OGH 7Ob626/94

OGH7Ob626/9422.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franziska K*****, vertreten durch Dr.Friedrich Frühwald, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Ladislav Margula, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13.Juli 1994, GZ 41 R 696/94-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 7.April 1994, GZ 28 C 31/94-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin und ihr Ehegatte sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft in ***** Wien, G*****gasse *****. Am 14.2.1961 schloß die damalige Liegenschaftseigentümerin Marianne L***** mit Jakob R***** einen unbefristeten Mietvertrag betreffend das Bestandobjekt top.Nr.1 in diesem Haus zur Nutzung für Geschäftszwecke des Jakob R*****. Der dem Mietvertragsvordruck von den Vertragsparteien hinzugefügte Punkt 12. lautet: "Die Vermieterin erklärt verbindlich, keinen Einwand zu erheben, falls innerhalb der ersten fünf Jahre der Zeit der Miete vom Mieter das Lokal gekündigt wird und akzeptiert einen anderen von ihm vorgeschlagenen Mieter. Dieser vorgeschlagene Mieter muß aber sowohl in charakterlicher wie auch finanzieller Hinsicht vollkommen entsprechen."

Der im Vordruck des Mietvertrages enthaltene Punkt 6., wonach die Untervermietung, Verpachtung oder Überlassung jeder anderen Art an dritte Personen, sei es ganz oder teilweise, entgeltlich oder unentgeltlich, nicht gestattet ist, wurde gestrichen.

Jakob R***** benützte das Bestandobjekt zunächst für seine Geschäftstätigkeit als Einzelhandelskaufmann. Er plante schon bei Abschluß des Mietvertrages, sein Geschäft in Form einer GesmbH oder OHG zu führen und besprach dies mit seiner Lebensgefährtin Ilona Klara H*****. Am 13.4.1965 wurde die beklagte Partei in das Handelsregister eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand war zunächst der Großhandel und die Manipulation mit Textilien aller Art. Jakob R***** war einziger Geschäftsführer der GesmbH. Nunmehr ist Ilona Klara H***** die Geschäftsführerin. Ab dem Zeitpunkt der Gründung der GesmbH wurde der Mietzins von der beklagten Partei bezahlt. Warum der Name des Mieters in den damaligen Unterlagen der Hausverwaltung nicht auf die beklagte Partei geändert wurde und wie die Mietzinszahlungen gewidmet waren, kann nicht festgestellt werden. Ab 2.12.1980 wurde der Mietzins mittels eines Abbuchungsauftrages bezahlt, in dem die beklagte Partei als Zahlungspflichtiger aufscheint. In Klammer ist jedoch der Name "R*****" und die Adresse des Bestandobjektes angeführt. Der Abbuchungsauftrag wurde von der beklagten Partei am 18.2.1993 storniert, weil der Mietzins nicht angenommen wurde. Im Widerruf des Abbuchungsauftrages ist der Zahlungspflichtige genauso wie im Abbuchungsauftrag bezeichnet.

Jakob R***** ist am 25.5.1974 verstorben. Seine Mietrechte wurden im Verlassenschaftsverfahren nicht abgehandelt. Der Tod des Jakob R***** wurde weder den Hauseigentümern noch der Hausverwaltung bekanntgegeben. Die nunmehrige Geschäftsführerin der klagenden Partei dachte nicht daran, daß dies erforderlich sei. Das Haus wird seit 1980 von der Immobilienverwaltung Mag.Dieter L***** verwaltet. In den ihm übergebenen Unterlagen wie zB Mietvertrag und Zinsliste scheint Jakob R***** als Mieter auf. Die neue Hausverwaltung wurde nicht darüber informiert, daß Jakob R***** verstorben ist. Die Korrespondenz wurde seitens der Hausverwaltung L***** immer mit Jakob R***** geführt. Die an ihn gerichteten Briefe wurden von der Geschäftsführerin der beklagten Partei angenommen. Die Hausverwaltung erfuhr erst im Jahr 1992 aufgrund eigener Nachforschungen vom Tod des Jakob R*****. Ob die Erben des Jakob R***** eine Vereinbarung hinsichtlich des Mietrechtes an der Bestandsache getroffen haben, kann nicht festgestellt werden.

