OGH 8Ob198/66

OGH8Ob198/6612.7.1966

SZ 39/129

Normen

ZPO §102
ZPO §529 (1) Z2
ZPO §102
ZPO §529 (1) Z2

 

Spruch:

Bloße Scheinrechtskraft der angefochtenen Entscheidung macht die Nichtigkeitsklage unzulässig

Entscheidung vom 12. Juli 1966, 8 Ob 198/66

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Kläger begehrte, gemäß § 529 (1) Z. 2 ZPO. die Nichtigkeit des gegen ihn am 17. August 1964 zu 8 Cg .../64 ergangenen Versäumungsurteils auszusprechen, mit dem er als dort Beklagter zur Zahlung von 55.407.10 S an die dort klagende, nunmehr beklagte Partei, verurteilt worden sei. Er begrundet sein Begehren damit, daß er weder die Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung noch das Versäumungsurteil zugestellt erhalten und erst nach Einleitung der Exekution Ende Februar 1965 von dem genannten Streitverfahren Kenntnis erhalten habe.

Das Erstgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt:

Der Nichtigkeitskläger sei seit 27. September 1962 von seiner Frau Stefanie geschieden. Diese sei noch nach der Scheidung in seiner Wohnung in Innsbruck verblieben. Der Kläger sei am 17. August 1964 nach K., wo er eine neue Beschäftigung aufgenommen habe, verzogen und habe in der Folge die frühere Ehewohnung in Innsbruck nur mehr fallweise aufgesucht. Die Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung zu 8 Cg .../64 des Landesgerichtes Innsbruck sei deshalb, weil der damalige Beklagte, ungeachtet vorgängiger Aufforderung, in seiner Innsbrucker Wohnung nicht anzutreffen gewesen sei, am 21. Juli 1964 postamtlich hinterlegt worden. Die "Aufforderung" hinsichtlich dieser Postsendung habe die geschiedene Ehefrau an sich genommen und vernichtet. Auch die Ausfertigung des am 17. August 1964 in der Rechtssache ergangenen Versäumungsurteils sei wieder an die Anschrift Innsbruck zugestellt und am 19. August 1964 von Stefanie P. übernommen worden. Diese habe den Rückschein mit "Stefanie P., Gattin" unterzeichnet und die Postsendung vernichtet. Der Kläger habe von der Klage und dem Versäumungsurteil erst im Februar 1965 anläßlich einer gegen ihn geführten Exekution erfahren.

Das Erstgericht vermeinte, da der Kläger im Hauptverfahren (damals als Beklagter) nicht vertreten gewesen und die Zustellung des Versäumungsurteils nichtig sei, sei gegen dieses formell rechtskräftig gewordene Urteil die Nichtigkeitsklage begrundet.

Das Berufungsgericht wies in Abkürzung des Ersturteils mit Urteil die Klage ab. Es hielt für richtig, daß gemäß § 529 ZPO. nur eine formell rechtskräftige Entscheidung mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden könne. Der Eintritt der formellen Rechtskraft sei jedoch von der ordnungsgemäß erfolgten Zustellung der Entscheidung abhängig. Die durch eine vorschriftswidrige Zustellung begrundete bloße Scheinrechtskraft genüge nicht. Die Nichtigkeitsklage könne sich nicht auf einen gesetzwidrigen Zustellvorgang stützen, weil die Nichtigkeit nur darin bestehe, daß der Nichtigkeitskläger an dem der Entscheidung vorangegangenen Verfahren nicht beteiligt gewesen sei bzw. sich nicht habe beteiligen können. Sei die Entscheidung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, dann sei dieser Mangel durch neuerliche Zustellung zu beheben. Wenn die fehlerhaft zugestellte Entscheidung mit der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung versehen worden sei, so sei die dadurch benachteiligte Partei in der Lage, die Aufhebung dieser Bestätigung gemäß § 7 (3) EO. herbeizuführen.

Die am 19. August 1964 vorgenommene Ersatzzustellung des Versäumungsurteils an den damals Beklagten sei unwirksam gewesen. Gemäß § 102 ZPO. hätte nur dann zugestellt werden dürfen, wenn der Empfänger des Poststückes in der Wohnung zwar nicht angetroffen worden wäre, aber doch dort gewohnt hätte. Der Nichtigkeitskläger sei bereits zwei Tage vorher nach K. verzogen gewesen. Außerdem sei die Zustellung zu Handen der Stefanie P. auch deshalb nicht ordnungsgemäß gewesen, weil diese vom Adressaten seit fast zwei Jahren geschieden und nicht mehr als zur Familie des Nichtigkeitsklägers gehörig anzusehen gewesen sei. Wäre der Vorgang der Zustellung des Versäumungsurteils unbedenklich, dann wäre die erst ein halbes Jahr nachher erhobene Nichtigkeitsklage gemäß § 534

(2) Z. 2 ZPO. verspätet. War aber die Zustellung nicht dem Gesetze gemäß, dann fehle zur Nichtigkeitsklage die Rechtskraft des bekämpften Versäumungsurteils.

