OGH 12Os110/91

OGH12Os110/917.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.November 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loub als Schriftführerin in der Strafsache gegen Willy Thomas Paul S***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 85 Z 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 25.Juni 1991, GZ 31 Vr 403/91-45, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, der Generalanwältin Dr. Bierlein, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Lechenauer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der Ablehnung des Ausspruchs, daß die Tat (zumindest) für lange Zeit eine auffallende Verunstaltung der Petra P***** zur Folge hatte, in der Beschränkung der rechtlichen Beurteilung auf das Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB sowie im Strafausspruch (ausgenommen den Ausspruch über die Vorhaftanrechnung nach § 38 StGB) aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung unter Neufassung des Urteilsspruchs in der Sache selbst erkannt:

Willy Thomas Paul S***** ist schuldig, er hat am 27.November 1990 in Linz Petra P***** durch mehrere wuchtige Schläge vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen zentralen Leberriß mit Blutungen im Bauchraum, eine 3 cm lange bis zum Schädeldach reichende Rißquetschwunde, Hämatome an den Ober- und Unterlidern, eine Blutunterlaufung an der rechten Wange, Rötungen an der rechten Halsseite, mehrere kleine Hautabschürfungen und Blutergüsse am rechten Unterarm, ein Hämatom am Oberbauch, Hautabschürfungen am linken Kniegelenk und im Bereich des rechten Fußes und zumindest für lange Zeit eine auffallende Verunstaltung, nämlich eine 20 cm lange, stark entwickelte und den Nabel verziehende Narbe vom Brustbein abwärts, zur Folge hatte.

Er hat hiedurch das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 85 Z 2 StGB begangen und wird hiefür nach § 85 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 (fünf) Jahren verurteilt.

Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung wird aus dem Ersturteil übernommen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der ***** 1953 geborene Willy Thomas Paul S***** wurde des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 27.November 1990 in Linz seine Lebensgefährtin Petra P***** vorsätzlich am Körper schwer verletzt, indem er ihr durch wuchtige Schläge einen zentralen Leberriß mit Blutungen im Bauchraum, eine 3 cm lange bis zum Schädeldach reichende Rißquetschwunde, Hämatome an den Ober- und Unterlidern, eine Blutunterlaufung an der rechten Wange, Rötungen an der rechten Halsseite, mehrere kleine Hautabschürfungen und Blutergüsse am rechten Unterarm, ein Hämatom am Oberbauch sowie Hautabschürfungen am linken Kniegelenk und im Bereich des rechten Fußes zufügte.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen kam es am 27. November 1990 morgens im ersten Stock des vom Angeklagten und Petra P***** gemeinsam bewohnten Hauses in Linz, ***** zur Fortsetzung einer Auseinandersetzung, die bereits in der vorangegangenen Nacht in einem von Petra P***** für den Angeklagten geführten Nachtlokal begonnen hatte und schließlich zu den verletzungsursächlichen tätlichen Aggressionen des Angeklagten eskalierte. Bei diesen entgegen der (vom Tatopfer zuletzt gestützten) leugnenden Verantwortung des Angeklagten, Petra P***** habe sich die schweren Verletzungen ohne sein Zutun durch einen Sturz über die Stiege des Wohnhauses selbst zugezogen, getroffenen Feststellungen ließen sich die Tatrichter davon leiten, daß die Zeugin P***** bei ihrer ersten Befragung durch den Polizeibeamten Manfred S***** sinngemäß einen tätlichen Angriff des Angeklagten, nicht aber das später behauptete Stolpern über einen Hundenapf mit nachfolgendem Sturz über die Stiege als Verletzungsursache angab, unmittelbar nach der Tat vor dem Angeklagten zum benachbarten Haus der Zeugin Margarethe G***** flüchtete und diese Flucht wiederholte, nachdem sie vom Angeklagten zunächst in das eigene Wohnhaus zurückgetragen worden war. Darüber hinaus stützte sich das Erstgericht auf die Gutachten der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Klaus JAROSCH und Univ.Prof. Dr. Werner LAUBICHLER, wonach die Verletzungen durch einen Sturz über die Treppe nicht zu erklären, vielmehr in ihrer Gesamtheit als Folgen einer für eine Mißhandlung charakteristischen mehrfachen Gewalteinwirkung zu beurteilen sind (S 93, 183, 211 iVm S 277).

