Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Über Antrag der Kinder erhöhte das Erstgericht die Unterhaltsverpflichtung des Vaters von bisher 7.500 S (= 545,05 EUR) monatlich je Kind für die Zeit vom 1. 3. 2001 bis 30. 6. 2001 auf 695,80 EUR und ab 1. 7. 2001 auf 720 EUR monatlich je Kind. Das Unterhaltsmehrbegehren von monatlich je 3,63 EUR für die Zeit vom 1. 3. 2001 bis 30. 6. 2001 wurde abgewiesen. Das Erstgericht ging von dem wesentlichen Sachverhalt aus, dass der Vater über ein monatliches Einkommen von 93.000 S (= 6.758,57 EUR) verfüge und für seine geschiedene Gattin sowie seine derzeitige Gattin teilweise sorgepflichtig sei. Das Erstgericht sprach den Kindern jeweils das Zweieinhalbfache des Durchschnittsbedarfssatzes zu. Dieser habe im ersten Halbjahr 2001 3.830 S und ab 1. 7. 2002 monatlich 288 EUR betragen. Das Erstgericht behandelte ferner verschiedene Einwendungen des Unterhaltsschuldners, die im Revisionsrekursverfahren nicht von Relevanz sind.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es beurteilte den erstmals im Rekurs erhobenen Einwand, dass bei der Unterhaltsbemessung die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe anzurechnen sei, als unzulässige Neuerung. Der Unterhaltsschuldner hätte schon im Verfahren erster Instanz die Berücksichtigung der Familienbeihilfe verlangen müssen.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Notwendigkeit einer Antragstellung des Unterhaltsschuldners, eine steuerliche Entlastung vorzunehmen, nicht vorliege.
Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung dahin, dass der Unterhaltserhöhungsantrag der Kinder abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung. Die Kinder stehen in ihrer Äußerung zum Revisionsrekurs des Vaters auf dem Standpunkt, das Rechtsmittel sei unberechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Bis zu den Erkenntnissen des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00 und vom 19. 6. 2002, G 7/02, ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen solle, in dem das Kind betreut werde, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Sie sei nicht dazu bestimmt, den nicht betreuenden geldunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Die Familienbeihilfe sei nicht auf die Unterhaltspflicht anrechenbar (1 Ob 218/00s mwN). Im Erkenntnis vom 27. 6. 2001 vertrat der VfGH eine gegenteilige Ansicht. Es sei schon auf der Grundlage des geltenden Rechts eine steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen an nicht haushaltszugehörige Kinder durch Anrechnung eines Teils der gesetzlichen Leistungen (Unterhaltsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG; Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG und Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 2 FLAG) verfassungsrechtlich geboten.
Der Oberste Gerichtshof beantragte gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) aus Anlass anhängiger Revisionsrekurse beim Verfassungsgerichtshof, § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit seinem Erkenntnis vom 19. 6. 2002, G 7/02, hat der Verfassungsgerichtshof im § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Der VfGH wiederholte seine schon im vorher ergangenen Erkenntnis erläuterte Auffassung, dass auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe. Weil der Gesetzgeber die indirekte steuerliche Entlastung von Geldunterhaltsschuldnern auf dem Weg über "(erhöhte) Transferleistungen" spätestens seit dem BudgetbegleitG 1998, BGBl I 1998/79 bevorzuge, habe er "in Kauf genommen, dass ein Teil dieser Transferleistungen in bestimmten Situationen und in unterschiedlicher Höhe nunmehr nicht für die Kinder bestimmt" sei, "sondern der steuerlichen Entlastung der Unterhaltsverpflichteten" diene.
Der Oberste Gerichtshof hat seither in zahlreichen Entscheidungen die nach Aufhebung der Wortfolge im § 12a FLAG eingetretene neue Rechtslage bei der Unterhaltsfestsetzung berücksichtigt (RIS-Justiz RS0117015).
