OGH 6Ob75/00y

OGH6Ob75/00y17.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Medizinalrat Dr.med. Raphael R*****, vertreten durch Boller-Langhammer-Schubert Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Leon Z*****, vertreten durch Lansky & Prochaska, Rechtsanwälte in Wien, wegen Widerrufs, Unterlassung und Veröffentlichung des Widerrufs (Gesamtstreitwert: 240.000 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26. November 1999, GZ 3 R 93/99i-18, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. Jänner 1999, GZ 39 Cg 66/97t-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 11.430 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.905 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der in seinem beruflichen Fachgebiet renommierte klagende Zahnarzt ist ordentliches Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde, ohne jedoch ein Amt innezuhaben oder Funktionen auszuüben oder Derartiges anzustreben. Der Beklagte ist Leiter des "J*****", sein Anliegen besteht in der Förderung der Begegnung und des friedvollen Zusammenlebens zwischen Juden und Nicht-Juden in Österreich. Aufgrund seines Bekanntheitsgrades in der Öffentlichkeit besitzt die Meinung des Beklagten Gewicht.

Der Kläger teilte den Tagungsverantwortlichen des alljährlich in der ersten Herbsthälfte stattfindenden Österr. Zahnärztekongresses bereits im Sommer 1995 die wichtigsten jüdischen Hochfeste bis 1998 mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Festlegung des Kongresstermines mit. Grund hiefür waren in der Vergangenheit mehrfach aufgetretene Terminkollisionen gewesen. Anfang Juli 1997 richtete der Kläger an den Tagungspräsidenten des Kongresses, den Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde, unter Bezugnahme auf den Österr. Zahnärztekongress vom 30. September bis 4. Oktober 1997 einen offenen Brief, in dem er "auf das schärfste Protest" gegen dessen Abhaltung "ausgerechnet zu den höchsten jüdischen Feiertagen" einlegte, weil es dadurch zum wiederholten Male für ihn als auch die anderen jüdischen Kollegen unmöglich sei, an dieser, für die österr. Zahnärzte größten Fortbildungsveranstaltung teilzunehmen. Er verwies darauf, dass in anderen Ländern, vor allem in den Vereinigten Staaten so ein Termin unmöglich wäre, was dem Tagungspräsidenten von dessen Auslandstätigkeit bekannt sein müsse. Hierauf folgte zwischen dem Tagungspräsidenten und dem Kläger noch ein weiterer Briefwechsel, wozu in der periodischen Wochenzeitschrift "profil" (im folgenden nur "profil") Nr 37 vom 8. September 1997 unter der Überschrift "Net amal ignorieren" folgender Artikel (im folgenden nur Artikel) erschien:

In einem Brief an den Tagungspräsidenten des Österr. Zahnärztekongresses ... beschwert sich der Wiener Zahnarzt ... (Kläger) darüber, daß die diesjährige Tagung - wie schon so oft - ausgerechnet zu einem hohen jüdischen Feiertag angesetzt ist (30.

September bis 4. Oktober, am 1. und 2. Oktober ist jüdisches

Neujahr), was viele Kollegen verbittere, weil sie nicht teilnehmen

könnten. ... (Tagungspräsident) beteuert, er sei damit zum ersten Mal

konfrontiert, während ... (Kläger) sagt, er habe den zuständigen

Gremien alle jüdischen Feiertage bis zum Jahr 1998 mitgeteilt. "In

den USA", meint ... (Kläger), "wäre so etwas undenkbar". Paul G*****,

Präsident der israelitischen Kultusgemeinde: "Ich glaube in diesem Fall nicht an eine antisemitische Verschwörung, aber es ist wohl eine Nachlässigkeit. Die österreichischen Juden haben für dieses Land große kulturelle Leistungen erbracht und sie sind auch Opfer. Dennoch nimmt man nicht zur Kenntnis, daß es sie gibt.

