OGH 10ObS8/04f

OGH10ObS8/04f27.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Loibl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich H*****, Zahnradschleifer, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwältin in Steyr, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. September 2003, GZ 11 Rs 92/03h-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Jänner 2003, GZ 30 Cgs 192/01b-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 27. 4. 1944 geborene Kläger hat den Beruf des Fleischhauers erlernt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 5. 2001 war er in 155 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung überwiegend als Maschinenarbeiter/Zahnradschleifer tätig. Dabei verrichtete er folgende Tätigkeiten: Händisches Nachschleifen von gehärteten Zahnrädern, Durchführung von Oberflächenverdichtungen (Kugelstrahlen), Oberflächenverdichtung im Gussverfahren ("Aufspritzen"). Zur Kerntätigkeit des Klägers gehörte auch die Durchführung von händischen Nachbearbeitungen in der Endfertigung und die Ausschusskontrolle sowie die Oberflächenhärtung. Die vom Kläger ausgeübte Kontrolltätigkeit (bezüglich Maßgenauigkeit und Oberflächenbeschaffenheit der erzeugten Gegenstände) in der Fertigung von Zahnrädern stellt eine Teiltätigkeit des gesamten Tätigkeitsbildes dar. Zur Aneignung der Kenntnisse für die von ihm verrichteten Tätigkeiten benötigte der Kläger eine Anlernzeit von insgesamt 11 Wochen. Bei diesen Arbeiten kommt es zu Staubbelastungen. Es wird an Maschinen gearbeitet, die eine Verletzungsgefahr in sich bergen. Ab und zu ist auch das Tragen von Lasten mit mehr als 10 kg erforderlich.

Aufgrund seines Krankheitszustandes ist der Kläger nur mehr in der Lage, leichte bis fallweise mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen auszuführen. Über das pyhsiologische Ausmaß hinausreichende Pausen sind nicht erforderlich. Kälte-, Nässe-, Hitze- und Staubexposition sollen vermieden werden. Der Kläger kann Lasten bis zu 15 kg heben und bis zu 10 kg tragen. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten an exponierten Stellen und an Maschinen mit Verletzungsgefahr sind ihm nicht mehr möglich. Arbeiten unter üblichem Zeitdruck, jedoch ohne Akkord- und Schichtarbeit untertags sind noch möglich. Auch Parteienverkehr kann von ihm verrichtet werden. Einschränkungen im ortsüblichen Anmarschweg bestehen nicht; der Kläger kann ein öffentliches Verkehrsmittel benützen. Mit leidensbedingten Krankenständen ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen; Kurbehandlungen sind im Hinblick auf die Herzerkrankung des Klägers üblicherweise in dreijährigen Abständen zu erwarten. Eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Dieser Gesundheitszustand des Klägers besteht seit Antragstellung.

Unter Berücksichtigung dieses Leistungskalküls kann der Kläger noch "Tätigkeiten in der Leichtindustrie, Kleinteilefertigung und auch als Kontrollarbeiter in der Metallbranche verrichten, wie beispielsweise Tischmontagearbeiten, Nachbearbeitungen an Werkstücken". Diese Arbeiten werden ebenso wie die vom Kläger bisher ausgeübte Tätigkeit in Werkshallen im arbeitsteiligen Verfahren ausgeführt. Die Grundeinschulung beträgt weniger als 3 bis 4 Wochen, die Einarbeitungszeit weniger als 8 bis 12 Wochen. Bei Ausübung derartiger Tätigkeiten muss der Kläger mit einer Verminderung seines bisher erzielten Einkommens um 20 bis 25 % rechnen.

