OGH 3Ob285/98b

OGH3Ob285/98b11.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Günther W*****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Witt & Partner KEG, wider die beklagten Parteien 1. Michael L*****, dieser auch widerklagende Partei, und 2. Minas L*****, beide vertreten durch Dr. Roland Hubinger, Dr. Michael Ott und Mag. Christoph Klein, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 30.000 (Klage) und S 170.693,12 (Widerklage), infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1998, GZ 40 R 62/98h-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 6. November 1997, GZ 9 C 438/93y-49, teils abgeändert, teils bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die als "außerordentliche" bezeichnete Revision der klagenden und widerbeklagten Partei wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klagebegehrens auf Zahlung von S 30.000 richtet, zurückgewiesen.

Im Hinblick auf die Bekämpfung der Entscheidung über die Widerklage wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Die Klage ist nach Einschränkung um das ursprünglich erhobene Räumungsbegehren auf Zahlung von S 30.000 sA gerichtet, wobei es sich um den restlichen Mietzins für die Monate März bis Juli 1993 betreffend ein vom Kläger den Beklagten vermietetes Geschäftslokal handelt. Die Beklagten wandten unter anderem einverständliche Auflösung des Mietvertrages und Räumung des Mietobjektes per 30. 3. 1993 ein. Dagegen behauptete der Kläger, die Übergabe sei erst im August 1993 erfolgt.

Seine auf Zahlung von S 170.693,12 sA gerichtete Widerklage stützte der erste Beklagte außer auf das Freiwerden der erlegten Kaution von S 50.000 darauf, daß er nach einem Buttersäureanschlag auf das Mietobjekt mit dem Kläger vereinbart habe, dieser werde die durch die Wiederinstandsetzung durch ihn entstandenen Kosten ersetzen. Diese hätten S 120.693,12 betragen. Der Kläger erhob dagegen eine Kompensandoeinwendung von S 64.000 an offenen Mietzinsbeträgen und S 100.693,12 an Schadenersatz, der ihm im Falle der Stattgebung der Widerklage erwachsen würde. Die Rechtssachen wurden verbunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Widerklage erachtete es als mit S 125.600,80, dagegen die Gegenforderungen des Klägers als nicht zu Recht bestehend. Dementsprechend verurteile es den Kläger und Widerbeklagten zur Zahlung von S 125.600,80 an den Widerkläger und wies ein Mehrbegehren von S 45.092,32 ab.

Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers und Widerbeklagten gab das Berufungsgericht nur insoweit Folge, als es den Zuspruch an den Widerkläger auf S 123.467.47 (im Hinblick auf ein Benützungsentgelt für 1. - 4. 4. 1993 und die nicht mehr strittige außergerichtliche Kompensation durch den Kläger) verminderte, wodurch sich das abgewiesene Mehrbegehren auf S 47.225,65 erhöhte.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung (mit Ausnahme des die Widerklage teilweise abweisenden Teiles) richtet sich die "außerordentliche" Revision des Klägers und Widerbeklagten, welche vom Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde.

Dies wäre im Hinblick auf die Streitwerte der verbundenen Rechtssachen nur dann richtig gewesen, wenn es sich dabei um Streitigkeiten im Sinne des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO (idF der WGN 1997) handeln würde. Das ist aber nicht der Fall, weil das ursprünglich in der Klage erhobene Räumungsbegehren fallen gelassen wurde.

Da die genannte Norm inhaltlich genau dem früheren § 502 Abs 3 Z 2 ZPO entspricht, ist die dazu ergangene Rechtsprechung weiter anwendbar. Demnach setzt aber diese Ausnahme von den Zulässigkeitsgrenzen des § 502 Abs 2 und 3 ZPO nicht nur eine Entscheidung über Kündigung, Räumung, Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrages iSd § 49 Abs 2 Z 5 JN voraus, sondern zusätzlich eine Entscheidung über das Bestandverhältnis selbst. In der (von Kodek in Rechberger Rz 2 zu § 502 ZPO offenbar zustimmend zitierten) E RZ 1991/21 wurde dies auch bei einer Klage auf Räumung verneint, weil in diesem Fall das aufrechte Fortbestehen des Mietvertrages gar nicht strittig war, sondern lediglich die Vollständigkeit der Räumung. Sei aber - anders als in der Regel - bei einem Räumungsbegehren auch nicht als Vorfrage über das Dauerverhältnis selbst und seine Beendigung zu entscheiden, werde der Zweck der Ausnahmeregel verfehlt, Entscheidungen über das Dauerschuldverhältnis selbst - unter der weiteren Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO - unabhängig vom Streitwert revisibel zu machen.