In der Folgeausgabe des "profil" Nr 38 vom 15. September 1997 wurde folgender vom Beklagten verfasster Leserbrief (im folgenden nur Leserbrief) veröffentlicht:

Net amal ignorieren

Panorama

Ich bin empört, daß eine Einzelperson, die überdies eine

Minderheitsmeinung vertritt, mangels Profilierung versucht, einen so

angesehenen Wissenschafter wie Herrn ... (Tagungspräsidenten) in

Mißkredit zu bringen oder gar ins antisemitische Eck zu drängen. Herr

... (Tagungspräsident) wird weltweit geachtet und geschätzt: Durch

seine internationale Tätigkeit steht er seit Jahren in Kontakt mit vielen namhaften jüdischen Wissenschaftern und hat auch auf diese Weise sehr viel zu einem positiven Österreichbild, vor allem auch bei jenen Kollegen, die 1938 aus Österreich vertrieben wurden, beigetragen.

Auf die vom Kläger am 19. September 1997 eingeräumte Möglichkeit, die vom Beklagten aufgestellten Behauptungen zu widerrufen und dem Kläger gegenüber eine Ehrenerklärung abzugeben, reagierte der Beklagte nicht.

Das Erstgericht gab dem auf § 1330 ABGB gestützten Klagebegehren statt, den Beklagten gegenüber dem Kläger schuldig zu erkennen, 1. gegenüber den Lesern der periodischen Wochenzeitschrift "profil" die Behauptung, der Kläger hätte mangels Profilierung versucht, einen so angesehenen Wissenschafter wie ... (Tagungspräsidenten) in Misskredit zu bringen oder gar ins antisemitische Eck zu drängen, als unwahr zu widerrufen; 2. die Tatsachenbehauptung, der Kläger hätte mangels Profilierung versucht, einen so angesehenen Wissenschafter wie ... (Tagungspräsidenten) in Misskredit zu bringen oder gar ins antisemitische Eck zu drängen, zu unterlassen; 3. binnen vier Wochen den Widerruf gemäß Punkt 1. in der periodischen Wochenzeitschrift "profil" in näher genannter Aufmachung auf seine Kosten zu veröffentlichen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und ließ sich dabei nach Darstellung der stRspr zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen und der Bedeutung des Zusammenhanges - zwischen dem Artikel im "profil" Nr 37 und dem Leserbrief mit der Bezugnahme darauf im "profil" Nr 38 - , von folgenden Erwägungen leiten:

An der Identifizierbarkeit des Klägers bestehe kein Zweifel, weil er im Artikel namentlich genannt worden sei. Dessen zentrales Thema sei die wiederholte Nichtberücksichtigung der jüdischen Feiertage bei der Festsetzung des Termines für den Österr. Zahnärztekongress gewesen. Das offenbare Anliegen und der Einsatz des Klägers, zu erreichen, dass für die jüdischen Kollegen keine Terminkollision stattfinde, werde durch seine Behauptung im Artikel kommentiert, er "habe den zuständigen Gremien alle jüdischen Feiertage bis zum Jahr 1998 mitgeteilt". Durch die weitere, eindeutig abfällige Bemerkung "in den USA, meint ... (Kläger) wäre so etwas undenkbar" werde die Vorgangsweise der zuständigen Gremien des Österr. Zahnärztekongresses deutlich kritisiert, sogar skandalisiert ("so etwas"). Insoweit werde der Tagungspräsident jedoch als Verantwortlicher für die den jüdischen Zahnärzten nicht entgegenkommende Terminfestsetzung angeprangert und in die Verantwortung genommen. Dieser Vorwurf sei - zumal nach dem unstrittigen Vorbringen des Klägers öffentlich ("offener Brief") erhoben - grundsätzlich geeignet, den Tagungspräsidenten der Kritik auszusetzen, einen Teil - nämlich der jüdischen - Ärzteschaft, unter Missachtung ihrer religiösen Hochfeste auszugrenzen. Eine antisemitische Tendenz werde dadurch (zwar) nicht ausdrücklich erhoben, würden doch die U.S.A. als auf kulturellen, politischen und religiösen Gebieten als besonders fortschrittliches und offenes Land gelten, in dem stets die Gleichbehandlung und auch die freie und ungehinderte Religionsausübung sehr hochgehalten werde. Allerdings ließen die Formulierungen des Klägers durchaus auch die Interpretation zu, es werde mit der Nichtbeachtung der jüdischen Feiertage eine antisemitische, zumindest in kultischen Anliegen nicht tolerante Haltung an den Tag gelegt. Ein konkreter Verdacht in diese Richtung dränge sich für den Leser des "profil" jedenfalls durch die Stellungnahme des (damaligen) Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde auf, der das Vorliegen einer antisemitischen Verschwörung verneint und damit eine allfällige antisemitsche Haltung angesprochen habe. Ob eine solche Vermutung oder Behauptung vom Kläger ausdrücklich erhoben und vom (damaligen) Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde kommentiert worden sei, oder ob letzterer auf eine konkrete Frage des Interviewers geantwortet habe, sei dem Artikel allerdings nicht zu entnehmen. Insgesamt sei aus dem Artikel jedenfalls die massive Beschwerde des Klägers über die fortgesetzte Nichtbeachtung der jüdischen Feiertage - trotz deren Kenntnis durch die zuständigen Gremien und damit wissentlich - bei der Festsetzung des Termines für den Österr. Zahnärztekongresses und ein diesbezüglicher Vorwurf gegen dem (nach außen die Verantwortung für den Kongress tragenden) Tagungspräsidenten ableitbar. In diesem Sinne sei auch die ausdrückliche Klarstellung im Schreiben des Klägers vom 2. September 1997 zu verstehen, den Tagungspräsidenten in seiner "Eigenschaft" als Kongresspräsidenten des Österr. Zahnärztekongresses "angeschrieben" zu haben. Dies vermöge jedoch am Angriff gegen den Tagungspräsidenten nichts zu ändern. Der Hinweis auf die Kenntnis der zuständigen Gremien von den Hohen Feiertagen

