OGH 6Ob20/95

OGH6Ob20/9518.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Schinko und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika D*****, vertreten durch Dr.Johann W.Kazda, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) K*****gesellschaft mbH, Klagenfurt, Viktringer Ring 28, 2.) Dr.Oskar T*****, beide vertreten durch Dr.Ulrich Polley und Dr.Helmut Sommer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs (Revisionsinteresse je 250.000 S), infolge außerordentlicher Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26.April 1994, AZ 6 R 160/93 (ON 34) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.September 1994 (ON 38), womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22.April 1993, GZ 10 Cg 223/91-27, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien wird hingegen Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren gänzlich abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 126.795,60 S bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz (darin 20.966 S USt und 1.000 S Barauslagen), die mit 49.114,20 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 6.585,70 S USt und 9.600 S Barauslagen) sowie die mit 38.829 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 4.471,50 S USt und 12.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die erstbeklagte Partei ist Herausgeberin und Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "K***** Tageszeitung", welche in ihrer Ausgabe vom 3.November 1990 eine vom - seit 25 Jahren als Theaterkritiker tätigen - Zweitbeklagten verfaßte Theaterkritik betreffend die Premiere der am 30.Oktober 1990 am Landestheater aufgeführten Operette "Im Weißen Rößl" von Ralph Benatzky unter dem Titel "Kärnten am Wolfgangsee" über die Klägerin als "Rößlwirtin" mit folgender Textstelle enthielt:

"Seine Chefin, ... (Klägerin), ist so gut wie nicht vorhanden: Keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck; die Dame gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl."

Die Klägerin begehrte von den beklagten Parteien, gestützt auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB, die Unterlassung der Behauptung, "Seine Chefin, ... (Klägerin), ist so gut wie nicht vorhanden: Keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck; die Dame gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl", den Widerruf dieser Behauptung gegenüber den Lesern in der obbezeichneten Tageszeitung und dessen Veröffentlichung in dieser Tageszeitung binnen 14 Tagen sowie zuletzt (Klagsausdehnung ON 12 AS 15) die Zahlung eines Betrags von 120.000 S sA als Verdienstentgang. Dazu trägt die Klägerin im wesentlichen vor, die genannten Behauptungen seien unrichtig, weil sie als ausgebildete Sängerin und Schauspielerin seit Jahren mit Erfolg an zahlreichen Bühnen auftrete. Auf Grund der inkriminierten Kritik würden sich die Vertragsverhandlungen mit dem K***** Landestheater und anderen deutschsprachigen Häusern zäh gestalten und zum Teil scheitern. Bei der Veröffentlichung der Kritik habe der Zweitbeklagte durch Außerachtlassen eines Mindestmaßes an Fairness nahezu vorsätzlich seine Berufspflicht verletzt.

Die beklagten Parteien wenden im wesentlichen ein, der Zweitbeklagte habe lediglich seine subjektive Auffassung über die Gestaltung der Premiere wiedergegeben und sei nicht von objektiven Tatsachen ausgegangen. Der letzte Teil der Textstelle enthalte ein bildlich dargestelltes, subjektives Urteil des Zweitbeklagten dahingehend, daß die Klägerin sachlich, unpersönlich und nüchtern agiert habe, wie dies üblicherweise bei der Kassierin eines Selbstbedienungsrestaurants der Fall sei. Bei beiden Beklagten fehle die subjektive Vorwerfbarkeit. Werte man die Kritik als Tatsachenbehauptung, wäre diese auch inhaltlich richtig. Überdies sei die Klägerin für die Rolle der "Rößlwirtin" auf Grund ihres Alters nicht geeignet.

Das Erstgericht erkannte die beklagten Parteien für schuldig, die Behauptung zu unterlassen, "... (Klägerin); die Dame gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl", diese Behauptung den Lesern der von der erstbeklagten Partei herausgegebenen Tageszeitung gegenüber zu widerrufen und den Widerruf in dieser Tageszeitung binnen 14 Tagen zu veröffentlichen, und wies die Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien weiters schuldig, die Behauptung "... (Klägerin) ist so gut wie nicht vorhanden: Keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck" zu unterlassen, zu widerrufen und den Widerruf in der von der erstbeklagten Partei herausgegebenen Tageszeitung zu veröffentlichen sowie das Zahlungsbegehren - letzteres unangefochten - ab.

