OGH 12Os16/06d

OGH12Os16/06d23.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. März 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Christoph B***** wegen mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 16 Hv 41/05s des Landesgerichtes Krems an der Donau, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 16. Jänner 2006, AZ 18 Bs 7/06w, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dr. Christoph B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Dr. Christoph B***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Schöffengericht vom 30. Juni 2005 (ON 48) mehrerer Verbrechen des in einem Fall in Form des Versuchs (§ 15 StGB) verwirklichten sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) sowie jeweils mehrerer Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB (II) und nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (III) schuldig erkannt. Danach hat er (I) Zwischen November 2003 und Oktober 2004

1) in zumindest zehn Fällen den Penis des am 8. Dezember 1992 geborenen Domenic C***** nachhaltig betastet und

2) am 18. August 2004 dadurch, dass er den Genannten aufforderte, seinen entblößten erigierten Penis anzufassen, versucht, von diesem eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen zu lassen, (II) Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, durch die Übergabe von jeweils rund 50 bis 60 Euro zur Vornahme von geschlechtlichen Handlungen verleitet, nämlich

1) zwischen Februar 2003 und September 2004 in etwa 25 Fällen den am 20. September 1988 geborenen Daniel B***** zu gegenseitigem Hand- und Oralverkehr sowie

2) am 20. Februar 2003 den am 19. August 1988 geborenen Manuel R***** zu einem Handverkehr und

(III) den bestehenden Vorschriften zuwider anderen Haschisch überlassen und damit Minderjährigen den Gebrauch eines Suchtmittels ermöglicht, wobei er selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als diese war, nämlich

1) zwischen dem Jahr 2000 und dem 19. Juni 2001 in zumindest zwei Fällen dem am 20. Juni 1983 geborenen Andreas J***** sowie

2) zwischen dem Jahr 1999 und dem 8. Jänner 2002 in zumindest drei Fällen dem am 9. Jänner 1984 geborenen Alexander H*****. Dieser Schuldspruch erwuchs per Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 22. Dezember 2005, AZ 12 Os 126/05d, in Rechtskraft.

Das Schöffengericht verhängte über Dr. Christoph B***** nach § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine zweijährige Freiheitsstrafe und ordnete gemäß § 21 Abs 2 StGB die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Über die dagegen erhobene Berufung des Angeklagten wurde noch nicht entschieden.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Angeklagten gegen den die Fortsetzung der Untersuchungshaft aussprechenden Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 28. Dezember 2005 nicht Folge und setzte die über diesen am 20. Dezember 2004 verhängte Untersuchungshaft aus den Gründen der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO fort.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde geht fehl. Soweit diese - im Übrigen Teile des Urteilspruchs vom 30. Juni 2005 (ON 48) gänzlich vernachlässigend - aus der Prämisse, der Beschwerdeführer habe Domenic C***** nur zweimal flüchtig am Körper berührt, die Unverhältnismäßigkeit der Haft an sich abzuleiten trachtet, wendet sie sich in unzulässiger Weise gegen den - rechtskräftigen, einen rund einjährigen Zeitraum hindurch zehn intensive sexuelle Übergriffe konstatierenden (US 2, 10 f) - Schuldspruch des Schöffengerichts (I 1).

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Dauer der Untersuchungshaft ist im (auch hier gegebenen) Fall des Vorliegens des Urteils erster Instanz - der Beschwerde zuwider - nach nunmehr seit Jahren gefestigter Judikatur auf das im Ersturteil ausgesprochene Strafmaß abzustellen (RIS-Justiz RS0091237 und RS0108401). Insbesonders haben insoweit Spekulationen über die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln (11 Os 113/97, 15 Os 11/99, 11 Os 71/03) oder über vollzugsrechtliche Fragen (15 Os 160/02, 14 Os 7/03, 11 Os 2/04) zu unterbleiben. Dies gilt auch für Überlegungen zur allfälligen bedingten Entlassung (§§ 46 f StGB), weil diese nach dem Gesetz zahlreiche Entscheidungsgrundlagen voraussetzt (§§ 152, 152a StVG), die im - allein aufgrund der jeweils aktuellen Aktenlage abzuführenden - Verfahren über die Beschwerde gegen einen Beschluss auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht vorliegen (vgl 15 Os 110/00, 13 Os 109/02, 13 Os 160/03, 11 Os 2/04). Demgemäß haben auch die rein spekulativen Beschwerdeerwägungen zur - ua erst nach entsprechender Beobachtung des Verhaltens und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt vorzunehmenden (§ 47 Abs 2 StGB) - allfälligen bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßnahmenvollzug (§ 21 Abs 2 StGB) auf sich zu beruhen. Das Vorbringen zu den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO greift nur ein Element der begründenden Argumentationskette der angefochtenen Entscheidung heraus, die sich diesbezüglich auf das psychiatrische Sachverständigengutachten, die Tatbegehung über einen langen Zeitraum sowie die - schon aus dem rechtskräftigen Schuldspruch an sich folgende - gravierende Persönlichkeitsstörung stützt (BS 4), und nimmt dem Obersten Gerichtshof solcherart die Möglichkeit der inhaltlichen Erwiderung (EvBl 1999/192, zuletzt 12 Os 130/05t, 131/05i).

Mit der Forderung nach Einholung eines weiteren Gutachtens zur Überprüfung der Expertise des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen wendet sich die Beschwerde der Sache nach erneut unzulässig gegen den rechtskräftigen Schuldspruch.

Dr. Christoph B***** wurde somit in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, aus welchem Grund die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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