr verrichten.

Der Kläger verfügt über kaufmännische Kenntnisse (insbesondere auch aus seiner selbständigen Tätigkeit im Vieh- und Fleischhandel), die seine Verwendung bei kaufmännischen Tätigkeiten, etwa in der Rechnungsprüfung, zulässt. Der Erwerb von Computerkenntnissen ist ihm zumutbar. Es gibt einen ausreichend großen Markt von Arbeitsstellen im genannten Verweisungsbereich, deren Anforderungsprofil das aktuelle Leistungskalkül des Klägers nicht übersteigt. Mit Bescheid vom 29. 12. 2004 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 2. 8. 2004 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, dass Berufsunfähigkeit iSd § 273 ASVG nicht vorliege. Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 9. 2004 gerichtete Klagebegehren ab. Ein Versicherter, der mehrfach Berufsschutz, ob als Angestellter oder als qualifizierter Arbeiter in einem erlernten oder angelernten Beruf, genieße, dürfe in allen Berufsparten verwiesen werden, auf die sich sein Berufsschutz erstrecke, weil er über vielfältigere Ausbildungen, Kenntnisse und Fähigkeiten als ein nur in einem Beruf tätig gewesener Versicherter verfüge. Wenn ein Versicherter in den letzten 15 Jahren sowohl in erlernten Berufen iSd § 255 Abs 1 ASVG als auch in Angestelltenberufen nach § 273 ASVG tätig gewesen sei, so liege der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit dann nicht vor, wenn der Versicherte den Angestelltenberuf noch ausüben könne. Da der Kläger auf kaufmännische Tätigkeiten innerhalb seiner Berufsgruppe verweisbar sei, sei er nicht als berufsunfähig anzusehen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Da der Kläger zuletzt nicht nur vorübergehend eine iSd Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte qualifizierte Außendiensttätigkeit im Verkauf durchgeführt habe, stelle die Verweisung auf kaufmännische Angestelltentätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3, wie etwa in der Rechnungsprüfung, keinen unzumutbaren sozialen Abstieg dar. Dass er über die für diese Tätigkeiten notwendigen kaufmännischen Kenntnisse verfüge und ihm darüber hinaus der Erwerb von Computerkenntnissen zumutbar sei, habe das Erstgericht unbekämpft festgestellt. Habe der Kläger aber, wie er nunmehr in seiner Berufung behaupte, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nur in einer spezialisierten Form ausgeübt und fehle ihm daher das bei Angestellten der Beschäftigungsgruppe 4 allgemein vorhandene Fachwissen, dann könne er nur den Berufsschutz derjenigen Beschäftigungsgruppe in Anspruch nehmen, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspreche, nämlich der Beschäftigungsgruppe 2. Aufgrund des medizinischen Leistungskalküls sei aber unzweifelhaft offenkundig, dass der Kläger noch einfache Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten verrichten könne, wie etwa Tätigkeiten in einer innerbetrieblichen Poststelle, Tätigkeiten in Ablage und Evidenz sowie Arbeiten mit Statistiken, Karteien, Dateien etc.

Da der Kläger daher schon aus diesem Grund nicht berufsunfähig sei, komme es auf die Frage, ob er sich durch seine Angestelltentätigkeit den erworbenen Berufsschutz als Fleischer erhalten habe, nicht mehr an.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, keinen Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu der erheblichen Rechtsfrage der Verweisbarkeit eines gelernten Facharbeiters, der zuletzt eine verwandte Angestelltentätigkeit verrichtet hat, in der die im erlernten Beruf erworbenen Kenntnisse von Bedeutung waren, noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Nach den Feststellungen und auch nach dem Inhalt des Pensionsaktes ist davon auszugehen, dass der Kläger Versicherungszeiten zunächst in der Pensionsversicherung der Arbeiter und in der Folge auch in der Pensionsversicherung der Angestellten erworben hat, wobei er unbestritten zur Pensionsversicherung der Angestellten gemäß § 245 Abs 3 ASVG leistungszugehörig ist, weil die „unselbständigen" Versicherungsmonate, die er in den letzten 15 Jahren vor dem gemäß § 223 Abs 2 ASVG als Stichtag geltenden 1. 9. 2004 erworben hat, weitaus überwiegend in der Pensionsversicherung der Angestellten vorliegen. Aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist aus der Pensionsversicherung der Angestellten die Berufsunfähigkeitspension zu leisten. Die besonderen Leistungsvoraussetzungen für die Berufsunfähigkeitspension finden ihre Regelung im § 273 ASVG. Nach Abs 1 dieser Gesetzesstelle gilt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seiner körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat (RIS-Justiz RS0084943). Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und

gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (10 ObS 211/98x =

SSV-NF 12/86, 10 ObS 100/99z = SSV-NF 13/112 ua; RIS-Justiz

RS0084904). Der Versicherte darf innerhalb seiner Berufsgruppe nicht auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden, deren Ausübung für ihn einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würde (RIS-Justiz RS0084867 [T9]).

Daraus folgt, dass bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers, der nach erfolgreicher Absolvierung einer Fleischerlehre und Ausübung verschiedener Arbeitertätigkeiten (sowie selbständiger Tätigkeiten) von September 1991 bis 1995 als Außendienstverkäufer und von April 1997 bis April 2001 als Angestellter im Außendienst tätig war, von diesem zuletzt über einen Zeitraum von fast 10 Jahren (wenn auch mit arbeitslosigkeitsbedingten Unterbrechungen) ausgeübten Beruf als Außendienstmitarbeiter auszugehen ist. Der Kläger kann aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls zwar keine Außendiensttätigkeit mehr verrichten; er kann jedoch im Sinne der dargestellten ständigen Rechtsprechung auf kaufmännische Innendiensttätigkeiten verwiesen werden, die von kaufmännischen Angestellten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt werden (10 ObS 246/92 = SSV-NF 6/118 ua; RIS-Justiz RS0084956). Die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Handelsangestellter im Außendienst entspricht der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten. Wenn er aber seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nur in einer spezialisierten Form ausgeübt hat und ihm daher das bei Angestellten der Beschäftigungsgruppe 4 allgemein vorhandene Fachwissen fehlt, kann er nur den Berufsschutz derjenigen Beschäftigungsgruppe in Anspruch nehmen, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht, nämlich

den der Beschäftigungsgruppe 2 (10 ObS 30/90 = SSV-NF 4/17, 10 ObS

20/93 = SSV-NF 7/34, 10 ObS 93/94 = SSV-NF 8/38, 10 ObS 2240/96a =

SSV-NF 10/85; RIS-Justiz RS0084440). Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung zutreffend auch eine Verweisung des Klägers auf einfache Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten, nämlich Tätigkeiten in einer innerbetrieblichen Poststelle, Tätigkeiten in Ablage und Evidenz sowie Arbeiten mit Statistiken, Karteien, Dateien etc in Betracht gezogen. Die Verweisung des Klägers auf solche Tätigkeiten ist angesichts der bei ihm aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit vorauszusetzenden Kenntnisse und einer zumutbaren kurzen Einarbeitungszeit durchaus zulässig.