("... [Tagungspräsident] beteuert, er sei damit zum ersten Mal

konfrontiert, während ... [Kläger] sagt, er habe den zuständigen

Gremien alle jüdischen Feiertage bis zum Jahr 1998 mitgeteilt") mache die unterbliebene Berücksichtigung der Feiertage als Fehlleistung gegenüber den jüdischen Zahnärzten erst kritikfähig. Der Kläger habe nicht allgemein das Verhalten des Tagungspräsidenten als "unpassend" bezeichnet, sondern unter Hinweis zum fehlenden Bezug zu seiner Beschwerde, die Aufzählung diverser berühmter jüdischer Wissenschafter im Brief vom 25. August 1997. Schließlich habe der Kläger nicht ausgeführt, zum "Schweigen gezwungen zu werden", sondern, selbst wenn alle jüdischen Zahnärzte zum Terminproblem schwiegen, müsse nicht auch er schweigen, er habe somit auf seinem Äußerungsrecht beharrt.

Der Leserbrief des Beklagten nehme unmittelbar auf den Artikel Bezug. Im weiteren werde auf die mannigfaltigen Kontakte des Tagungspräsidenten zu jüdischen Wissenschaftern im Rahmen seiner internationalen Tätigkeit verwiesen, womit zum Ausdruck gebracht werde, dass der Tagungspräsident offensichtlich zu Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft gute Beziehungen unterhalte. Ein ausdrücklicher Bezug zur Berufsausübung oder zur beruflichen Qualifikation des Klägers werde - ebensowenig wie im Artikel - nicht hergestellt. "Profilierung" bedeute wohl definitionsgemäß die Entwicklung der Fähigkeiten für einen bestimmten Aufgabenbereich, im allgemeinen Sprachgebrauch verstehe man darunter auch, sich mit einer Idee, einem Vorhaben erfolgreich, in beachtenswerter Weise, durchgesetzt zu haben. Die Wortwendung "mangels Profilierung" könne hier im Hinblick auf die eindeutige Bezugnahme auf den Streit um die Nichtbeachtung der jüdischen Feiertage, den zumindest implizit erhobenen Vorwurf bedeuten, dies sei unsensibel bzw nachlässig, und dem Hinweis auf die "Minderheitsmeinung", nur als mangelnde Profilierung in der Frage der Durchsetzung der Beachtung der jüdischen Feiertage durch den Österr. Zahnärztekongress verstanden werden. Denn die angesprochene "Minderheitsmeinung" nehme zweifelsohne auf das im Artikel "Net amal ignorieren" angesprochene (ausschließliche) Thema der Kultusfrage Bezug. Dass der Kläger insoweit mit seinem Anliegen erfolglos geblieben sei, gehe aus dem Artikel unzweifelhaft hervor und werde von ihm nicht in Abrede gestellt. Durch die Hervorhebung der Verdienste des Tagungspräsidenten als Wissenschafter im Fachgebiet des Klägers - dies sei aus dem Vorartikel bekannt - könne daher beim Durchschnittsleser, der die Leserbriefe gerade wegen der dort zu einem bestimmten Thema oder Artikel wiedergegebenen persönlichen Meinungen studieren werde, die beanstandete Äußerung nicht dahin verstanden werden, der Kläger habe sich im Gegensatz zum angegriffenen Tagungspräsidenten nicht fachlich qualifiziert bzw profiliert. Denn unzweifelhaft sei es im Vorartikel nicht um fachliche Belange der Zahnärzte, sondern ausschließlich um kultische Probleme und deren Umgang durch die Veranstalter des Österr. Zahnärztekongresses gegangen.

