OGH 1Ob242/98i

OGH1Ob242/98i23.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Ernestine B*****, 2.) Margarete B*****, 3.) Elisabeth B*****, und 4.) Herbert B*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Broesigke und Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Helena B*****, und 2.) Sabine D*****, beide vertreten durch Dr. Peter Rustler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. März 1998, GZ 40 R 142/98y-14, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 29. Dezember 1997, GZ 23 C 897/97d, 904/97h-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die gesondert belangten Beklagten der beiden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Räumungsverfahren werden im folgenden als Erstbeklagte und Zweitbeklagte bezeichnet.

Miteigentümer einer Liegenschaft in Wien mit einem darauf errichteten Wohnhaus sind der Ehegatte der Erstbeklagten - dessen Miteigentumsanteil mit einem bücherlichen Fruchtgenußrecht belastet ist - und die Mutter der Zweitbeklagten zu je einem Drittel sowie die vier Kläger zu geringeren Anteilen, die zusammen ein Drittel betragen. Der Ehegatte der Erstbeklagten - dieser unter Mitfertigung durch die Fruchtgenußberechtigte - und die Mutter der Zweitbeklagten als Mehrheitseigentümer schlossen am 1. August 1996 ohne Zustimmung der vier Minderheitseigentümer, die bis 1983 Wohnungen im Haus bewohnt hatten, Hauptmietverträge auf unbestimmte Zeit zu Mietzinsen der Kategorie „D“ (Wohnung unbrauchbar, Mietzins 8,20 S/m2) und unter Gestattung der Untervermietung auch gegen unverhältnismäßig hohes Entgelt ab: a) mit der Erstbeklagten über die 73 m2 große Wohnung top 12 (zur Vergrößerung deren mit einem Miteigentümer bewohnten Ehewohnung) unter Einräumung des Rechts der Übertragung der Hauptmietrechte auch an deren Tochter zu gleichen Konditionen sowie b) mit der Zweitbeklagten über die 80 m2 große Wohnung top 28. Danach wurden beide Wohnungen jedenfalls zum Teil saniert. Die Zweitbeklagte hat ihre Wohnung untervermietet.

Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren der vier Minderheitseigentümer, die Beklagten seien jeweils schuldig, ihre Wohnung geräumt von ihren Fahrnissen den Klägern zu übergeben, ab. Denn die von der Miteigentumsmehrheit mit den Beklagten eingegangenen Mietverträge seien, weil zu ortsüblichen Bedingungen geschlossen, Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung. Weder der Abschluß mit Familienmitgliedern von Miteigentümern noch die Einräumung eines Untervermiet- und Weitergaberechts noch der Verzicht auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG seien unüblich. Da in beiden Wohnungen bei Vertragsabschluß die Elektroanlage gefährlich gewesen sei, sei mangels Brauchbarkeit der Mietzinsbildung die Ausstattungskategorie „D“ zu Recht zugrunde gelegt worden. Die Beklagten benützten ungeachtet der fehlenden Zustimmung der Kläger die beiden Wohnungen nicht titellos.

Die zweite Instanz erachtete die Revision als nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Kläger ist zulässig und berechtigt.

