Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 5.2.1959 geborene Kläger hat den Beruf des Tischlers erlernt und auch als Tischlergeselle bei verschiedenen Unternehmen bis 31.10.1992 ausgeübt. Nach dem medizinischen Leistungskalkül kann er leichte und mittelschwerde Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen durchführen; ausgeschlossen sind Arbeiten, die ein ständiges Bücken erfordern, Arbeiten in Kälte, Staub und/oder unter Abgasen sowie unter extremer Nässeexposition sind nicht möglich. Ausgeschlossen sind weiters Arbeiten unter Einfluß von bronchialschleimhautreizenden Dämpfen und Gasen, weshalb insbesondere ein Arbeiten unter Lackdämpfen ausgeschlossen ist. Auch bei Arbeiten unter Holzstaub kann es zu Beschwerden kommen, insbesondere auch dann, wenn das Wetter nebelig ist oder wenn extreme Kälte herrscht. Die Einordenbarkeit im Fabriksmilieu, Akkord- und Fließbandtätigkeiten sowie Arbeiten unter jedem Zeitdruck sind dem Kläger zumutbar. Der Anmarschweg ist nicht eingeschränkt.
Mit der gegen den ablehnenden Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 14.5.1993 gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der Invaliditätspension ab 1.3.1993. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen könne er seinen Beruf nicht weiter ausüben.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger ab 1.3.1993 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und eine vorläufige Leistung im Ausmaß von S 7.000,-- monatlich zu erbringen. "Aus berufskundlicher Sicht" ergebe sich, daß eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers nicht mehr in der Lage sei, den Beruf Tischler in seiner Gesamtheit oder in Teilbereichen auszuüben. Es bestehe auch keine Möglichkeit der Verweisung in einen Beruf, in denen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten des Berufes Tischler anwendbar wären. Eine Verweisung des Klägers in einen Baumarkt sei einerseits deshalb nicht möglich, da es sich vorwiegend um eine kaufmännische Tätigkeit handeln würde, er aber andererseits auch dort in einer Holzabteilung arbeiten müßte und damit wieder gesundheitliche Schwierigkeiten auftreten würden. Eine Verweisung auf Wohnberater sei deshalb nicht möglich, weil dies zu einem Verlust des Berufsschutzes führen würde. Bei diesem Beruf handle es sich um eine Verkaufstätigkeit mit Beratungsfunktion und sei dabei auch ein kaufmännischer Bereich enthalten. Daraus folge, daß der Kläger den Beruf des Tischler aufgrund des medizinischen Leistungskalküls nicht mehr ausüben könne, weil es zu einer Belastung durch Staub und atemreizenden Noxen käme. Es gebe auch keine Verweisungsberufe, die eine berufschutzerhaltende Tätigkeit als Tischler gewährleisten würden und andererseits dem Kläger weiterhin zumutbar wären.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und unbedenklicher Beweiswürdigung und teilte auch die Auffassung des Erstgerichtes, daß sich der Kläger nicht auf die kaufmännische Tätigkeit eines Wohnberaters (im Berufungsurteil offenbar unrichtig "Wohnbauberaters") verweisen lassen müsse.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens oder Aufhebung und Zurückverweisung an die unteren Instanzen.
Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist im Sinne ihres Aufhebungsantrages berechtigt.
