OGH 1Ob255/72

OGH1Ob255/7231.1.1973

SZ 46/13

Normen

ZPO §2
ZPO §108
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §529
ZPO §534
ZPO §2
ZPO §108
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §529
ZPO §534

 

Spruch:

Eine wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 2 ZPO unwirksame Zustellung an einen Minderjährigen konvalidiert nicht mit dem Eintritt seiner Volljährigkeit

Eine vor Beginn der im § 534 ZPO festgesetzten Frist eingebrachte Nichtigkeitsklage ist als verfrüht zurückzuweisen

In einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO hat die betroffene Partei das Wahlrecht, die Nichtigkeitsberufung oder die Nichtigkeitsklage zu erheben

OGH 31. Jänner 1973, 1 Ob 255/72 (KG Korneuburg 5 R 170/72; BG Laa a. d. Thaya C 190/72 )

Text

Die nunmehrige Beklagte hat gegen die nunmehrige Klägerin am 1. Dezember 1967 beim Bezirksgericht L zu C 495/67 eine Klage auf Zahlung von 1120.40 S samt Anhang eingebracht.

Die Klage sowie die Ladung zur ersten Tagsatzung wurden der jetzigen Klägerin am 5. Dezember 1967, das am 15. Dezember 1967 ergangene Versäumungsurteil am 20. Dezember 1967 zugestellt. Auf Grund dieses Versäumungsurteiles wurde gegen sie am 22. Jänner 1968 zu E 79/68 des Bezirksgerichtes L Fahrnisexekution bewilligt.

Im Zuge des Exekutionsverfahrens beantragte die nunmehrige Klägerin am 10. April 1968 durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter mit der Begründung, daß sie am 26. April 1949 geboren, daher sowohl im Zeitpunkt der Zustellung der Klage als auch in dem der Fällung des Versäumungsurteiles minderjährig gewesen sei und ihr die gesetzliche Vertretung gefehlt habe, das Verfahren C 495/67 des Bezirksgerichtes L und das Versäumungsurteil vom 15. Dezember 1967 für nichtig zu erklären bzw. aufzuheben, die erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit dieses Versäumungsurteiles aufzuheben und schließlich die Exekution E 79/68 des Bezirksgerichtes L einzustellen. Wie sich dem Akt E 79/68 des Bezirksgerichtes L entnehmen läßt, wurde mit rechtskräftigem Beschluß vom 23. April 1968 der Antrag, Verfahren und Versäumungsurteil für nichtig zu erklären bzw. aufzuheben, zurückgewiesen und der Antrag, die erteilte Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles aufzuheben bzw. die bewilligte Exekution einzustellen, abgewiesen. Unter einem wurde die Zustellung des die Fahrnisexekution gegen die nunmehrige Klägerin bewilligenden Beschlusses vom 22. Jänner 1968 an deren gesetzlichen Vertreter verfügt.

Die nunmehr am 8. Mai 1972 eingebrachte, auf § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage enthält das Begehren, das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes L vom 5. Dezember 1967, C 495/67 , und das dieser Entscheidung vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären und die Klage zurückzuweisen.

Das Erstgericht hat nach der Außerstreitstellung, daß die Klägerin am 26. April 1949 geboren wurde, das vom Bezirksgericht L am 15. Dezember 1967 zu C 495/67 gefällte Versäumungsurteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die am 1. Dezember 1967 eingebrachte Klage zurückgewiesen. Hiebeiließ es sich von der Erwägung leiten, daß die nunmehrige Klägerin, die im Verfahren C 495/67 der Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter bedurft hätte, durch diesen nicht vertreten war. Die Prozeßführung sei - wie insbesondere der am 10. April 1968 gestellte Antrag zeige - auch nicht nachträglich ordnungsgemäß genehmigt worden. Es sei jedoch zu prüfen gewesen, ob durch diesen Antrag der Lauf der Frist des § 534 Abs. 1 ZPO ausgelöst worden war. Die Frist sei zu berechnen von dem Tage, an welchem die Entscheidung dem gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde. Eine Zustellung werde aber nur durch die Aushändigung der für den Empfänger bestimmten Ausfertigung bewirkt, zufällige Kenntnis des Inhaltes eines Schriftstückes heile den Zustellmangel nicht. Eine Zustellung an den seinerzeitigen gesetzlichen Vertreter der Klägerin sei nach dem Inhalt der Vorakten nicht erfolgt und der Klage deshalb stattzugeben gewesen.