Die lebensrettende operative Versorgung der Leberruptur - Petra P***** befand sich vom 27.November bis 6.Dezember 1990 in stationärer Spitalsbehandlung - führte zu einer 20 cm langen, etwas überentwickelten, den Nabel umschließenden und verziehenden Operationsnarbe, die nach den tatrichterlichen Feststellungen eine Verunstaltung der jungen (im Tatzeitpunkt 23-jährigen) Frau nach sich zog, die - wenn überhaupt - nur durch mehrere kosmetische Eingriffe gemindert bzw. beseitigt werden könnte. Da die Narbenbildung nur beim Tragen eines Bikinis, nicht aber eines einteiligen Badeanzuges sichtbar sei, erachtete das Erstgericht die Voraussetzungen einer auffallenden Verunstaltung gemäß § 85 Z 2 StGB als nicht verwirklicht.

Dieses Urteil bekämpfen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Angeklagte stützt seine Beschwerde auf § 281 Abs. 1 Z 2, 3, 4, 5 und 5 a StPO, ist aber in keinem Punkt im Recht.

Die Verfahrensrügen nach den drei erstbezeichneten Nichtigkeitsgründen wenden sich dagegen, daß das Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. JAROSCH (ON 11) in der Hauptverhandlung vom 25.Juni 1991 (S 267) verlesen wurde, obwohl der Angeklagte diesen Sachverständigen bereits im Vorverfahren (ON 27) und in der Hauptverhandlung vom 14.Juni 1991 (S 252) abgelehnt hatte. Die Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs. 1 Z 3 StPO betrifft jedoch hinsichtlich der vom Angeklagten der Sache nach relevierten Bestimmung des § 120 StPO nur deren ersten Satz, wonach als Sachverständiger nicht beizuziehen ist, wer als Zeuge nicht vernommen oder nicht beeidet werden dürfte oder wer zum Beschuldigten oder zum Verletzten in einem der im § 152 Abs. 1 Z 1 StPO bezeichneten Verhältnisse steht. Da eine derartige (gar nicht behauptete) Fallkonstellation hier nicht aktuell ist, versagt der (allein) auf § 120 zweiter Satz StPO abstellende Einwand auch unter dem Gesichtspunkt der Z 2 des § 281 Abs. 1 StPO.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider bedeutete aber die beanstandete Verlesung des vom Sachverständigen Univ.Prof. Dr. JAROSCH im Vorverfahren erstatteten Gutachtens auch sonst keinen (geschweige denn einen unter Nichtigkeitssanktion stehenden) Verstoß gegen die Verteidigung des Angeklagten sichernde Verfahrensbestimmungen. Abgesehen davon, daß der Strafprozeßordnung ein förmliches Ablehnungsrecht der Parteien gegenüber Sachverständigen fremd ist (Foregger-Serini-Kodek4, Erl. I und Mayerhofer-Rieder3, ENr. 2 jeweils zu § 120 StPO), stellen sich die in der Hauptverhandlung gegen diesen Sachverständigen vorgebrachten Vorbehalte auch nicht als "erhebliche Einwendungen" im Sinn des (keiner Nichtigkeitssanktion unterliegenden - EvBl. 1982/136) zweiten Satzes des § 120 StPO dar, weil sie keine Konkretisierung sachlicher Befangenheitsgründe enthielten und ihre Berechtigung unzulässigerweise (SSt. 36/7) erst nachträglich aus dem Inhalt des bereits im Vorverfahren erstatteten Gutachtens abzuleiten trachteten. Dessen Verlesung in der Hauptverhandlung hinwieder lag kein gegen den Antrag oder Widerspruch des Beschwerdeführers ergangenes gerichtliches Zwischenerkenntnis zugrunde, weil sich der Angeklagte diesem Vorgang nicht widersetzte (S 267) und auf einen mündlichen Vortrag des Sachverständigen ausdrücklich verzichtete (S 266).

