Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 12.997,60 S (darin 2.112,60 S Umsatzsteuer und 322,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei hat der beklagten Partei ferner die mit 20.855,-- S (darin 1.267,50 S Umsatzsteuer und 13.250,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Kommanditgesellschaft betreibt seit 1959 in W***** industriemäßig die Erzeugung von unbeschichteten und melamin-harzbeschichteten Spanplatten. Für die Betriebsanlage bestanden von Anfang an gewerbebehördliche Genehmigungsbescheide. Der Produktionsbetrieb der Klägerin ist mit der Emission von Luftschadstoffen verbunden. Im Jahr 1982 wurden 400 bis 500 Tonnen Schwefeldioxyd, 168 Tonnen Formaldehyd und 360 Tonnen Holzstaub emittiert.
Die Klägerin beabsichtigte 1991, in S***** (Niederösterreich) ein Werk zur Erzeugung von Faserplatten zu errichten. Sie leistete für die geplante Betriebsansiedlung Öffentlichkeitsarbeit und organisierte am 26.6.1991 in einem Gasthof in S***** eine sogenannte "Podiumsdiskussion". Diese fand unter großer Publikumsbeteiligung statt. Auf dem Podium waren Diskussionsteilnehmer der Bürgermeister der Marktgemeinde S*****, ein Universitätsprofessor, zwei weitere Professoren und ein Prokurist der Klägerin. Im Verlaufe der Publikumsdiskussion meldete sich auch der Beklagte vor dem versammelten Publikum zu Wort.
Mit ihrer am 18.9.1991 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, den Beklagten für schuldig zu erkennen, die unwahre und ehrenrührige Behauptung "K***** hat seinen Aufstieg mit der Gesundheit der Anrainer erkauft" oder Äußerungen inhaltsgleicher Art ab sofort zu unterlassen und die zitierte Äußerung gegenüber dem Abt des Stiftes S***** und gegenüber dem Bürgermeister der Marktgemeinde S***** zu widerrufen sowie diese Äußerung auch öffentlich zu widerrufen und den Widerruf auf Kosten des Beklagten in einer periodischen Druckschrift zu veröffentlichen. Die Äußerung des Beklagten habe zu einer starken Verunsicherung der Bewohner von S***** geführt und die Realisierung des Projektes in Frage gestellt. Der Beklagte habe den Vorwurf wider besseres Wissen, zumindest jedoch grob fahrlässig öffentlich erhoben. Er habe wissen müssen, daß die Gesundheit der Anrainer des S***** Werkes nicht gefährdet gewesen sei. Der Klägerin werde ein gesetzwidriges Vorgehen vorgeworfen. Durch die unwahren Äußerungen des Beklagten sei der wirtschaftliche Ruf der Klägerin grob verletzt worden. Eine Wiederholungsgefahr sei gegeben, weil der Beklagte politisch aktiv und als "Anrainervertreter" tätig sei.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wandte im wesentlichen ein, daß er in seinem Diskussionsbeitrag auf Presseberichte Salzburger Tageszeitungen Bezug genommen und die Bürger von S***** über die durch das Werk der Klägerin verursachten enormen Luftschadstoffemissionen informiert habe. Er habe wortwörtlich geäußert: "Der Aufstieg der Firma K***** in Salzburg ist mit der schwersten Beeinträchtigung der Lebensqualität der Anrainerinnen und Anrainer erkauft". Seine Aussage sei wahr. Es bestehe eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, daß zwischen den Schadstoffemissionen aus dem Werk der Klägerin und Erkrankungen, Gesundheitsbeeinträchtigungen und gesundheitlichen Unannehmlichkeiten von Anrainern ein Zusammenhang bestehe.