Das Berufungsgericht wies das vom Erstrichter verdeutlichte Klagebegehren ab. Die Klägerin habe seit dem 26. April 1970, an welchem Tage sie großjährig geworden sei, der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters am Verfahren nicht mehr bedurft und sei seither in der Lage gewesen, die erforderlichen Prozeßhandlungen selbst vorzunehmen. Folgerichtig habe sie die Nichtigkeitsklage auch selbst eingebracht, ohne die Zustellung des im Verfahren C 495/67 des Bezirksgerichtes L erlassenen Versäumungsurteiles an den gesetzlichen Vertreter abzuwarten. Es sei daher die im § 534 Abs. 1 ZPO normierte Monatsfrist nicht eingehalten und damit die gegenständliche Nichtigkeitsklage verspätet eingebracht worden. Die Zustellung des Versäumungsurteiles an die Klägerin falle ohne Zweifel in einen Zeitraum, in welchem sie noch minderjährig, wenn auch mundig, gewesen sei. Sie habe damals der Vertretung ihres gesetzlichen Vertreters bedurft. Das Versäumungsurteil sei ihr durch Zustellung zur Kenntnis gelangt, wenn auch die Kenntnis der Klägerin vom Inhalt des Versäumungsurteiles zu diesem Zeitpunkt (20. Dezember 1967) infolge ihrer Minderjährigkeit unerheblich gewesen sei. Mit dem Eintritt der Großjährigkeit sei die Klägerin selbst in die Lage versetzt worden, die von ihrem gesetzlichen Vertreter unterlassene klageweise Geltendmachung der Nichtigkeit des am 15. Dezember 1967 erlassenen Versäumungsurteiles und des diesem Urteil vorangegangenen Verfahrens zu veranlassen. Die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage sei ihr ab 27. April 1970 für die Dauer eines Monates offengestanden, doch habe sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Die erst am 8. Mai 1972 eingebrachte Nichtigkeitsklage wäre demnach als nicht rechtzeitig vom Erstrichter zurückzuweisen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der als Rekurs behandelten Revision der Klägerin mit der Maßgabe nicht Folge, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin zu lauten hat, daß das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wird. Die Klägerin hatte die Kosten ihrer Revision (richtig ihres Rekurses) selbst zu tragen, der Antrag der Beklagten auf Kostenzuspruch für ihre Revisionsbeantwortung wurde abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 529 Abs. 1 ZPO kann nur eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Sache erledigt ist, mit Nichtigkeitsklage angefochten werden. Unter "Rechtskraft" ist nur die wirkliche Rechtskraft zu verstehen. Die Ansicht, daß bloße "Scheinrechtskraft" zur Erhebung der Nichtigkeitsklage genüge, wird in der neueren Rechtsprechung nicht mehr vertreten (vgl. hiezu SZ 39/129 und die dort zitierte Judikatur, insbesondere JBl. 1956, 412). Es kann auch der Ansicht Faschings (IV, 484) nicht gefolgt werden, daß die Nichtigkeitsklage dann zulässig sei, wenn die Entscheidung vom Gericht "nach der Aktenlage" als rechtskräftig anzusehen sei, denn auch dies läuft letzten Endes auf die Vorstellung einer "Scheinrechtskraft" hinaus. Der Oberste Gerichtshof folgt hier Schima (vgl. dessen Glosse zu 1 Ob 69/56 in JBl. 1956, 413), der zutreffend bemerkt, daß eine Entscheidung nur entweder rechtskräftig oder nicht rechtskräftig sein kann.

Im gegenständlichen Fall wäre das in Rede stehende Versäumungsurteil nur dann rechtskräftig und damit die Nichtigkeitsklage zulässig, wenn es rechtsgültig zugestellt worden und damit rechtswirksam (§ 416 ZPO) geworden wäre und die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen wäre, denn im Falle einer erfolglosen Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 529 Abs. 1 Z. 2 bzw. § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO mit Berufung wäre ja die Nichtigkeitsklage aus geschlossen (§ 529 Abs. 2 ZPO).

Es soll nicht übersehen werden, daß die Zustellung des Versäumungsurteiles an die damals minderjährige Klägerin rechtswirksam gewesen sein könnte, wenn die Voraussetzungen des § 2 ZPO vorgelegen hätten. Die Klägerin macht in der Nichtigkeitsklage allerdings durch die Behauptung, sie habe damals weder über eigenes Einkommen noch über eigenes Vermögen verfügt und sei von ihrem Gatten erhalten worden, inhaltlich geltend, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben gewesen seien, was jedoch bestritten ist. Eine Prüfung des Sachverhaltes in dieser Richtung ist hier aber nicht möglich, weil die Nichtigkeitsklage - wenn von der hier maßgebenden Klagsbehauptung ausgegangen wird, die seinerzeitige Urteilszustellung sei mangels der Voraussetzungen des § 2 ZPO rechtsunwirksam gewesen - verfrüht ist. Der in der Entscheidung ZBl. 1932/59 ohne eingehende Begründung vertretenen Auffassung, die Nichtigkeitsklage könnte auch schon vor Beginn der im § 534 ZPO normierten Frist eingebracht werden, kann nicht beigetreten werden, weil sie sich über die - zum Unterschied von den Wiederaufnahmsfällen (§ 530 Abs. 1 ZPO) - im § 529 Abs. 1 ZPO normierte Grundvoraussetzung jeder Nichtigkeitsklage hinwegsetzt, die bekämpfte Entscheidung müsse rechtskräftig geworden sein.