Mit Bescheid vom 19. 6. 2001 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 27. 4. 2001 auf Gewährung der Invaliditätspension abgelehnt.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Die Invalidität des Klägers sei nach § 255 Abs 4 ASVG zu beurteilen, da er am 27. 4. 2001 das 57. Lebensjahr vollendet habe und während mehr als 120 Kalendermonaten innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag einer homogenen Tätigkeit als Maschinenarbeiter in der Zahnradfertigung nachgegangen sei. Diese Tätigkeit könne der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr verrichten. Da der Kläger aber bereits bisher eine Kontrolltätigkeit in der Fertigung von Zahnrädern als Teiltätigkeit seines gesamten Tätigkeitsbildes ausgeübt habe, könne er noch auf einfache Kontrollarbeiten und Montagearbeiten in der Metallbranche oder auf die Nachbearbeitung von Werkstücken verwiesen werden. Das Arbeitsumfeld dieser Verweisungstätigkeit sei dem Arbeitsumfeld der bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeit ähnlich. Die Arbeiten würden in überdachten Räumen ausgeführt, vorwiegend in Werkshallen, in denen die Maschinen untergebracht seien. In diesen Werkshallen seien Arbeitsgruppen tätig und die Arbeiten würden im arbeitsteiligen Verfahren durchgeführt. Ein wesentlicher Unterschied bezüglich der räumlichen Situation der bisher ausgeübten Tätigkeit und der Verweisungstätigkeit bestehe daher nicht. Auch hinsichtlich des Kontaktes zu Mitarbeitern sei ein Unterschied im Vergleich der bisherigen Tätigkeit zu den genannten Verweisungstätigkeiten nicht gegeben. Das Arbeitsumfeld der Verweisungstätigkeiten sei dem bisherigen Arbeitsumfeld aber auch deshalb so ähnlich, weil der Kläger weiter in der Metallbranche tätig wäre. Bei diesen Verweisungstätigkeiten würde der Kläger zwar mit einer Verminderung seines Einkommens rechnen müssen, die Lohnhälfte würde aber nicht unterschritten werden. Da für diese Verweisungstätigkeiten auch ein ausreichender Arbeitsmarkt bestünde, sei der Kläger nicht als invalid im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sah die Tatsachen- und Beweisrüge nicht als berechtigt an und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass eine Verweisung jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden müsse, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt worden und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich sei. Kriterien seien dabei neben dem kulturellen Arbeitsumfeld ua auch die Kontakte mit Mitarbeitern sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben seien. Der Branche könne keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie könne aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen. Da im konkreten Fall das Arbeitsumfeld, die Kontakte mit Mitarbeitern und Kunden sowie die räumliche Situation in den genannten Verweisungstätigkeiten (Tätigkeiten in der Leichtindustrie und in der Kleinteilefertigung; Kontrollarbeiten in der Metallbranche, wie beispielsweise Tischmontagearbeiten und Arbeiten in der Nachbearbeitung von Werkstücken) der vom Kläger bisher ausgeübten Tätigkeit ähnlich sei, sei die Zumutbarkeit der Verweisung zu bejahen. Dabei werde nicht verkannt, dass die Tätigkeit des Klägers als Maschinenarbeiter/Zahnradschleifer höhere fachliche Anforderungen stelle als die Verweisungstätigkeiten, der Kläger eine erhebliche Einkommenseinbuße in Kauf nehmen müsse und die Verweisungstätigkeit daher insgesamt betrachtet ein geringeres soziales Prestige aufweise als die bisher von ihm ausgeübte Tätigkeit. Doch müsse jeder Versicherte eine gewisse Schmälerung seines Einkommens in Kauf nehmen. Die Grenze der für einen Versicherten noch zumutbaren Einkommensschmälerung liege in dem im § 255 Abs 3 ASVG ausdrücklich vorgeschriebenen Maßstab der Lohnhälfte. Es hätten nämlich alle aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zu leistenden Pensionen Lohnersatzfunktion (Gehaltsersatzfunktion). Diese Leistungen sollen aber erst erbracht werden, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande sei, wenigstens die in seiner Berufsgruppe (Facharbeiter und Angestellte) oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Hilfsarbeiter) für gesunde Versicherte regelmäßig erzielbare Lohnhälfte (Gehaltshälfte) zu erwerben. So wie im vorliegenden Fall stelle sich die Frage der Lohnhälfte aber dann nicht, wenn der Versicherte imstande sei, die Verweisungstätigkeiten vollzeitig und ohne Einschränkungen zu verrichten, weil er dann jedenfalls auch die Lohnhälfte erzielen könne Auch das geringere soziale Prestige der Verweisungstätigkeit mache diese für sich alleine noch nicht unzumutbar. Dass die vom Kläger im Zuge seiner bisher ausgeübten Tätigkeit als Maschinenarbeiter/Zahnradschleifer verrichteten Kontrolltätigkeiten nur einen im Verhältnis zu seinen sonstigen Tätigkeiten geringen Zeitaufwand in Anspruch genommen hätten, liege auf der Hand, ändere aber nichts daran, dass es sich dabei um eine nicht unwesentliche Teiltätigkeit gehandelt hat. Nur wenn eine Teiltätigkeit im Verhältnis zur Haupttätigkeit völlig untergeordnet wäre, entweder in Bezug auf die dafür erforderliche Qualifikation oder den zeitlichen Aufwand, müsste eine Verweisung auf diese Teiltätigkeit als unzumutbar angesehen werden. Mit dem vom Kläger herangezogenen fiktiven Sachverhalt, bei dem eine Sekretärin, welche nebst vielfältigen anderen qualifizierten Aufgaben auch diverse Botengänge (zur Post, zu Banken etc) zu erledigen habe, auf reine Botengänge verwiesen werde, sei der hier vorliegende Sachverhalt keinesfalls vergleichbar.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit eine Teiltätigkeit auch dann als zumutbare Verweisungstätigkeit im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG in Betracht komme, wenn diese Teiltätigkeit im Verhältnis zur Haupttätigkeit untergeordnet sei, noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sozialrechtssache. Hilfsweise wird ein Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.