Der Oberste Gerichtshof fällte folgende Entscheidung:

Der Revision, richtig dem Rekurs, wird nicht Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe bestätigt, daß diese Entscheidung als Beschluß zu lauten hat:

"Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und das Klagebegehren, es werde das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. August 1964, 8 Cg .../64, seinem gesamten Inhalte nach für nichtig erklärt, zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zur Rechtsrüge führt der Kläger aus, es sei noch zu prüfen, ob die an seine geschiedene Frau gemäß § 102 ZPO. vorgenommene Zustellung des Versäumungsurteils zulässig gewesen sei. Nach der Aktenlage sei ein Zustellmangel nicht zu erkennen. Die Aktenlage spräche vielmehr für die Rechtskraft der Entscheidung, und diese "scheinbare" Rechtskraft rechtfertige die Nichtigkeitsklage. Es sei in der Folge auch auf Grund der Vollstreckbarkeitsklausel Exekution geführt worden. Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit habe der Aktenlage entsprochen und könnte mit Hilfe eines Antrages nach § 7 (3) EO. nicht beseitigt werden.

Die Ersatzzustellung des Versäumungsurteils, die am 18. August 1964 an die geschiedene Ehefrau des Nichtigkeitsklägers vorgenommen wurde, entsprach den Bestimmungen des § 102 ZPO. deshalb nicht, weil der Kläger bereits seit 17. August 1964 ortsabwesend war (EvBl. 1966 Nr. 35, EvBl. 1955 Nr. 62, Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II. Band, zu § 102, Anm. 1, S. 585). Die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Ersatzzustellung durch den Adressaten wäre nur dann gegeben gewesen, wenn dieser am 19. August 1964 in Innsbruck unter der Anschrift des Poststückes gewohnt hätte. Der Kläger war damals aber bereits nach K. verzogen und kam in der Folge nur fallweise in die eheliche Wohnung in Innsbruck. Da sohin diese Zustellung nicht dem Gesetze entsprach, konnte das Versäumungsurteil nicht rechtskräftig werden. Die formelle Rechtskraft wäre nur dann eingetreten, wenn nicht bloß auf Grund der Aktenlage der Zustellvorgang als unbedenklich erscheinen konnte ("Scheinrechtskraft"), sondern wenn die Zustellung wirklich den Erfordernissen des § 102 ZPO. entsprochen hätte. Die Ansicht, daß die bloße "Scheinrechtskraft" der angefochtenen Entscheidung im Sinne des § 529 (1) ZPO. zur Erhebung der Nichtigkeitsklage genüge, wird in der neueren Rechtsprechung nicht mehr vertreten (SZ. XXVII 191, JBl. 1956 S, 412, JBl. 1964 S. 213, 3 Ob 7/54). Da dem Beklagten in der Hauptsache nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, steht diesem der Weg offen, die neuerliche Zustellung des Versäumungsurteils zu verlangen und dieses sodann im Instanzenweg anzufechten. Diese Möglichkeit wird ihm auch nicht dadurch genommen, daß die Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit erteilt worden ist. Diese Bestätigung ist kein der Rechtskraft fähiger Beschluß (EvBl. 1962 Nr. 496) und entspricht nicht mehr dem Gesetze, wenn sich herausgestellt hat, daß die Zustellung nicht ordnungsgemäß gewesen ist (JBl. 1964 S. 213). Die Meinung des Revisionswerbers, der Nichtigkeitskläger würde erhebliche Nachteile auf sich nehmen müssen, wenn die Nichtigkeitsklage nicht zugelassen würde, kann nicht geteilt werden, weil der Nichtigkeitskläger das Versäumungsurteil mit einem ordentlichen Rechtsmittel, sohin auf einem rascheren Wege, bekämpfen kann.

Die Rechtsrüge erweist sich sohin als verfehlt.

Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht stützt sich auf den Mangel einer Voraussetzung der Anfechtbarkeit, nämlich darauf, daß das bekämpfte Versäumungsurteil noch nicht rechtskräftig sei. Erst diese Rechtskraft würde gemäß § 529 (1) Z. 2 ZPO. eine Nichtigkeitsklage zulässig machen. Fehlt aber die Anfechtungsmöglichkeit, so ist nicht sachlich mit Urteil zu entscheiden, sondern mit Beschluß die Nichtigkeitsklage zurückzuweisen (§ 543 ZPO.).

Das Berufungsgericht hat daher die Form seiner Entscheidung verfehlt. Es hätte mit Beschluß in Stattgebung der Berufung das Ersturteil aufheben und die Klage, anstatt diese abzuweisen, zurückweisen müssen. Aus diesem Gründe hat das angefochtene Urteil als Beschluß zu gelten, gegen den nicht Revision, sondern nur Rekurs erhoben werden konnte. Infolgedessen ist die "Revision" des Klägers als Rekurs zu behandeln. Dieses Rechtsmittel hatte in der Sache selbst keinen Erfolg. Jedoch war die angefochtene Entscheidung als Beschluß mit der Maßgabe zu bestätigen, daß das Klagebegehren zurückgewiesen werde (JBl. 1955 S. 21, GlUNF. Nr. 768). Die in die zweitgerichtliche Entscheidung aufgenommene Kostenentscheidung war gemäß § 528 (1) ZPO. unüberprüfbar.

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