Der Klägerin bleibt daher - da eine Zustellung an ihren Vater als den seinerzeitigen gesetzlichen Vertreter unterblieben ist und nunmehr, da sie großjährig geworden ist, begrifflich nicht mehr in Betracht kommt, seine im Exekutionsverfahren ersichtliche Kenntnis der Fällung des Versäumungsurteils aber belanglos ist (Fasching IV, 529) - nur der schon in SZ 39/129 aufgezeigte Weg, zunächst eine neuerliche Zustellung des im Vorprozeß ergangenen Urteils an sie selbst zu verlangen. Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, die seinerzeitige (angeblich) unwirksame Zustellung konvalidiere im Zeitpunkt, in dem die Klägerin die Großjährigkeit erlangt hat, muß abgelehnt werden, denn ein rechtsunwirksamer Vorgang kann, sofern dies nicht eine besondere gesetzliche Vorschrift normiert, nicht als saniert angesehen und auch nicht umgedeutet werden. Ein Fall, der nach § 108 ZPO zu beurteilen wäre, liegt nicht vor, weil diese Bestimmung nicht anwendbar ist, wenn es sich nicht um eine mangelhafte Zustellung, sondern um eine Falschzustellung handelte (vgl. dazu auch Fasching II, 598; JBl. 1969, 612). Eine solche lag aber vor, wenn die Voraussetzungen des § 2 ZPO - wie die Klägerin behauptet - fehlten. Gewiß ist die Zustellung einer Entscheidung nicht Selbstzweck, sondern soll im wesentlichen dazu dienen, den Beteiligten die Anfechtung der Entscheidung zu ermöglichen (RZ 1937, 22); gerade dieser verfahrensrechtliche Gedanke kommt aber hier zum Tragen. Die Zivilprozeßordnung eröffnet der in einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs. 1 Z 5 bzw. § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer rechtswirksamen Zustellung (§ 416 ZPO) - ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben - das Wahlrecht, den an die 14tägige Frist gebundenen Weg einer Nichtigkeitsberufung zu beschreiten oder bei Nichtbeschreitung des Berufungsweges binnen der Frist eines Monats ab Rechtskraft des wirksam zugestellten Urteiles die Nichtigkeitsklage zu erheben. Welche Vor- oder Nachteile der eine oder andere Weg der betroffenen Partei bietet, braucht in Anbetracht dieser Rechtslage nicht erörtert zu werden.

Der aufgezeigte Weg, zunächst eine Zustellung des Versäumungsurteiles an sie zu verlangen und dieses sodann im Instanzenzug oder nach Ablauf der Berufungsfrist mit Nichtigkeitsklage anzufechten, wird der Klägerin auch nicht dadurch genommen, daß die Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit erteilt worden ist. Diese Bestätigung ist kein der Rechtskraft fähiger Beschluß (EvBl. 1962/496) und entspricht nicht mehr dem Gesetz, wenn sich herausgestellt hat, daß die Zustellung nicht ordnungsgemäß gewesen ist (JBl. 1964, 213, SZ 39/129).

Dem Rechtsmittel der Klägerin muß daher ein Erfolg versagt bleiben.

Allerdings ist noch folgendes zu erwägen:

Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht stützte sich darauf, daß die eingebrachte Nichtigkeitsklage verspätet sei. Ist aber die Frist des § 534 Abs. 1 ZPO nicht eingehalten, so ist nicht sachlich mit Urteil zu entscheiden, sondern die Nichtigkeitsklage mit Beschluß zurückzuweisen (§ 543 ZPO). Dies gilt auch dann, wenn erst die zweite Instanz infolge oder aus Anlaß einer Berufung den Zurückweisungsgrund (§§ 538, 543 ZPO) aufgreift (vgl. dazu SZ 20/19; JBl. 1957, 270; SZ 39/129).

Das Berufungsgericht hat daher die Form seiner Entscheidung verfehlt. Es hätte mit Beschluß in Stattgebung der Berufung, die ja die (angebliche) Verspätung der Klagseinbringung geltend gemacht hatte, das Ersturteil aufheben und die Klage nicht ab-, sondern zurückweisen müssen. Aus diesem Gründe hat das angefochtene Urteil als Beschluß zu gelten, gegen den nicht Revision, sondern nur Rekurs erhoben werden konnte. Infolgedessen ist die "Revision" der Klägerin als Rekurs zu behandeln. Dieses Rechtsmittel hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg, weil auch eine verfrüht überreichte Nichtigkeitsklage - liegt keine die Sache erledigende rechtskräftige Entscheidung vor, fehlt ein gesetzlich zulässiger Anfechtungsgrund - zurückgewiesen werden muß. Daher ist die angefochtene Entscheidung als Beschluß mit der Maßgabe zu bestätigen, daß die Klage zurückgewiesen wird (GlUNF 768; JBl. 1955, 21; SZ 39/129).

Der Antrag der Beklagten auf Zuspruch von Kosten für ihre Revisionsbeantwortung war schon deshalb abzuweisen, weil gegen den Rekurs, wenn dieser auch als Revision bezeichnet wurde, eine Gegenschrift unzulässig und deshalb nicht zu honorieren ist (ebenso 8 Ob 198/66).

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