Auch jene Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten, die der Beschwerdeführer mit (undifferenzierter) Beziehung auf § 281 Abs. 1 Z 3 und 4 StPO zu dem in der Hauptverhandlung am 14. Juni 1991 vorgelegten (Privat-)Gutachten des Facharztes für plastische Chirurgie Dr. Wolfgang METKA (ON 42, S 252, 257, 259) mit der Begründung geltend macht, daß eine gerichtliche Entscheidung "über diesen Beweisantrag und (diese) Beweisurkunde" unterblieben sei, liegt nicht vor. Abgesehen davon, daß Privatgutachten keine prozessual beachtlichen Beweismittel darstellen (Foregger-Serini-Kodek aaO Erl. VI zu § 118 StPO; Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 106 ff zu § 118 StPO und 142 zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO), fehlt es insoweit an der entscheidenden formellen Voraussetzung für die Geltendmachung des (hier allein in Betracht kommenden) Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO, weil ein dieses Gutachten betreffender Beweisantrag inhaltlich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht gestellt wurde.

Auch die Mängelrüge erweist sich insgesamt als im Ergebnis nicht berechtigt.

Der Einwand fehlender Konkretisierung sämtlicher Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 StGB) richtet sich nicht gegen einen für die Schuldfrage entscheidenden Tatsachenausspruch (§ 270 Abs. 2 Z 4 und 5 StPO) und hat daher - ebenso wie seine wegen der hier in erster Instanz gar nicht aktuell gewesenen Anwendung des § 39 StGB obsolete Wiederholung aus der Sicht des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO - auf sich zu beruhen.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider ist auch die den Schuldspruch tragende tatrichterliche Feststellung, daß die inkriminierten Verletzungen der Petra P***** durch Körperattacken des Angeklagten und nicht durch einen ohne sein Zutun ausgelösten Sturz über einen Stiegenabgang herbeigeführt wurden, nicht mit einer Unvollständigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO behaftet. Es trifft zwar zu, daß der Vater des Opfers, Ludwig P*****, in der Hauptverhandlung angab, der Polizeibeamte S***** hätte ihm gegenüber im Anschluß an die Primärbefragung der Petra P***** im Spital deren Festhalten an der Verletzungsversion durch einen Treppensturz bestätigt (S 264), und diese Passage der Zeugenaussage in den Urteilsgründen unerörtert blieb, jedoch kommt diesem Aussagedetail im Kontext mit der - in seinem wesentlichen Kern vom Erstgericht überprüfbar mängelfrei gewürdigten - Gesamtheit der Verfahrensergebnisse keine entscheidende Bedeutung zu. In Bejahung der Kausalität der Tätlichkeiten des Angeklagten für die schweren Verletzungen der Petra P***** stützten sich die Tatrichter nämlich nicht nur auf die (zuletzt modifizierten) Angaben des Zeugen Manfred S***** über die den Angeklagten zunächst belastende Darstellung des Tatopfers (S 127 ff, 242 f), sondern - wie oben

