OGH 1Ob111/99a

OGH1Ob111/99a22.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Volksbank ***** reg. Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Klaus Holter und andere Rechtsanwälte in Grieskirchen, wider die beklagte Partei Aloisia H*****, vertreten durch die einstweilige Sachwalterin Mag. Rosalinde P*****, pA Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Wels, Fabrikstraße 12, diese vertreten durch Dr. Georg Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wegen 101.784 S sA und Räumung infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 27. Jänner 1999, GZ 22 R 24/99g-20, womit Punkt 2.) des Beschlusses des Bezirksgerichts Wels vom 5. Jänner 1999, GZ 6 C 1175/96m-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach Klagezustellung am 28. August 1996 anerkannte die durch ihren frei gewählten Rechtsanwalt Dr. Ernst Zauner vertretene Beklagte in der Verhandlungstagsatzung vom 10. Jänner 1997 das auf 101.784 S sA (Mietzinsrückstand für den Zeitraum von Oktober 1995 bis einschließlich Jänner 1997) ausgedehnte Klagebegehren, worauf der Erstrichter das klagestattgebende Urteil verkündete, mit welchem die Beklagte zur Zahlung des anerkannten Mietzinsrückstands sowie zur (nicht anerkannten) Räumung ihrer näher bezeichneten Mietwohnung verhalten wurde. Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde dem Rechtsvertreter der Beklagten am 4. März 1997 zugestellt. Da gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel erhoben wurde, bestätigte das Erstgericht am 11. April 1997 dessen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit.

Im sodann eingeleiteten Räumungsexekutionsverfahrens (im folgenden nur Exekutionsverfahren) entstanden Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit der Verpflichteten (Beklagten). Nach deren Erstanhörung am 29. April 1998, die deren fehlende Kenntnis davon ergab, daß ein Verfahren im Zusammenhang mit der Räumung ihrer Wohnung anhängig sei und sie von Rechtsanwalt Dr. Ernst Zauner vertreten werde, bestellte das zuständige Pflegschaftsgericht mit Beschluß vom 6. Juli 1998 Mag. Rosalinda P***** vom Verein für Sachwalterschaft in Wels zur einstweiligen Sachwalterin der hier Beklagten zur Besorgung folgender dringender Angelegenheiten:

Vertretung im näher bezeichneten Exekutionsverfahren. Dieser Aufgabenkreis wurde mit Beschluß vom 30. Oktober 1998 um die Vertretung zur Regelung sämtlicher Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Titelverfahren erweitert.

Die durch ihre einstweilige Sachwalterin vertretene Beklagte beantragte am 19. Oktober 1998 im Titelverfahren 1) die neuerliche Klagezustellung an die Sachwalterin, 2) die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und die Einleitung des ordentlichen Verfahrens sowie 3) die Aufschiebung der Räumung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Aufhebung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteils wegen drohender Obdachlosigkeit der Beklagten.

Das Erstgericht wies diese Anträge zurück, weil die Sachwalterin bei deren Einbringung zur Vertretung der Beklagten nicht legitimiert gewesen sei, habe sich doch ihre Vertretungsmacht ausschließlich auf das Exekutionsverfahren bezogen; dieser Mangel sei auch nicht verbesserungsfähig, weil der Lauf von Fristen beachtet werden müsse. Es sei daher irrelevant, daß die Vertretungsmacht der Sachwalterin seit dem Beschluß vom 30. Oktober 1998 auch das Titelverfahren umfasse. Ausgehend von der im Antrag behaupteten Geschäftsunfähigkeit der Beklagten könne diese auch nicht den Rechtsvertreter der Sachwalterin (wirksam) bevollmächtigt haben.

Das Rekursgericht hat den erstinstanzlichen Beschluß in der Zurückweisung des Antrags der Beklagten auf neuerliche Klagezustellung an die (einstweilige) Sachwalterin und auf "Einleitung des ordentlichen Verfahrens" - unangefochten - bestätigt und in der Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Wenngleich nach nunmehr stRspr die Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO dann zulässig sei, wenn der Eintritt bloßer Scheinrechtskraft infolge Beteiligung einer prozeßunfähigen Partei behauptet werde und die Feststellung der Prozeßfähigkeit dieser Partei von streitigen Tatsachen abhänge, und in diesen Fällen die Nichtigkeitsklage das mit den erforderlichen Verfahrensgarantien versehene taugliche Instrument sei, die Frage der Prozeßfähigkeit einer Partei zu klären, folge daraus noch nicht, daß bei behaupteter mangelnder Prozeßfähigkeit nicht auch zusätzlich bzw wahlweise der Rechtsbehelf nach § 7 Abs 3 EO (verbunden mit einem Antrag auf Zustellung des Urteils an den gesetzlichen Vertreter zwecks Einbringung einer Nichtigkeitsberufung) zur Verfügung stehe. In der Entscheidung EvBl 1998/209 sei ausgesprochen worden, werde die Rechtswidrigkeit der Zustellung auf mangelnde Prozeßfähigkeit zurückgeführt, so sei grundsätzlich sowohl das Vorgehen nach § 7 Abs 3 EO als auch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage zur Rechtsdurchsetzung geeignet. Aufgrund der demnach zu bejahenden Zulässigkeit einer Antragstellung nach § 7 Abs 3 EO bei behaupteter Prozeßunfähigkeit während des gesamten Titelverfahrens bzw im Zeitpunkt der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts sei der angefochtene Beschluß in diesem Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen. Das Erstgericht werde daher im fortzusetzenden Verfahren die Richtigkeit der Behauptungen der insoweit beweispflichtigen Beklagten vor seiner neuerlichen Entscheidung zu überprüfen und diesem Verfahren auch die klagende Partei beizuziehen haben.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs der klagenden Partei ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