In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird zur Frage der "zumutbaren Änderungen" folgendermaßen Stellung genommen: "Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) soll unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen aufgrund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann". Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen: "Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."

Der Oberste Gerichtshof hat etwa in den Entscheidungen 10 ObS 185/02g (SSV-NF 16/100 = EvBl 2003/20), 10 ObS 352/02s (SSV-NF 16/136) und 10 ObS 367/02x (SSV-NF 16/140) eingehend zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG Stellung genommen (siehe zur bisherigen Judikatur Hinterobermaier, Die Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG: Voraussetzungen und Verweisbarkeit, RdW 2004, 164 ff). Zu dem von Schrammel (Der Invaliditäts-/Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 ff [888]) als "kryptisch" bezeichneten Satz über die Berücksichtigung zumutbarer Änderungen der Tätigkeit (siehe auch Tomandl, Die Verweisung im Recht der Pensionsversicherung, in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht, Band 43, 1 ff [6]) hat der Oberste Gerichtshof die Meinung vertreten, dass die zumutbaren Änderungen offenkundig eng zu interpretieren sind (RIS-Justiz RS0100022 [T4]).

In der Entscheidung 10 ObS 185/02g (SSV-NF 16/100 = EvBl 2003/20; siehe dazu Heckenast, DRdA 2003, 296) wurde eine Verweisung jedenfalls dann als zumutbar angesehen, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (ebenso Schrammel aaO 889). Als Kriterien wurden dabei neben dem kulturellen Arbeitsumfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern sowie die räumliche Situation angeführt (vgl Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [852]). Der Branche wurde keine allein ausschlaggebende Bedeutung zuerkannt; es wurde aber ausgesprochen, dass sie bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen kann.

In einer jüngeren Entscheidung wurde beispielsweise die Invalidität eines als LKW-Fahrer tätig gewesenen Klägers mit der Begründung verneint, dass er noch Tätigkeit als Fahrer eines Klein-LKWs oder Zusteller verrichten könne, weil beide Tätigkeiten das Lenken von LKWs zum wesentlichen Tätigkeitsinhalt haben und die Verweisungstätigkeit auch vom technischen und persönlichen Umfeld sowie vom räumlichen Arbeitsbereich her betrachtet der bisher ausgeübten Tätigkeit sehr ähnlich sei (10 ObS 186/03f). Eine Verweisung eines ohne Unterbrechungen als Muldenkipperfahrer in einem Steinbruch beschäftigten Versicherten auf Tätigkeiten eines Zustellfahrers wurde demgegenüber mit der Begründung verneint, dass sich durch eine Verweisung das bisherige Arbeitsumfeld wesentlich ändere (10 ObS 12/04v). Zur Frage der Verweisbarkeit eines bisher als Frachtgutlader auf einem Flughafen beschäftigt gewesenen Versicherten auf die Tätigkeit eines Arbeiters in der Leergutannahme eines Großhandelsbetriebes wurde die Ansicht vertreten, dass der Umstand, dass bei beiden Tätigkeiten mit Gütern manipuliert werde und das geistige Anforderungsprofil vergleichbar gering sei, für sich allein nicht ausreiche, um die Zumutbarkeit einer Verweisung zu begründen, da sonst die vom Gesetzgeber - im Verhältnis zu § 255 Abs 3, aber auch § 255 Abs 1 ASVG - beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfeldes nicht gewährleistet wäre (10 ObS 101/03f). In der Entscheidung 10 ObS 421/02p (ARD 5433/17/2003 = infas 2003, S 38 = DRdA 2003, 459 = SVSlg 48.813) wurde ausgeführt, dass eine Verweisung eines Bauschlossers auf die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers den Rahmen der "zumutbaren Änderungen" überschreiten würde, weil nicht die eigenhändige Produktion, sondern die Kontrolle maschineller Tätigkeiten im Vordergrund stehe; außerdem sei das Arbeitsumfeld anders.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger im 15-jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag in der Zahnradfertigung durchgehend folgende Tätigkeiten verrichtet: Nachschleifen von gehärteten Zahnrädern, Durchführen von Oberflächenverdichtungen (Kugelstrahlen und "Aufspritzen"). Zu seiner Tätigkeit gehörte neben dem händischen Nachbearbeiten in der Endfertigung auch die Ausschusskontrolle. Das Erstgericht bezeichnet in seinen Feststellungen die vom Kläger ausgeübte Kontrolltätigkeit - bezüglich Maßgenauigkeit und Oberflächenbeschaffenheit der erzeugten Gegenstände - als Teiltätigkeit des gesamten Tätigkeitsbildes. Zur Aneignung der Kenntnisse für die Ausübung dieser Tätigkeiten benötigte der Kläger eine Anlernzeit von insgesamt 11 Wochen. Vom Berufungsgericht wurde noch - als auf der Hand liegend - ergänzt, dass die vom Kläger verrichteten Kontrolltätigkeiten nur einen im Verhältnis zu seinen sonstigen Tätigkeiten geringen Zeitaufwand in Anspruch nahmen; aus rechtlicher Sicht seien sie aber nicht als bloß unwesentliche Teiltätigkeiten zu qualifizieren.

In der Revision wird vom Kläger in den Vordergrund gerückt, dass hier ein Widerspruch bestehe und keine Begründung vorliege, warum eine nur einen geringen Zeitaufwand in Anspruch nehmende Teiltätigkeit trotzdem "eine nicht unwesentliche Teiltätigkeit" darstelle; bereits in der Berufung sei das Fehlen von Feststellungen gerügt worden, welchen Teil der Arbeitszeit die Kontrolltätigkeit beinhaltet habe oder welche sonstige Gewichtung im Arbeitsablauf diese Tätigkeit gehabt habe. Jedenfalls erscheine die Verweisung auf eine Teiltätigkeit nicht zumutbar, die zeitlich oder von der Gewichtung im Arbeitsablauf her gesehen nur eine untergeordnete Bedeutung habe.

Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Es wurde bereits dargestellt, dass der Oberste Gerichtshof in der grundlegenden Entscheidung vom 17. 9. 2002, 10 ObS 185/02g (SSV-NF 16/100 = EvBl 2003/20) die Ansicht vertreten hat, dass im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG eine Verweisung bzw Änderung der bisherigen Tätigkeit jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden muss, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine wesentliche Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. Weiters muss für sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Markt bestehen (10 ObS 193/03k = ARD 5471/12/2004; Schrammel aaO 889). Der vom Gesetzgeber angestrebte besondere Schutz von über 57-jährigen Versicherten würde verwässert, wenn Invalidität schon durch die Verweisbarkeit auf eine (auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte) Teiltätigkeit der bisherigen Tätigkeit ausgeschlossen würde, obwohl der Teiltätigkeit von der Gewichtung im Arbeitsablauf her gesehen, aber auch zeitlich nur eine untergeordnete Bedeutung in der bisher ausgeübten "einen" Tätigkeit zukommt. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu bedenken, dass § 255 Abs 4 ASVG - ebenso wie die Vorgängerbestimmung (§ 253d ASVG) - nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz abstellt, sondern auf die abstrakte "Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 367/02x = SSV-NF 16/140; 10 ObS 98/03i = ARD 5433/14/2003), sodass kein Arbeitsplatzschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz (oder ein dem inhaltlich entsprechender "besonderer Berufsschutz") vermittelt wird. Eine Verweisbarkeit auf jede Teiltätigkeit dieser Tätigkeit genügen zu lassen könnte dazu führen, dass sich ein Versicherter auf eine Tätigkeit verweisen lassen müsste, die er bisher (konkret) gar nicht ausführen musste, was mit den Intentionen mit § 255 Abs 4 ASVG angestrebten Intentionen nicht übereinstimmt, dass das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten ebenso ausgeschlossen sein soll wie die Verrichtung in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld.

Ausgehend davon sind Feststellungen erforderlich, in welchem zeitlichen Umfang bei einem Maschinenarbeiter/Zahnradschleifer Kontrolltätigkeiten vorkommen und welches Gewicht ihnen im Arbeitsablauf zukommt. Bei einer nur geringen Bedeutung im Arbeitsablauf oder einem nur untergeordneten zeitlichen Umfang der Kontrolltätigkeiten würde eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Kontrollarbeiters in der Metallbranche ausscheiden.

Weiters sind der Tätigkeitsinhalt und die Anforderungen in den weiters genannten Verweisungsberufen zu klären, um beurteilen zu können, ob eine Verweisung als zumutbare Änderung der bisherigen Tätigkeit angesehen werden kann. Es ist auch noch nicht klar, welche Verweisungstätigkeiten genau mit der allgemein gehaltenen Wortfolge "Tätigkeiten in der Leichtindustrie, Kleinteilefertigung und auch als Kontrollarbeiter in der Metallbranche ..., wie beispielsweise Tischmontagearbeiten, Nachbearbeitungen an Werkstücken" angesprochen sind. Der Umstand, dass es sich ebenfalls um metallverarbeitende Tätigkeiten handelt, die in Werkhallen in Arbeitsgruppen ausgeführt werden, würde für sich allein nicht für die Begründung der Zumutbarkeit einer Verweisung genügen.

Letztlich ist darauf zu verweisen, dass § 255 Abs 4 ASVG im Gegensatz zu § 255 Abs 3 ASVG und zur Vorgängerbestimmung (§ 253d Abs 1 Z 4 ASVG) nicht auf die Möglichkeit des Erreichens der Lohnhälfte abstellt. Es ist aber davon auszugehen, dass merkbare Lohneinbußen von der bisherigen Tätigkeit, wie sie auf dem Arbeitsmarkt entlohnt wird, auf eine Verweisungstätigkeit einen Einfluss auf die Beurteilung der Zumutbarkeit der Änderung der Tätigkeit (bzw Verweisung) in der Form haben können, dass eine gravierende Lohneinbuße ein Kriterium für die Unzumutbarkeit einer Verweisung darstellen kann.

In diesem Sinn erweist sich das Verfahren der Vorinstanzen mehrfach als ergänzungsbedürftig, weshalb deren Entscheidungen aufzuheben sind.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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