OGH 1Ob3/06g

OGH1Ob3/06g4.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch Mag. Thomas Stenitzer und Mag. Kurt Schick, Rechtsanwälte in Mistelbach, wider die beklagte Partei Karl B*****, vertreten durch Dr. Michael Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, wegen Unterhalt (Streitwert 22.752 EUR), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 15. September 2005, GZ 25 R 103/05g-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Laa an der Thaya vom 10. Jänner 2005, GZ 3 C 3/04b-28, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach

Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile waren seit 1950 miteinander verheiratet. Ihre Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Poysdorf vom 12. 7. 2002 (rechtskräftig seit 8. 3. 2003) aus dem Alleinverschulden des Beklagten gemäß § 49 EheG geschieden. Während der Ehe war der Beklagte berufstätig, die Klägerin hingegen nicht. Die Streitteile sind je zur Hälfte Eigentümer jenes Hauses samt dazugehörigem Grundstück, welches als gemeinsame Ehewohnung diente und nunmehr von der Klägerin allein bewohnt wird. Bereits 1994 brachte die Klägerin gegen den Beklagten eine Unterhaltsklage ein. Dieses Verfahren endete am 30. 1. 1995 durch Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, in welchem sich der Beklagte zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen in Höhe von 8.000 ATS sowie zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands verpflichtete. Laut Punkt 5 dieses Vergleichs sollte jeder Teil die Kosten der Haushaltsführung „für sich selbst" tragen. Eine sogenannte „Umstandsklausel" oder eine Widerrufsmöglichkeit war im Vergleich nicht vorgesehen. Das monatliche Pensionseinkommen des Beklagten betrug im Jahr 2003 durchschnittlich 1.916,65 EUR netto. Seit Abschluss des Unterhaltsvergleichs leistete er der Klägerin monatliche Unterhaltsbeiträge, seit März 2003 in Höhe von höchstens EUR 579,38; darüber hinaus zahlte er die Betriebskosten und Abgaben für das nunmehr von der Klägerin allein bewohnte Haus. Die Klägerin bezieht aus der Verpachtung zweier Grundstücke Einkünfte von EUR 88 jährlich. Im Jahr 2001 verkaufte sie einen ihrer Äcker um (umgerechnet) 3.633,64 EUR. Weitere (regelmäßige) Einkünfte erzielt sie nicht. Von den an die Klägerin zu leistenden Unterhaltsbeträgen (581,38 EUR monatlich) brachte der Beklagte im Mai 2003 5,32 EUR für Grundsteuer und im Juni 2003 141,62 EUR für Gemeindeabgaben in Abzug. Des weiteren zog er zumindest seit März 2003 monatlich zwei Euro an Überweisungsspesen sowie weitere Beträge aus diversen Gründen ab. Alle diese Abzüge erfolgten ohne Einvernehmen mit der Klägerin. Die Klägerin begehrte ab 1. 12. 2004 monatlichen Unterhalt von 632 EUR sowie 1.977,41 EUR an Unterhaltsrückstand für den Zeitraum 2003 bis Ende Oktober 2004. Der Unterhaltsanspruch in dieser Höhe ergebe sich aus dem Pensionseinkommen des Beklagten. Sie benötige „für die Pensionsversicherung" nunmehr einen „ausdrücklichen Unterhaltstitel". Die Abzüge seien zu Unrecht vorgenommen worden.

Der Beklagte wendete ein, der gerichtliche Unterhaltsvergleich sei weiterhin aufrecht, weil der Wille der Parteien auch auf dessen Geltung nach einer Scheidung gerichtet gewesen sei. Laut diesem Vergleich sei die Klägerin verpflichtet, Strom, Feuerversicherung, Rauchfangkehrergebühren, Gemeindeabgaben und Brennstoffe für die vormalige Ehewohnung zur Hälfte zu tragen, welcher Verpflichtung sie aber nicht nachgekommen sei. Zudem erbringe sie keine Gegenleistung dafür, dass sie das in seinem Hälfteeigentum stehende Haus nunmehr allein bewohne. Hiedurch leiste er Naturalunterhalt. Die Abzüge habe er unter anderem deshalb vorgenommen, weil die Klägerin entgegen der Vereinbarung Aufwendungen für das Haus nicht beglichen habe. Er sei seit 1995 seinen Unterhaltsverpflichtungen immer ordnungsgemäß nachgekommen.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 1.911,29 EUR an Unterhaltsrückstand sowie ab 1. 12. 2004 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 632 EUR jeweils bis zum 5. eines jeden Monats im Vorhinein zu leisten. Das Mehrbegehren auf Zahlung eines Unterhaltsrückstandes von 66,12 EUR wurde - unangefochten - abgewiesen. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, der Unterhaltsvergleich sei mit Wirksamkeit der Scheidung außer Kraft getreten. Der Vergleich biete keine Anhaltspunkte dafür, die Streitteile hätten ihn im Hinblick auf eine Scheidung abgeschlossen, weswegen er nicht über die Scheidung hinaus aufrecht bleibe. Die Klägerin habe gemäß § 66 EheG Anspruch auf Unterhalt, dessen Höhe mit 33 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Beklagten festzusetzen sei. Ihre Pachteinkünfte seien wegen Unerheblichkeit nicht zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Existenzminimumverordnung 2003, nach der das kleinstmögliche Existenzminimum bei 634 EUR im Monat liege, müsse der eingeklagte Unterhaltsbetrag der Klägerin vollständig zur Aufrechterhaltung ihrer standesgemäßen Lebensführung verbleiben. Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, einseitig Beträge von seinen Unterhaltszahlungen abzuziehen. Er dürfe auch seine Leistungen in Form von Naturalunterhalt nicht aufrechnen. Zudem sei nach Scheidung ein Unterhaltsanspruch ausschließlich in Geld zu erfüllen, sodass für Naturalunterhalt kein Raum bleibe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache und gab der Berufung lediglich im Kostenpunkt Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Da die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden worden sei, komme eine Weitergeltung des Titels über den ehelichen Unterhalt über die Rechtskraft der Scheidung hinaus nicht in Betracht. Der zugesprochene Unterhaltsbeitrag liege selbst unter Berücksichtigung der Pachteinnahmen der Klägerin noch immer unter dem Existenzminimum. Im Hinblick auf die Höhe des ihr zuerkannten Unterhalts könnten allfällige Naturalleistungen, die der Beklagte überdies im Detail nicht beziffert habe, den Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht weiter vermindern.

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, soweit es von davon ausgeht, der Unterhaltsvergleich sei nach der Scheidung nicht mehr wirksam: Nach ständiger Rechtsprechung wird ein während der Ehe geschlossener Unterhaltsvergleich durch die Scheidung unwirksam, es sei denn, dass sich die Abmachung auch auf die Zeit nach der schon in Aussicht gestandenen Scheidung bezieht oder der Fall einer Scheidung nach § 55 EheG mit Verschuldensausspruch gemäß § 61 Abs 3 EheG vorliegt (Zankl in Schwimann, ABGB3, § 66 EheG Rz 5; SSV-NF 3/83; EvBl 1987/18; SZ 55/74; 8 Ob 503/95; 3 Ob 2307/96b). Beide Voraussetzungen treffen hier nicht zu: Die Auslegung des 1995 abgeschlossenen Unterhaltsvergleichs, der Wille der Streitparteien sei nicht darauf gerichtet gewesen, eine Regelung auch für den Zeitraum nach einer etwaigen Scheidung zu treffen, stellt ein korrektes Auslegungsergebnis dar, dass auf keiner wesentlichen Verkennung der Rechtslage beruht (RIS-Justiz RS0113785). Fest steht, dass die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten gemäß § 49 EheG erfolgt ist. In einem solchen Fall tritt der während aufrechter Ehe geschaffene Unterhaltstitel auch gegenüber dem schuldlos geschiedenen Ehegatten mit Wirksamkeit der Scheidung außer Kraft (3 Ob 2307/96b). Die Revisionsausführungen, der Unterhaltsvergleich bleibe im Falle einer Scheidung nach § 55 EheG mit Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG wirksam, treffen somit hier nicht zu.