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 19. 6. 2002 ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden sei und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Bei jeder dem Erkenntnis nachfolgenden Gerichtsentscheidung ist daher die neue Rechtslage anzuwenden (in diesem Sinn die schon zitierte oberstgerichtliche Judikatur auf der Basis des zweiten Erkenntnisses des VfGH; Gitschthaler, Familienbeihilfe und deren Anrechnung auf Kinderunterhaltsansprüche, JBl 2003, 9 [13]). Seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 9. 6. 1988, 6 Ob 544/87 = SZ 61/143, können noch nicht verjährte Unterhaltsansprüche auch für die Vergangenheit geltend gemacht werden (rückwirkend auf drei Jahre). Eine rückwirkende Neufestsetzung der Unterhaltspflicht ist auch im Wege einer Unterhaltsherabsetzung oder Unterhaltseinstellung grundsätzlich zulässig (RIS-Justiz RS0047398). Daraus folgt, dass die neue Rechtslage auch zurückwirken kann, insbesondere muss dies jedenfalls für die Unterhaltsverfahren gelten, die vor der Kundmachung des zweiten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs schon anhängig waren.
Mit der Frage, ob die steuerliche Entlastung von Amts wegen oder nur auf Antrag des Unterhaltsschuldners vorzunehmen ist, hat sich der Senat schon in der Entscheidung 6 Ob 159/02d auseinandergesetzt; er ist zum Ergebnis gelangt, dass das Gesetz nicht zwingend eine steuerliche Entlastung gebiete. Die Entlastung hänge von der Disposition des Unterhaltsschuldners ab. Der Untersuchungsgrundsatz im außerstreitigen Verfahren gehe nicht so weit, dass von Amts wegen eine vom Unterhaltsschuldner gar nicht relevierte Steuerentlastung vorgenommen werden müsste, ihm also ein verzichtbarer Rechtsanspruch (Rechtsgrund) geradezu aufgedrängt wird (in diesem Sinne Gitschthaler aaO 14). An dieser Auffassung ist festzuhalten. Der Revisionsrekurswerber führt keinerlei konkreten Argumente für seine gegenteilige Ansicht ins Treffen und beruft sich nur allgemein auf den im außerstreitigen Unterhaltsverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatz. Es braucht daher zu der schon in der Vorentscheidung gegebenen Begründung nur noch zusätzlich darauf verwiesen werden, dass die steuerliche Entlastung eine entsprechende Steuerpflicht in Österreich voraussetzt. Wenn keine Steuerpflicht oder zumindest in Österreich keine Steuerpflicht besteht, kann der Unterhaltsschuldner die steuerliche Entlastungsfunktion der Familienbeihilfe nicht unterhaltsmindernd ins Treffen führen (RIS-Justiz RS0117122). Ihm obliegt daher zu diesem Thema die Behauptungs- und Beweislast, weil der Untersuchungsgrundsatz nicht so weit geht, die Parteien von einem möglichen und zumutbaren Vorbringen über Sachverhalte zu entbinden, über die nur sie Kenntnis haben können. Das Gericht ist nicht verpflichtet, alle nur denkmöglichen Sachverhaltsvarianten von Amts wegen in Erwägung zu ziehen. Es ist Sache des Unterhaltsschuldners, zu beurteilen, ob er einen unterhaltsmindernden Sachverhalt ins Treffen führen kann und auch will.
§ 10 AußStrG erlaubt es, im Rekurs neue Umstände und Beweismittel anzuführen. Diese Bestimmung wird in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung so verstanden, dass sich die Neuerungserlaubnis nur auf Tatsachen bezieht, die bereits vor der erstrichterlichen Beschlussfassung eingetreten sind und dass ferner eine Einschränkung sich daraus ergibt, dass der Gesetzgeber nur neue Umstände (also Tatsachen) und Beweismittel erwähnt, nicht jedoch neue Sachanträge. Auf neue Sachanträge erstreckt sich somit die Neuerungserlaubnis nicht (6 Ob 106/00g mwN). Nach diesen Grundsätzen dürfte der Unterhaltsschuldner einen im Verfahren erster Instanz unterbliebenen Antrag auf steuerliche Entlastung im Rekursverfahren nicht mehr nachholen. Die Besonderheit des Falles liegt hier aber darin, dass die Neuerung in einer Änderung der Rechtslage infolge der Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof besteht, die der Revisionsrekurswerber im Verfahren erster Instanz naturgemäß noch nicht geltend machen konnte.