dargelegt - ersichtlich auf eine Reihe von Verfahrensergebnissen, die in ihrer Summenwirkung einer für den Angeklagten günstigeren Lösung der Schuldfrage nachvollziehbar entgegenstehen. Dazu zählen vor allem die Aussage der Zeugin Margarethe G*****, wonach Petra P***** zweimal (zunächst unter lauten Hilferufen und - nachdem sie vom Angeklagten gewaltsam zurückgeholt worden war - in der Folge neuerlich) in schwer verletztem Zustand aus ihrem Wohnhaus flüchtete und bei der Nachbarin Schutz suchte (S 37 ff, 243 ff), die damit im Einklang stehenden Angaben des Briefträgers Klaus R*****, der wegen der Heftigkeit der bis auf die Straße wahrnehmbaren Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin von der Zustellung zweier Rückscheinbriefe Abstand nahm (S 67 f, 245 ff) und die gutächtlichen Ausführungen der als Sachverständige befaßten Universitätsprofessoren Dr. JAROSCH und Dr. LAUBICHLER über das für multiple Mißhandlungen charakteristische, durch einen bloßen Treppensturz nicht hinlänglich erklärbare Gesamtbild der Verletzungen des Tatopfers (ON 11, 29, 33 iVm S 267 und S 264 ff). Davon ausgehend erweist sich aber die in der Mängelrüge relevierte Passage der Aussage des Zeugen Ludwig P***** (betreffend die Äußerung des Polizeibeamten S*****, Petra P***** sei nach ihren Angaben über die Stiege gefallen) selbst unter Berücksichtigung der (in den Urteilsgründen nicht gesondert erwähnten) Aussageergänzung des Zeugen S*****, wonach Petra P***** nach ihrer Erstaussage nach Erhalt "zumindest eines wuchtigen Schlages ins Gesicht" (S 129 verso) bzw. von "Faustschlägen ins Gesicht" (S 242) "die Erinnerung verloren" habe, als mit dem Urteilssachverhalt durchaus vereinbar, weil darnach auch ein allfälliger Sturz des Opfers über die Haustreppe als Folge der tätlichen Angriffshandlungen des Angeklagten plausibel wäre. Davon, daß bei der tatrichterlichen Würdigung der Gesamtheit der wesentlichen Verfahrensergebnisse entscheidende, für den Angeklagten günstige Aspekte unberücksichtigt geblieben wären, kann mithin keine Rede sein.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider hat sich das Erstgericht auch mit allen wesentlichen Ausführungen des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. LAUBICHLER - einschließlich seiner Beurteilung einer Verursachung der inneren Verletzungen und der Rißquetschwunde am Kopf durch (jeweiligen) Aufprall der Bauch- und Schädelregion auf einen scharfkantigen Gegenstand als aus medizinischer Sicht höchst unwahrscheinlich (S 265, 266) - eingehend auseinandergesetzt (S 277) und die Annahme einer derartigen (die Frage einer angriffsbedingten Sturzauslösung im übrigen offenlassenden) Variante des Verletzungshergangs im Rahmen freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO) mit formell mängelfreier Begründung abgelehnt. Soweit die Mängelrüge diesen Erwägungen zwingenden Charakter abspricht und davon abweichende, für den Angeklagten günstigere Schlußfolgerungen anstrebt, erschöpft sie sich in einer ihr prozeßordnungsgemäß verwehrten Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung.

Da sich das angefochtene Urteil auch mit der Tendenz der Petra P*****, eine den Angeklagten entlastende Verletzungsversion glaubhaft zu machen, auseinandersetzt (S 275 ff), sich die gerichtliche Begründungspflicht aber bloß auf eine gedrängte Darstellung der wesentlichen Tatsachen und der für ihre Annahme oder Nichtannahme maßgebenden Erwägungen beschränkt (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO), bedurfte auch der Umstand, daß die Zeugin anläßlich ihrer Vernehmung vor der kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Linz am 14.Dezember 1990 die Rißquetschwunde an ihrem Kopf mit einem (möglichen) Anprall gegen den Heizkörper zu erklären suchte (S 56 f), keiner gesonderten Abwägung.

Soweit sich schließlich auch die Mängelrüge gegen das Unterbleiben einer Erörterung des in der Hauptverhandlung vorgelegten Privatgutachtens richtet, ist den bereits dargelegten Erwägungen zur entsprechenden Verfahrensrüge hinzuzufügen, daß dem (im Akt erliegenden - ON 43) fachärztlichen Gutachten zu der Frage, "ob ein Leberriß von einem Treppensturz kommen kann" (S 257), vorweg jedwede entscheidende Bedeutung fehlte. Daß ein Sturz über einen Stiegenabgang als potentielle Ursache einer schweren inneren Verletzung der in Rede stehenden Art in Betracht kommt, bedurfte an sich als allgemein einsichtiger Erfahrungswert keiner fachmedizinischen Klarstellung. Ein darüber hinausgehender Aussagewert blieb aber dem (solcherart schon von der Themenstellung her obsoleten) Privatgutachten umso mehr verschlossen, als es - unter Vernachlässigung des Gesamtbildes der multiplen Verletzungen des Tatopfers wie auch anderer wesentlicher Verfahrensergebnisse - auf einer Befundaufnahme beruht, die sich in einer Besichtigung der Operationsnarbe (erst) ca. ein halbes Jahr nach der Tat und einer isolierten Berücksichtigung der Angaben der Verletzten erschöpfte.