Die Vorinstanzen haben im Einklang mit der Rechtsprechung die Unterhaltshöhe unter Anwendung einer Prozentquote von 33 % des Nettoeinkommens des Beklagten errechnet (siehe Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3 171). Dies entspricht den allgemein üblichen Sätzen. Wenngleich dieser Prozentsatz keine starre Regel bildet, ist dem Revisionsvorbringen nicht zu folgen, wenn es die Unterhaltshöhe in Zusammenhang mit dem vor der Scheidung abgeschlossenen Unterhaltsvergleich bringt. Nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen ein während aufrechter Ehe geschlossener und mit Rechtskraft der Scheidung unwirksam gewordener Unterhaltsvergleich ein Kriterium zur Bestimmung der Höhe des angemessenen Unterhalts im Sinne des § 66 EheG sein könnte und zur Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs des schuldlos geschiedenen Teils führen sollte. Die während aufrechter Ehe getroffene vertragliche Unterhaltsregelung umgrenzt somit nicht die „angemessene Lebensführung" und stellt keine Höchstgrenze des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs nach § 66 EheG dar. Auch die Pachteinkünfte von insgesamt 88 EUR pro Jahr vermindern den Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht. Unterhaltsansprüche nach § 66 EheG bestehen, sofern die Erträgnisse aus Vermögen oder aus einer zumutbaren Berufstätigkeit nicht ausreichen. Ganz geringe Erträgnisse des Vermögens - wie sie die Pachteinkünfte von insgesamt 88 EUR pro Jahr darstellen - können außer Betracht bleiben (Zankl aaO § 66 EheG Rz 27 mwN). Der beim Verkauf von Liegenschaften angebliche erzielte Kaufpreis ist teils deshalb irrelevant, weil „Einkünfte aus Veräußerungen" erstmals in der Revision behauptet werden und dies daher dem Neuerungsverbot unterliegt. Der nach den Feststellungen im Jänner 2001 vereinnahmte Kaufpreis von 3.633,64 EUR stellt zwar zu berücksichtigendes Vermögen der Klägerin dar, das aber für die Zeit ab 1. 3. 2003 - auf diesen Zeitraum bezieht sich der Unterhaltsprozess - nicht mehr relevant ist, weil dieses Vermögen im Laufe von 26 Monaten bereits verbraucht werden durfte. Die Revision ist jedoch deshalb berechtigt, da Feststellungen zur Höhe jener (Betriebs)Kosten fehlen, die der Beklagte für das von der Klägerin allein bewohnte Haus geleistet hat. Grundsätzlich sind zwar gemischte Unterhaltsleistungen, also Geld- und Naturalleistungen, dann unzulässig, wenn eine Verpflichtung zur Leistung von Geldunterhalt besteht (RIS-Justiz RS0047454, RS0107507, RS0047460). Aufwendungen, um die vom Unterhaltsberechtigten benützte Wohnung in benützungsfähigem Zustand zu erhalten (Strom, Heizung, Reparaturen, Betriebskosten udgl), stellen aber anrechenbaren Naturalunterhalt dar. Insoweit ist auch gemischter Unterhalt, bestehend aus Natural- und Geldleistung, jedenfalls dann zulässig, wenn der Naturalunterhalt in der Beistellung der Wohnung liegt (1 Ob 519/93) und das Verbleiben in der Wohnung bzw dem Haus - wie hier - einer zumindest schlüssigen Vereinbarung der Ehegatten entspricht (2 Ob 264/04v). Dem Revisionsvorbringen, die Zahlung der Betriebskosten und Abgaben durch den Beklagten sei entsprechend zu berücksichtigen und wirke sich (zumindest) auf einen allfälligen Rückstand vermindernd aus, kommt somit Berechtigung zu. Dass die Zahlung der Betriebskosten und Abgaben durch den Beklagten den Unterhaltsanspruch der Klägerin mindern kann, findet seine Begründung freilich allein darin, dass es sich um anrechenbaren Naturalunterhalt handelt. Auf den mit Rechtskraft der Scheidung unwirksam gewordenen Unterhaltsvergleich kann sich der Beklagte in diesem Zusammenhang nicht mehr berufen. Da Verfahrensgegenstand die Bemessung des Unterhalts ist, stellt sich die Frage der Aufrechnung gegen den der Exekution entzogenen Teil einer Forderung nach § 293 EO jedenfalls insoweit nicht, als der Beklagte durch Zahlung einzelner Beträge Naturalunterhalt leistete. Bei der Bemessung des Unterhalts ist dem Existenzminimum nur insoweit Bedeutung zuzumessen, als zu dessen Sicherung im Einzelfall ausnahmsweise eine Erhöhung der - jeweils nur eine Orientierungshilfe darstellenden - Prozentquote in Frage kommen kann; dies etwa dann, wenn der so errechnete Unterhaltsbeitrag allzu weit unter dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen liegt ( 3 Ob 1520/91).

Infolge Fehlens von Feststellungen zur Höhe jener (Betriebs)Kosten, die der Beklagte im Einverständnis mit der Klägerin für das von ihr nunmehr allein bewohnte Haus geleistet hat bzw leistet und deren Höhe er - allenfalls nach Anleitung durch das Erstgericht - noch darzustellen haben wird, ist die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht unumgänglich.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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