a) War eine Partei bereits während des Verfahrens handlungsunfähig und damit auch prozeßunfähig, aber nicht gesetzlich bzw bereits vor Eintritt der Prozeßunfähigkeit durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten, so liegt Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 5 ZPO vor. Gleiches gilt, wenn eine während des Prozesses (noch) nicht von einem Sachwalter vertretene Person nach Eintritt der Prozeßunfähigkeit einem gewillkürten Vertreter Prozeßvollmacht erteilt und dieser den Rechtsstreit namens des Prozeßunfähigen geführt hat (SZ 51/93; 6 Ob 145/97k, 6 Ob 1/99m; RIS-Justiz RS0035143; Kodek in Rechberger, § 529 ZPO Rz 4). Nichtigkeitsklagegrund wäre im vorliegenden Fall die Prozeßunfähigkeit der durch einen gewillkürten Rechtsanwalt vertretenen Beklagten während des Titelverfahrens, jedenfalls aber im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht. Nach stRspr eröffnet die Zivilprozeßordnung der von einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer wirksamen Zustellung (§ 416 ZPO), ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben, das Wahlrecht, fristgerecht entweder Nichtigkeitsberufung oder Nichtigkeitsklage zu erheben (6 Ob 145/97k ua; RIS-Justiz RS0044396), räumt aber dem Erstgericht schon zufolge der diesem nach § 416 Abs 2 ZPO aufgetragenen Bindung keine Kompetenz ein, nach gefällter Sachentscheidung die Nichtigkeit seines Urteils und des diesem vorangegangenen Verfahrens ab Zustellung der Klage an den prozeßunfähigen Beklagten auszusprechen (1 Ob 2327/96d ua; RIS-Justiz RS0041733).

b) Nach stRspr entspricht die erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit dann nicht mehr dem Gesetz, wenn sich herausstellt, daß ihr ein der Wirklichkeit nicht entsprechender Sachverhalt zugrunde gelegt ist, so etwa, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt worden war und daher die Vollstreckbarkeit des Titels tatsächlich nicht eingetreten ist (EvBl 1996/50, EvBl 1998/209, je mwN; 6 Ob 145/97k ua). Nach stRspr (SZ 46/13, SZ 47/99 uva, zuletzt 6 Ob 1/99m ua; RIS-Justiz RS0044396; Kodek aaO § 529 ZPO Rz 1 mwN) kommt es auf die wirkliche Rechtskraft und nicht auf die "Scheinrechtskraft" an.

Daß aber bei behaupteter mangelnder Prozeßfähigkeit neben der Nichtigkeitsklage auch der Rechtsbehelf nach § 7 Abs 3 EO zur Verfügung stehe, hat bereits der 8. Senat in seiner Entscheidung 8 Ob 104/97w, 175/98p = EvBl 1998/209 (RIS-Justiz RS0078895, RS0110275) mit überzeugenden Argumenten dargestellt: Angesichts der unterschiedlichen Rechtsschutzziele und der für den Umfang der Prüfung der fehlenden Prozeßfähigkeit maßgeblichen unterschiedlichen Zeitpunkte (Nichtigkeitsklage, soweit hier relevant: Bevollmächtigung des Rechtsanwalts - Antrag nach § 7 Abs 3 EO: Zeitpunkt der Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung; vgl dazu EvBl 1998/209, RIS-Justiz RS0001576 und Feil, Exekutionsordnung4 § 7 Rz 26 mwN) müsse es der Partei freistehen, neben der Nichtigkeitsklage auch die Antragstellung nach § 7 Abs 3 EO zu wählen, weil sie sich davon raschere, weniger kostenintensive Abhilfe und die Möglichkeit, die Hinausgabe vollstreckbarer Entscheidungsausfertigungen zu verhindern, erwarten könne. Diese Auffassung wurde bereits jüngst vom 6. Senat in der Entscheidung 6 Ob 1/99m gebilligt. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rspr abzugehen, zumal der Antrag nach § 7 Abs 3 EO die Wirksamkeit des Titels betrifft.

Festzuhalten ist, daß über den Rekurs der Beklagten gegen den erstgerichtlichen Beschluß ON 17, womit der Antrag auf neuerliche Klagezustellung an die Sachwalterin und auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit abgewiesen wurde, noch nicht abgesprochen wurde.

Der Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

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