Die Richtigkeit dieser auf die ständige Rechtsprechung gestützten Ausführungen des Berufungsgerichtes wird auch in der Revision grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen. Der Kläger vertritt in seinen Revisionsausführungen jedoch die Ansicht, bei der Frage der Verweisung sei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass er nicht - durch Ausübung von zwei oder mehreren verschiedenen Tätigkeiten - einen „mehrfachen" Berufsschutz erlangt habe, sondern dass der von ihm erworbene Berufsschutz von seiner erlernten Tätigkeit abhängig sei: die zuletzt ausgeübte kaufmännische Tätigkeit sei zugleich berufsschutzerhaltend für die erlernte und zuvor auch ausgeübte Tätigkeit als Fleischer gewesen. Aus diesem Grund dürfe er auch nur auf Tätigkeiten in seinem erlernten Beruf bzw auf berufsschutzerhaltende Angestelltentätigkeiten verwiesen werden. Da ihm eine allgemeine und umfangreiche kaufmännische Ausbildung fehle, habe er einen Berufsschutz als kaufmännischer Angestellter nicht erworben. Ein solcher Berufsschutz sei auch weder durch seine selbständige Tätigkeit noch seine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter begründet worden, weil er dabei nur einen kleinen, spezifischen Teil dieses Berufes ausgeübt habe. Folgte man der Rechtsansicht der Vorinstanzen, würde er durch seine (eigentlich berufsschutzerhaltende) Angestelltentätigkeit im Ergebnis den Berufsschutz im erlernten Beruf verlieren und werde ihm gleichzeitig auch kein wirksamer Berufsschutz als kaufmännischer Angestellter zuerkannt. Bei richtiger rechtlicher Würdigung sei daher eine Verweisung auf nicht berufsschutzerhaltende (Angestellten-)Tätigkeiten nicht zulässig.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit tritt in den einzelnen Systemen der österreichischen Pensionsversicherung jeweils unter verschiedenen Bezeichnungen (Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit) auf, wobei auch der Begriffsinhalt jeweils unterschiedlich ist. Gemeinsam ist allen Erscheinungsformen der beabsichtigte Schutz vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit. Verschieden ist jeweils die Vergleichsgröße, an der das Ausmaß der Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit gemessen wird (Teschner in Tomandl, SV-System 17. Erg-Lfg 374). Die Invalidität ist die Erscheinungsform des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit für den Bereich der Pensionsversicherung der Arbeiter, die Berufsunfähigkeit ist jene für den Bereich der Pensionsversicherung der Angestellten. Während der Gesetzgeber für gelernte (angelernte) Arbeiter (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG) sowie für Angestellte (§ 273 ASVG) vorsieht, dass der Versicherungsfall erst dann eingetreten ist, wenn die Arbeitsfähigkeit des Versicherten aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten in einem der in Betracht kommenden Verweisungsberufe gesunken ist, gilt ein ungelernter Arbeiter dann als invalid, wenn er nicht mehr imstande ist, in einem für ihn in Betracht kommenden Verweisungsberuf wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein Gesunder durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (§ 255 Abs 3 ASVG). Während es sich bei der Pensionsversicherung der Angestellten bereits seit dem Inkrafttreten des ASVG um eine Berufsversicherung (Berufsgruppenversicherung) handelt, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann (§ 273 ASVG), wurde der Berufsschutz für gelernte (angelernte) Arbeiter (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG) durch die 9. ASVG-Nov, BGBl 1962/13, geschaffen, wobei als Vorbild für diese Regelung der Begriff der Berufsunfähigkeit des Angestellten diente (dazu Kaufmann, Der Berufsschutz des gelernten und angelernten Arbeiters in der Pensionsversicherung, SozSi 1970, 82; Würth, Beurteilung der verbleibenden Arbeitsfähigkeit im Rahmen der Invalidität, DRdA 1973, 115 ua). Trotz der erwähnten Vorbildwirkung bestehen zwischen den Regelungen des § 255 Abs 1 und 2 ASVG für gelernte (angelernte) Arbeiter einerseits und des § 273 ASVG für Angestellte andererseits auch wesentliche Unterschiede, sodass das auf eine unterschiedliche Berufstätigkeit von Arbeitern und Angestellten abgestellte Leistungsrecht der Pensionsversicherung seine Funktion nicht erfüllten könnte, wenn die geminderte Arbeitsfähigkeit eines Angestellten nach § 255 ASVG und die eines Arbeiters nach § 273 ASVG beurteilt würde (vgl Schrammel in seiner Entscheidungsbesprechung zu OLG Wien 34 R 73/80, ZAS 1981, 74). Es entspricht daher der seit 10 ObS 158/88 = SSV-NF 2/71 ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass der Eintritt des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit ausschließlich nach der tatsächlichen Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, während die bloße Einordnung als Arbeiter oder Angestellter nicht maßgeblich ist.