Das Erstgericht gab im ersten Rechtsgang dem Unterlassungsbegehren statt und wies unangefochten das Widerrufsbegehren und das Begehren auf Veröffentlichung des Widerrufs ab. Es stellte fest, daß der Beklagte im Verlaufe seines Diskussionsbeitrages wörtlich geäußert habe: "K***** hat seinen Aufstieg mit der Gesundheit der Anrainer erkauft". Diese Äußerung habe einen Einfluß auf die Willensbildung des teilnehmenden Publikums im Hinblick auf die von der Klägerin geplante Betriebsansiedlung gehabt. Der Beklagte sei bei seiner Äußerung von ihm zugänglich gewesenen Informationen über Schadstoffemissionsdaten sowie von einem Gutachten der Landessanitätsdirektion Salzburg ausgegangen, das zum Schluß gekommen sei, daß die Schadstoffe "langfristig aufgrund des Standes der Wissenschaft eine Gesundheitsgefährdung erwarten" ließen, was auch für den Fall des Nichterreichens von Grenzwerten für einzelne Schadstoffe gelte. Ob durch Schadstoffemissionen aus dem Betrieb des Werkes der Klägerin seit 1959 bis zur Äußerung des Beklagten am 26. Juni 1991 die Gesundheit von Anrainern dieses Werkes geschädigt wurde, sei nicht feststellbar (ON 42).
Das Berufungsgericht gab im ersten Rechtsgang der Berufung des Beklagten nicht statt.
Der Oberste Gerichtshof gab der außerordentlichen Revision des Beklagten statt und hob die Urteile der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung auf. Die vorliegende kreditschädigende und zugleich ehrenbeleidigende Tatsachenbehauptung des Beklagten sei nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie gefallen sei, zu beurteilen. Es komme auf das Verständnis der Teilnehmer der Podiumsdiskussion über den Gesamteindruck der Äußerung an. Das Berufungsgericht habe die Äußerung nach dem äußersten Wortsinn als Vorwurf einer vorsätzlichen Gesundheitsschädigung im Sinne des Strafrechtes qualifiziert, also eine ehrenbeleidigende Rufschädigung im Sinne des § 1330 Abs 1 und 2 ABGB angenommen. Ob der unbefangene Teilnehmer der Podiumsdiskussion die Äußerung des Beklagten tatsächlich so verstehen habe müssen, könne ohne weitere Feststellungen über den Verlauf der Diskussion, also ohne Kenntnis über den wesentlichen Inhalt der vor der Äußerung des Beklagten bereits erfolgten Diskussionsbeiträge sowie über den Inhalt der Rede des Beklagten selbst nicht beurteilt werden. Nach dem Gesamtzusammenhang könne sich ein anderer Eindruck von den Äußerungen des Beklagten ergeben, nämlich derjenige, daß der Beklagte lediglich auf eine drohende Gesundheitsgefährdung der Anrainer des Unternehmens hingewiesen hätte. Es seien Feststellungen über den wesentlichen Inhalt des Diskussionsbeitrages des Beklagten, aber auch der übrigen Teilnehmer der Veranstaltung erforderlich. Der Beklagte müsse die Wahrheit seiner Tatsachenbehauptungen beweisen. Gegen die in seiner Äußerung enthaltene Ehrenbeleidigung könne er nur den Mangel der Rechtswidrigkeit ins Treffen führen. Darüber sei eine Interessenabwägung erforderlich, bei der den Interessen am absolut geschützten Gut der Ehre die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenüberzustellen seien (6 Ob 22/95 = ON 53).