In der Folge wurde vom Obersten Gerichtshof ständig (zum Teil unter Berufung auf Fasching LB2 Rz 1887/1) entschieden, daß die Wertgrenzen maßgeblich bleiben, wenn über das Bestandverhältnis selbst nur als Vorfrage entschieden wurde (3 Ob 1107/93 [Oppositionsklage]; 1 Ob 562/93 [Klage auf Anpassungsbetrag aus Wertsicherung]; weiters RIS-Justiz RS0043006; 1 Ob 2289/96s [Unterlassungsklage; mwN und Bezeichnung der zit Ansicht von Kodek als gegenteilig]; iglS 2 Ob 535/91; 1 Ob 505/96; 3 Ob 2435/96a [Klagen auf rückständigen Mietzins]). Anzumerken ist noch, daß die Kommentierung von Kodek - unter Einbeziehung der von ihm zitierten E RZ 1991/21 - dazu nicht in Widerspruch steht, weil daraus nicht abgeleitet werden kann, dieser Autor hielte bloße Vorfragenbeurteilungen in Urteilen, die nicht (auch nicht über Zwischenfeststellungsantrag) im Spruch über Kündigung, Räumung, Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrages entscheiden, für revisibel.

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß weder die Entscheidung der zweiten Instanz über die Klage noch jene über die Widerklage unter § 502 Abs 5 Z 2 ZPO fällt. Da aber für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision der Entscheidungsgegenstand auch bei verbundenen Entscheidungen über Klage und Widerklage jeweils gesondert zu beurteilen ist (Nachweise bei Kodek aaO Rz 1), erweist sich die Revision betreffend die Entscheidung über die Klage mit ihrem S 52.000 nicht übersteigenden Gegenstand als jedenfalls unzulässig gemäß § 502 Abs 2 ZPO.

Die Zulässigkeit der Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes über die Widerklage ist infolge seines Entscheidungsgegenstandes (S 125.600,80) nach § 502 Abs 3 ZPO zu beurteilen.

Diesbezüglich widerspricht die direkte Vorlage der Revision an den Obersten Gerichtshof der seit Inkrafttreten der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 (WGN 1997) geltenden Rechtslage (vgl 3 Ob 104/98k, 1 Ob 96/98v; 4 Ob 73/98h uva):

Gemäß § 502 Abs 3 ZPO idF WGN 1997 ist die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 52.000 S, nicht aber insgesamt 260.000 S übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann allerdings die Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO idF WGN 1997 einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, daß die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; in diesem Antrag sind die Gründe dafür anzuführen, warum - entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts - die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen. Ein solcher Antrag, verbunden mit einer ordentlichen Revision, ist gemäß § 508 Abs 2 ZPO idF WGN 1997 beim Prozeßgericht erster Instanz binnen vier Wochen ab Zustellung des Berufungserkenntnisses einzubringen.

Im vorliegenden Fall hat der Rechtsmittelwerber das Rechtsmittel rechtzeitig beim Erstgericht eingebracht und darin auch ausgeführt, warum er die Revision - entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts - für zulässig erachte. Der Revision fehlt allerdings ein ausdrücklicher Antrag an das Berufungsgericht im Sinne des § 508 Abs 1 ZPO idF WGN 1997.

Im Hinblick auf diese Rechtslage wäre der Rechtsmittelschriftsatz jedenfalls nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen gewesen, zumal ein Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO idF WGN 1997 gemäß § 507b Abs 2 ZPO idF WGN 1997 dem Berufungsgericht vorzulegen ist. Sollte das Erstgericht der Meinung sein, einer solchen Vorgangsweise stehe das Fehlen des ausdrücklichen Antrags entgegen, das Berufungsgericht möge seinen Zulässigkeitsausspruch abändern, und es genüge die im Rechtsmittel ohnehin enthaltene Zulassungsbeschwerde deshalb nicht, weil diese erkennbar an den Obersten Gerichtshof gerichtet sei, dann wird es einen - mit Fristsetzung verbundenen - Verbesserungsauftrag zu erteilen haben, weil es dem Rechtsmittelschriftsatz an einem Inhaltserfordernis im Sinne des § 84 Abs 3 ZPO mangelte. Sollte der Revisionswerber die Verbesserung des Schriftsatzes verweigern, wäre die Revision jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 4 ZPO).

Aus diesen Überlegungen ist der Akt - im Hinblick auf die Anfechtung der Entscheidung über die Widerklage dem Erstgericht zurückzustellen.

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