Die klagende Partei beantragte die Räumung des Bestandobjektes wegen titelloser Benützung. Sie sei vom Tod des Jakob R***** nicht informiert worden. Die Mietrechte seien im Verlassenschaftsverfahren nicht abgehandelt worden. Ein Mietrechtsübergang habe niemals stattgefunden. Eine Verständigung der früheren Hauseigentümerin im Sinn des Punktes 12. des Mietvertrages sei niemals erfolgt. Die Geschäftsführerin der beklagten Partei habe sich mit ihrer Tochter im Verlassenschaftsverfahren geeinigt, die Mietrechte auf die beklagte Partei zu übertragen, ohne dies den Hauseigentümern bekanntzugeben. Die Erben hätten auf ihre Mietrechte verzichtet. Die Hauseigentümer seien darüber getäuscht worden, daß Jakob R***** nach wie vor lebe.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Sie wendete ein, daß die beklagte Partei im Jahr 1965 das im Bestandobjekt betriebene Unternehmen des Jakob R***** übernommen habe. Diese Übertragung sei der Hauseigentümerin angezeigt und von dieser auch zur Kenntnis genommen worden, sodaß die Mietrechte gemäß Punkt 12. des Mietvertrages auf die beklagte Partei übertragen worden seien. Infolge des Mietrechtsüberganges sei das Mietrecht auch nicht in die Nachlaßaktiven aufgenommen worden. Weiters bestritt die klagende Partei die Aktivlegitimation der Klägerin.

Das Erstgericht wies das Räumungsbegehren ab. Es stellte zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest, daß Jakob R***** im Jahr 1965 nach Gründung der GesmbH der Hauseigentümerin in Anwesenheit der Ilona Klara H***** mündlich mitteilte, daß die GesmbH gegründet worden sei, daß seine Geschäfte nun von der GesmbH im Bestandobjekt weitergeführt würden und daß er sein Mietrecht daher an die GesmbH weitergebe. Dies wurde von der Vermieterin zur Kenntnis genommen und akzeptiert.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß zwar die Aktivlegitimation der Klägerin zu bejahen sei, weil sie vom weiteren Miteigentümer zur Klagsführung ermächtigt worden sei. Die Mietrechte seien jedoch gemäß Punkt 12. des Mietvertrages auf die beklagte Partei übergegangen, die das Bestandobjekt daher nicht titellos benütze.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil. Es bedürfe keiner weiteren Prüfung der von der Berufung der klagenden Partei bekämpften Feststellung über die Weitergabe der Mietrechte durch Jakob R***** an die GesmbH und die Verständigung der Hauseigentümerin hievon, weil diese Feststellung mangels schlüssiger Ableitung des Begehrens aus dem von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt nicht relevant sei. Die bekämpfte Feststellung werde daher vom Berufungsgericht nicht übernommen. Zur Erhebung der Eigentumsfreiheitsklage sei zwar jeder Miteigentümer, also auch der Minderheitseigentümer, allein berechtigt. Es ergebe sich aber schon aus dem Klagsvorbringen, daß die Mietrechte, die einst Jakob R***** zugestanden seien, nach wie vor aufrecht seien. Sie seien nicht einmal auf dritte Personen übergegangen, weil sie, wie schon in der Klage selbst behauptet worden sei, nicht Gegenstand des Verlassenschaftsverfahrens gewesen seien. Es liege daher auch keine titellose Benützung durch die beklagte Partei vor. Durch den Tod des Mieters werde der Mietvertrag nicht aufgehoben.

Rechtliche Beurteilung

Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- nicht übersteige und die Revision jedenfalls unzulässig sei.

