OGH 13Os179/83

OGH13Os179/8315.12.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Puschnig als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ursula A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 28. April 1983, GZ. 9 d Vr 13256/82-64, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 290 Abs. 1 StPO wird das angefochtene Urteil dahin ergänzt, daß auch die verwaltungsbehördliche Verwahrungshaft vom 7.Dezember 1982, 3 Uhr 30, bis 8.Dezember 1982, 9 Uhr 45, und vom 16.April 1983, 21 Uhr 30, bis 17.April 1983, 9 Uhr 15, nach § 38 StGB auf die Strafe angerechnet wird.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die am 12.Oktober 1960 geborene Ursula A wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach dem § 86 (zu ergänzen: § 83 Abs. 1) StGB (1) und des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB (2) schuldig erkannt. Ihr liegt zur Last, (1) am 7.Dezember 1982 in Wien Rudolf B durch Versetzen eines Stiches mit einem Fixiermesser (Klingenlänge 9,5 cm) in die linke Brustseite eine schwere Körperverletzung zugefügt zu haben, welche Tat den Tod des Genannten zur Folge hatte, und (2) am 11. Februar 1982 (im Urteilsspruch unrichtig: 1983) in Linz Harald C (der die Angeklagte und die sie begleitende Prostituierte Annemarie D gefragt hatte, was sie in der Nähe seines geparkten Personenkraftwagens täten - Band I, S.

503/504), durch gefährliche Drohung, nämlich dadurch, daß sie eine Gaspistole gegen ihn in Anschlag brachte und äußerte, er solle 'marschieren', sonst werde sie abdrücken, zu einer Handlung, und zwar zum Verlassen seines Standortes genötigt zu haben. Der Sache nach nur den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach den § 83 Abs. 1, 86 StGB (1) bekämpft die Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Das Erstgericht nahm zu diesem Schuldspruch folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Ursula A, die seit Anfang 1982 die Prostitution ausübte, unterhielt seit Juli 1982 eine Lebensgemeinschaft mit Rudolf B, der keinem Erwerb nachging, sondern von ihr erhalten wurde. Im Zuge fast allwöchentlicher Auseinandersetzungen zwischen B und A wurde diese von jenem zwar nicht mißhandelt, doch hatte sie Angst vor den Wutausbrüchen BS, von dem sie aus Erzählungen wußte, daß er seine frühere Lebensgefährtin öfter geschlagen hatte. Ungeachtet dessen hatte A dennoch das Gefühl, bei B 'gut aufgehoben' zu sein.

- Bei der Feststellung in den Urteilsgründen, wonach B während der Streitigkeiten 'gedroht' habe (Band I, S. 500), handelt es sich offenbar um einen Schreibfehler. Richtigerweise sollte es wohl statt 'gedroht' 'getobt' heißen, wie dies aus der entsprechenden, als einzige Feststellungsgrundlage in Betracht kommenden Darstellung der Angeklagten in der Hauptverhandlung (Band I, S. 471) und aus den Folgeworten der Urteilsfeststellung '... bei diesen Wutausbrüchen ...' (Band I, S. 500) hervorgeht.

Am Abend des 6.Dezember 1982 war Rudolf B nach einem am 4.Dezember 1982 wegen des Besuches eines Krampuskränzchens entstandenen Streit mit A noch in gereizter Stimmung. Als A um etwa 1.00 Uhr morgens des 7. Dezember 1982 in das Cafe 'I***', wo sich B befand, zurückkehrte, wurde sie von diesem mit den Worten empfangen:

'Haben wir heute Starallüren, weil wir so zeitig da sind ? ' In der Folge, als die Angeklagte und B an einem Tisch saßen, kam es zu einer neuerlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden, weil A das Lokal bereits verlassen und nach Hause fahren wollte. Hiebei frage A ihren Lebensgefährten, warum er mit ihr streiten möchte, worauf dieser entgegnete, ein Streit würde

'anders ausschauen'. Auf die Äußerung AS hin: 'Haust mich auch einmal nieder, dann haben die Leute etwas zu reden', ging B von der Seite des Tisches, an welcher er bis dahin A schräg gegenüber gesessen war, auf diese zu und versetzte ihr eine Ohrfeige. A nahm hierauf, noch immer sitzend, mit der rechten Hand aus dem Schaft ihres linken Stiefels ein Fixiermesser mit einer 9,5 cm langen Klinge. Als B sie fragte, ob sie sich damit stark fühle, und sich über sie beugte, stach ihn A im Aufstehen in die rechte Herzgegend, um ihn zu verletzen und zu verhindern, daß er 'weiter auf sie einschlage'. B verstarb an der Stichverletzung, deren Stichkanal den Herzbeutel, die rechte Herzkammer, den linken Zwerchfellschenkel und den linken Leberlappen durchsetzte und bis in das kleine Netz reichte, noch vor Eintreffen der Rettung. In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde reklamiert die Angeklagte Ursula A zunächst unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO das Vorliegen des Rechtsfertigungsgrundes der Notwehr nach dem § 3 Abs. 1 StGB, weil sie den Feststellungen des Erstgerichtes zufolge den Stich nur deshalb geführt hatte, um zu verhindern, daß B weiter auf sie einschlage.

