OGH 7Ob16/03h

OGH7Ob16/03h26.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe W*****, vertreten durch Stenitzer & Stenitzer Rechtsanwälte OEG in Leibnitz, gegen die beklagten Parteien 1. Hermine O***** und 2. Gernot M*****, beide vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. August 2002, GZ 3 R 146/02s-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gleisdorf vom 28. März 2002, GZ 6 C 1293/00w-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Vorauszuschicken ist, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung des Entscheidungsgegenstandes nicht durchzuführen war.

Die Revisionsbeschränkungen gemäß § 502 Abs 2 und 3 ZPO gelten gemäß Abs 5 Z 2 dieser Bestimmung nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Diese gesetzliche Regelung bezweckt, wie bereits wiederholt ausgesprochen wurde, Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst, unabhängig von jeder Bewertung, unter der weiteren Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO für revisibel zu erklären (RZ 1991/21 ua; Kodek in Rechberger2 Rz 2b zu § 502 ZPO). Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung Klagen auf Räumung von Wohn- und Geschäftsräumlichkeiten, die auf eine - von Anfang an - behauptete titellose Benützung gestützt sind, nach stRsp (MietSlg 47.667 mwN ua; RIS-Justiz RS0046865; vgl Kodek aaO) nicht zu den Streitigkeiten gehören, die ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstandes unter die Zuständigkeitsvorschriften des § 49 Abs 2 Z 5 JN fallen. Im Regelfall wird jedoch auch beim Streit über eine "Räumung", wenn auch nur als Vorfrage, über das Dauerschuldverhältnis selbst und seine wirksame Beendigung zu entscheiden sein (RZ 1991/21; 7 Ob 626/94; 10 Ob 11/00s ua; RIS-Justiz RS0046865 [T8]).

Hier stützt die Klägerin zwar ihr Räumungsbegehren auf eine titellose Benützung durch die Beklagten, leitet dies aber bereits in der maßgeblichen Klageerzählung daraus ab, dass der "Mietvertrag" (auf Grund dessen die Beklagten ihr Mietobjekt benützen) bis dato noch nicht unterzeichnet sei, weshalb sich die Klägerin an den Inhalt des Mietvertragsentwurfes "nicht mehr" gebunden erachte; ein mündlicher Mietvertrag sei nicht abgeschlossen worden (ON 1 und 3). Es ist daher das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags im Rahmen des Räumungsstreits strittig, sodass die Zulässigkeit der Revision hier nicht vom Streitwert abhängt (vgl 7 Ob 626/94; MietSlg 47.669; 7 Ob 522/95; 1 Ob 242/98i; 10 Ob 11/00s uva; RIS-Justiz RS0043261 [T6]). Entscheidend ist vielmehr, ob die Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO vorliegen (9 Ob 220/02x mwN). Dies ist jedoch zu verneinen.

In der gerügten Aktenwidrigkeit ist keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu erblicken. Die "vollinhaltliche" (Seite 3 der Revision) Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich nicht aktenwidrig sein (Kodek in Rechberger² Rz 4 Abs 3 zu § 503 ZPO). Gleiches gilt aber auch für die von den Vorinstanzen unterschiedlich beantwortete Frage, ob die vereinbarte (Miet-)Vertragsdauer von sieben Jahren einvernehmlich auf drei Jahre reduziert wurde; handelt es sich dabei doch um eine Frage der Auslegung und damit der rechtlichen Beurteilung (ob ein Vertrag perfekt geworden ist: Kodek aaO Rz 2 zu § 498 ZPO), die - selbst wenn sie vom Berufungsgericht abweichend beantwortet wurde - ebenfalls nicht geeignet ist, eine Aktenwidrigkeit zu begründen (6 Ob 5/00w mwN).

Richtig ist, dass das Ersturteil (freilich in seiner rechtlichen Beurteilung) davon ausgeht, beim Treffen der Streitteile am 4. 7. 2000 sei es zu einer nachträglichen einvernehmlichen Änderung der Befristung der Dauer des Mietverhältnisses vom sieben auf drei Jahre gekommen, während das Berufungsgericht dazu den Standpunkt vertritt, die einvernehmliche Reduktion der vereinbarten Vertragsdauer habe nicht "festgestellt" (richtig: aus dem festgestellten Sachverhalt [Seite 5 des Ersturteils] abgeleitet) werden können. Ob diese oder jene Rechtsbeurteilung zutrifft ist für die Erledigung der vorliegenden, auf titellose Benützung gestützten Räumungsklage jedoch aus folgenden Überlegungen bedeutungslos, sodass auch die Frage einer allfälligen Unwirksamkeit der nicht formgültig (weil nur mündlich) getroffenen Befristungsvereinbarung (vgl dazu 6 Ob 25/00w mwN) nicht geprüft werden muss:

Ein Bestandvertrag kommt gemäß § 1094 ABGB schon durch die Willensübereinstimmung über den Bestandgegenstand und den Bestandzins zustande, es sei denn, die Vertragsparteien hätten sich die Einigung über bestimmte, wenn auch unwesentliche Vertragspunkte vorbehalten oder es hätte über einen derartigen Vertragspunkt offener (Teil-)Dissens geherrscht (RIS-Justiz RS0020394; zuletzt: 3 Ob 265/98m, MietSlg 50.129 = JBl 1999, 602 mwN; Binder in Schwimann VI2 Rz 7 zu § 1092 ABGB; Würth in Rummel I³ Rz 3 zu §§ 1092 bis 1094 ABGB).