Voraussetzung für den Berufsschutz als Angestellter nach § 273 ASVG

ist nicht die Absolvierung einer bestimmten Ausbildung, sondern

allein der Umstand, dass der Versicherte Tätigkeiten verrichtet, die

als kaufmännische, höhere nicht kaufmännische oder Kanzleidienste im

Sinn des § 1 AngG anzusehen sind (10 ObS 211/98x = SSV-NF 12/86). Für

den Berufsschutz der Angestellten ist auch nicht erforderlich, dass

sie in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend eine

Angestelltentätigkeit ausgeübt haben. Voraussetzung für einen

Berufsschutz eines gelernten (angelernten) Arbeiters nach § 255 Abs 1

und 2 ASVG ist hingegen, dass sie während der letzten 15 Jahre vor

dem Stichtag einen oder mehrere gelernte oder angelernte Berufe in

mehr als der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt haben. Der

Angestellte bzw der gelernte (angelernte) Arbeiter darf nicht auf

eine Tätigkeit verwiesen werden, durch deren Ausübung er den

Berufsschutz verlieren würde. Es darf daher ein Angestellter nicht

auf eine Tätigkeit als Arbeiter verwiesen werden, durch die er den

Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde (10 ObS 85/95 = SSV-NF

9/48 mwN ua; RIS-Justiz RS0084837). Dem gegenüber hält die

Rechtsprechung die Verweisung eines gelernten (angelernten) Arbeiters

auf Angestelltentätigkeiten grundsätzlich für zulässig, weil der

berufliche Aufstieg besonders qualifizierte Facharbeiter in

Angestelltenpositionen bringe und diese Verweisung zu keinem Verlust

des Berufsschutzes führe, da die Ausübung dieses Verweisungsberufes

einen Berufsschutz nach § 273 ASVG begründe (10 ObS 178/94 = SSV-NF

8/75, 10 ObS 2088/96y = SSV-NF 10/58). Darüber hinaus wird in der

Rechtsprechung auch eine Verweisung auf solche

Angestelltentätigkeiten, die als „qualifizierte Teiltätigkeiten"

eines erlernten oder angelernten Arbeiterberufes angesehen werden

könne, grundsätzlich für zulässig erachtet. So wurde etwa die

Verweisbarkeit eines Tischlers auf Wohn- und Verkaufsberater in

Einrichtungshäusern, eines Maurers auf den Beruf eines

Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers, eines Malers- und Anstreichers

auf den Beruf eines Fachberaters in einem Baumarkt, eines Karosseurs

auf die Tätigkeit eines Kundendienstberaters oder auch eines

Installateurs auf die Tätigkeit eines Fachberaters (Verkaufsberaters)

für den Installationsbedarf in Groß- und Baumärkten ausdrücklich

bejaht (siehe dazu die Judikaturnachweise in 10 ObS 263/01a = SSV-NF

15/107). Begründet wurde dies damit, dass der Wechsel eines

qualifizierten Facharbeiters in eine Angestelltentätigkeit zu keinem

Verlust des Berufsschutzes führe, wenn eine entsprechende

Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf bestehe (10 ObS 263/01a =

SSV-NF 15/107 ua).

Soweit der Kläger in seinen Revisionsausführungen nunmehr geltend macht, es müsse im Rahmen der nach § 273 ASVG zu beurteilenden Frage seiner Verweisbarkeit auch auf seine erlernte und ausgeübte Tätigkeit als Fleischer Bedacht genommen werden, weil die dabei erworbenen Kenntnisse für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Angestellter im Außendienst von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, ist ihm entgegen zu halten, dass nach den dargelegten Grundsätzen für die Frage der Verweisbarkeit nach § 273 ASVG die von ihm zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte kaufmännische Angestelltentätigkeit maßgebend ist und für die Beurteilung in dieser Frage seine Arbeitertätigkeit als Fleischer außer Betracht zu bleiben hat (vgl 10 ObS 216/01i = ARD 5295/26/2002). Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein einmal erworbener Berufsschutz durch die Aufgabe der bisherigen Tätigkeit und Ausübung anderer Tätigkeiten auch wieder verloren gehen kann und der Kläger durch die Ausübung seiner kaufmännischen Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter einen eigenen und von einer anderen erlernten oder angelernten Tätigkeit unabhängigen Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG erworben hat (vgl 10 ObS 79/01t = ARD 5277/8/2002). Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Kläger könne noch auf die erwähnten kaufmännischen Tätigkeiten im Innendienst verwiesen werden, weshalb er nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG sei, ist aus den angeführten Gründen zutreffend. Somit muss der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht.

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