OGH 11Os72/96

OGH11Os72/966.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. August 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scholz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rudolf K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 12. Jänner 1996, AZ 7 Bs 15/96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit de Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache des Landesgerichtes Wels zum AZ 17 Vr 712/94 verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 12. Jänner 1996, 7 Bs 15/96 (= ON 213 des Vr-Aktes), das Gesetz in der Bestimmung des § 194 Abs 3 StPO.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Rudolf K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 17 Vr 712/94 des Landesgerichtes Wels, wurde über den Genannten mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 9. Juni 1995 (neuerlich) die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und c StPO verhängt (ON 10, 133 ab) und deren Fortsetzung mehrmals, ua mit den Beschlüssen des Untersuchungsrichters vom 31. Oktober 1995 (mit Wirksamkeit über die am 14. Dezember 1995 endende sechsmonatige Haftfrist hinaus bis 30. Dezember 1995) und vom 29. Dezember 1995 mit Wirksamkeit bis 29. Februar 1996, aus Anlaß des letztgenannten Beschlusses erstmals mit der Begründung, daß das Verfahren einen besonderen Umfang aufweise und besonders schwierig sei, wegen Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 und 2 Z 3 lit b und c StPO angeordnet (ON 195, 207).

Der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 12. Jänner 1996 (ON 213) Folge und hob die Untersuchungshaft mit der Begründung auf, daß die Sechsmonatefrist des § 194 Abs 3 StPO hinsichtlich der (am 9. Juni 1995 über den Beschwerdeführer verhängten) Untersuchungshaft unter Berücksichtigung einer Zwischenhaft von fünf Tagen mit Ablauf des 14. Dezember 1995 geendet habe; dies habe aufgrund der Rechtslage nach Inkrafttreten des StPÄG 1993 zur Folge, "daß über die Fortsetzung der Untersuchungshaft (im Regelfall) noch vor Ende der Haftfrist und vor Erreichen der Haftgrenze zu befinden" und "daß vor Erreichen der Haftgrenze vom Gericht die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft .... als gegeben erachtet werden müssen". Eine nachträgliche Entscheidung betreffend die Verlängerung der Untersuchungshaft über die Grenzen des § 194 Abs 3 StPO hinaus sei (zwar nicht ausdrücklich ausgeschlossen, aber) - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen und innerhalb enger zeitlicher Grenzen, nicht aber (wie hier) mit einer Verspätung von 15 Tagen möglich.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Vorweg ist festzuhalten, daß die Haftfristen des § 181 StPO vom Untersuchungsrichter beachtet wurden.

Da im (rechtzeitigen) Beschluß des Untersuchungsrichters vom 29. Dezember 1995 (ON 207), der Gegenstand der hier aktuellen Beschwerdeentscheidung war, überdies - wovon auch das Oberlandesgericht ausgeht - nicht nur die Haftprämissen, sondern auch die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus mängelfrei begründet wurden, blieb für eine andere als eine bestätigende Entscheidung des Beschwerdegerichtes kein Raum. Die dennoch getroffene reformatorische Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz ist ersichtlich darauf zurückzuführen, daß nicht erkannt wurde, daß die formal gegen den bezeichneten erstinstanzlichen Beschluß gerichtete Beschwerde - ebenso wie die mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 17. Jänner 1996, 11 Os 7/96, zurückgewiesene Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten - der Sache nach unter dem Gesichtspunkt unzureichender Begründung (die im übrigen im Wege einer umfassenden, auch amtswegigen Überprüfung angefochtener Beschlüsse, allenfalls nach Einholung von Aufklärungen und Anordnung ergänzender Erhebungen - § 114 Abs 2 und Abs 4 StPO, durch das Beschwerdegericht sanierbar ist) gegen den Haftbeschluß des Untersuchungsrichters vom 31. Oktober 1995 gerichtet war. Infolge Rechtsmittelverzichts des Beschuldigten dagegen (ON 184) war dieser Beschluß einer Korrektur durch das Beschwerdegericht aber nicht zugänglich. Davon abgesehen darf gemäß § 194 Abs 3 StPO idF nach Inkrafttreten des StPÄG 1993, BGBl Nr 526, die Untersuchungshaft nur dann über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder besonderen Umfangs der Untersuchung im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist.

Anders als die Höchstfristen nach § 194 Abs 2 StPO stellt die im Abs 3 normierte Sechsmonatefrist bei der Untersuchungshaft wegen eines Verbrechens somit keine absolute Obergrenze dar, sondern kann - allerdings nur innerhalb der (nicht erstreckbaren) Fristen des Abs 2 sowie unter Beachtung der Fristen des § 181 StPO - ohne Feststellung der oben erwähnten Voraussetzungen überschritten werden, soweit dies durch das Vorliegen von Haftgründen - mit Ausnahme jenes der Verdunkelungsgefahr (§ 194 Abs 1 StPO) - und der weiteren Haftvoraussetzungen nach §§ 180 Abs 1 und 4, 193 Abs 2 StPO indiziert ist.

Die Rechtmäßigkeit einer über sechs Monate hinaus aufrechterhaltenen Untersuchungshaft hängt somit nicht vom (formalen) Akt der Feststellung der Voraussetzungen des § 194 Abs 3 StPO, sondern - lediglich - von deren tatsächlichem Vorliegen ab.

Zwar empfiehlt es sich zur besseren Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit einer Fristüberschreitung, das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei der regelmäßigen amtswegigen Überprüfung der Untersuchungshaft gemäß §§ 181, 182 StPO zweckmäßigerweise bereits vor Ablauf der Sechsmonatefrist - etwa durch einen Amtsvermerk oder im letzten (die Untersuchungshaft über die Frist von sechs Monaten hinaus verlängernden) Fortsetzungsbeschluß - festzuhalten; doch kann eine solche Feststellung auch noch nach Ablauf dieser Frist getroffen werden. Sie hat jedenfalls in der Begründung jenes Beschlusses zu erfolgen, mit welchem auf Fortsetzung der Untersuchungshaft nach Überschreitung der Sechsmonatefrist erkannt wird (vgl Einführungserlaß des BMfJ vom 22. Dezember 1993 zum StPÄG 1993, JMZ 578.012/41-II 3/93, S 23 f; JABl 6/94). Der Beschlußfassung des Landesgerichtes Wels vom 29. Dezember 1995 stand daher nicht entgegen, daß die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nach § 194 Abs 3 StPO bis dahin nicht festgestellt wurden.

Die lediglich formal auf den Zeitpunkt dieser Begründung, nicht aber auf deren materielle Grundlagen bezugnehmende Argumentation des Oberlandesgerichtes Linz, welche offensichtlich auf die Gesetzeslage vor Geltung des StPÄG 1993 bzw die dazu ergangene - nicht mehr unmittelbar aktuelle (vgl Mayrhofer, ÖJZ 1994/476 f; Mayrhofer-Steininger GRBG 1992, Rz 127 zu § 2) - Judikatur abstellt, ist - da die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Untersuchungshaft gemäß §§ 180 Abs 1, 194 Abs 3 StPO, wie erwähnt, gegeben waren - auch insoweit rechtsirrig.

Da die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz dem Angeklagten zum Vorteil gereicht, muß es mit der bloßen Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

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