Aus der beanstandeten Äußerung klinge an, der Kläger schwärze den Tagungspräsidenten an (Misskredit, "antisemitisches Eck"), weil er sich selbst bei der Durchsetzung seines im Artikel genannten Anliegens nicht profiliert habe. Durch die Einleitung "Ich bin empört" werde eindeutig eine persönliche Meinungsäußerung deklariert, sohin die Kundgabe einer eigenen Auffassung, es solle die nunmehr in die Öffentlichkeit gelangte (dies auch durch den "offenen Brief") Art der Beschwerde des Klägers einer Kritik unterzogen werden. Es liege daher bloß ein Werturteil zur Haltung und zum Verhalten des Klägers in Bezug auf seine Art der Beschwerdeführung gegen den Tagungspräsidenten des Österr. Zahnärztekongresses vor. Dabei werde die Vorgangsweise des Klägers als Versuch, den Tagungspräsidenten in Misskredit oder "gar ins antisemitische Eck zu drängen" bloß subjektiv - teilweise in Vermutungsform ("oder gar") - bewertet. Wenngleich dem Kläger selbst im Zweifel nicht unterstellt werden könne, den Tagungspräsidenten ausdrücklich einer antisemitischen Gesinnung geziehen zu haben, sei der offene Brief und die dem folgende Berichterstattung im Artikel des "profil" immerhin geeignet, beim Leser entsprechende Assoziationen hervorzurufen. Der Kläger habe offenkundig durch Versendung des offenen Briefes jedenfalls seine konkrete Beschwerde und seine Anschuldigung gegen den Tagungspräsidenten einer breiteren Öffentlichkeit (nämlich zumindest den Angeschriebenen) zugänglich machen wollen; dies möglicherweise um sein Ziel zu erreichen, dass über eine breitere Diskussionsbasis in der Öffentlichkeit den jüdischen Feiertagen ausreichende Beachtung geschenkt werde.

Gerade in der jüngeren Vergangenheit habe das Thema der Diskriminierung, der Ausgrenzung und der Verfolgung von Ausländern, Minderheiten und auch der Angehörigen der Israelitischen Kultusgemeinde wieder Eingang in die politische und öffentliche Diskussion gefunden. Dem Thema werde daher verstärktes Augenmerk durch die Öffentlichkeit geschenkt. Dem Beklagten komme aufgrund seiner Stellung als Leiter des "Jewish Welcome Service", seines bekannten Engagements in der Zusammenführung von Juden und Nicht-Juden und seines hohen Bekanntheitsgrades besondere Beachtung zu; sein Anliegen sei im Wesentlichen ein Friedenstiftendes und Friedenerhaltendes. Seine Meinungsäußerung im Leserbrief komme damit der Äußerung bzw dem Werturteil in einer (gesellschafts-)politischen Debatte nahe.

