OGH 10ObS178/94

OGH10ObS178/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Joachim N*****, Werkzeugmacher, ***** vertreten durch Dr.Günther Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeiststraße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Mai 1994, GZ 32 Rs 48/94-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.Jänner 1994, GZ 16 Cgs 1098/93m-40 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 16.12.1959 geborene Kläger hat nach Besuch der Pflichtschule den Beruf eines Werkzeugmachers erlernt und war in der Folge in diesem Beruf tätig. Seit 1.3.1988 ist er bei einem einschlägigen Unternehmen als Servicetechniker beschäftigt. Bei einem Verkehrsunfall im Juli 1991 wurde der Kläger schwer verletzt. Als Folge dieser Verletzungen ist er nur mehr in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten zu verrichten, wobei aber 2/3 der Arbeitszeit im Sitzen zugebracht werden muß. Während der restlichen Arbeitszeit kann der Kläger im Gehen oder Stehen arbeiten, doch muß mindestens nach einer Stunde im Gehen oder Stehen verrichteter Arbeit die Möglichkeit gegeben sein, mindestens 30 Minuten im Sitzen zu arbeiten. Arbeiten, die ein feines Hörvermögen links oder Riechvermögen erfordern, sind nicht möglich. Der Kläger kann nicht an Lärmarbeitsplätzen arbeiten. Zufolge dieser Einschränkungen kann der Kläger den Beruf eines Werkzeugmachers, auch als Servicetechniker nicht mehr ausüben, weil die Anforderungen das medizinische Leistungskalkül übersteigen. Der Kläger kann auch nicht in den verwandten Berufen eines Elektromechanikers, Feinmechanikers oder Mechanikers eingesetzt werden. Er wäre nur mehr in der Lage, als Konstrukteur zu arbeiten. Dabei handelt es sich um eine an einem Bildschirm sitzend zu verrichtende Tätigkeit. Der Kläger kann sich aufgrund seiner Ausbildung und Fortbildung die für die Tätigkeit eines Konstrukteurs erforderlichen Kenntnisse durch eine Zusatzausbildung aneignen. Diese Ausbildung dauert 22 Wochen bzw, wenn sie an einem Wirtschaftsförderungsinstitut absolviert wird, 45 Halbtage. Der Kläger könnte nach Absolvierung dieser Ausbildung ein höheres Gehalt beziehen als jetzt als Servicetechniker.

Mit der gegen den ablehnenden Bescheid der beklagten Partei vom 4.8.1992 gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab Antragstag. Zufolge der nach dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen sei er nicht mehr in der Lage seinen Beruf weiter auszuüben.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger könne auf den Beruf eines Konstrukteurs verwiesen werden, der nur eine kurze Zusatzausbildung erfordere und ihm auch bessere Einkommensmöglichkeiten biete.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Von einem Versicherten könne verlangt werden, daß er sich einer relativ kurz dauernden Nachschulung unterziehe. Bei der Ausbildung zum Konstrukteur handle es sich nicht um eine Umschulung, weil es sich sowohl bei dem vom Kläger erlernten Beruf, wie auch beim Konstrukteur um ihrem Wesen nach technische Berufe handle und der Beruf des Konstrukteurs dem Kläger die Möglichkeit biete, einen Großteil seiner Tätigkeit im Sitzen vor dem Computer auszuüben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Begehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, daß der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 zu beurteilen ist (SSV-NF 5/40 mwN ua). Hier steht fest, daß der Kläger als Werkzeugmacher tätig war und damit einen Arbeiterberuf ausübte. Als Servicetechniker besteht seine Tätigkeit zwar in der Wartung und Instandhaltung von hochtechnisierten Maschinen, doch handelt es sich dabei weder um eine kaufmännische noch eine höhere nichtkaufmännische Tätigkeit. Ungeachtet der Versicherung bei der beklagten Partei ist daher für die Beurteilung des erhobenen Anspruches die Bestimmung des § 255 ASVG heranzuziehen. Ausgehend von dem Sachverhalt, den die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrundelegten, genießt der Kläger Berufsschutz als Werkzeugmacher im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG. Aus den Feststellungen ergibt sich auch, daß er im Hinblick auf das erhobene Leistungskalkül diesen Beruf oder verwandte handwerkliche Berufe nicht mehr ausüben kann.

Strittig ist im Revisionsverfahren, ob der Kläger im Rahmen dieses Berufsschutzes auf die Tätigkeit eines Konstrukteurs verwiesen werden kann.