Diese Auffassung, an die der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, trifft jedoch nicht zu. § 502 Abs.3 Z 2 ZPO sieht eine Ausnahme vom Revisionsstreitwert des § 502 Abs.2 ZPO für Streitigkeiten aus den im § 49 Abs.2 Z 5 JN aufgezählten bestand- und genossenschaftlichen Nutzungsverträgen vor, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Vertrages entschieden wird. Der Zweck der Ausnahmebestimmung liegt darin, Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst, unabhängig von jeder Bewertung, unter der weiteren Voraussetzung des § 502 Abs.1 ZPO für revisibel zu erklären (RZ 1991/21; 1 Ob 562/93 ua). Im Regelfall wird auch beim Streit über eine "Räumung", wenn auch nur als Vorfrage, über das Dauerschuldverhältnis selbst und seine wirksame Beendigung zu entscheiden sein (RZ 1991/21). Die Klägerin stützt ihr Räumungsbegehren zwar auf titellose Benützung, doch ist bereits durch ihr Vorbringen klargestellt, daß es um die entscheidende Frage geht, ob zwischen der Klägerin und der beklagten Partei ein Bestandverhältnis infolge der von der Klägerin bestrittenen, schon in der Klage anklingenden Behauptung der Beklagten, daß im Einvernehmen mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin die beklagte Partei anstelle des Jakob R***** in den Mietvertrag eingetreten sei, aufrecht ist bzw daß Jakob R***** sein Benützungsrecht an die GesmbH übertragen hat. Durch die Einwendungen der Beklagten wurden diese Streitpunkte noch verdeutlicht (5 Ob 1110/92 ua). Es ist daher das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrages im Rahmen des Räumungsstreites strittig, sodaß die Zulässigkeit der Revision hier nicht vom Streitwert abhängt. Vielmehr ist entscheidend, ob die Voraussetzungen nach § 502 Abs.1 ZPO vorliegen.

Da die vom Gericht zweiter Instanz vertretene Rechtsansicht, daß die Klage unschlüssig sei, der Rechtslage widerspricht, ist die Revision nach § 502 Abs.1 ZPO zulässig. Die Nachholung eines Ausspruches der zweiten Instanz über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision, an den der Oberste Gerichtshof auch dann nicht gebunden wäre, wenn die Zulässigkeit der ordentlichen Revision verneint würde, erübrigte sich daher.

Die Revision ist auch berechtigt.

Zunächst ist auszuführen, daß das Gericht zweiter Instanz zu Recht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht hat, weil jeder Miteigentümer, auch der Minderheitseigentümer, berechtigt ist, eine Räumungsklage wegen titelloser Benützung einzubringen (vgl Gamerith in Rummel2 I, Rz 5 zu § 833 ABGB mwN).

Ob die Klage auch inhaltlich berechtigt ist, hängt davon ab, ob die beklagte Partei mit Zustimmung der damaligen Hauseigentümerin in den Mietvertrag eingetreten ist, also eine Vertragsübernahme vorliegt, oder ob ein sogenanntes gespaltenes Mietverhältnis entstand (in beiden Fällen wäre die Räumungsklage unberechtigt) oder ob weder der eine noch der andere Vorgang stattgefunden hat. Als weitere Möglichkeit käme ein Untermietverhältnis zwischen Jakob R***** bzw dessen Rechtsnachfolgern und der beklagten Partei in Frage, auf die aber mangels jeglicher Behauptungen in dieser Richtung nicht weiter einzugehen ist. Ungeachtet dessen, ob Punkt 12. des Mietvertrages als Weitergaberecht oder als Präsentationsrecht aufzufassen ist, wurde nach den Ausführungen der beklagten Partei der Mietvertrag mit Zustimmung der damaligen Hauseigentümerin von Jakob R***** auf die beklagte Partei übertragen, sodaß eine wirksame Vertragsübernahme behauptet wurde. Auch bei Auslegung des Punktes 12. des Mietvertrages als Weitergaberecht wäre eine solche Zustimmung erforderlich, um eine Vertragsübernahme zu bewirken, weil der Mieter in seinem Auswahlrecht durch das Erfordernis, daß der vorgeschlagene Mieter sowohl in charakterlicher als auch in finanzieller Hinsicht vollkommen entsprechen müsse, beschränkt war (vgl Würth in Rummel2 I Rz 14 zu § 1098 ABGB). Im Fall des wirksamen Eintrittes der beklagten Partei in den Mietvertrag wäre die Räumungsklage jedenfalls verfehlt, weil sich die beklagte Partei zu Recht auf den Titel des Mietvertrages berufen könnte.