Rechtliche Beurteilung

Der Einwand geht fehl.

Die genannte Urteilsfeststellung kann nur dahin interpretiert werden, daß die Angeklagte mit ihrer Tat weitere Mißhandlungen nach Art der ihr von B unmittelbar zuvor versetzten Ohrfeige abwenden wollte. Diese Deutung ergibt sich aus der - in der Folge bei Behandlung der Rüge nach dem § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO noch näher zu erörternden - Verantwortung der Angeklagten (vgl. insbesondere Band I, S. 471, 473 f., 478), der kein Hinweis auf eine befürchtete, graduell erhebliche Eskalierung allfälliger künftiger Mißhandlungen durch B entnommen werden kann, im Zusammenhang mit den ganz geringfügigen Folgen, welche die erwähnte Mißhandlung nach sich gezogen hatte, nämlich einer leichten Schwellung und Schleimhautläsion im Bereich des rechten Mundwinkels (vgl. Band I, S. 67, 75 oben, 151 a). Hat die Angeklagte aber nur derartige weitere Mißhandlungen befürchtet, dann bedarf es keiner näheren Begründung, daß zu deren Abwehr der präventive Einsatz des Messers, wie dies tatsächlich geschehen ist, nicht dem Erfordernis maßhaltender Verteidigung (verbo: 'notwendig') im Sinne des Notwehrbegriffes des § 3 StGB entspricht.

Feststellungen darüber, ob der Angeklagten angesichts bevorstehender weiterer Mißhandlungen ein Ausweichen faktisch möglich gewesen wäre, hat das Erstgericht zwar nicht getroffen (vgl. hiezu die teils gegensätzliche Darstellung der Angeklagten, Band I, S. 131, 313 bis 317, 473, 483 und des Zeugen E, Band I,

S. 127, 132, 327 bis 333, 489 f.).

Jedenfalls führt aber die gebotene Beurteilung aus der Sicht der Angeklagten in ihrer konkreten Situation zum Tatzeitpunkt, insbesondere auch unter Berücksichtigung einer gewissen körperlichen überlegenheit des, jedoch waffenlosen, Angreifers und bei Beachtung objektiver Kriterien (vgl. dazu 10 Os 182/80 =

JBl. 1981, 444 ff. mit - zustimmender - Glosse von Kienapfel) eindeutig zum Ergebnis, daß der Einsatz des Messers als Verteidigungsmittel weder dem Gebot gefahrloser, noch überhaupt, wie bereits ausgeführt, maßvoller Verteidigung entsprochen hat (siehe zu § 3 StGB: Leukauf-Steininger 2 , RN. 83;

Mayerhofer-Rieder 2 , E.Nr. 39, 47).

Vielmehr stand der von der Angeklagten mit dem Fixiermesser von beträchtlicher Klingenlänge ihrem Lebensgefährten in die Herzgegend versetzte Stich in einem krassen Mißverhältnis zur Gefährlichkeit der zu erwartenden weiteren Mißhandlungen, von denen, wenn überhaupt, bloß eine geringfügige Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung zu besorgen war.

Für die von der Beschwerdeführerin in weiterer Ausführung ihrer Nichtigkeitsbeschwerde unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des Par 281 Abs. 1 StPO relevierte Frage einer bloß aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (asthenischem Affekt) geschehenen fahrlässigen überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung (sogenannten Notwehrexzesses) und der in einem solchen Fall in Betracht kommenden strafrechtlichen Haftung der Beschwerdeführerin für den Fahrlässigkeitstatbestand des Vergehens der fahrlässigen Tötung (nicht, wie die Beschwerdeführerin vermeint, nach § 80 StGB, sondern) nach § 81 Z. 1 StGB, sind folgende Überlegungen maßgeblich:

§ 3 Abs. 2 StGB privilegiert den - rechtswidrigen - Notwehrexzess im Bereich der Schuld nur dann, wenn zwischen der Affektlage (Bestürzung, Furcht oder Schrecken) und der Überschreitung ein kausaler Zusammenhang besteht (arg.: '... aus ... geschieht').

Das Erstgericht hat eine die Annahme eines asthenischen Affektes begründende Tatsachenfeststellung nicht getroffen. Derartige Feststellungen waren durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens aber keineswegs indiziert, sodaß dem Ersturteil insoweit auch nicht der in der Nichtigkeitsbeschwerde der Sache nach geltend gemachte Feststellungsmangel anhaftet:

Unbeschadet der Kenntnis der Angeklagten von Mißhandlungen der früheren Lebensgefährtin BS durch denselben, der Angst der Angeklagten vor dessen Wutausbrüchen bei den nahezu allwöchentlichen Streitereien fühlte sich diese, wie das Erstgericht ihrer Darstellung gemäß feststellt, gut behandelt (Band I, S. 471, 500). Die Angst der Angeklagten, die sie ihrer Verantwortung zufolge nach Erhalt der Ohrfeige empfand, bestand in der Befürchtung, daß es ihr mit B genauso ergehen könnte wie mit ihrem vorigen Lebensgefährten, der sie geschlagen und 'unterdrückt' haben soll (Band I, S. 473 f., 478).