Im Lichte des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, dem ein hoher Stellenwert beizumessen sei, und der demokratischen Grundprinzipien liege unter Berücksichtigung des Sachbezuges zu den im Artikel veröffentlichten Anschuldigungen des Klägers gegen den Tagungspräsidenten eine zulässige Kritik vor. Wenn auch das Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Freibrief bedeute, den guten Ruf des Betroffenen herabzusetzen und ihn zu beleidigen, könne doch in einer öffentlich ausgetragenen Debatte zu einem brisanten gesellschaftspolitischen Thema auch schärfere Kritik geübt werden. Klagen nach § 1330 ABGB dürften nicht für Schritte mit dem Ziel, Kritiker durch straf- oder zivilrechtliches Vorgehen mundtot zu machen, eingesetzt werden. Hier habe der Beklagte seine subjektive Meinung, der Kläger habe durch seine Anschuldigungen gegen den Tagungspräsidenten in einem offenen Brief - der letztlich im "profil" teilweise wiedergegeben worden sei - zu ungerechtfertigten und unangemessenen Mitteln gegriffen, zum Ausdruck gemacht. Da die Äußerungen des Klägers erkennbar geeignet seien, beim Leser den Verdacht hervorzurufen, die jüdischen Feiertage und damit die jüdischen Zahnärzte würden durch die Gremien des Österr. Zahnärztekongresses bewusst missachtet, was eine Diskriminierung nahelegt, könne die Gegenäußerung des Beklagten nicht als Wertungsexzess qualifiziert werden.

Die von der zweiten Instanz mit der Begründung, der Oberste Gerichtshof sei mit einer in einem Leserbrief enthaltenen vergleichbaren Äußerung noch nicht befasst gewesen, zugelassene Revision der klagenden Partei ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger stützt seinen Unterlassungsanspruch auf § 1330 Abs 2 ABGB. Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schaden oder Entgang des Gewinnes verursacht wurde, ist er nach § 1330 Abs 1 ABGB berechtigt, den Ersatz zu fordern. Gemäß § 1330 Abs 2 erster Satz ABGB gilt dies auch dann, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährdeten und deren Unwahrheit er kannte oder kennen mußte. Beides sind Fälle deliktischer Haftung (SZ 64/36, SZ 68/97 uva). § 1330 Abs 1 ABGB schützt die Ehre der Person, Abs 2 leg cit auch ihren sogenannten wirtschaftlichen Ruf (SZ 68/97; MR 1998, 328 uva, zuletzt 6 Ob 119/99i = MR 1999, 334 [Neumann]). Rufschädigende Ehrenbeleidigungen können sowohl nach Abs 1 als auch nach Abs 2 leg cit verfolgt werden. In welcher Form der Verstoß begangen wird, und sei es auch durch einen Leserbrief, ist bedeutungslos. Selbst bei einem bloßen Verbreiten - hier wird ja dem Beklagten ein "Behaupten" vorgeworfen - durch einen Dritten ist keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob es sich um redaktionelle Artikel, ein Zeitungsinterview oder wie hier einen Leserbrief handelt (SZ 68/136, SZ 69/113 ua; RIS-Justiz RS0064443). Auch der der Entscheidung 6 Ob 2230/96a (MuR 1997, 256 = RdU 1998, 43 [Kerschner]) zugrunde liegende Sachverhalt betraf einen in einem Leserbrief begangenen Verstoß gegen § 1330 ABGB.

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung richten sich gleich der Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers (stRspr, 6 Ob 2060/96a, 6 Ob 245/97s uva). Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - hier Lesern des "profil" - bei ungezwungener Auslegung verstanden wird, wobei die Ermittlung des Bedeutungsinhaltes einer Äußerung im allgemeinen eine Rechtsfrage ist, die von den näheren Umständen des Einzelfalles, insbesondere der konkreten Formulierung und dem Zusammenhang, in dem sie gemacht wurde, abhängt (6 Ob 2060/96a mwN; 6 Ob 245/97s ua). Diese wertende Meinungsäußerung ist nicht rechtswidrig.