Dazu steht - wie die Revision selbst aufzeigt - fest, "dass die Streitteile nicht nur Einigung über das Bestandobjekt, den Zins und die Vetragsdauer, sondern auch über all jene Bestimmungen erzielten, die Inhalt des Vertragsmusters Beilage ./3 sind", welches nur noch "ins Reine geschrieben und danach von den Streitteilen unterschrieben" werden sollte; die Streitteile waren sich "auch" darüber einig, dass der Mietvertrag nach Ablauf der Bestandsdauer [also laut Beilage ./3 am 30. 6. 2007 (!)] enden sollte (Punkt 1.3 Abs 2 f der Revision). Von diesen zutreffend wiedergegebenen Feststellungen ist auszugehen.

Ein Vertrag über ein Bestandverhältnis kann aber - mangels eines gesetzlichen Formgebots - auch mündlich zustande kommen (MietSlg 47.055/20 = WoBl 1997/56). Selbst wenn die Parteien die Errichtung einer schriftlichen Vertragsurkunde vorgesehen haben, besagt eine solche Vereinbarung noch nicht, sie wollten vor der Beurkundung ihres Geschäftswillens im Sinne des § 884 ABGB nicht gebunden sein, sofern nicht ein ausdrücklicher Vorbehalt in diese Richtung gemacht wurde (stRsp; MietSlg 50.129; 50.078; 47.055/20; 34.180 mwN; RIS-Justiz RS0017286; zuletzt: 9 Ob 19/02p).

Für Letzteres besteht hier jedoch kein Anhaltspunkt, weil auch im vorliegenden Fall (wie zu 3 Ob 265/98m) ein Formvorbehalt iSd § 884 ABGB weder behauptet noch festgestellt wurde. Die Kritik Rummels, wonach die Rechtsprechung die gesetzliche Vermutung des § 884 ABGB in Ihr Gegenteil verkehre (JBl 1980, 236 ff und Rummel in Rummel I³ Rz 2 zu § 884 ABGB, welcher hinsichtlich der zitierten Entscheidung jedoch ausdrücklich zugesteht, dass die "tatsächliche Verkehrung der gesetzlichen Vermutung in ihr Gegenteil durch die zunehmende Zahl von Fällen, in denen sie wirklich widerlegt wird, legitim" sei [JBl 1999, 603 f]), bedarf daher auch hier keiner Wertung. Aus diesem Grund ist auch die vom Berufungsgericht dargestellte erhebliche Rechtsfrage (die darin erblickt wird, dass zur Bindung des Vermieters an einen Bestandvertrag vor Einhaltung der vereinbarten Schriftform divergierende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes aus jüngster Zeit vorlägen (nämlich MietSlg 50.129 = JBl 1999, 602 [krit Rummel] und MietSlg 51.378 = immolex 2000/77 [abl Kovanyi]; vgl auch Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, Rz 28 zu § 29 MRG), nicht einzugehen.

Es sei aber noch erwähnt, dass der erkennende Senat in der Entscheidung 7 Ob 179/99w (MietSlg 51.378 = immolex 2000/77 [abl Kovanyi]) von den dargestellten Grundsätzen ohnehin nicht abgegangen ist, weil darin - wie auch dem Rechtssatz in MietSlg 51.378 zu entnehmen ist - lediglich ausgesprochen wurde, dass die Einhaltung der Schriftform Wirksamkeitsvoraussetzung für die Vereinbarung einer Befristung ist, und dass das Formgebot der Schriftlichkeit gemäß § 886 ABGB bei der einen Mietvertrag betreffenden Befristungsvereinbarung nur durch die Unterschrift beider Parteien erfüllt werden kann (vgl auch RIS-Justiz RS0101797; zuletzt: 6 Ob 25/00w); worauf es im vorliegeden Fall jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht ankommt, weil dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren schon angesichts des vorliegenden Bestandverhältnisses die Grundlage entzogen war.

Dass die nur mündlich vereinbarte (und nicht von beiden Parteien unterfertigte) Befristungsvereinbarung des Bestandvertrages dem Schriftlichkeitsgebot des § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG nicht genügte und die angestrebte Befristung iSd zit Rechtsprechung nicht wirksam wurde, ist daher nicht von Bedeutung. Ob aber die Streitteile dessenungeachtet einen wirksamen Bestandvertrag (ohne Befristung) mündlich vereinbart haben, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, denen keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt; stellt doch die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Parteien einen Vertragsabschluss von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängig gemacht haben, stets eine Einzelfallbeurteilung dar, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bildet (9 Ob 19/02p mwN; RIS Justiz RS0042936; vgl auch 6 Ob 25/00w = RIS-Justiz RS0042936 [T10] = RS0042776 [T15] zur wirksamen mündlichen Verlägerung eines Bestandvertrages ohne die angestrebte Befristung).

Ob auch eine andere Auslegung der Erklärungen der Parteien vertretbar wäre, ist hier nicht zu prüfen (RIS-Justiz RS0042776; RS0042936; RS0112106 ua). Die einzelfallbezogene Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechtfertigt eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs nämlich nur dann, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit die Korrektur einer unhaltbaren, durch die Missachtung fundamentaler Auslegungsregeln zustande gekommenen Entscheidung geboten ist (RIS-Justiz RS0042776 [T22] = 7 Ob 27/02z). Ein derartiges unvertretbares Auslegungsergebnis wird von der Revisionswerberin aber nicht einmal behauptet und ist schon deshalb nicht zu erkennen, weil die Klägerin ihr Einverständnis dazu, dass die Beklagten im Bestandobjekt einziehen können, sogar schriftlich bestätigt hat (Beilage ./1).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Da die beklagte Partei auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels in ihrer Revisionsbeantwortung nicht hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RIS-Justiz RS0035962; RS0035979).

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