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang die Unterlassungsklage ab. Es stellte zusätzlich zu den schon im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen einen Sachverhalt fest, wonach der Beklagte seinen Standpunkt (die bekämpfte Äußerung) als Gegenargument gegen die von einem Prokuristen der Klägerin in der Diskussion zuvor vermittelte, offenbar mehr oder weniger "wertneutrale" Darstellung der Expansion des Betriebsstandortes der Klägerin, dargelegt habe. Der Beklagte habe im Rahmen seines Diskussionsbeitrages versucht, seine Meinung mit in Salzburger Printmedien publizierten Anrainerbeschwerden zu untermauern. Bereits vor Beginn der Diskussionsveranstaltung seien die als Flugblatt vervielfältigten Artikel aus zwei Ausgaben einer Tageszeitung im Saal verbreitet worden. Der Beklagte habe sich inhaltlich auch auf Klagen und Beschwerden von Anrainern über angebliche Geruchsbelästigungen und in jüngster Zeit wieder verstärkt aufgetretene Staubemissionen bezogen. Er habe Luftschadstoff-Emissionsdaten des Amtes der Salzburger Landesregierung, die erstmals im Jänner 1988 der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden seien, wiedergegeben. Ob er auch den starken Rückgang der Emissionen im Vergleich der Jahre 1982 und 1986 wiedergegeben habe, sei nicht feststellbar. Der Beklagte habe ein Gutachten der Landessanitätsdirektion Salzburg gekannt, in dem die Vermutung geäußert worden sei, die Luftschadstoffemissionen aus der Betriebsanlage der Klägerin seien gesundheitsschädlich. Ob der Beklagte die in diesem Gutachten enthaltenen Schlüsse des Sachverständigen, daß die der Betriebsanlage der Klägerin zuzuordnenden Schadstoffe langfristig aufgrund des Standes der Wissenschaft eine Gesundheitsgefährdung erwarten ließen, in der Diskussion wiedergegeben habe, sei nicht feststellbar. Der Beklagte habe sich nicht derart geäußert, daß er eine Prognose über drohende Gesundheitsgefährdungen der Anrainer in der Zukunft aufgestellt hätte. Er habe auch nicht einen Vorwurf in die Richtung konkretisiert, daß in der Vergangenheit bereits konkrete Fälle von emissionsbedingten Krankheiten oder sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei den Anrainern der Betriebsanlage aufgetreten seien. Er habe eine Darstellung der Aktivitäten einer Bürgerinitiative mit dem Ziel der Auflösung der Betriebsanlage der Klägerin in W***** gegeben und selbst die beabsichtigte Betriebsansiedlung abgelehnt, ohne sich zur Umweltverträglichkeit des Projekts konkret zu äußern. Der Schwerpunkt der Publikumsdiskussion sei im übrigen im Austausch der Pro- und Kontraargumente zur beabsichtigten Betriebsansiedlung gelegen gewesen. Zum Zeitpunkt der Äußerung des Beklagten habe kein wissenschaftlich begründeter Beweis für Gesundheitsschädigungen der Anrainer durch die Luftschadstoffemissionen aus der Anlage der Klägerin existiert. Durch die - vor allem im Verlauf der "80er-Jahre" eingetretene Steigerung der Produktion und durch mehrfache Störfälle seien zum damaligen Zeitpunkt aber wiederholt Geruchsbelästigungen sowie Reizungen von Augen, Ohren und Atemwegen, für die die Luftschadstoffemissionen aus der Betriebsanlage zeitweise (bei Störfällen) ursächlich gewesen seien, aufgetreten. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung und im Rahmen gewerbebehördlicher Verfahren sei die Klägerin zu umfangreichen Änderungen der Betriebsanlage veranlaßt worden, die die Luftschadstoffemissionen deutlich reduziert hätten.
Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, daß unter Berücksichtigung der mit dem Aufhebungsbeschluß überbundenen Rechtsgrundsätze der Beklagte mit seiner Äußerung zwar die Grenzen zulässiger Kritik erreicht, diese jedoch im Rahmen seines verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechts auf freie Meinungsäußerung noch nicht überschritten habe. Der Beklagte habe die von unbefangenen Beteiligten dahin verstandene Äußerung, die Klägerin habe die Erweiterung des Betriebes ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Anrainer betrieben und die gesundheitliche Schädigung der Anrainer bewußt in Kauf genommen, nicht beweisen können. Seine Äußerung sei aber "eingebettet" gewesen in eine eskalierende Auseinandersetzung um die angebliche gesundheitliche Beeinträchtigung der Anrainerbevölkerung, die im Ergebnis zu wesentlichen Betriebsanlagenänderungen bei der Klägerin geführt hätten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, daß der Unterlassungsklage stattgegeben wurde.