Nach Lehre und stRspr kommt es bei der zur Abgrenzung zwischen

ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erforderlichen

Interessenabwägung auf die Art des eingeschränkten Rechtes, die

Schwere des Eingriffes, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht,

den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den

Zweck der Meinungsäußerung an (SZ 61/210; MuR 1997, 256; 6 Ob

2300/96w, 6 Ob 245/97s ua). Der Oberste Gerichtshof hat bereits

mehrfach ausgesprochen (MuR 1997, 256; 6 Ob 2300/96w, 6 Ob 245/97s),

dass dem verfassungsrechtlich gewährleisteten und jedermann eingeräumten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zukommt. Sogar massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an einem konkreten Sachverhalt orientiert, ist zulässig, solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden (vgl EGMR in MR 1986, 4; OGH 6 Ob 2300/96w, 6 Ob 245/97s ua).

Dass zu einer, den hier inkriminierten Äußerungen des Beklagten

vergleichbaren Äußerungen noch nicht vom Obersten Gerichtshof

Stellung genommen wurde, ist unerheblich. Infolge der

Einzelfallbezogenheit solcher Äußerungen lassen sich allgemeingültige

Aussagen, wann eine Replik in einem Leserbrief zu einem

vorhergehenden redaktionellen Artikel in einem Wochenmagazin über

eine gesellschaftspolitische Frage eine Tatsachenbehauptung oder ein

Werturteil darstellen und ob dabei ein Wertungsexzess vorliegt, nicht

treffen. Denn solche Äußerungen richten sich, wie bereits

dargestellt, danach wie die Aussagen von einem zumindest nicht

unerheblichen Teil der angesprochenen Leser bei ungezwungener Auslegung verstanden werden. Dieses Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers ist demnach stets eine Frage des Einzelfalles, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt, hängt sie doch ausschließlich von den jeweiligen konkreten Formulierungen ab, sodass sie keine brauchbaren Anhaltspunkte für die Beurteilung ähnlicher Fälle erwarten lässt. Insofern kann ein Einzelfall nicht als Leitjudikatur dienen. Rückschlüsse und Beispielswirkungen auf andere Fälle sind nicht zu erwarten. Auch die Frage, ob bestimmte, im gesamten Zusammenhang stehende Äußerungen eine Ehrverletzung darstellen, betrifft eine Entscheidung im Einzelfall (JBl 1994, 258;

6 Ob 208/98a; 6 Ob 270/99w; RIS-Justiz RS0031869); in gleicher Weise gilt dies, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt, stets entscheiden dies die Umstände des Einzelfalles (vgl 6 Ob 12/00h;

RIS-Justiz RS0111733). Die Auslegung der zweiten Instanz hält sich im Rahmen der Grundsätze der Rspr des Obersten Gerichtshofes. Ob aber auch eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar wäre, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach gleichfalls keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Ein Fall grober Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Das Berufungsgericht hat die in der Rspr des Obersten Gerichtshofes zu § 1330 ABGB entwickelten, im vorliegenden Fall relevanten Grundsätze zutreffend wiedergegeben und den vorliegenden Sachverhalt auch den daraus hervorgehenden Wertungen entsprechend beurteilt. Die sich auf den Artikel beziehenden Ausführungen des Leserbriefverfassers überschritten nicht die Grenzen zulässiger wertender Kritik, gehen trotz des gezeigten Unmuts über sachbezogene Kritik nicht hinaus, zumal nicht übersehen werden kann, dass der Kläger mit seinem in Kritik an dem Tagungspräsidenten des Österr. Zahnärztekongresses gekleideten Anliegen selbst die Öffentlichkeit gesucht hat und daher Kritik an seiner Kritik milder zu beurteilen ist. Überdies sind die kritischen Äußerungen des Beklagten nicht als Vorwurf einer von der behandelten gesellschaftspolitischen Frage unabhängigen unehrenhaften Verhaltens des Klägers zu verstehen.

Da die Entscheidung über die Revision somit nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, diente seine Revisionsbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte