European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0070OB00299.03A.1217.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Zur ärztlichen Aufklärungspflicht liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor (RIS‑Justiz RS0026340; RS0026499; RS0026578; RS0026581; RS0114848 uva), deren Grundsätze vom Berufungsgericht richtig wiedergegeben wurden. Der konkrete Umfang dieser Pflicht ist - wie die ao Revision selbst festhält - eine Frage des Einzelfalles; sie hängt von den jeweiligen Umständen ab und stellt daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RIS‑Justiz RS0026529 [T3, T4 und T18]; zuletzt: 5 Ob 162/03i und 9 Ob 30/03g).
Die Zulassungsbeschwerde wird damit begründet, dass zur Frage, ob ein Arzt eine Patientin ungefragt über die theoretische Möglichkeit eines nicht indizierten Eingriffs aufzuklären hat, in Österreich noch keine Rechtsprechung vorliege. Tatsächlich hat der Oberste Gerichtshof jedoch gerade zum angesprochenen "Themenkreis" (medizinisch nicht indizierter Kaiserschnitt) bereits festgehalten, aus der Entscheidung 10 Ob 107/02m sei abzuleiten, „dass - mangels Indikation für eine Kaiserschnittentbindung - der Patientin nicht ungefragt zu erläutern ist, welche Behandlungs‑(Entbindungs‑)methoden theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, solange der Arzt eine Methode anwendet, die dem medizinischen Standard genügt" (E v 8. 7. 2003, 5 Ob 162/03i; Hervorhebungen durch den erkennenden Senat).
Im vorliegenden Fall geht es aber gar nicht um eine ungefragte Erläuterung bei fehlender medizinischer Indikation. Das gegenteilige Zitat der ao Revision ist unvollständig, weil das Erstgericht an der angegebenen Stelle (Seite 3 des Ersturteils) tatsächlich festgehalten hat, dass eine medizinische Indikation "jedenfalls nicht wegen auffälliger kindlicher Herzaktionen oder wegen des mangelnden Geburtsfortschrittes" gegeben war.
Nach den weiteren Feststellungen ist jedoch davon auszugehen, dass bekannt (bzw durch jedenfalls erforderliche Untersuchungen feststellbar) war, dass sich das Kind nicht in einer normalen Lage befand (sondern eine „verkehrt rotierte Hinterhaupthaltung", bei nur 20 %iger Wahrscheinlichkeit, dass sich das Kind vor der Geburt rechtzeitig in eine normale Lage dreht, vorlag); und dass diese Lageanomalie eine erhöhte Platzbeanspruchung im Bereich des Beckenausganges und damit ein erhöhtes Risiko für einen Dammriss (insbes auch für einen solchen dritten Grades) bewirkt hat; weiters dass die Klägerin weder über dieses erhöhte Risiko (Lageanomalie), noch über die Folgen eines dadurch (möglicherweise) drohenden Dammrisses oder über die Möglichkeit, einen solchen durch einen Kaiserschnitt (bei dadurch insgesamt aber höherem Risiko - insbes Mortalitätsrisiko - für die Klägerin) sicher zu vermeiden, aufgeklärt wurde; sowie davon, dass das erhöhte Risiko bei der Geburt eines Kindes aufgrund seiner Lageanomalie (auch) als typisches, ja sogar erhöhtes Risiko für einen Dammriss dritten Grades einzuschätzen ist (Seite 4 und 7 des Ersturteils bzw Seite 8 der Berufungsentscheidung).
Dazu hat das Berufungsgericht ua ausgeführt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, diese Umstände gegenüber der Klägerin offenzulegen und sie (entsprechend) aufzuklären. Ein solche Verpflichtung bestehe nämlich insbes dann, wenn die Risken den nicht informierten Patienten überraschen und bei Verwirklichung seine Lebensführung erheblich belasten können, zumal sie der Patient nicht mit dem (unterbliebenen) Eingriff in Verbindung bringe; insoweit sprächen die körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin bei der in Rede stehenden Geburt laut Seite 4 des Ersturteils (Dammriss dritten Grades [= Durchriss auch des äußeren Schließmuskels des Afters], wobei bisher keine einwandfreie Wiederherstellung der Funktion des Schließmuskels erzielt werden konnte) für sich.
Diese berufungsgerichtliche Beurteilung des Einzelfalles bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und enthält keine auffallende Fehlbeurteilung, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrnehmen müsste:
Eine Pflicht zu Aufklärung besteht nämlich nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann (RIS‑Justiz RS0026578; zuletzt: 10 Ob 24/00b [Behandlungsfehler durch unterlassen der sog therapeutischen Aufklärung]). Außerdem ist die ärztliche Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr nach stRsp sogar verschärft (RIS‑Justiz RS0026340; RS0026581 [T1; T2; T5]), wobei sich die Typizität nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus ergibt, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist, weshalb der Patient davon nicht überrascht werden soll (RIS‑Justiz RS0026340; RS0026581 [T1; T3; T5]; zuletzt: 9 Ob 30/03g).
Zur Zulassungsbeschwerde ist daher nur noch festzuhalten, dass sich die Frage, ob eine Aufklärung über die "theoretische Möglichkeit" (!) eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs geboten ist (Seite 4 der oa Revision), hier gar nicht stellt. Die außerordentliche Revision ist somit mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.
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