Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, nach § 6 Abs 2 ZPO vorzugehen und erforderlichenfalls die Prozessfähigkeit der klagenden Partei im Zeitpunkt der der Klagsführung zugrundeliegenden Vollmachtserteilung zu erheben.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 17. 7. 1998 sprach die Beklagte aus, dass die dem Kläger mit Bescheid vom 15. 3. 1985 zuerkannte Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 10. 1996 bis 28. 6. 1998 ruhe und der Anspruch auf die zur Invaliditätspension gewährte Ausgleichszulage mit 30. 9. 1996 ende. Weiters wurde mit diesem Bescheid der entstandene Überbezug an Pension, an Kinderzuschuss sowie an Ausgleichszulage in der Höhe von insgesamt S 273.277,30 rückgefordert. In der Begründung wurde ua ausgeführt, dass der Überbezug mit der Nachzahlung an Pension für die Zeit vom 29. 6. 1998 bis 30. 6. 1998 verrechnet und der restliche Überbezug in Raten von je S 600 von der ab 1. 7. 1998 gebührenden Pension in Abzug gebracht werde. Der Kläger bekämpfte diesen Bescheid mit seiner durch einen frei gewählten Rechtsanwalt am 25. 9. 1998 beim Erstgericht eingebrachten Klage. Dieser Rechtsanwalt gab mit Schriftsatz vom 8. 6. 1999 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt. In der darauf folgenden Streitverhandlung vom 8. 7. 1999, in der die mündlichen Verhandlung geschlossen wurde, war der Kläger nicht vertreten. Mit Urteil vom 8. 7. 1999 wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es bestellte mit Beschluss vom 23. 11. 1999 einen Rechtsanwalt zum Kurator des Klägers, weil dieser unbekannten Aufenthalts sei. Infolge der vom Kurator eingebrachten Berufung hob das Berufungsgericht das Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Dem Kläger wurde die Entscheidung des Berufungsgerichtes am 20. 9. 2000 zugestellt. Mit dem am 5. 10. 2000 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz vom 2. 10. 2000 zeigte Rechtsanwalt Dr. Helge Doczekal an, dass er den Kläger aufgrund erteilter Vollmacht vertritt. Dieser Rechtsanwalt schritt für den Kläger im weiteren Verfahren ein.
Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab. Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.
Der Kläger bekämpft dieses Urteil mit seiner durch Rechtsanwalt Dr. Helge Doczekal eingebrachten Revision, in der unter anderem die Nichtigkeit des Berufungsverfahrens wegen bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegener Prozessunfähigkeit geltend gemacht wird. Mit Beschluss vom 14. 4. 2000 sei für den Kläger ein einstweiliger Sachwalter zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt worden.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung. Aus dem vom Revisionsgericht beigeschafften Akt 1 P 10/02y des Bezirksgerichtes Döbling ex 2 P 34/00w des Bezirksgerichtes Josefstadt ergibt sich:
In dem über Antrag des Klägers vom 23. 1. 2000 eingeleiteten Sachwalterbestellungsverfahren wurde für den Kläger mit Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 14. 4. 2000 ein einstweiliger Sachwalter gemäß § 238 Abs 2 AußStrG zur Besorgung der Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt. Dieser Beschluss wurde dem Kläger und dem einstweiligen Sachwalter am 20. 4. 2000 zugestellt und blieb unbekämpft. Mit Beschluss vom 19. 12. 2000 bestellte das Bezirksgericht Josefstadt den einstweiligen Sachwalter zum Sachwalter, dem die Regelung der finanziellen Angelegenheiten sowie die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gericht und privaten Vertragspartnern übertragen wurde. Dem dagegen vom Sachwalter erhobenen Rekurs gab das Landesgericht für ZRS Wien mit Beschluss vom 21. 3. 2001 Folge; es hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Bezirksgericht Josefstadt eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu treffende Entscheidung auf. Mit Beschluss vom 20. 11. 2001 bestellte das Bezirksgericht Josefstadt den einstweiligen Sachwalter neuerlich zum Sachwalter zur Besorgung der Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartnern. Der Beschluss wurde dem Sachwalter und dem Kläger am 13. 12. 2001 zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Rechtliche Beurteilung
War eine Partei bereits während des Verfahrens handlungsunfähig und damit auch prozessunfähig, aber nicht gesetzlich bzw bereits vor Eintritt der Prozessunfähigkeit durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, so liegt Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO vor. Gleiches gilt, wenn eine während des Prozesses (noch) nicht von einem Sachwalter vertretene Person nach Eintritt der Prozessunfähigkeit einem gewillkürten Vertreter Prozessvollmacht erteilt und dieser den Rechtsstreit namens des Prozessunfähigen geführt hat (SZ 51/93; 6 Ob 1/99m; 1 Ob 111/99a; 6 Ob 102/00v; RIS-Justiz RS0035143; Kodek in Rechberger², ZPO § 529 Rz 4).