In rechtlicher Hinsicht hielt es das Berufungsgericht für wesentlich, daß der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt am 26.6.1991 nur über die (höheren) Luftschadstoffemissionsdaten aus dem Jahr 1982, nicht aber die über die wesentlich geringeren Emissionswerte aus dem Jahr 1986 berichtet habe. Das Gutachten der Landessanitätsdirektion Salzburg vom 29.9.1983 mit seiner ungünstigen Zukunftsprognose hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung von Anrainern sei wegen der bis zum Jahr 1991 erfolgten Reduzierung der Emissionen als überholt anzusehen. Es könne daher auch nicht zum Nachweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns der Äußerung des Beklagten herangezogen werden. Der beweispflichtige Beklagte habe den Nachweis der Richtigkeit seiner Behauptung nicht erbracht. Der Klägerin könne keine rücksichtslose Expansion ihres Betriebes vorgeworfen werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes und dem Gesamtzusammenhang des Beitrags des Beklagten habe dieser mit seiner Äußerung auf eine in der Vergangenheit eingetretene Gesundheitsschädigung von Anrainern hingewiesen. Nach Wiedergabe der im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes angeführten Rechtsgrundsätze zur Interessenabwägung führte das Berufungsgericht ferner aus, daß der Beklagte mit seiner Äußerung die Grenzen zulässiger Kritik überschritten habe. Es liege eine unwahre und beleidigende Äußerung vor. Bei der Interessenabwägung sei auch zu beachten, daß bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich nach 1945 die Produktivität unter dem Gesichtspunkt des Wiederaufbaus und der Erringung von Wohlstand betrachtet worden sei, mag dies auch zu Lasten von Gesundheit und Umwelt gegangen sein. Erst im Zuge des Erreichens einer bestimmten Wohlstandsgrenze habe ein gesellschaftspolitisches Umdenken eingesetzt. Wegen dieser Entwicklung müsse die Äußerung aus dem Jahr 1991 als Eingriff in die Ehre der Klägerin aufgefaßt werden, zumal sie ihre Schadstoffemission wesentlich reduziert habe.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die Revision nicht zulässig sei.
Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, daß die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Die Äußerung, die Klägerin habe ihren Aufstieg mit der Gesundheit der Anrainer erkauft, enthält eine überprüfbare Tatsachenbehauptung, die rufschädigend und zugleich wegen des Vorwurfs unehrenhaften Verhaltens auch ehrenbeleidigend im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB ist. Die Äußerung fiel in einer sogenannten "Podiumsdiskussion", bei der kontroversielle Standpunkte über eine von der Klägerin geplante Betriebsansiedlung vorgetragen wurden. Die Äußerung des Beklagten enthält zunächst den Vorwurf, die Klägerin habe eine expansive Unternehmenspolitik ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Anrainer betrieben. Ob die Äußerung vom Publikum auch dahin verstanden werden konnte, daß der Beklagte der Klägerin eine tatsächlich bereits eingetretene Gesundheitsschädigung der Anrainerbevölkerung oder eine in der Zukunft drohende Gesundheitsgefährdung vorwarf, ist nach dem Gesamtzusammenhang, in dem die Äußerung fiel und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der Äußerung zu beurteilen (MR 1995, 16). Die Vorinstanzen hatten den Sachverhalt nach den im Aufhebungsbeschluß vom 1.6.1995, 6 Ob 22/95 = ON 53 überbundenen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen. Danach hat der Verletzte bei ehrenbeleidigenden Tatsachenbehauptungen nur die Tatsachenverbreitung zu beweisen, der Täter die Wahrheit der Behauptung und die fehlende Vorwerfbarkeit. Beim Wahrheitsbeweis genügt schon der Nachweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns. Der Mangel der Vorwerfbarkeit, also das Fehlen der Rechtswidrigkeit, kann sich aufgrund einer Interessenabwägung ergeben. Dabei müssen die Interessen am absolut geschützten Gut der Ehre den Interessen des Handelnden und denjenigen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. Entscheidungswesentlich ist der dem Publikum vermittelte Gesamteindruck der Äußerung.