Gemäß § 255 Abs 1 ASVG gilt ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten (angelernten) Beruf tätig war, dann als invalide, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Vergleichsgrößen sind daher auf der einen Seite die verbliebene Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Feststellung und auf der anderen Seite die Arbeitsfähigkeit eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung, gleichwertigen Kenntissen und Fähigkeiten. Durch die Voraussetzung, die die (fiktive) Vergleichsperson erfüllen muß (ähnliche Ausbildung, gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten) wird die Vergleichsbasis stark eingeschränkt, dh eine Beschäftigung, die dem Versicherten noch zugemutet werden kann, wird nur in jenem Bereich liegen können, der der bisherigen Beschäftigung des Versicherten vom Standpunkt der Ausbildung und der Aufgabenstellung gleichkommt (Teschner in Tomandl, SV-System, 7.ErgLfg 370). In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der auch in der Revision zitierten Entscheidung SSV-NF 2/122 ausgesprochen, daß einem überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten nicht zugemutet werden könne, sich wesentlich neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, wenn es sich dabei um Kenntnisse und Fähigkeiten in einem wegen unähnlicher Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fremden Beruf handelt; in diesem Fall würde es sich nämlich um die Ausbildung für einen neuen Beruf, also um eine Umschulung im Sinne des § 19 Abs 1 lit b zweiter Fall AMFG handeln. Gehe es hingegen bloß um eine Nachschulung im Sinne des § 19 Abs 1 lit b dritter Fall AMFG, so bezögen sich ihre Maßnahmen immer auf die Weiterentwicklung der im bisherigen Beruf erworbenen, also nicht auf den Erwerb völlig neuer Kenntnisse und Fähigkeiten; es handelte sich dann um die Auffrischung oder Ergänzung der aufgrund der Ausbildung und Ausübung im bisherigen Beruf erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten und damit um die Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Vervollkommnung der Fachkenntnisse, durch Anpassung an veränderte berufliche Anforderungen, insbesondere an neue Arbeitsmethoden, Werkstoffe, Verfahrensmethoden, Apparate und Werkstoffe (SSV-NF 2/122 mwN). Der erkennende Senat gelangte ausgehend von diesen Grundsätzen zu dem Ergebnis, daß einem Versicherten wohl eine Nachschulung, nicht jedoch eine Umschulung zumutbar sei. Wohl wurde dabei ausgesprochen, daß es sich bei der Nachschulung nur um die Hebung des Standards auf das Niveau handle, das bei Versicherten, die im selben erlernten oder angelernten Beruf tätig sind und ihre Fachkenntnisse an die sich ändernden Berufsanforderungen angepaßt haben, vorhanden sein müssen und auf dem Arbeitsmarkt von solchen Facharbeitern üblicherweise verlangt werden. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch auf den dort zu beurteilenden Fall, in dem der Kläger, der keinen Beruf erlernt hatte, den Berufsschutz für einen Beruf beanspruchte, dessen Anlernung er behauptete, wobei er jedoch nicht über alle Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte, die ein gelernter Facharbeiter in diesem Beruf mitbringt. In dem zu SSV-NF 7/6 entschiedenen Fall wurde ausgesprochen, daß von einem bisher als angelernter Handwerker manuell tätigen Versicherten gefordert werden könne, daß er sich einfache kaufmännische Fähigkeiten aneignet, um in dem von ihm erlernten Beruf als Verkaufsberater tätig zu sein, sofern bei dieser Tätigkeit eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht.

Grundsätzlich ist auch von einem Facharbeiter, der über alle Kenntnisse und Fähigkeiten in dem erlernten Beruf verfügt, zu verlangen, daß er sich einer Nachschulung zum Erwerb von Spezialkenntnissen in diesem erlernten Beruf unterzieht, wenn er diesen nur mehr in der spezialisierten Form ausüben kann. Auch dann hält sich nämlich die in Frage kommende Tätigkeit im Rahmen des erlernten Berufes; dieser wird aufgrund der Nachschulung in einer qualifizierteren Form ausgeübt. Wird jedoch durch die Schulung der Bereich des erlernten Berufes verlassen und steht der Beruf, zu dessen Ausübung die Schulung erfolgt, mit dem erlernten Beruf in keinem unmittelbaren Zusammenhang, so würde eine Verweisung auf diesen Beruf den Grundsätzen des Berufsschutzes widersprechen. Der Versicherte wäre in diesem Fall nicht gehalten, sich einer solchen Schulung zu unterziehen; er könnte auf den Beruf, auf den die Schulung vorbereitet, nicht verwiesen werden.

