OGH 6Ob2060/96a

OGH6Ob2060/96a28.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Rudolf S*****, vertreten durch Dr.Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Franz M*****, vertreten durch Dr.Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Revisionsrekursinteresse 66.666 S), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei und Gegner der gefährdeten Partei gegen die einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 8.Juni 1995, GZ 3 R 102/95-8, womit der Beschluß des Landes- als Handelsgerichtes St.Pölten vom 9.März 1995, GZ 4 Cg 44/95m-4, idF des Berichtigungsbeschlusses vom 24.April 1995, GZ 4 Cg 44/95m-7b, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidung des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß in Ansehung der Behauptung, die Bauernkammer sei ein Selbstbedienungsladen, die den Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die gefährdete Partei hat ein Drittel der Kosten ihres Sicherungsantrages vorläufig und zwei Drittel endgültig selbst zu tragen, hat ein Drittel der Kosten des Rekursverfahrens vorläufig und zwei Drittel endgültig selbst zu tragen und ist schuldig, ihrem Gegner die mit 4.400,40 S (darin 733,40 S Umsatzsteuer) anteilig bestimmten Äußerungskosten, die mit 5.499,60 S (darin 916,60 S Umsatzsteuer) anteilig bestimmten Kosten des Rekursverfahrens, sowie die mit 4.566,60 S (darin 761,10 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Abgeordneter zum Nationalrat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Präsident der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer und Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs. In der Zeitschrift "NÖ Rundblick" Nr 22/94 vom 9.November 1994 wurde im Zusammenhang mit der Wahl zur Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer vom 5.März 1995 folgender, vom beklagten Landtagsabgeordneten und Agrarsprecher der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) stammender Kommentar veröffentlicht:

"Kommentar von Agrarsprecher LAbg ... (Beklagter)

Selbstbedienungsladen - Bauernkammer

Durch die Vorfälle in der Arbeiterkammer wurden viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wachgerüttelt. Doch nicht nur in der Arbeiterkammer, auch in der Landwirtschaftskammer, regieren Bonzen. So verdient z.B. der Kammerpräsident ... (Kläger) alleine für seine Tätigkeit in der Kammer öS 91.000,--. Zusätzlich hat er ein Nationalratsmandat, ist Präsident der Präsidentenkonferenz und hat noch einige weitere lukrative "ehrenamtliche" Funktionen. Anstatt sich auf die Probleme der Landwirtschaft zu konzentrieren, ist es ... (Kläger) immer nur um sein eigenes Wohlergehen gegangen.

Die Situation der Landwirtschaft, insbesondere in Niederösterreich, zeigt, daß ein totales Versagen der Bauernbundfunktionäre vorliegt. Niederösterreichs Bäuerinnen und Bauern sind daher aufgerufen, am 5. März 1995 diesen schwarzen Bauernvernichtern eine klare Abfuhr zu erteilen. Seit 1986 (ÖVP-Landwirtschaftsminister) sind die bäuerlichen Einkommen massiv zurückgegangen. Das Bauernsterben, in ÖVP-Kreisen immer als Strukturwandel bezeichnet, ging rapider als je zuvor. Neuerliche Aussagen des designierten EU-Kommissars Fischler bestätigen die Vorgangsweise der ÖVP. Fischler stellte unmißverständlich fest, daß in Österreich jährlich 4 bis 5 % der Bauern zusperren müssen. Eine Forderung der Freiheitlichen, endlich Bezirksbauernkammern wegzurationalisieren stößt bei den Kammerbonzen auf taube Ohren. Die Bauern werden weniger, der Verwaltungsapparat wird immer größer.

Auf elf Vollerwerbsbauern kommt mittlerweile ein Agrarbeamter.

Die Bäuerinnen und Bauern Niederösterreichs sind aufgerufen, diesen Mißständen ein Ende zu bereiten. Das geht allerdings nur, wenn sie uns Freiheitlichen am 5.März 1995 das Vertrauen schenken, oder selbst bereit sind, in den Bezirksbauernkammern für die Freiheitliche Partei zu kandidieren. Unabhängige, engagierte Bauern sind uns herzlich willkommen, wenn sie mitmachen wollen, den Filz in den Kammern endlich zu beseitigen.

Ein herzliches "Glück auf" allen niederösterreichischen Bäuerinnen und Bauern wünscht ihr ... (Beklagter)"

Der Kläger begehrt vom Beklagten, gestützt auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB, mit Bezug auf den Kläger und dessen angebliche Einkünfte die Unterlassung der als ehrkränkend, rufschädigend und unwahr beurteilten Behauptungen

a) die Bauernkammer sei ein Selbstbedienungsladen,

b) der Kammerpräsident ... (Kläger) verdiene alleine für seine Tätigkeit in der Kammer 91.000 S,

c) der Kläger übe neben seiner Präsidentenfunktion und seinem Nationalratsmandat weitere lukrative Funktionen aus,

und stellt ein gleichlautendes, zeitlich auf die Dauer des Rechtsstreites beschränktes Sicherungsbegehren. Dazu trägt der Kläger, soweit jetzt noch relevant, im wesentlichen vor, sein Gehalt als Präsident der Niederösterreichischen Landes-Landeswirtschaftskammer sei gesetzlich geregelt; durch die Überschrift "Selbstbedienungsladen - Bauernkammer" und Erwähnung des Namens des Klägers werde der Eindruck bestimmt, daß der Kläger sein Gehalt selbst bestimmen könne, indem er sich "selbst bediene".

Der Beklagte trat dem Sicherungsantrag entgegen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag zur Gänze ab und ließ sich, soweit hier relevant, von folgenden rechtlichen Erwägungen leiten:

Der Vorwurf "Selbstbedienungsladen - Bauernkammer" stelle keine Ehrverletzung des Klägers dar, vielmehr werde vom Beklagten wertfrei auf die auch in der Landwirtschaftskammer gehandhabte Praxis hingewiesen, die Höhe der Einkommen der Spitzenfunktionäre durch die Organe der Kammer festzulegen; lediglich dies habe der Beklagte in seinem politisch motivierten Artikel zur Diskussion stellen wollen.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes in Ansehung der Äußerungen, die Bauernkammer sei ein Selbstbedienungsladen, und der Kläger verdiene allein für seine Tätigkeit in der Kammer 91.000 S, wenn das tatsächliche Einkommen aus dieser Tätigkeit darunter liege, iS einer Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung - letzteres unangefochten - ab und bestätigte - unangefochten - den antragsabweisenden Beschluß des Erstgerichtes in Ansehung der inkrimnierten Äußerung, der Kläger übe neben seiner Präsidentenfunktion und seinem Nationalratsmandat weitere lukrative Funktionen aus. Die zweite Instanz sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Nach der Rechtsauffassung der zweiten Instanz sei vom Gesichtspunkt des Verständnisses eines flüchtigen Durchschnittslesers auszugehen. Die Überschrift "Selbstbedienungsladen - Bauernkammer" erwecke, weil dieser Titel in Wahrheit nicht näher erklärt werde, den Eindruck, daß Funktionäre nach ihrem Gutdünken, das heißt willkürlich und ohne gesetzliche Schranken ihr Einkommen bestimmen könnten; die Querbeziehung zu Zuständen in der "Arbeiterkammer" sei unverkennbar. Daß der Beklagte derartiges nicht im Detail behauptet habe, nütze ihm nichts, weil ein nicht unbeträchtlicher Kreis von Lesern aufgrund der undeutlich gebliebenen Äußerung diesen Schluß ziehen werde. Da im Artikel nur der Kläger namentlich genannt sei, werde der Vorwurf der ungerechtfertigten Bereicherung durch den Kläger erhoben. Diese Äußerung erfülle daher sowohl den Tatbestand nach § 1330 Abs 1 ABGB als auch nach Abs 2 leg cit. Der Beklagte sei seiner Bescheinigungspflicht für die Richtigkeit seiner Äußerung nicht nachgekommen, sondern habe sich auf nicht überzeugende Argumente zurückgezogen, wie die Äußerung aufzufassen sei.

Der Beklagte bekämpft mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs den abändernden Teil des rekursgerichtlichen Beschlusses in Ansehung der inkriminierten Äußerung, die Bauernkammer sei ein Selbstbedienungsladen, wegen qualifiziert unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag im Sinn einer Abweisung des entsprechenden Sicherungsbegehrens an.

Der Kläger strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Kläger stützt seinen Unterlassungsanspruch auf § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB. Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schade oder Entgang des Gewinnes verursacht worden ist, ist er nach Abs 1 berechtigt, den Ersatz zu fordern. Gemäß Abs 2 erster Satz leg cit gilt dies auch, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen mußte. Beides sind Fälle deliktischer Haftung. Abs 1 schützt die Ehre der natürlichen oder juristischen Person, Abs 2 auch ihren sogenannten wirtschaftlichen Ruf. Nach ständiger Rechtsprechung (für viele MuR 1995, 137 mwN) sind Ehre und wirtschaftlicher Ruf absolute Rechte, deren Schutz umfassend und nicht bloß auf die strafgesetzlichen Tatbestände beschränkt ist. Erfüllt eine Äußerung iS des Abs 2 gleichzeitig die Voraussetzungen nach Abs 1, ist vom Kläger nur die - hier unbestrittene - Tatsache der Verbreitung, sonst auch die Unrichtigkeit der Äußerung zu bescheinigen (MuR 1993, 101 ua).

a) Zwar ist für die Anwendbarkeit des § 1330 Abs 1 ABGB die strafgesetzliche Tatbestandsmäßigkeit einer Ehrenbeleidigung nicht Voraussetzung (SZ 64/182, zuletzt 6 Ob 20/95 = MuR 1995, 97 mit Anm von Korn), jedoch bedeutet die Behauptung, "Selbstbedienungsladen - Bauernkammer", die sich in ihrer Angriffsrichtung ehrenbeleidigend nicht gegen den Kläger richtet, kein der Ehre eines anderen nahetretendes Verhalten. Auf eine Interessenabwägung muß nicht mehr eingegangen werden.

b) Tatsachen iS des § 1330 Abs 2 ABGB sind nach herrschender Auffassung Umstände, Ereignisse und Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bekannter oder zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit nachprüfbaren Inhalt. Der Begriff der Tatsachenbehauptung ist weit auszulegen. Werturteile sind dagegen rein subjektive, einer objektiven Überprüfbarkeit entzogene Aussagen. Sie werden vom § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfaßt, können aber als Ehrenbeleidigung gegen Abs 1 verstoßen. Bei der Beurteilung der Frage, ob "Tatsachen" verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, kommt es nach ständiger Rechtsprechung immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an (MuR 1995, 97; 6 Ob 1007/95 = MuR 1995, 137, je mwN; zuletzt 6 Ob 38/95). Maßgeblich bei der Beurteilung nach dem Sinngehalt einer Tatsachenmitteilung ist nicht der subjektive Wille des Erklärenden, sondern eine Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - hier Leser einer Regionalzeitung - bei ungezwungener Auslegung verstanden wird. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers ist im allgemeinen eine Rechtsfrage (6 Ob 38/95) und hängt stets von den näheren Umständen des Einzelfalles, nämlich von den konkreten Formulierungen und deren "Aufmachung", unter denen sie geäußert wurden, ab (6 Ob 21/94 ua). Maßgeblich ist der Gesamtzusammenhang und der dadurch vermittelte Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung(en) nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder -hörers (SZ 64/182 mwN uva). Das gleiche gilt für den Sinn- oder Bedeutungsinhalt der Äußerung(en) (zuletzt 6 Ob 21/94 mwN).

Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung 6 Ob 18/94 = MuR 1995, 177 in einem Streit zwischen Politikern zweier politischer Parteien im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftspolitisch markanten Vorfällen die dort vom Beklagten abgegebene Erklärung, der Kläger sei der "politische Ziehvater des rechtsextremen Terrorismus", als Wertung beurteilt und ausgesprochen, sie sei allgemein, das heißt für den zu erwartenden und tatsächlich erreichbaren Empfängerkreis nahezu ausnahmslos als Äußerung im täglichen Widerstreit zweier konkurrierender politischer Parteien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, insbesondere der wahlberechtigten Bevölkerung aufzufassen. Ohne derartige Äußerungen sei in der heutigen Mediengesellschaft die Meinungsbildung unter den Wahlberechtigten nicht wirksam zu beeinflussen. Derartige Einflußnahmen erschienen aber für einen möglichst uneingeschränkten Gedanken-, Ideen- und Argumentationsaustausch in einem der Demokratie verpflichteten Staatswesen unerläßlich. In der mittelbaren Demokratie bedürfe es nicht nur eines rechtlichen Schutzes für die Rede- und Argumentationsfreiheit der Abgeordneten in ihrem Vertretungskörper, der auf Bundes- und Landesebene durch das Institut der Immunität erreicht wird, sondern darüber hinaus auch einer Gewährleistung der unbehinderten Gedanken-, Rede- und Argumentationsfreiheit insbesondere der Vertreter politischer Gruppen in der Kommunikation mit dem Bürger. Die Immunität ihrer Mitglieder solle die Arbeit der gesetzgebenden Körperschaft iS der Gewaltentrennung vor jeglicher Behinderung durch Organe der Vollziehung schützen. Zwar sei ein vergleichbar weitgehender Schutz der Information der Bürger durch die Vertreter politischer Gruppierungen, die deren Willen mittelbar im jeweiligen Vertretungskörper zur Geltung bringen sollen, gesetzlich nicht vorgesehen, doch müsse das rechtliche Interesse an einer möglichst freizügigen Informationsfreiheit dieser Art der der mittelbaren Demokratie verpflichteten Staatsordnung als wesensimmanent anerkannt werden. Der politischen Äußerung sei deshalb im Rahmen des Rechtes der freien Meinungsäußerung gemäß Art 10 MRK (und im angesprochenen Demokratieverständnis sogar außerhalb dieses Rahmens) ein überaus hoher Stellenwert beizumessen. Die durch Art 10 MRK verbriefte Freiheit stehe unter einem eingeschränkten Gesetzesvorbehalt und könne damit in ein Spannungsfeld zur gesetzlich anerkannten Sphäre der Persönlichkeit einer Einzelperson geraten. Bei der in solchen Fällen für das Rechtswidrigkeitsurteil erforderlichen Interessenabwägung sei es vor allem geboten, die (politische) Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme des Äußernden, insbesondere im Zusammenhang mit dem (politischen) Verhalten des von der Äußerung Betroffenen, die dem Anlaßfall und der Bedeutung des Aussageinhaltes angepaßte Form und Ausdrucksweise sowie darnach das Verständnis des mit der Äußerung angesprochenen und erreichbaren Empfängerkreises (in seiner maßgeblichen Mehrheit) vom Erklärungswert zu erfassen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die dem Beklagten vorgeworfene Äußerung, die Bauernkammer sei ein Selbstbedienungsladen, im Rahmen des Gesamtartikels beim angesprochenen Leserkreis nicht als - auch nicht konkludente - Tatsachenmitteilung, sondern im Zusammenhang mit dem gesamten Inhalt des Artikels als eine durch Art 10 Abs 1 MRK geschützte und vom maßgeblichen Empfängerkreis so aufgefaßte politische Wertung zu beurteilen. Politisch verbrämte Äußerungen, namentlich im Zusammenhang mit einer Wahl wie hier, wollen im Zweifel weniger Tatsachen verbreiten als Wertungen abgebend meinungsbildend sein (vgl SZ 64/182 mwN).

Die Vorwürfe des Beklagten geben zusammenfassend die regelmäßig in der Politik von Oppositionsparteien den regierenden Parteien (als Machtträgern und Gegnern als wahlwerbende Fraktion), gegenüber erhobenen, wertenden Vorwürfe wieder, diese nützten nur die ihnen - gesetzlich eingeräumten - Möglichkeiten aus. Dazu gehört auch der Vorwurf der "Selbstbedienung", der inhaltlich angesichts der vom Beklagten angestellten Zusammenhänge mit der "Arbeiterkammer" und der in den Medien und unter den politischen Parteien ausführlich geführten Diskussion über die Entlohnung von deren als "Bonzen" (abwertend) bezeichneten Spitzenfunktionären auch für den Durchschnittsleser den Vorwurf beinhaltet, bei diesen Kammerspitzenfunktionären bestehe nicht nur ein Mißverhältnis zwischen den von diesen lukrierten Gehältern und den Leistungen, die sie für die in den Kammern durch Pflichtmitgliedschaft vereinten Mitglieder erbringe, sondern auch, daß sie die ihnen aufgrund der Selbstverwaltung der Kammern gegebenen rechtlichen Möglichkeiten bei der Bestimmung ihrer Gehälter ausnützten. Die Richtigkeit solcher Vorwürfe entzieht sich in aller Regel einer objektiven, eines Beweises zugänglichen Nachprüfung. Hier ist darin ausschließlich wertende, noch sachbezogene Kritik zu sehen, die sich der Kläger als Spitzenkandidat einer wahlwerbenden politischen Partei vor einer Landes-Landwirtschaftskammer-Wahl vom Beklagten als Vertreter einer anderen wahlwerbenden politischen Partei gefallen lassen muß.

Ein Wertungsexzeß kann dabei angesichts der Bedeutung des Art 10 Abs 1 MRK nicht festgestellt werden. Weil die Freiheit der Meinungsäußerung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft bildet und eine der grundlegenden Voraussetzungen für ihren Fortschritt und die Selbstverwirklichung jedes einzelnen ist, gilt die Meinungsfreiheit auch für als verletzend, schockierend oder irritierend empfundene Aussagen; das verlangen Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit, ohne die keine demokratische Gesellschaft existieren kann. Da die Freiheit der politischen Debatte einer der Pfeiler einer demokratischen Gesellschaft ist, sind die Grenzen einer vertretbaren Kritik in bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftritt, weiter zu ziehen als in bezug auf eine Privatperson. Jeder Politiker setzt sich selbst unvermeidlich und willentlich einer genauen Beurteilung jeder seiner Worte und Taten - und insbesondere auch deren allfällige Übereinstimmung - nicht nur durch Journalisten und das breitere Publikum, sondern insbesondere auch durch den politischen Gegner aus (vgl SZ 67/114 = MuR 1994, 162 = ÖBl 1995, 136 mwN). Diese Möglichkeit auch zu einer scharfen Kritik ist in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar, der Vorwurf einer Ausnutzung der "Macht" darf daher nicht unterbunden werden. Vor allem einer Minderheit wie der Fraktion des Beklagten muß diese Möglichkeit der Kritik im Rahmen der Gesetze großzügig gewahrt bleiben (ÖBl 1992, 47 = MuR 1991, 146 mit Anm von Korn).

Die Intim- oder Privatsphäre des Klägers treffende Angriffe waren dem hier zu beurteilenden Artikel nicht zu entnehmen. Die vom Kläger bemängelte Äußerung des Beklagten war für den angesprochenen Leserkreis sachbezogen auf ein aktuelles politisches Thema gerichtet, nämlich die Lage des Bauernstandes im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und der Zusammenhang mit der vom beklagten Politiker subjektiv als zu wenig effizient beurteilten Landes-Landwirtschaftskammer. Diese Kritik hielt sich in der für parteipolitische mediale Auseinandersetzungen üblich gewordenen Ausdrucksform, hat doch offenbar gerade die Vielzahl politischer Stellungnahmen dazu geführt, daß namentlich vor Wahlen oft erst die schrillere, schärfere und weniger sachbezogene Kritik an Ideen und Politikern anderen Coleurs gehört wird. Die Kritik war für die angesprochene Öffentlichkeit nicht als Vorwurf eines von der zur Debatte gestellten rein politischen Verhaltensweise unabhängigen unehrenhaften Verhaltens des Klägers zu begreifen (vgl MuR 1995, 177 mwN).

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs ist im Sinn einer teilweisen Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 78, 402 ZPO iVm §§ 41 und 50 ZPO. In erster und zweiter Instanz des Provisorialverfahrens ist die gefährdete Partei mit einem Drittel, ihr Gegner hingegen im Revisionsrekursverfahren zur Gänze durchgedrungen.

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