Unbestritten ist, daß der Kläger Berufsschutz als Tischler im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG genießt. Aus den Feststellungen ergibt sich, daß er im Hinblick auf das erhobene Leistungskalkül diesen Beruf oder verwandte handwerkliche Berufe nicht mehr ausüben kann. Strittig ist im Revisionsverfahren, ob er im Rahmen dieses Berufsschutzes auf die Tätigkeit eines Wohnberaters verwiesen werden kann. Der Senat hat bereits in dem zu SSV-NF 7/6 entschiedenen Fall ausgesprochen, daß von einem bisher als Facharbeiter (angelernter Handwerker) manuell tätigen Versicherten gefordert werden könne, sich einfache kaufmännische Fähigkeiten anzueignen, um in dem von ihm erlernten Beruf (eines Tischlers) als Verkaufsberater tätig zu sein, sofern bei dieser Tätigkeit eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht. Grundsätzlich ist auch von einem Facharbeiter, der über alle Kenntnisse und Fähigkeiten im erlernten Beruf verfügt, zu verlangen, daß er sich einer Nachschulung zum Erwerb von Spezialkenntnissen in diesem erlernten Beruf unterzieht, wenn er diesen nur mehr in der spezialisierten Form ausüben kann. Auch dann hält sich nämlich die in Frage kommende Tätigkeit im Rahmen des erlernten Berufes; dieser wird aufgrund der Nachschulung in einer qualifizierteren Form ausgeübt. Wird allerdings durch die Schulung der Bereich des erlernten Berufes verlassen und steht der Beruf, zu dessen Ausübung die Schulung erfolgt, mit dem erlernten Beruf in keinem unmittelbaren Zusammenhang, so würde eine Verweisung auf diesen Beruf den Grundsätzen des Berufsschutzes widersprechen. Der Versicherte wäre in diesem Fall nicht gehalten, sich einer solchen Schulung zu unterziehen; er könnte auf den Beruf, auf den die Schulung vorbereitet, nicht verwiesen werden (SSV-NF 8/75 - Konstrukteur; SSV-NF 7/6 - Verkaufsberater oder Vertreter in Einrichtungshäusern; SSV-NF 8/84 - Kundendienstbetreuer).
Für die Beurteilung der Frage, ob sich der Kläger auf den Beruf eines Wohnberaters (Verkaufsberaters) für Tischlereierzeugnisse in Einrichtungshäusern udgl verweisen lassen muß und gehalten ist, sich zuvor einer entsprechenden (kaufmännischen) Ausbildung zu unterziehen, fehlen die erforderlichen Feststellungen. Insbesondere bedarf es zur Beurteilung, ob ein wegen seines Fachwissens als "Wohnberater" eingesetzter Tischler noch qualifizierte Teiltätigkeiten seines erlernten oder angelernten Berufes ausübt, genauer Feststellungen über die von einem solchen Wohnberater (Verkaufsberater) zu verrichtenden Tätigkeiten, die dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten Berufes sowie über die zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, hinsichtlich deren auch die Umstände, unter denen sie erworben werden können, geklärt werden müssen. Erforderlich ist dazu die genaue Feststellung des Berufsbildes eines solchen "Wohnberaters" in seinen besonderen Ausformungen, der Ausbildungsgang und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Ausübung dieses Berufes erforderlich sind. Auch eine allfällige Zusatzausbildung wäre vom Kläger zu verlangen. Im Hinblick auf sein Alter von nur 34 Jahren am Stichtag hat er noch einen wesentlichen Teil seines Berufslebens vor sich; im Hinblick darauf kann von ihm umsomehr gefordert werden, sich einer zeitlich nicht sehr umfänglichen Nachschulung zu unterziehen, um in einer spezialisierten Form seines erlernten Berufes weiter tätig zu sein.
Daß der Kläger im Falle der Ausübung des Verweisungsberufes als Angestellter tätig wäre, stellte - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - kein Hindernis für eine Verweisung dar. Ganz allgemein führt der berufliche Aufstieg von gelernten Arbeitern, insbesondere wenn sie hochqualifiziert sind wie der Kläger, dazu, daß sie in Angestelltenpositionen gelangen. Auch bezüglich des Berufsschutzes wäre für den Kläger mit der Ausübung des Verweisungsberufes kein Nachteil verbunden, weil er damit in den Genuß des Berufsschutzes gemäß § 273 Abs 1 ASVG käme (SSV-NF 8/75 mwN).
Mangels Offenkundigkeit wird schließlich auch die Zahl der auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze in der für den Kläger konkret in Frage kommenden Sparte des Wohnberaters (Verkaufsberaters) wenigstens näherungsweise festzustellen sein.
Da sohin für die abschließende Beurteilung wesentliche Fragen bisher ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens in diesen Punkten aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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