Die Tatsachenrüge (Z 5 a) vermag insgesamt keine (geschweige denn erhebliche) Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Dieser Nichtigkeitsgrund liegt nur dann vor, wenn das Gericht entweder unter Außerachtlassung seiner Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit (§§ 3, 232 Abs. 2, 254 StPO) die ihm zugänglichen Beweismittel, von denen es nach der Aktenlage Kenntnis haben konnte, nicht oder in wesentlichen Punkten derart unvollständig ausgeschöpft hat, daß dadurch die Überzeugungskraft der Grundlage für den Schuldspruch entscheidend berührt wird oder wenn erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit wesentlicher Tatsachenfeststellungen auf Grund von (in den Akten niedergelegten) Verfahrensergebnissen bestehen, die sich bei einer lebensnahen, an der allgemeinen menschlichen Erfahrung orientierten Beurteilung mit dem festgestellten Sachverhalt nicht oder nur schwer in Einklang bringen lassen (ua EvBl. 1988/108; RZ 1990/94). Diese Voraussetzungen werden jedoch mit den teils auf unerheblichen Umständen, teils auf bloß spekulativen Überlegungen beruhenden oder auf die Wiederholung von Einwänden zu anderen Nichtigkeitsgründen beschränkten Beschwerdeargumenten nicht dargetan.

Die sohin zur Gänze unberechtigte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Anklagebehörde strebt gestützt auf § 281 Abs. 1 Z 10 StPO eine Tatbeurteilung (auch) als (Verbrechen der) Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Z 2 StGB mit der Begründung an, die ausgeprägte Narbenbildung im Bauchbereich des Opfers erfülle sämtliche Kriterien einer "auffallenden Verunstaltung" im Sinn der bezeichneten Gesetzesbestimmung.

Der Subsumtionsrüge kommt Berechtigung zu.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen führte die tatbedingte schwere Verletzung der Petra P***** durch die (lebensrettende) operative Versorgung der zentralen Leberruptur zu einer nicht behebbaren entstellenden Narbenbildung auf der Bauchdecke, die zwar durch kosmetische Eingriffe etwas korrigiert, nicht aber beseitigt oder entscheidend gemindert werden könnte (S 273). Davon ausgehend folgerte das Erstgericht zunächst rechtsrichtig - Kienapfel BT I3 RN 9 zu § 85 StGB; ua EvBl. 1982/54, 1979/36; SSt. 50/22 - unter Zugrundelegung ästhetischer Aspekte auf das Vorliegen einer (schweren) Dauerfolge im Sinn einer erheblich nachteiligen Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Tatopfers, beurteilte diese Entstellung allerdings wegen ihrer Beschränkung auf eine durch einen einteiligen Badeanzug regelmäßig bedeckte

Körperregion - insofern rechtlich verfehlt - nicht als "auffallende Verunstaltung". Unter Berücksichtigung der gesellschaftlich aktuellen Lebensgewohnheiten tritt nämlich im Sinn der Beschwerdeargumentation der Umstand, daß die auffallend entstellende Narbe der (im Tatzeitpunkt 23-jährigen) Petra P***** durch entsprechende Bekleidung zu verbergen ist, bei der Beurteilung nach § 85 Z 2 StGB bedeutungsmäßig in den Hintergrund, weil eine nach herrschenden ästhetischen Wertbegriffen empfindliche Beeinträchtigung der körperlichen Gesamterscheinung an sich - ohne Rücksicht auf (alters-, mode- und anlaßbedingt wechselhafte)

Bekleidungstrends - regelmäßig eine wesentliche Reduktion des Selbstwertgefühls und damit der dem (hier noch dazu jungen weiblichen) Tatopfer eröffneten Lebensqualität bedeuten kann.