Der Ausdruck "erkauft" ist zwanglos dahin zu interpretieren, daß die Klägerin irgendwelche Gesundheitsbeeinträchtigungen der Anrainer in Kauf genommen habe. Die Äußerung enthält die weitere, für das Publikum ebenfalls leicht nachvollziehbare Bedeutung, daß die Klägerin ihre auf Gewinn orientierte Unternehmensexpansion mit der Gesundheit der Anrainer bezahlt (arg: Kauf) habe, anstatt beispielsweise in die Schadstoffemission verhindernden Filteranlagen zu investieren. Hingegen hat der Begriff "Gesundheit" durchaus mehrere Bedeutungen. Welcher konkrete Inhalt vom Beklagten gemeint und vom Publikum verstanden wurde, kann nur aus dem Zusammenhang erschlossen werden. Das Berufungsgericht ging von einem Bedeutungsinhalt einer Gesundheitsschädigung aus, daß also der Beklagte der Klägerin eine (durch eine rücksichtslose Unternehmensexpansion verursachte) Gesundheitsschädigung von Anrainern vorgeworfen hätte. Zu Recht wendet sich die Revision gegen diese rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes. Dem Publikum waren im Zuge der Veranstaltung verschiedene Zeitungsartikel über das Werk der Klägerin in S*****, die Schadstoffemissionen, die Beschwerden und den Widerstand der Anrainer sowie die vom Amt der Salzburger Landesregierung 1988 der Öffentlichkeit bekanntgegebenen Luftschadstoffemissionsdaten zur Kenntnis gebracht worden. Der Beklagte stellte keinerlei Behauptungen dahin auf, daß es wissenschaftlich fundiert sei, daß die Schadstoffemissionen der Klägerin langfristig in der Zukunft eine Gesundheitsgefährdung der Anrainer befürchten ließen, seine Äußerung bezog sich auf die Vergangenheit (Erstgericht S.13 und 17 in ON 57). Der Beklagte stützte seinen Redebeitrag auf die erwähnten Zeitungsartikel und die Anrainerbeschwerden (S.11 in ON 57). Nach Ansicht des erkennenden Senates ist die Äußerung des Beklagten nach dem Zusammenhang, in dem sie fiel, dahin zu beurteilen, daß damit nicht der Vorwurf einer konkreten, bereits stattgefundenen Gesundheitsschädigung der Anrainerbevölkerung im Sinne eines schulmedizinischen Krankheitsbildes, sondern nur der Vorwurf bereits verursachter Gesundheitsstörungen erhoben wurde. Mangels Hinweises des Beklagten auf Expertenmeinungen, nach denen eine Kausalität zwischen den Schadstoffen und einer Gesundheitsschädigung oder Gesundheitsgefährdung feststünde, war die Äußerung für den unbefangenen Teilnehmer der Veranstaltung dahin zu verstehen, daß der Beklagte nicht von einem feststehenden, wissenschaftlich begründeten Kausalzusammenhang ausging, sondern nur seine im wesentlichen mit Anrainerbeschwerden begründete Meinung kundtat. Damit ist aber auch schon der Umfang des von ihm zu beweisenden Tatsachenkerns der Äußerung umrissen. Er hatte nicht den Eintritt einer Gesundheitsschädigung bei der Anrainerbevölkerung, sondern die Beeinträchtigung der Gesundheit im weiteren Sinn, also im Sinne einer Lebensqualität des Menschen in einer gesunden Umwelt zu beweisen. Diese eingeschränkte Beweislast ergibt sich schon aus dem Wesen der "Podiumsveranstaltung", die der Verbreitung des Wissensstandes der Teilnehmer und der Darstellung der kontroversiellen Standpunkte dienen sollte. Anders wäre die Frage der Beweislast nur zu beurteilen, wenn der Beklagte konkrete Behauptungen über tatsächlich stattgefundene Erkrankungen im medizinischen Sinn (etwa Lungenkrankheiten, chronische Atmungserkrankungen ua) und über eine kausale Gefahr solcher Erkrankungen aufgestellt hätte. Der Beweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns ist dem Beklagten auch gelungen. Das Erstgericht stellte fest, daß durch die vor allem im Verlauf der 80er-Jahre eingetretene Steigerung der Produktion und mehrfache Störfälle wiederholte Geruchsbelästigungen sowie Reizungen von Augen, Ohren und Atemwegen, für die die Luftschadstoffemissionen aus der Betriebsanlage zeitweise (mit-)ursächlich gewesen wären, aufgetreten seien (S.14 in ON 57). Eine durch die Unternehmensexpansion hervorgerufene ("in Kauf genommene") Gesundheitsstörung der Anrainer steht also fest.
Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, daß der Beklagte die ihm bekannt gewesenen stark reduzierten Emissionsdaten aus dem Jahr 1986 bei der Diskussionsveranstaltung bekanntgeben hätte müssen. Diese Ansicht wird nicht geteilt. Wohl kann im Einzelfall auch eine wahre Tatsachenbehauptung rufschädigend (und ehrenbeleidigend) sein, wenn die Behauptung unvollständig ist und sich solcherart eine völlig andere Wertung als bei vollständiger Bekanntgabe des maßgeblichen Sachverhalts ergibt. Hier muß aber wiederum bedacht werden, daß die Äußerung im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung fiel, bei der "Pro"- und "Kontraredner" auftraten. In diesem Fall darf an die grundsätzlich zu bejahende Verpflichtung, "die ganze Wahrheit" zu sagen und nicht durch Verschweigen von Tatsachen ein falsches (rufschädigendes) Bild zu erzeugen, kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, hatte es doch der (anwesende) Verletzte in der Hand, auf die Unvollständigkeit (hier: Reduzierung der Schadstoffemissionswerte in der letzten Zeit) hinzuweisen.
Die in die Ehre der Klägerin eingreifende, auf einem im wesentlichen richtigen Tatsachenkern beruhende Äußerung des Beklagten ist nicht rechtswidrig. Schon im Aufhebungsbeschluß hat der erkennende Senat ausgeführt, daß bei der erforderlichen Interessenabwägung den Interessen am absolut geschützten Gut der Ehre die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (SZ 64/36). Bei der Interessenabwägung kommt es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung an (SZ 61/210; Korn/Neumayr, Persönlichkeitsschutz 60). Auf diese Kriterien ist bei der Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung einerseits und zulässiger Kritik und Werturteil andererseits Bedacht zu nehmen. Dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK; Art 13 StGG) kommt in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Es ist jedermann eingeräumt. Es ist daher auch die Meinung von Außenseitern, Querdenkern oder sogar Dilettanten zu respektieren (EvBl 1993/173). Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (vgl EGMR in MR 1986, 4, 11; MR 1989, 15). Nach diesen Grundsätzen fällt die Interessenabwägung hier zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus. Die öffentliche Meinung wurde in den letzten Jahren gerade in Fragen des Gesundheitsbewußtseins und der Umwelt stark sensibilisiert. Der Gegensatz zwischen gewinnorientierter Wachstumspolitik (Ökonomie) und gesunder Umwelt (Ökologie) ist täglicher Bestandteil der Politik geworden. Dem Thema der Gesundheit kommt für den einzelnen und für die Allgemeinheit eine derart zentrale Bedeutung zu, daß Meinungsäußerungen dazu auch dann gerechtfertigt sein können, wenn sie besonders kritisch und massiv in die Ehre eines anderen eingreifen. Die Gewichtigkeit des Themas führt dazu, daß dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung (also dem Recht auf ein wertendes Urteil aufgrund konkreter Tatsachen) der höhere Stellenwert zukommt, solang nicht ein Wertungsexzeß feststellbar wäre. Ein solcher Exzeß liegt hier nicht vor.
Der Revision des Beklagten ist stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beider Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Dabei war von einer Kostenbemessungsgrundlage von 120.000 S auszugehen (§ 10 RATG).
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