OGH 12Os126/05d

OGH12Os126/05d22.12.2005

Der Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Popelka als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Christoph B***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Schöffengericht vom 30. Juni 2005, GZ 16 Hv 41/05s-48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Christoph B***** mehrerer Verbrechen des in einem Fall in Form des Versuchs nach § 15 StGB verwirklichten (I./2.) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I.), mehrerer Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB (II.) und mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1, Abs 2 Z 1 SMG (III.) schuldig erkannt.

Darnach hat er

I. zwischen November 2003 und Oktober 2004 in Zwettl

1. in zumindest zehn Fällen an dem am 8. Dezember 1992 geborenen, mithin unmündigen Domenic C***** durch nachhaltiges Betasten dessen Geschlechtsteils geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

2. am 18. August 2004 dadurch, dass er Domenic C***** aufforderte, seinen entblößten erigierten Penis anzufassen, versucht, von einer unmündigen Person eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen zu lassen;

II. Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, unmittelbar durch Entgelt, indem er ihnen dafür eine vereinbarte Geldsumme in der Höhe von jeweils ca 50 bis 60 EUR übergab, zur Vornahme von geschlechtlichen Handlungen verleitet, und zwar:

1. zwischen Februar 2003 und September 2004 in Zwettl und anderen Orten in ca 25 Fällen den am 20. September 1988 geborenen Daniel Ba*****, wobei es zu gegenseitigem Hand- und Oralverkehr kam;

2. am 20. Februar 2003 in Hinterstoder den am 19. August 1988 geborenen Manuel R***** zur Vornahme eines Handverkehrs;

III. in Maria Enzersdorf den bestehenden Vorschriften zuwider Haschisch, mithin ein Suchtmittel, den angeführten Personen überlassen, wobei er durch die Tat Minderjährigen den Gebrauch eines Suchtmittels ermöglichte und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen war, und zwar:

1. zwischen 2000 und 19. Juni 2001 in zumindest zwei Fällen dem am 20. Juni 1983 geborenen Andreas J*****;

2. zwischen 1999 und 8. Jänner 2002 in zumindest drei Fällen dem am 9. Jänner 1984 geborenen Alexander H*****.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der in Ansehung des Schuldspruchpunktes I./2. behauptete innere Widerspruch (Z 5) haftet dem Urteil nicht an, weil auf US 10 als Versuchsaktivität festgestellt wird, dass der Angeklagte den Knaben aufforderte, seinen entblößten erigierten Penis anzufassen, während auf US 14 bloß die Verantwortung des Angeklagten im Rahmen der zweiten Niederschrift vor der Kriminalabteilung (S 341/I) wiedergegeben wird, wonach er Domenic C***** fragte, ob er nicht sein Glied angreifen wolle.

Mit dem Hinweis auf den offensichtlichen, von der Vorsitzenden jederzeit zu berichtigenden Schreibfehler auf US 16, wo der Vorname des in Punkt II./2. bezeichneten Tatopfers Manuel R***** mit jenem des vom Angeklagten gleichfalls sexuell missbrauchten Jugendlichen Daniel Ba***** (II./1.) verwechselt wurde, wird gleichfalls kein Nichtigkeit bewirkender Begründungsmangel aufgezeigt. Von unzureichender Begründung des in Rede stehenden Faktums kann nicht die Rede sein, konnte sich doch das Schöffengericht insoweit auf das Geständnis des Beschwerdeführers stützen (S 179/II). Nach Prüfung der Akten anhand des Vorbringens der Tatsachenrüge (Z 5a) ergeben sich mit Blick auf die Depositionen des Andreas J***** in der Hauptverhandlung (S 229) für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Annahme, wonach der Angeklagte an den genannten Jugendlichen zweimal Haschisch überließ (III./1.). Indem sich die Rechtsrüge (Z 9 lit a) im Hinweis auf das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) und der pauschalen Bestreitung der Verwirklichung des objektiven Tatbestands hinsichtlich der Punkte I./2. und II./2. erschöpft, verfehlt sie den notwendigen Vergleich des im Urteil festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz.

Der gegen die Bemessung der Freiheitsstrafe gerichtete Einwand (Z 11), die erschwerende Berücksichtigung der „Ausnützung der durch die sexuelle Unerfahrenheit seiner Opfer gegebenen Hilflosigkeit" verstoße gegen das Doppelverwertungsverbot, geht fehl, weil dem in Rede stehende Umstand weder für die Strafbarkeit der Tat (vgl Schick in WK2 § 207 Rz 5) noch die Höhe des anzuwendenden Strafsatzes entscheidende Bedeutung zukommt.