Auf die geänderte Rechtslage ist vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, soferne die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es hängt grundsätzlich von den Übergangsbestimmungen ab, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RS0031419), dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren, wenn die neuen materiellen Bestimmungen nach dem Übergangsrecht schon auf die im anhängigen Rechtsstreit zu klärenden Fragen anwendbar sind (1 Ob 261/01s; 10 ObS 261/01g für die Rechtslage nach einem gesetzesaufhebenden Erkenntnis des VfGH). Für gerichtsanhängige Verfahren hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach eine rückwirkende Anwendung der neuen Rechtslage zu § 12a FamLAG auch auf vor der Gesetzesaufhebung liegende Unterhaltsperioden bejaht (6 Ob 159/02d; 1 Ob 135/02p; 3 Ob 81/02m; 4 Ob 12/03y uva). Die Rückwirkung bedeutet eine Veränderung der Entscheidungsgrundlagen für die Vergangenheit, sodass zwar die Rechtsänderung eine der Beschlussfassung in der Unterhaltssache nachfolgende Tatsache ist, die ein Rekurswerber aber deshalb mit einer nach § 10 AußStrG zulässigen Neuerung ins Treffen führen darf, weil durch die Rechtsänderung die schon im Verfahren erster Instanz vorliegenden Tatsachen (Bezug der Familienbeihilfe durch den betreuenden Elternteil; Steuerpflicht des Unterhaltsschuldners) eine besondere Relevanz erhielten, die vom Rekurswerber aber noch nicht geltend gemacht werden konnte oder zumindest nicht geltend gemacht werden musste. Der Unterhaltsschuldner hätte zwar, wie zahlreiche andere Geldunterhaltsschuldner auch, schon auf Grund des ersten Erkenntnisses des VfGH und vor der Kundmachung des zweiten Erkenntnisses im Verfahren erster Instanz einen entsprechenden Antrag stellen können. Eine zumutbare Verpflichtung zu einer solchen Antragstellung bloß in der Hoffnung auf eine Rechtsänderung durch den VfGH bzw auf eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit der Transferleistungen bestand aber nicht. Der zu § 10 AußStrG judizierte Rechtssatz, dass im Verfahren erster Instanz mögliches Tatsachenvorbringen oder Beweisanbot und eine mögliche Antragstellung die Neuerung im Rekursverfahren ausschließt, setzt die Beurteilung nach der materiellen Rechtslage in erster Instanz voraus. Damals war im vorliegenden Fall aber das zweite Erkenntnis des VfGH noch nicht kundgemacht. Über die künftige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs konnten nur Spekulationen angestellt werden. Dem Unterhaltsschuldner ist nicht anzulasten, dass er ein mögliches Tatsachenvorbringen und eine Antragstellung auf steuerliche Entlastung im Verfahren erster Instanz unterließ. Er durfte die auf den entscheidungswesentlichen Sachverhalt rückwirkende Rechtsänderung mit zulässigen Neuerungen gemäß § 10 AußStrG auch noch im Rekursverfahren geltend machen. Dieses Ergebnis deckt sich mit demjenigen in einigen oberstgerichtlichen Vorentscheidungen, in denen - wie jeweils aus der Sachverhaltswiedergabe ersichtlich ist - die Unterhaltsschuldner ebenfalls erst im Rekursverfahren die Frage der steuerlichen Entlastung relevierten und der Oberste Gerichtshof - wenn auch ohne Begründung - dieses Thema als entscheidungswesentlich aufgriff und keineswegs eine unzulässige Neuerung annahm (3 Ob 40/02g; 3 Ob 193/02y; 3 Ob 285/01k; 1 Ob 182/02z ua).
Das Erstgericht wird das Verfahren nach der schon zitierten Rechtsprechung zur konkreten Berechnung des Geldunterhalts (zur Berechnungsformel: RIS-Justiz RS0117015) unter Berücksichtigung der gebotenen steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltsschuldners zu ergänzen haben. Die im Einzelfall vorzunehmende konkrete Berechnung des Geldunterhalts berührt keine grundsätzlichen Rechtsfragen und kann daher gemäß § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO, der nach § 16 Abs 4 AußStrG auch für das Verfahren über einen Revisionsrekurs im außerstreitigen Verfahren gilt, den Vorinstanzen überlassen werden.
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