OGH 11Os146/03

OGH11Os146/039.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dipl. Ing. Dr. Emilia R***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 221 Ur 222/03y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde der genannten Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 2. Oktober 2003, AZ 19 Bs 319, 336/03, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dipl. Ing. Dr. Emilia R***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen Dipl. Ing. Dr. Emilia R***** wurde beim Landesgericht für Strafsachen Wien Voruntersuchung wegen des Verdachts der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB und der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB geführt. Mit Beschluss vom 6. September 2003 wurde über die Beschuldigte aus den Haftgründen nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt und nach Haftverhandlung am 18. September 2003 fortgesetzt. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien Beschwerden der Beschuldigten gegen beide Entscheidungen der Untersuchungsrichterin nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Haft aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit d StPO an. (Am 13. November 2003 wurde das Verfahren aus dem Grund des § 11 StGB eingestellt, die Untersuchungshaft aufgehoben und die Beschuldigte enthaftet.)

Nach dem Inhalt der Entscheidung des Gerichtshofs zweiter Instanz richtete sich gegen Dipl. Ing. Dr. Emilia R***** der dringende Verdacht, sie habe am 28. April 2003 im Zuge eines Telefonats gegenüber dem Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien Dr. Heinrich St***** die ihre Sachwalterschaftssache bearbeitende Erstrichterin des Bezirksgerichts Fünfhaus Dr. Lotte Sch***** sowie weitere Gerichtspersonen mit dem Tod durch Erschießen bzw damit, sich in deren Gegenwart selbstmörderisch "in die Luft zu sprengen" gefährlich bedroht und hiedurch das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung nicht zu.

Ihr zuwider hat das Oberlandesgericht zur Dringlichkeit des Tatverdachts den Aktenvermerk des Dr. St***** vom 28. April 2003 (ON 3) und dessen Zeugenaussage vom 25. September 2003 (ON 29) ihrem Bedeutungsinhalt nach richtig dargestellt. Einer Erörterung der Passage des angeführten Aktenvermerks, "inwieweit tatsächlich Gefährlichkeit vorliegt, kann nicht objektiv beurteilt werden" bedurfte es schon deshalb nicht, als sie keine Tatsachenmitteilung, sondern eine bloße Wertung des Zeugen darstellt, die nicht Gegenstand eines Beweisverfahrens sein kann (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 352; 15 Os 145/02; 11 Os 40/03).

Mit ihrem Vorbringen zum Vorwurf der versuchten Nötigung übersieht die Beschwerde, dass das Oberlandesgericht den Tatverdacht hinsichtlich dieses Vergehens nicht als dringend angesehen und daher auch nicht zur Begründung der Untersuchungshaft herangezogen hat. Die rechtliche Annahme der Gefahr, die Beschuldigte werde auf freiem Fuße wegen der Größe der ihr mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten oder ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens die angedrohte Tat ausführen (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit d StPO), wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nur dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (14 Os 82/03, 14 Os 138/03). Das Gesetz versteht unter dem Begriff der bestimmten Tatsachen des § 179 Abs 4 Z 4 StPO nichts anderes als die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen (hier einer hohen Wahrscheinlichkeit für Flucht oder Verborgenhalten und eine Ausführung des Angedrohten) tragenden Gründe - Gründe also, aus denen diese Prognose rechtsfehlerfrei abgeleitet werden konnte. Im Übrigen kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (= bestimmten Tatsachen), welche erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (zuletzt: 14 Os 128/03; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 32, 719 und 410). Von einer offenbar unzureichend begründeten Prognose kann jedoch angesichts der vom Oberlandesgericht ins Treffen geführten fehlenden Meldung und Erreichbarkeit der Beschuldigten in Österreich, ihrer eigenen Angaben über ihre Auslandsaufenthalte und der Umstände ihrer Verhaftung einerseits, des Gutachtens der Sachverständigen Dr. B***** andererseits keine Rede sein. Weder die Wohnsitze in Inland noch die österreichische Staatsbürgerschaft der Beschuldigten blieben unberücksichtigt (S 193, 197 f); die Beschwerdebehauptung, die Beschuldigte habe seit den mutmaßlichen Taten keine Fluchtanstalten getroffen, orientiert sich nicht an der Aktenlage (S 85). Das (im Sachwalterschaftsverfahren erstellte) Gutachten der Sachverständigen Dr. B***** trifft - der Beschwerde zuwider - keine Gefährlichkeitsprognose in die eine oder die andere Richtung. Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Grundrechtsbeschwerde in Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRGB) abzuweisen war.

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