Mit der gegen die Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB gerichtete Rüge (Z 3), wonach der gerichtlich bestellte Sachverständige aus dem Gebiet der Psychiatrie (§ 429 Abs 2 Z 2 StPO) Dr. Bi***** „vorwiegend Neurologe ist", wird kein Verstoß gegen eine im Katalog des § 281 Abs 1 Z 3 StPO genannte Verfahrensbestimmung aufgezeigt. Der Antrag auf „Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die Bestimmung des § 429 Abs 2 Z 2 StPO, wo ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer Begutachtung durch mindestens einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie normiert ist, und auf die Bestimmung des § 439 Abs 2 StPO, wo Nichtigkeit angedroht ist für den Fall, dass nicht zumindest ein Sachverständiger beigezogen wurde in der Verhandlung", den der Antragsteller weiters damit begründete, „es würden auch nach der ergänzenden Befragung des gerichtlichen Sachverständigen berechtigte Gründe für das nicht vollständige Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 125, 126 StPO vorliegen, sodass ohne einen weiteren Gutachter eine verlässliche Prognose über die Gefährlichkeit des Angeklagten nicht gestellt werden kann" (S 345/II), verfiel ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten (Z 4) der Ablehnung. Denn das Schöffengericht hat in seiner Entscheidung nach § 238 Abs 1 StPO (S 349 f/II) zutreffend darauf verwiesen, dass weder die in der auch für das Einweisungsverfahren gültigen Bestimmung des § 118 Abs 2 StPO genannte Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung als Voraussetzung für die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen noch Mängel von Befund und Gutachten (§§ 125 f StPO) des gerichtlich bestellten Sachverständigen vorliegen, der alle wesentlichen Fragen „mit Bestimmtheit und schlüssig" (S 351/II) beantwortete. Aus diesem Grund wurde auch die Vernehmung des Privatgutachters DI Dr. Br***** als Zeuge „zum Thema der Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB im Hinblick auf eine Exploration und Anamnese, die nach der Exploration durch den gerichtlichen Sachverständigen zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als die für den Angeklagten vollkommen ungewohnte und erstmalige Situation eines fünfwöchigen Aufenthaltes in einer Einzelzelle bereits beendet war" (S 343 f), sowie „zum Beweisthema seiner Tatsachenwahrnehmungen aus Anlass der Exploration des Angeklagten nach der Exploration durch den gerichtlichen Sachverständigen" (S 353/II) mit Bezugnahme auf die gefestigte Judikatur zum Inhalt einer Zeugenaussage und zur Unzulässigkeit von Äußerungen einer Privatperson über den Verfahrensgegenstand (Mayerhofer StPO5 § 150 RN 1, 2, 6b; Leukauf/Steininger § 288 RN 4; SSt 29/13; 12 Os 110/91) zu Recht - weil sinnfällig überdies bloß auf eine im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundung gerichtet - abgelehnt (S 349 und 355 f/II).

Gleiches gilt für die verweigerte Verlesung des Privatgutachtens des DI Dr. Br***** (ON 42), dem strafprozessuale Beachtung nicht zukommt (Mayerhofer aaO RN 106 ff).

Nach Lage des in medizinischer Hinsicht bloß durchschnittlich schwierigen Falles und einer mehr als dreistündigen ergänzenden Befragung des gerichtlichen Sachverständigen, bei der der Verteidiger hinreichend Gelegenheit hatte, die in dem ihm zur Verfügung stehenden Privatgutachten angesprochenen Umstände zu problematisieren (vgl S 241 - 343/II), kann auch von einer Verletzung des Fairnessgebots (Art 6 EMRK) keine Rede sein.

Schließlich ist der Angeklagte auch durch die Ablehnung der Einvernahme der Zeugen Barbara S*****, Jürgen Hö***** und Alexander U***** nicht beschwert. Der diesbezügliche Beweisantrag (S 345 f/II) benannte nämlich die „Faktenlage", über die diese Personen hätten aussagen sollen, nicht und ließ solcherart das Beweisthema nicht klar erkennen. Hinzu kommt, dass das Beweisbegehren nicht darlegte, aus welchem Grund von den Genannten Auskünfte über schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände zu erwarten seien, womit (auch) dieser Antrag überdies auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte.

Soweit die Beschwerde (Z 5) StPO die Urteilsannahme bekämpft, wonach die „während seiner bisherigen Anhaltung" erfolgte „ansatzweise" Therapierung des Angeklagten „bisher nicht seine psychischen Störungen, insbesondere seine sexuelle Reifungskrise und Deviation, die bei ihm auch zu einer Störung der Sexualpräferenz und vor allem zu einer homosexuellen Pädophilie führten, zumindest soweit abbauen konnte, dass nicht mehr als naheliegend zu befürchten wäre, dass er sonst unter dem Einfluss dieser geistigen oder seelischen Abartigkeit keine mit Strafe bedrohten Handlungen mit schweren Folgen begehen würde", wendet sie sich gegen die Gefährlichkeitsprognose und wird damit bloß ein Berufungsgrund geltend gemacht (Mayerhofer StPO5 § 281 Z 11 E 37). Im Übrigen konnte sich das Schöffengericht insoweit auf die unverkennbar auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung bezogene Expertise des gerichtlichen Sachverständigen stützen. Die gegen die Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB gerichtete Beschwerde (Z 11), das Schöffengericht habe mangels Differenzierung die Einweisungsanordnung (im Urteilsspruch US 4) „auch auf das Delikt des § 27 Abs 1 SMG gestützt, welches - für sich gesehen - als Anlasstat iSd § 21 StGB nicht herangezogen werden kann", geht schon deshalb fehl, weil sie den Umstand übergeht, dass der Angeklagte unter Punkt III. - der Beschwerde zuwider (US 3) - mehrerer (für sich mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohter) Vergehen nach § 27 Abs 1 (sechster Fall), Abs 2 Z 1 SMG schuldig erkannt wurde. Gleiches gilt für den Einwand rechtsirrtümlich unterlassener Feststellungen zu den Erkenntnisquellen für die Befürchtung der Prognosetat und der Schwere ihrer Folgen, womit die zur Person des Rechtsbrechers (US 11 f), seinem - der Beschwerde zuwider im Urteilszeitpunkt aktuellen - Zustand (US 12 f iVm S 277/II) und zur Art der Anlasstaten und Schwere ihrer derzeit noch nicht absehbaren gravierenden „psychischen Folgen und Schäden" im Fall des Opfers Domenic C***** (US 26 f) getroffenen Konstatierungen prozessordnungswidrig außer Acht gelassen werden.

Mit der Behauptung, das Erstgericht habe die Bedeutung der überdurchschnittlichen Intelligenz des Beschwerdeführers bei der Prognose „völlig realitätsfremd" beurteilt, wird bloß ein Berufungsgrund geltend gemacht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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