a) Der von den Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung erhobene Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsmittels mangels Bewertung durch das Berufungsgericht geht fehl.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist der Entscheidungsgegenstand auch bei verbundenen Entscheidungen, wie hier, jeweils gesondert zu beurteilen (MietSlg 48.658 ua, zuletzt 3 Ob 285/98b; Kodek in Rechberger, § 502 ZPO Rz 1 mwN). Gemäß § 502 Abs 2 ZPO in der hier maßgeblichen Fassung der WGN 1997 ist die Revision jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert 52.000 S nicht übersteigt. Diese Revisionsbeschränkung gilt gemäß Abs 5 Z 2 dieser Bestimmung nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Diese gesetzliche Regelung bezweckt, wie bereits zu § 502 ZPO idF vor der WGN 1997 wiederholt ausgesprochen wurde, alle Streitigkeiten, in denen - wie hier - auf die beschriebene Weise ein Verlust des Bestandobjekts droht, somit Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst unabhängig von jeder Bewertung für revisibel zu erklären (RZ 1991/21; Kodek aaO § 502 ZPO Rz 2b). Im Regelfall wird auch beim Streit über eine „Räumung“, wenn auch nur als Vorfrage, über das Dauerschuldverhältnis selbst und seine wirksame Beendigung zu entscheiden sein (RZ 1991/21; 7 Ob 626/94). Klagen auf Räumung von Wohn- und Geschäftsräumlichkeiten, die auf eine behauptete titellose Benützung gestützt sind, gehören nach stRspr (MietSlg 47.667 mwN ua, zuletzt 1 Ob 155/98w; RIS-Justiz RS0046865; vgl auch Kodek aaO § 502 ZPO Rz 2b) nicht zu den Streitigkeiten, die ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands unter die Zuständigkeitsvorschriften des § 49 Abs 2 Z 5 JN fallen. Im vorliegenden Fall stützen die Kläger zwar ihre Räumungsbegehren auf eine titellose Benützung durch die Beklagten, leiten dies aber bereits in den maßgeblichen Klageerzählungen daraus ab, daß die Mietverträge, auf Grund deren die Beklagten ihre Mietobjekte benützen, gegenüber den klagenden Minderheitseigentümern unwirksam seien. Es ist daher das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags im Rahmen des Räumungsstreits strittig, sodaß die Zulässigkeit der Revision hier nicht vom Streitwert abhängt (vgl 7 Ob 626/94 = MietSlg 47.669).

b) Gemäß § 833 ABGB kommt der Besitz und die Verwaltung der gemeinschaftlichen Sache allen Teilhabern insgesamt zu. Für Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung und Benützung genügt Stimmenmehrheit. Mehrheitsbildungen im Innenverhältnis verleihen die entsprechende Vertretungsmacht nach außen (JBl 1986, 108 [Selb]; 4 Ob 2024/96t = SZ 69/90; Gamerith in Rummel 2, § 833 ABGB Rz 12). Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung sind Maßnahmen, die der Erhaltung und Verwaltung des gemeinsamen Gutes dienen, sich im gewöhnlichen Verlauf der Dinge als notwendig oder zweckmäßig erweisen, im Interesse aller Miteigentümer liegen und keine besonderen Kosten verursachen (Gamerith aaO § 833 Rz 4 mwN). Die Vermietung einer Wohnung in einem im Miteigentum stehenden Haus an einen Miteigentümer ist nach stRspr (RIS-Justiz RS0013609) eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme, der Abschluß eines Mietvertrags mit einem Dritten, der auch (naher) Angehöriger eines Teilhabers sein kann (SZ 69/90 mwN ua; Egglmeier in Schwimann 2 § 833 ABGB Rz 19), auf ortsübliche Zeit und zu ortsüblichen Bedingungen dagegen eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung (SZ 59/203; MietSlg 41/21; SZ 69/90 uva; RIS-Justiz RS0013564; Gamerith aaO § 833 Rz 5; Egglmeier aaO § 833 ABGB Rz 19, je mwN). Grundsätzlich sind der Abgrenzung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung wirtschaftliche Gesichtspunkte zugrundezulegen (MietSlg 47/7; 6 Ob 2104/96 = immolex 1997/15; Egglmeier aaO § 833 ABGB Rz 11, § 834 ABGB Rz 3). Die Einräumung des Rechts zur Untervermietung mag für sich allein noch keine Maßnahme der außergewöhnlichen Verwaltung darstellen. Die im vorliegenden Fall von den Mehrheitseigentümern als Vermieter ohne Zustimmung der Minderheitseigentümer erteilte Einwilligung in das Untervermietungsrechts in Verbindung mit dem Verzicht auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 zweiter Fall MRG gegenüber beiden Beklagten als Familienangehörigen (MietSlg 24.050 mwN; Egglmeier aaO § 833 ABGB Rz 21) sowie die Einräumung eines Weitergaberechts an die Erstbeklagte (Egglmeier aaO § 833 ABGB Rz 21; § 834 ABGB Rz 3, je mwN aus der Rspr) - jeweils ohne zusätzliches Entgelt - sind in ihrer Gesamtheit nicht mehr bloß als Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung und Benützung des Hauptstamms (§ 833 ABGB), sondern als wichtige Veränderungen (§ 834 ABGB) zu beurteilen, weil sie den Rahmen üblicher Bedingungen in Mietverträgen sprengen und auch erkennbar nicht im Interesse der Minderheitseigentümer liegen. Bei der Erstbeklagten fällt noch ins Gewicht, daß ihr Ehegatte als Miteigentümer durch den Mietvertrag in den unmittelbaren Genuß einer Vergrößerung der mit der Erstbeklagten gemeinsam benützten Ehewohnung kommt.

Eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme hätte aber nur einstimmig oder durch eine - hier fehlende - rechtsgestaltende Entscheidung durch den Außerstreitrichter wirksam zustande kommen können. Auch ein Minderheitseigentümer, der dieser Maßnahme nicht zustimmte, kann gegen den Bestandnehmer mit Räumungsklage vorgehen. Ihm gegenüber benützt der Bestandnehmer, der sich nur auf den mit der Mehrheit geschlossenen, aber (noch) nicht vom Richter genehmigten Vertrag über die wichtige Veränderung iSd § 834 ABGB stützt, die gemeinsame Sache titellos (2 Ob 523/89 = MietSlg 40.047; MietSlg 41/21 mwN, MietSlg 48.044 ua; Gamerith aaO § 833 ABGB Rz 5).

Damit muß auf die Frage, ob die beiden Wohnungen infolge schadhafter Elektroinstallationen im maßgeblichen Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses (WoBl 1998/89, 140) tatsächlich unbrauchbar waren und daher die Mietzinsbildung nach Kategorie „D“, Wohnung unbrauchbar, gerechtfertigt war, ebensowenig eingegangen werden wie auf das Rechtsmittelvorbringen, eine „bescheidene“ Investition vor der Neuvermietung (an Familienangehörige) hätte zu einer Anhebung der mietzinsrechtlich relevanten Ausstattungskategorie und dadurch zur Erzielung eines wesentlich höheren gesetzlich zulässigen Mietzinses geführt und auf die weitere Frage, ob allenfalls in einer solchen wirtschaftlichen Kriterien widersprechenden Entscheidung eine wichtige Veränderung liegt. Auch das im Rechtsmittelsverfahren von den Klägern ausdrücklich aufrecht erhaltene Vorbringen in erster Instanz, die Beklagten hätten heimlich, ohne Wissen und Einverständnis der Kläger, die beiden Wohnungen am 1. August 1996 vermietet und diese damit selbst, wenn man die Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung zurechnen wollte, jedenfalls in ihrem Stellungnahme- und Anhörungsrecht vor Vertragsabschluß verletzt und sie vor vollendete Tatsachen gestellt (vgl dazu Egglmeier aaO § 833 ABGB Rz 41 mwN aus der Rspr und der Kritik der Lehre [etwa Thöni, Das Anhörungsrecht des Miteigentümers in Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung in JBl 1992, 7 ff]) sowie die Sanktionen eines solchen Vorgehens müssen somit nicht erörtert werden.

c) Bereits in der Entscheidung 8 Ob 2027/96p = MietSlg 48.039 wurde zutreffend ausgeführt, zur Übernahme der geräumten Wohnung seien die Miteigentümer insgesamt berechtigt, es wären daher im Übergabebegehren sämtliche Miteigentümer als daraus Berechtigte zu nennen. Dies bedeute allerdings nicht, daß die Räumungsexekution nur durch alle Liegenschaftseigentümer gemeinsam begehrt werden könnte; ebenso wie dem übergangenen Minderheitseigentümer ein selbständiger Räumungsanspruch zugebilligt werde, sei ihm auch die selbständige exekutive Durchsetzung dieses Anspruchs zu gestatten. Im vorliegenden Fall müßte daher das Klagebegehren auf die Übergabe der geräumten Wohnungen an alle Miteigentümer und nicht bloß die Kläger als Minderheitseigentümer gerichtet werden. Da auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer bisher nicht erörterten Rechtsauffassung überraschen darf und die Beklagten den Einwand, das Begehren auf Übergabe der geräumten Wohnungen an die Kläger sei unzulässig, im Verfahren erster Instanz nicht erhoben haben, ist den Parteien Gelegenheit zur Erörterung dieser Frage in erster Instanz zu geben, wobei die Kläger zu einer entsprechenden Änderung ihrer beiden Klagebegehren anzuleiten sein werden.

Der außerordentlichen Revision der klagenden Parteien ist daher iS ihres Aufhebungsantrags Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung fußt auf dem § 52 Abs 1 ZPO.

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