Unter dem Begriff des "gespaltenen Mietverhältnisses" (vgl. zum gesamten Problem Würth in Rummel2 I, Rz 15, 16, 18 zu § 1098 ABGB mwN) wird der Zustand verstanden, daß der Mieter bei Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses gegenüber dem Vermieter die Ausübung des Benützungsrechtes und die Übernahme der Pflichten daraus einem Dritten anders als im Weg der Untermiete überlassen hat, und zwar im Regelfall in Verbindung mit der Veräußerung eines in den Bestandräumen betriebenen Unternehmens oder dessen Einbringung in eine Gesellschaft. § 12 Abs.3 MRG ist auf den vorliegenden Fall unanwendbar, weil die Gesellschaft schon lange vor Inkrafttreten des MRG (1.1.1982) gegründet wurde (MietSlg 39.281 uva). Die beklagte Partei könnte ihr Benützungsrecht im Fall eines "gespaltenen Mietverhältnisses" von Jakob R***** herleiten, und zwar unabhängig davon, ob die Vermieterin der Übertragung der Benützungsrechte zustimmte oder überhaupt hievon informiert wurde. Der Tod des Jakob R***** würde an dieser Rechtsfolge nichts ändern. Gemäß § 1116a ABGB wird der Bestandvertrag durch den Tod eines der vertragschließenden Teile nicht aufgehoben. Es würden daher die Erben des Jakob R***** das im übrigen unveränderte Bestandverhältnis mit dem Bestandgeber ungeachtet des Bestehens des gespaltenen Mietverhältnisses fortsetzen. Unabhängig von der inhaltlichen Berechtigung einer Räumungsklage wären jedenfalls bis zur Einantwortung die Verlassenschaft, nach der Einantwortung die eingeantworteten Erben, nicht aber die beklagte Partei passiv legitimiert (vgl MietSlg 32.368). Ob die Mietrechte des Jakob R***** (sofern sie überhaupt noch aufrecht waren) in das Inventar aufgenommen wurden oder nicht, vermag an diesen Erwägungen nichts zu ändern, weil sich die Einantwortung auf das gesamte vererbliche Vermögen bezieht und auch Sachen erfaßt, die in die Abhandlung nicht besonders einbezogen waren (vgl Welser in Rummel2 I, Rz 7 zu §§ 797, 798 ABGB mwN).

Da nach dem Vorbringen der Klägerin weder eine Bestandübernahme noch eine Weitergabe des Benützungsrechtes im aufgezeigten Sinn stattgefunden hat, sondern sich daraus vielmehr ergibt, daß die beklagte Partei ohne derartige Rechte die Bestandsache benützt, kann von einer Unschlüssigkeit der Klage keine Rede sein. Da das Gericht zweiter Instanz die Feststellung nicht übernommen hat, daß Jakob R***** die Mietrechte mit Zustimmung der Vermieterin an die beklagte Partei überließ und auch weiters keine Feststellungen darüber getroffen wurden, ob Jakob R***** seine Mietrechte in die beklagte GesmbH einbrachte oder dieser das Benützungsrecht sonstwie überlassen hat, reicht der festgestellte Sachverhalt zu einer abschließenden Beurteilung der Rechtssache nicht hin. Das Gericht zweiter Instanz wird daher nach entsprechender Beweisaufnahme Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung im Sinne der aufgezeigten Rechtsfragen zulassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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