Weder aus den Vernehmungen der Angeklagten noch aus den übrigen Verfahrensergebnissen ist jedoch ein Hinweis darauf zu entnehmen, daß Mißhandlungen der Angeklagten durch ihren früheren Lebensgefährten auch nur irgendwelche körperliche Beschädigungen nach sich gezogen hätten oder sie sonst durch ihn (abgesehen davon, daß ihr von ihm das gesamte Geld abgenommen worden sein soll - Band I, S. 471, 478) in eine solche Lage versetzt worden wäre, die im gegebenen Fall zu einem asthenischen Affektzustand hätte führen können. Somit bestand nach der gesamten Beweislage kein Anhaltspunkt für einen mangelhaft beherrschten asthenischen Affekt der Angeklagten, der Ursache für die gegenständliche Notwehrüberschreitung hätte sein können.

Demnach fehlt es, der Beschwerde zuwider, an den Voraussetzungen für die Privilegierung des Notwehrexzesses gemäß § 3 Abs. 2 StGB, weshalb die Tat der Angeklagten rechtsrichtig dem (Vorsatz-) Tatbild der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86 StGB unterstellt wurde.

Aus den dargelegten Erwägungen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Aus Anlaß dieses Rechtsmittels war jedoch gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen, daß das Ersturteil im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung an einer nicht geltend gemachten Nichtigkeit nach dem § 281 Abs. 1 Z. 11 StPO leidet:

Der Beginn der beiden Anrechnungszeiträume fällt nämlich nicht erst auf den Zeitpunkt der jeweiligen Einlieferung der Angeklagten in das landesgerichtliche Gefangenenhaus (ON. 3: 8.Dezember 1982, 9.45 Uhr, bzw. ON. 61: 17.April 1983, 9.15 Uhr), sondern auf jenen ihrer Festnahme durch die Polizei, das ist der 7.Dezember 1982, 3.30 Uhr (ON. 2, S. 2, 33) sowie der 16.April 1983, 21.30 Uhr (ON 59, S. 455).

In diesem Umfang war der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung zu ergänzen (§ 38 Abs. 1 Z. 1 StGB).

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagte nach § 86 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren. Es wertete hiebei das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, hingegen das Geständnis zum Tötungsdelikt (§ 34 Z. 17 StGB) und den bisherigen untadeligen Wandel (§ 34 Z. 2 StGB) als mildernd.

Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe an.

Auch diesem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu:

Dem Berufungsvorbringen zuwider provozierte die Angeklagte (Prostituierte) ihr späteres Opfer, sodaß die von der Genannten behauptete heftige Erregung und der Hinweis auf die Person des Tatopfers (Zuhälter) als zusätzliche Milderungsumstände nicht in Frage kommen.

Auch das Alter der Angeklagten eignet sich hiezu nicht, weil das Gesetz die maßgebliche Altersgrenze im § 34 Z. 1 StGB eindeutig mit 21 Jahren festlegt, welches Alter die Angeklagte zu den Tatzeiten bereits überschritten hatte. Auch der Umstand, daß es sich bei dem Tatopfer um den Lebensgefährten der Berufungswerberin gehandelt hat, dessen Tod sie besonders erschüttert haben soll, kann nicht als Milderungsumstand herangezogen werden, weil andererseits ein mit Verletzungsvorsatz durchgeführter Angriff unter Verwendung eines Messers gerade gegenüber einem nahen Angehörigen Elemente besonderer Verwerflichkeit enthält. Die von der Rechtsmittelwerberin behauptete 'Lösung aus dem (Prostituierten-) Milieu' nach der Enthaftung am 7. Februar 1983 vermag nach Lage des vorliegenden Falles einen Milderungsgrund nicht zu begründen. Daß die vom Schuldspruch erfaßte Nötigung, wie die Angeklagte meint, bei der Strafbemessung nicht ins Gewicht fallen könne, widerspricht nicht nur der Bestimmung des § 33 Z. 1 StGB sondern auch der Art der Straftat (Bedrohung eines um seinen geparkten Personenkraftwagen besorgten Fahrzeughalters mit einer Gaspistole, um dessen Weitergehen zu erzwingen). Auf der Grundlage der mithin richtig und vollständig festgestellten (besonderen) Strafzumessungsgründe und der (allgemeinen) Strafbemessungsnormen (§ 32 StGB), in deren Rahmen insbesondere eine gewisse Neigung der Angeklagten zu Gewaltdelikten zu berücksichtigen ist, erweist sich die vom Schöffengericht ausgemessene Freiheitsstrafe nicht als überhöht.

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