OGH 14Os138/03

OGH14Os138/0321.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der beim Landesgericht Wiener Neustadt zum AZ 35 Ur 83/03g (vormals 31 Ur 18/02t) anhängigen Strafsache gegen Ljubisa L***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 4. September 2003, AZ 23 Bs 229/03 (ON 73), nach Anhörung des Generalprokurators zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Ljubisa L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 4. September 2003, AZ 23 Bs 229/03, gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde des Ljubisa L***** gegen die vom Untersuchungsrichter beschlossene Fortsetzung der am 9. März 2003 verhängten Untersuchungshaft keine Folge und setzte diese aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO fort.

Danach richtet sich gegen den Beschuldigten der dringende Verdacht, er habe versucht,

in Wien Angestellte der B***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch Täuschung über das Recht am und aus dem Papier zu einer Gutschrift von 41.150 Euro auf ein Konto des Nikola T***** zu veranlassen, indem er diesem einen von der deutschen Firma Sporthaus K***** zugunsten der italienischen Firma M***** s.p.A. ausgestellten, auf dem Postweg entfremdeten und mit einem gefälschten Indossament versehenen Orderscheck mit der Aufforderung zur Eröffnung eines Kontos und zu der - am 11. Februar 2003 erfolgten - Vorlage übergab;

an einem nicht genannten Ort den Georgios L***** am 14. Oktober 2002 durch die fernmündliche Äußerung des Predrag S***** "Den Bus findest du nie, und wenn du ihn findest und mitnimmst, lässt L***** ausrichten, er bringt dich um", zur Abstandnahme von Maßnahmen zur Rückerlangung eines gekauften Autobusses zu nötigen, und hiedurch das Verbrechen des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB (1) sowie das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2) begangen.

Rechtliche Beurteilung

Seiner Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung nicht zu. Indem die Beschwerde zugesteht, dass im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung die im § 194 Abs 3 StPO genannte 6-Monats-Frist noch nicht überschritten war, erweist sie sich angesichts des für Grundrechtsbeschwerden geltenden Neuerungsverbotes als unschlüssig. Der Beschwerdeführer, der dem Oberlandesgericht, dessen Beschluss nach dem klaren Gesetzestext jenen der ersten Instanz nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen hat und demnach eine neue - reformatorische - Entscheidung darstellt (vgl §§ 181 Abs 1, 182 Abs 4 StPO; 14 Os 47/02 = RIS-Justiz RS 116421), die Kompetenz zur (erstmaligen) Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach Ablauf der erwähnten Frist überhaupt absprechen will (vgl demgegenüber Art 2 Abs 1 des 7. ZPEMRK, welcher auf Verurteilungen abstellt), übersieht dabei, dass die angestrebte erstinstanzliche Prüfung ohnehin jederzeit beantragt werden kann (vgl § 193 Abs 5 StPO). Die (mehrfach sachfremde; vgl den Rekurs auf Art 6 Abs 2 EMRK und eine "Befragung eines repräsentativen Teiles der Bevölkerung" statt gerichtlicher Gesetzesauslegung) Kritik an der zu 11 Os 72/96 ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes missversteht nicht nur grundlegend den Sinn des dortigen Hinweises auf die Sinnhaftigkeit zumindest eines Amtsvermerks über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 194 Abs 3 StPO, sondern negiert zudem, dass das Oberlandesgericht in seiner - auch sonst mustergültig begründeten - Entscheidung ohnehin dazu Stellung bezogen hat, von einem bloßen Amtsvermerk mithin keine Rede sein kann und sich der Bezugspunkt der Beschwerdeargumentation somit als fiktiv erweist.

Bemerkt sei, dass der Beschwerdeführer obendrein die Rechtsnatur der Haftfristen verkennt, welche nach dem Gesetz gerade nicht vom Gericht bemessen werden, vielmehr mit der Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft von Gesetzes wegen - als Höchstfristen - verbunden sind (vgl § 181 Abs 1 erster Satz StPO: "Beschlüsse auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft ... sind längstens ... wirksam").

Die rechtliche Annahme der Gefahr, der Beschuldigte werde auf freiem Fuße wegen der Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten oder ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat mit schweren Folgen (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO), wird, was der Beschwerdeführer gleichfalls übersieht, vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nur dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (14 Os 82/03 = RIS-Justiz RS117806). Anders als die Beschwerde meint, versteht das Gesetz unter dem Begriff der bestimmten Tatsachen des § 179 Abs 4 Z 4 StPO nichts anderes als die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen (hier einer hohen Wahrscheinlichkeit für Flucht oder Verborgenhalten und eine Straftat mit schweren Folgen) tragenden Gründe - Gründe also, aus denen diese Prognose rechtsfehlerfrei abgeleitet werden konnte. Im Übrigen kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (= bestimmten Tatsachen), welche erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (zuletzt: 14 Os 128/03; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 32, 719 und 410). Von offenbar unzureichend begründeter Prognose kann jedoch angesichts der vom Oberlandesgericht ins Treffen geführten Unterstandslosigkeit des Beschuldigten in Österreich, seines Liegenschaftsbesitzes in Italien, seiner beruflichen und familiären Existenzgrundlagen in Serbien und Italien, der aus den Tatmodalitäten des versuchten schweren Betruges, dessen er dringend verdächtig ist, abgeleiteten "hoch professionellen international organisierten Kriminalität" mit Kontakten zur "italienischen Mafia" und schließlich des Strafrahmens von einem bis zu 10 Jahren keine Rede sein.

Indem sich schließlich die gegen die Dringlichkeit des Tatverdachtes gerichteten Beschwerdeausführungen in Plausibilitätserwägungen verlieren, verfehlen sie eine am Gesetz orientierte Darstellung von Begründungsmängeln im Sinn des § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Verdachtsausspruch versuchten schweren Betrugs und versuchter Nötigung tragenden entscheidenden Tatsachen (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5a StPO) ergeben sich daraus nicht.

Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Grundrechtsbeschwerde - in Einklang mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen einer gemäß § 35 Abs 2 StPO vom Verteidiger hiezu erstatteten Äußerung - ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) - abzuweisen war.

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