Für die Beurteilung der Frage, ob sich der Kläger auf den Beruf eines Konstrukteurs verweisen lassen muß und gehalten ist, sich zuvor einer entsprechenden Ausbildung zu unterziehen, fehlen die erforderlichen Feststellungen. Vorerst ist darauf zu verweisen, daß mit der Bezeichnung "Konstrukteur" kein seinem Inhalt nach fest umrissener Beruf bezeichnet wird, zumal Konstrukteure in verschiedensten technischen Bereichen eingesetzt werden und dementsprechend auch Tätigkeiten verrichten, die unterschiedliche Anforderungen stellen. Wesentlich ist, ob es in diesem Beruf Sparten gibt, die Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, über die der Kläger als gelernter Werkzeugmacher verfügt. Erforderlich ist dazu eine genaue Feststellung des Berufsbildes eines solchen Konstrukteurs in seinen besonderen Ausformungen, der regelmäßige Ausbildungsgang und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Ausübung dieses Berufes erforderlich sind. Es ist insbesondere nicht klar, ob es sich dabei um eine Tätigkeit handelt, die in einer besonderen Sparte (etwa Konstruktion von Werkzeugmaschinen) nur eine Weiterentwicklung der als Werkzeugmacher erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und damit eine Aufstiegsposition für einen gelernten Werkzeugmacher darstellt. Dafür könnte die verhältnismäßig kurze Dauer der Zusatzausbildung (in einem Ausbildungsgang nur 45 Halbtage) spontan. Sollte dies der Fall sein, so wäre vom Kläger zu verlangen, daß er sich der Zusatzausbildung unterzieht, um dann als Konstrukteur tätig zu sein. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Alter noch einen wesentlichen Teil seines Berufslebens vor sich. Im Hinblick darauf kann von ihm umsomehr gefordert werden, sich einer zeitlich nicht sehr umfänglichen Nachschulung zu unterziehen, um in einer spezialisierten Form seines erlernten Berufes weiter tätig zu sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß nach den Ergebnissen des Verfahrens ein wesentlicher Teil der Ausbildung zum Konstrukteur in der Vermittlung von Kenntnissen über das CAD-Computersystem besteht und der Kläger nach seinen Angaben im Verfahren eine Schulung in diesem System bereits absolviert hat, der Umgang mit diesem Programm sohin Teil der von ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ist.

Sollte dies nicht in dieser Form zutreffen, so wird genau zu klären sein, welche Kenntnisse und Fähigkeiten, über die ein Werkzeugmacher verfügt - wobei auch die vom Kläger bereits absolvierte Zusatzausbildung in Betracht zu ziehen ist -, für die Tätigkeit eines Konstrukteurs in anderen Sparten verwendet werden können. Erst dann kann beurteilt werden, in welchen Bereichen die beiden Berufe so weit verwandt sind, daß eine Verweisung des Klägers auf diese Tätigkeit unter Berücksichtigung des § 255 Abs 1 ASVG zulässig ist.

Daß der Kläger im Falle der Ausübung des Verweisungsberufes als Angestellter tätig wäre, stünde der Verweisung nicht entgegen. Abgesehen davon, daß er auch jetzt (ex contractu) in einem Angestelltendienstverhältnis steht, führt der berufliche Aufstieg von gelernten Arbeitern, insbesondere wenn diese hochqualifiziert sind wie der Kläger, dazu, daß diese in Angestellenpositionen gelangen (etwa Handwerker, die mit der Leitung einer, wenn auch nur kleinen Werkstätte betraut sind Arb 8300; Leiter einer Autoreparaturwerkstätte Arb 5629; Werkmeister Arb 3878; Maschinenschlosser, dem die weitgehende Kontrolle der Arbeitsvorgänge zukommt ARD 3560/41/84 ua). Auch bezüglich des Berufsschutzes wäre für den Kläger mit der Ausübung des Verweisungsberufes kein Nachteil verbunden, weil er damit in den Genuß des Berufsschutzes gemäß § 273 Abs 1 ASVG käme.

Zur Dauer der Zusatzausbildung wurde festgestellt, daß diese einen Zeitraum von 22 Wochen oder 45 Halbtagen erfordert. Dies erscheint vorerst widersprüchlich, entspricht doch der Zeitraum von 22 Wochen (mangels entsprechender Einschränkung offenbar ganztägiger) Schulung dem vierfachen der anderen Ausbildungsvariante, die nur 45 Halbtage umfaßt. Ob es sich hiebei um zwei Ausbildungen mit identem Ausbildungsziel handelt, ist ebenso klärungsbedürftig wie die Frage, wie lange die Ausbildung insgesamt dauert. Die Revision verweist zutreffend darauf, daß der berufskundliche Sachverständige die Gesamtdauer der Ausbildung mit einem halben Jahr bis zu einem Jahr genannt hat. Feststellungen hiezu fehlen. Daß die Ausbildung mit einer Prüfung abschließt, in der die durch die Nachschulung erworbenen Kenntnisse nachzuweisen sind, würde unter den oben genannten Voraussetzungen die Verweisung auf die Tätigkeit eines Konstrukteurs nicht grundsätzlich ausschließen. Zu klären wird allerdings sein, welchen Inhalt diese Prüfung hat und wie weit dabei Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, über die der Kläger bereits verfügt. Weiters wird die Zahl der Arbeitsplätze in den nach den obigen Ausführungen für den Kläger konkret in Frage kommenden Sparten des Konstrukteurberufes festzustellen sein.

Da sohin für die abschließende Beurteilung wesentliche Fragen bisher ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens in diesen Punkten aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO iVm § 2 ASGG.

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