Der mit der Zustellung wirksam gewordene (SZ 64/111; 8 Ob 265/98y; 1 Ob 53/00a ua) Bestellungsbeschluss gemäß § 238 Abs 2 AußStrG beschränkt die Handlungsfähigkeit des Betroffenen im jeweils umschriebenen Aufgabenkreis (10 Ob 60/00x; 1 Ob 53/00a ua). An den Beschluss des Pflegschaftsgerichtes ist das Prozessgericht gebunden (§ 6a ZPO). Da der einstweilige Sachwalter zur Vertretung des Klägers vor Gerichten bestellt wurde, war der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren jedenfalls ab Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses prozessunfähig. Der einstweilige Sachwalter wurde dem erstinstanzlichen Verfahren nicht beigezogen. Der Kläger war daher in diesem nicht gesetzlich vertreten. Da der Kläger dem nach Eintritt der Prozessunfähigkeit den Rechtsstreit im Namen des Klägers fortführenden Rechtsanwalt die Prozessvollmacht erst nach Eintritt der Prozessunfähigkeit erteilte, ist jedenfalls das Verfahren ab der Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses nichtig. Diese schon in erster Instanz unterlaufene Nichtigkeit, die auf das Urteil des Berufungsgerichts durchschlägt und vom Berufungsgericht nicht verneint wurde, kann in der Revision geltend gemacht werden (SSV-NF 13/120). Eine Behebung des Mangels der gesetzlichen Vertretung ist auch noch im Rechtsmittelverfahren möglich (SZ 51/162). Das Erstgericht wird daher gemäß § 6 Abs 2 ZPO durch Beiziehung des Sachwalters vorzugehen und ihn zu fragen haben, ob er die bisherige Prozessführung - ab Klagseinbringung - genehmigt. Hingewiesen sei, dass eine allfällige Genehmigung der Prozessführung durch den Sachwalter gemäß §§ 282 Abs 1, 154 Abs 3 ABGB der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfte (8 Ob 169/01p; RIS-Justiz RS0048203; RS0048207; Fasching, Lehrbuch² Rz 355). Sollte die Genehmigung ausbleiben, wird das Erstgericht zu klären haben, ob der Kläger bereits im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung an den die Klage einbringenden Rechtsanwalt prozessunfähig war. Die Bindung an den Bestellungsbeschluss des Pflegschaftsgerichts (§ 6a ZPO) besteht nämlich nur für die Zukunft, also für die Zeit ab Wirksamkeit der Bestellung des (einstweiligen) Sachwalters. Sofern dies für das Verfahren von Bedeutung ist, hat für den vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum das Gericht hingegen selbständig zu prüfen, ob eine Partei prozessfähig war (JBl 1999, 536; ZIK 1997, 68; 3 Ob 213/98i). Der vor der Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses liegende Zeitraum ist im vorliegenden Fall für die Entscheidung von Bedeutung, weil der Umfang des nichtig zu erklärenden Verfahrens von der Lösung der Frage abhängig ist, ob der Kläger schon im Zeitpunkte der der Klagsführung zugrundeliegenden Vollmachtserteilung prozessfähig war, woran erhebliche Zweifel bestehen. Im Bestellungsbeschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 14. 4. 2000 wird nämlich in der Begründung ausgeführt, ein den Kläger betreffendes Sachwalterschaftsverfahren vor dem Bezirksgericht Floridsdorf sei 1994 eingestellt worden. Dr. W***** habe in diesem Verfahren im April 1994 bei Egon S***** mestische Störungen festgestellt. Der Kläger habe im Langzeitgedächtnis eingeschränkt gewirkt und der Gedankengang sei verlangsamt gewesen Das Auffassungsvermögen schien beeinträchtigt. Einer psychologischen Testuntersuchung zur endgültigen Abklärung der geistigen Einschränkung habe sich der Kläger damals nicht unterzogen, sodass nicht mit ausreichender Sicherheit das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters festgestellt habe werden können. Der geistige Zustand des Betroffenen habe sich nicht gebessert. Es werde nun im Rahmen dieses Verfahrens abzuklären sein, ob der Kläger eines Sachwalters zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bedürfe. Derzeit schienen allenfalls auftretende Vertretungshandlungen vor Ämtern, Behörden und Gerichten vorrangig.
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