OGH 11Os2/04 (11Os6/04)

OGH11Os2/04 (11Os6/04)10.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Februar 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian Sch***** und weitere Beschuldigte wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster und vierter Fall und Abs 3 erster und zweiter Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 18 Ur 256/03v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten 1) Christian Sch***** und Andreas F*****, sowie 2) Christian P***** gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht ad 1) vom 20. November 2003, AZ 9 Bs 523 - 526/03, sowie ad 2) vom 27. November 2003, AZ 9 Bs 540, 541/03, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Christian Sch*****, Andreas F***** und Christian P***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Die Beschwerden werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen Christian Sch*****, Andreas F***** und Christian P***** wurde beim Landesgericht für Strafsachen Graz Voruntersuchung wegen des Verdachts der Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster und vierter Fall und Abs 3 erster und zweiter Fall SMG und des Vergehens nach § 27 SMG geführt, am 19. Dezember 2003 wurde deswegen eine Anklageschrift gegen sie eingebracht.

Mit Beschlüssen vom 26. Oktober 2003 wurde über Christian Sch***** und Andreas F*****, mit Beschluss vom 1. November 2003 auch über Christian P***** aus den Haftgründen nach § 180 Abs 2 Z 2 und 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft verhängt und nach Haftverhandlungen am 7. November 2003 (Sch*****, F*****) und 14. November 2003 (P*****) fortgesetzt. Den Beschwerden aller drei Beschuldigten gegen diese Entscheidungen der Untersuchungsrichterin gab das Oberlandesgericht Graz mit den angefochtenen Beschlüssen nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Haften aus den genannten Gründen an. Nach dem Inhalt der Entscheidungen des Gerichtshofs zweiter Instanz richtete sich gegen die Beschuldigten ua der dringende Verdacht, sie hätten von Juli bis zum 24. Oktober 2003 in Röthelstein und Graz gewerbsmäßig und als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, nämlich zumindest 4.750 Gramm Marihuana durch Aufzucht und Abernten von Hanfpflanzen erzeugt und davon rund 3.200 Gramm durch Verkauf in Verkehr gesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Den dagegen gerichteten - von Sch***** und F***** gemeinsam, von P***** gesondert, aber im Wesentlichen inhaltsgleich - ausgeführten Grundrechtsbeschwerden kommt Berechtigung nicht zu. Ihnen zuwider hat das Oberlandesgericht die Annahme der Dringlichkeit des Tatverdachts im dargestellten Umfang - insbesondere gestützt auf die geständige Verantwortung des Beschuldigten F***** vor der Sicherheitsbehörde und dem Untersuchungsrichter - sorgfältig begründet und sich dabei auch mit den Verantwortungen der beiden anderen Beschuldigten hinreichend auseinandergesetzt. Die - Begründungsmängel behauptenden - Beschwerden argumentieren dagegen zum einen mehrfach aktenwidrig (laut S 15, 17 wurden nicht 300, sondern 100 Setzlinge abgestorben sichergestellt; laut S 219 sollen nicht 2000 g, sondern "die restlichen ca. 1500 g bis 2000 g" verbrannt worden sein; laut S 225 habe die Ernte Sch*****s nach dessen Angaben nicht 500 g, sondern insgesamt ca. 1500 g betragen), zum anderen erschöpfen sie sich in einer in diesem Rahmen unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung. Auch mit den Behauptungen, die sichergestellten Hanfpflanzen seien nicht gewogen oder analysiert worden, vermögen die Beschwerden die Dringlichkeit des Tatverdachts in Richtung einer jeweils großen Menge Suchtgifts nicht in Frage zu stellen, genügte doch im konkreten Fall bereits ein THC-Gehalt von knapp 0,5 % bezüglich Erzeugung (von 4.750 g) und von knapp 0,7 % bezüglich Inverkehrsetzen (von 3.200 g Marihuana). Nur im Fall, dass das erzeugte Marihuana von äußerst schlechter Qualität gewesen sei - wofür aber bisher nichts spricht - wäre die große Menge jeweils nicht erreicht (0,25 % bis 8 % - vgl Foregger/Litzka/Matzka, SMG VII Terminologie, 528; 15 Os 134/03).

Die rechtliche Annahme der Gefahr, die Beschuldigten würden auf freiem Fuße ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die ihnen angelasteten strafbaren Handlungen, die ihnen als wiederholt oder fortgesetzt begangene angelastet werden (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO), wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nur dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (14 Os 82/03, 14 Os 138/03, 11 Os 146/03).

Das Gesetz versteht unter dem Begriff der bestimmten Tatsachen des § 179 Abs 4 Z 4 StPO nichts anderes als die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen (hier einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung der Erzeugung oder des Inverkehrsetzens einer großen Menge Suchtgifts) tragenden Gründe - Gründe also, aus denen diese Prognose rechtsfehlerfrei abgeleitet werden konnte. Im Übrigen kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (= bestimmten Tatsachen), welche erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (zuletzt: 14 Os 128/03; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 32, 719 und 410).

Von offenbar unzureichend begründeter Prognose kann jedoch angesichts der vom Oberlandesgericht ins Treffen geführten professionellen, über mehrere Wochen fortgesetzten und gewerbsmäßigen Vorgangsweise nicht die Rede sein. Sowohl die Erzeugung als auch das Inverkehrsetzen einer jeweils großen Menge Suchtgift (hier: Marihuana) stellt jedenfalls zumindest eine Tat mit nicht bloß leichten Folgen dar (vgl 14 Os 146, 147/03).

Ein Eingehen auf die weiteren vom Gerichtshofs zweiter Instanz angenommenen Haftgründe erübrigt sich damit.

Soweit die Beschwerden eine Unverhältnismäßigkeit der - zu den Zeitpunkten der angefochtenen Beschlüsse noch nicht einmal einen Monat währenden - Haften zur Bedeutung der Sache und zu den zu erwartenden Strafen behaupten, argumentieren sie nicht auf Basis der Annahmen zum dringenden Tatverdacht und somit nicht prozessordnungsgemäß, weil sie lediglich von einem Schuldspruch wegen § 27 SMG ausgehen (S 449 f, 461) bzw für F***** behaupten, es liege nur eine Höchststrafdrohung von fünf Jahren vor (S 451). Ob bedingte Strafnachsichten zu erwarten sind, ist für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ohne Bedeutung (15 Os 156/03 ua), ebenso aber auch, ob nach Urteilsrechtskraft die Gewährung eines Strafaufschubs nach § 39 SMG zu erwarten ist (15 Os 160/02).

Mit der - einen Vergleich mit den Folgen des Nikotinsmissbrauchs ziehenden - Kritik am Gesetzgeber wird keine Grundrechtsverletzung dargetan.

Die Behauptung, die in den Haftverhandlungen ergangenen Fortsetzungsbeschlüsse seien nicht gesetzmäßig verkündet worden, orientiert sich nicht an den Gegenteiliges ausweisenden Protokollen (S 302, 332), deren Berichtigung nicht einmal beantragt worden ist. Die Haftverhandlung ist gemäß § 182 Abs 1 StPO nicht (volks-)öffentlich. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Norm liegen nicht vor (vgl 14 Os 146, 147/03).

Mit der Rüge, die Verteidigerin habe bei den Vernehmungen (offenbar gemeint: der Beschuldigten) durch den Untersuchungsrichter nicht dabei sein dürfen, wird keine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit (§ 1 GRBG) geltend gemacht (vgl Hager/Holzweber GRBG § 1 E 2).

Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRGB) abzuweisen war.

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