Die tatbedingte schwere Dauerfolge ist dem Angeklagten aber nach den zutreffenden erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen auch als (zumindest) fahrlässig im Sinn des § 7 Abs. 2 StGB herbeigeführt zuzurechnen (S 273, 274, 278, 279). Die hier aktuelle vorsätzliche massive Gewalteinwirkung durch Versetzen wuchtiger Schläge (im Nahbereich eines Stiegenabganges) läßt nämlich keinen Freiraum für einen der Voraussehbarkeit des qualifizierenden Taterfolgs (einschließlich des Eintritts von Dauerfolgen) entgegenstehenden atypischen Kausalverlauf offen. Dabei ist eine mit der (zumal) sachgerechten medizinischen Versorgung der Verletzung verbundene Narbenbildung bei der dem Urheber der Verletzung treffenden strafrechtlichen Zurechnung nicht anders zu beurteilen als (nach gefestigter Judikatur) gesundheitlich nachteilige Folgen, die auf nicht ungewöhnlichen ärztlichen Kunstfehlern bei der verletzungsbedingten Behandlung beruhen (Kienapfel aaO, RN 15 a und 18 zu § 85 StGB).

Da dem Angeklagten nach Lage des Falles auch keine Umstände zustatten kommen, die einer subjektiven Zurechnung des nach dem Gesagten auf keinem atypischen Kausalverlauf beruhenden (innerhalb des hier aktuellen Risikozusammenhanges gelegenen) Taterfolges entgegenstünden, war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Schuldspruch spruchgemäß zu korrigieren.

Zu den Unrechtsfolgen:

Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung nach § 85 StGB waren die zahlreichen (an sich die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 StGB erfüllenden) Vorstrafen, die Tatbegehung an der Lebensgefährtin (13 Os 179/83), der Eintritt der Lebensgefahr für das Tatopfer und dessen Behinderung bei der Inanspruchnahme fremder Hilfe nach der Tat erschwerend, mildernd hingegen (im Gerichtstag vorgelegte schriftliche) Fürbitte der tatbetroffenen Petra P*****. Allein die in deren Haltung zum Ausdruck kommende Bereitschaft zu einer subjektiven Relativierung des objektiv außergewöhnlich hohen Tatunwerts war für die Abstandnahme von der (bei insgesamt sechzehn Vorverurteilungen wegen vorsätzlicher Körperverletzung naheliegenden) Strafschärfung nach § 39 StGB bestimmend. Die Erörterung der (an sich bestehenden) Möglichkeit einer Strafschärfung nach § 39 StGB in den Urteilsgründen stellt keineswegs einen unvertretbaren Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung dar (16 Os 24/89) und bedeutet nicht, daß das Gericht von einem erweiterten Strafrahmen ausgegangen ist. Mit dem Hinweis auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des § 39 StGB wird in Verbindung mit der Bezugnahme auf einschlägige Vorstrafen vielmehr in Wahrheit der Sache nach nur der Erschwerungsgrund einer ausgesprochen kriminellen Laufbahn begründet (13 Os 41/87).

Die äußerst zurückhaltende Anwendung des § 39 StGB in der Praxis zeigt, daß die Strafschärfung bei Rückfall nur extremen Fällen der Kriminalität vorbehalten bleiben soll (EvBl. 1989/25 uva). Die Fürbitte der Betroffenen allein - dies sei abermals betont - hat hier ein Überschreiten dieser Schwelle noch abgewendet. Sowohl aus spezial- als auch generalpräventiver Sicht blieb bei der nach dem in § 85 StGB normierten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bemessenden Strafe für eine Unterschreitung der gesetzlichen Obergrenze kein Raum. Wollte man nämlich die gesetzliche Höchststrafe einem stets denkbaren Fall gravierender Kriminalität vorbehalten, wäre sie faktisch unanwendbar, was gewiß nicht Sinn des Gesetzes sein kann (13 Os 41/80).

Mit ihren durch die Strafneubemessung gegenstandslos gewordenen Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung blieb, wie im Ersturteil gefaßt, unberührt aufrecht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte