OGH 6Ob18/94

OGH6Ob18/9422.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****, Abgeordneter zum Nationalrat, ***** vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer und Mag.Martin Machhold, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei ***** Gemeinderat, ***** vertreten durch Dr.Thomas Höhne, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung von Behauptungen, deren Widerrufes und Widerrufsveröffentlichung gemäß § 1330 ABGB, infolge Revision der klagenden Partei gegen das zum Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9.September 1993, GZ 21 Cg 29/92-16, ergangene Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 14.März 1994, AZ 14 R 267/93 (ON 20), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 21.375 bestimmten Kosten des Revisionsverfahren (darin enthalten an USt S 3.562,50) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind politische Gegner: Der Kläger ist Bundesobmann einer im Nationalrat vertretenen Partei, der Beklagte führendes Mitglied einer anderen im Parlament vertretenen Partei.

Der Beklagte gab am 18.1.1992 dem Vertreter einer inländischen Presseagentur eine Erklärung ab, aufgrund der die Agentur noch am selben Tag auf dem Fernschreibweg eine Aussendung absetzte.

Die Schlagwörter dieser Aussendung waren die Begriffe "Wiederbetätigung", "Rechtsextremismus" sowie der Name des Beklagten.

Der Aussendung wurden als Titel: "Rechtsextremismus: Für ... "(den

namentlich genannten Beklagten)"... Resultat der..."(mit dem Namen

des Klägers bezeichneten)" ... - Politik" und als Untertitel:

"Klubobmann der..."(Gemeinderatsfraktion des Beklagten)"..: ...

Partei ... - Chef "(das ist der Kläger) ist politischer Ziehvater des

rechtsextremen Terrorismus" vorangestellt.

Nach dem Inhalt dieser Presseaussendung habe der Beklagte den Kläger für die steigenden rechtsextremen Aktivitäten verantwortlich gemacht. Dazu gab die Agentur als wörtliches Zitat die Erklärung des Beklagten wieder:

"Der politische Ziehvater und Ideologe des rechtsextremen Terrorismus heißt ... (Vor - Zuname des Klägers)".

Diese Aussage habe der Beklagte nach der Presseaussendung wörtlich damit begründen, daß jene Leute, die der Kläger so lässig abtue, im Prinzip die Saal-, Schutz- und Sturmtruppen der Partei seien, deren Obmann der Kläger ist, das seien Straßenrowdys, die die Drecksarbeit für die politischen Rowdys machten. Die Fraktion des Klägers sei politisch hauptverantwortlich dafür, daß es diese Leute in wachsendem Ausmaß gebe und daß die auch schön langsam wieder die Waffen auspackten. Aus dieser politischen Verantwortung könne sich der Kläger nicht wegstehlen. Nach dem Inhalt der Presseaussendung habe der Beklagte auch verlangt, daß der Kläger aufgrund der engen Kontakte und seines ungeheuren Einflusses auf den rechtsextremen Kader unter den politischen Quargelsturz gestellt werde.

Der Kläger erachtete die in der Presseaussendung verbreitete Erklärung des Beklagten, deren Wiedergabe dieser als richtig zugestand, sowohl als ehrenrührig im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB als auch als kreditgefährdend im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB; er unterstellte bei der aufrechten politischen Gegnerschaft der Streitteile eine Gefahr der Wiederholung gleichartiger Äußerungen des Beklagten und begehrte, den Beklagten zu verpflichten, die Behauptung, der Kläger sei der politische Ziehvater und Ideologe des rechtsextremen Terrorismus sowie inhaltsgleiche Behauptungen zu unterlassen, seine Behauptung denen gegenüber zu widerrufen, denen die Presseaussendung zugesandt wurde, und den Widerruf in einer der Presseaussendung vom 18.1.1992 entsprechenden Form zu veröffentlichen.

Der Beklagte bestritt nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen nach den Absätzen 1 und 2 des § 1330 ABGB, insbesondere einen ehrenrührigen Charakter sowie die Unwahrheit seiner Behauptungen und in Ansehung des Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehrens auch jedes Verschulden, er wertete seine vom Kläger bemängelte Erklärung vor allem als politisches Werturteil im Zuge einer politischen Auseinandersetzung, das sich einer zensurierenden Beurteilung durch die Zivilgerichte entzöge. Ungeachtet dessen war er aber bestrebt, im Rechtsstreit einen weitausholenden Wahrheitsbeweis für die nach seinem Prozeßstandpunkt als Werturteil zu qualifizierenden Behauptungen zu führen.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Klagebegehren in allen Punkten ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt; weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Beide Vorinstanzen sahen in der vom Kläger bemängelten Wendung des Beklagten, der Kläger sei politischer Ziehvater und Ideologe des rechtsextremen Terrorismus, keine Ehrenkränkung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB, sondern nur eine in der politischen Auseinandersetzung zulässige Kritik des Gegners und keine Verletzung eines auch in der politischen Auseinandersetzung zu wahrenden Persönlichkeitsrechtes des Andersdenkenden. Unter dem Gesichtspunkt des § 1330 Abs 2 ABGB erblickte das Prozeßgericht erster Instanz in der Äußerung des Beklagten eine Vermengung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen, wobei das wertende Element derart überwiege, daß die in ihrer Gesamtheit zu beurteilende Äußerung als ein auf seine inhaltliche Richtigkeit objektiv nicht überprüfbares Werturteil anzusehen wäre.

Das Berufungsgericht erachtete die Äußerung des Beklagten als eine rein politische Wertung. Dazu folgerte das Berufungsgericht grundsätzlich, daß eine politische kritische Betrachtung oder Analyse der Folgen eines politischen Handelns im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zwischen Politikern mit verschiedener politischer Überzeugung und verschiedenen politischen Zielen keine Äußerung wäre, die einer zivilrechtlichen Beurteilung fähig sei, solange nicht in unsachlicher Weise persönliche Eigenschaften der betroffenen Person verächtlich gemacht oder die betroffene Person sonstwie herabgesetzt würde.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil wegen qualifiziert unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag im Sinne seines Klagebegehrens und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Der Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Eine Revisionszulässigkeitsvoraussetzung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist erfüllt, weil bei der Entscheidung des Rechtsstreites der Interessenwiderspruch zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung eines aktiven Politikers einerseits und die Wahrung der durch § 1330 ABGB geschützten Rechte eines politischen Gegners andererseits zu beachten und zu lösen ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte gab als führender Sprecher einer politischen Partei im

Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftspolitisch markanten Vorfällen

über eine andere politische Partei und deren Bundesobmann gegenüber

dem Vertreter einer Presseagentur eine zur Verbreitung bestimmte

Erklärung ab. Diese Erklärung war allgemein, dh für den zu

erwartenden und tatsächlich erreichbaren Empfängerkreis nahezu

ausnahmslos, als Äußerung im täglichen Widersstreit zweier

konkurrierender politischer Parteien zur Beeinflussung der

öffentlichen Meinung, insbesondere der wahlberechtigten Bevölkerung

aufzufassen. Ohne derartige Äußerungen ist in der heutigen

Mediengesellschaft die Meinungsbildung unter den Wahlberechtigten

nicht wirksam zu beeinflussen. Derartige Einflußnahmen erscheinen

aber für einen möglichst uneingeschränkten Gedanken-, Ideen- und

Argumentationsaustausch in einem der Demokratie verpflichteten

Staatswesen unerläßlich. In der mittelbaren Demokratie bedarf es

nicht nur eines rechtlichen Schutzes für die Rede- und Argumentationsfreiheit der Abgeordneten in ihrem Vertretungskörper, der auf Bundes- und Landesebene durch das Institut der Immunität erreicht wird, sondern darüber hinaus auch einer Gewährleistung der unbehinderten Gedanken-, Rede- und Argumentationsfreiheit insbesondere der Vertreter politischer Gruppen in der Kommunikation mit dem Bürger. Die Immunität ihrer Mitglieder soll die Arbeit der gesetzgebenden Körperschaft im Sinne der Gewaltentrennung vor jeglicher Behinderung durch Organe der Vollziehung schützen. Zwar ist ein vergleichbar weitgehender Schutz der Information der Bürger durch die Vertreter politischer Gruppierungen, die deren Willen mittelbar im jeweiligen Vertretungskörper zur Geltung bringen sollen, gesetzlich nicht vorgesehen, doch muß das rechtliche Interesse an einer möglichst freizügigen Informationsfreiheit dieser Art der der mittelbaren Demokratie verpflichteten Staatsordnung als wesensimmanent anerkannt werden. Der politischen Äußerung ist deshalb im Rahmen des Rechtes der freien Meinungsäußerung gemäß Art 10 EMRK (und im angesprochenen Demokratieverständnis sogar außerhalb dieses Rahmens) ein überaus hoher Stellenwert beizumessen. Freilich ändert das nichts daran, daß die durch Art 10 EMRK verbriefte Freiheit unter einem eingeschränkten Gesetzesvorbehalt steht und damit in ein Spannungsfeld zur gesetzlich anerkannten Sphäre der Persönlichkeit einer Einzelperson geraten kann.

Bei der in solchen Fällen für das Rechtswidrigkeitsurteil erforderlichen Interessenabwägung ist es vor allem geboten, die (politische) Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme des Äußernden, insbesondere im Zusammenhang mit dem (politischen) Verhalten des von der Äußerung Betroffenen, die dem Anlaßfall und der Bedeutung des Aussageinhaltes angepaßte Form und Ausdrucksweise sowie darnach das Verständnis des mit der Äußerung angesprochenen und erreichbaren Empfängerkreises (in seiner maßgeblichen Mehrheit) vom Erklärungswert zu erfassen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die vom Beklagten in seiner politischen Erklärung gebrauchte Wendung: "Der politische Ziehvater und Ideologe des rechtsextremen Terrorismus heißt... (Vor- und Zuname des Klägers)" als Kundgabe der eigenen Auffassung des Beklagten über eine politische Unvertretbarkeit des Verhaltens des Klägers zu erkennen, ohne daß dabei ein Wertungsexzess festzustellen wäre (vgl den Wertungsansatz zu Äußerungen im Zuge politischer Auseinandersetzung in ÖBl 1995, 136). Die vom Kläger bemängelte Äußerung des Beklagten war sachbezogen auf ein aktuelles staatspolitisches Thema, hielt sich in der für parteipolitische mediale Auseinandersetzungen üblich gewordenen Ausdrucksform und war für die angesprochene Öffentlichkeit nicht als Vorwurf eines von der zur Debatte gestellten rein politischen Verhaltensweise unabhängig unehrenhaften Verhaltens des Klägers zu begreifen (vgl im Ergebnis: ÖBl 1990, 256).

Der Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen haftet kein Rechtsirrtum an. Der Revision des Klägers war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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