Dazu stellte der Erstrichter noch fest: Die 1936 geborene Klägerin, welche in den Jahren 1954 bis 1957 die Abschlußprüfungen für Schauspiel bzw Oper mit Erfolg bestanden hatte, wurde nach zahlreichen Film- und Fernsehrollen sowie Gastspielen an deutschsprachigen Theatern- und Opernhäusern vom Landestheater K***** für die im Herbst/Winter 1990 auf den Spielplan gesetzte Operette "Im Weißen Rößl" als "Rößlwirtin" engagiert. Im Zuge der Engagementgespräche bzw der ab September 1990 laufenden Proben äußerte die Intendantur die Absicht, diese Operette auch auf den Sommerspielplan 1991 zu setzen und mit denselben Darstellern aufzuführen. Daß die Klägerin dann für die Sommersaison 1991 nicht mehr engagiert wurde, hatte ihre Ursache nicht in der hier zu beurteilenden Kritik, sondern in der Vorstellung des Intendanten, durch eine Umbesetzung ihrer Rolle eine Bereicherung zu erlangen. Nach Auffassung des damaligen Intendanten habe die Klägerin bei der Premiere am 30.Oktober 1990 "ihre Arbeit getan" und benötigte auch in der Folge Mikrophonunterstützung nicht deshalb, weil das Stück zu stark instrumentalisiert, sondern die Stimme der Klägerin zu schwach gewesen sei. Der Darstellung des Musikkritikers Wilfried G***** zufolge sollte eine "Rößlwirtin" mehr Ausstrahlung haben, rescher und volkstümlicher sein als die während der Premiere überdies keine tragfähige Stimme bringende Klägerin. Dagegen vertrat eine weitere Kritikerin die Auffassung, die "Rößlwirtin" habe durch die Klägerin Substanz und Farbe erhalten; Enttäuschung, Einsicht und Wandlung kämen glaubhaft über die Rampe.

Rechtlich folgerte der Erstrichter, daß die inkriminierte Aussage "... (Klägerin) ist so gut wie nicht vorhanden: keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck" nur eine subjektive Wertung des zweitbeklagten Kritikers darstelle, wogegen der weitere Teil der Aussage "Die Dame gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl" eine Wertung sei, die auf entsprechende Tatsachen schließen lasse. Für die Leser, die die Aufführung nicht gesehen hätten, bedeute die Aussage zwar nicht, daß der Klägerin ernsthaft empfohlen werde, die Bühne zu verlassen und Kassierin zu werden, es werde aber insbesondere durch den Vergleich mit der Kassierin eines Selbstbedienungsrestaurants unweigerlich der Eindruck erweckt, die Klägerin sei nicht nur in der Rolle völlig fehl am Platz, sondern es fehle ihr überhaupt an entsprechender schauspielerischer Ausdrucksfähigkeit. Die als bildlicher Vergleich verwendete fiktive Rolle einer Kassierin eines Selbstbedienungsrestaurants lasse sich inhaltlich als eine Rolle determinieren, für deren Darstellung keine oder im Vergleich zur "Rößlwirtin" nur sehr geringe schauspielerische Ausdruckfähigkeiten erforderlich seien. Die Kritik bringe daher zum Ausdruck, daß die geringen Anforderungen der Rolle einer Kassierin eines Selbstbedienungsrestaurants dem schauspielerischen uind sängerischen Niveau der Klägerin entspreche. Damit lasse sich die Tatsachenbehauptung, die dieser wertenden Aussage innewohne, insgesamt inhaltlich insoweit determinieren, als die Klägerin nicht nur in der Rolle der "Rößlwirtin" nicht entsprochen habe, sondern nur über minderwertige schauspielerische und sängerische Fähigkeiten verfüge. Dies entspreche aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Da die Kritik die allgemeinen schauspielerischen Fähigkeiten der Klägerin als minderwertig erscheinen lasse, sei sie auch geeignet, deren Erwerb bzw künstlerisches Fortkommen zu gefährden. Der Zweitbeklagte habe bei seiner Kritik leicht fahrlässig gehandelt.

Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung beider Parteien das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Die Äußerung "... (Klägerin) ist so gut wie nicht vorhanden: Keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck" stelle sich als Wertung des zweitbeklagten Theaterkritikers dar. Die Beurteilung der Kriterien darstellender Kunst (Stimme, Spiel, Ausdruck) sei eine (künstlerische) Bewertung, somit eine "Wertung" iS der einschlägigen Judikatur und solcherart der Nachprüfung auf ihre Richtigkeit durch die Gerichte entzogen, denn Gerichte seien zur Abgabe "künstlerischer Werturteile" nicht berufen, entziehe sich doch eine solche Beurteilung als rein subjektive Geschmacksfrage jedweder Objektivierbarkeit. Die Äußerung "Die Dame (gemeint die Klägerin) gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl" stelle sich als Tatsachenbehauptung - nämlich der Nichteignung als Schauspielerin - im Kleid einer wertenden Schlußfolgerung, somit als "wertende Tatsachenbehauptung" dar, deren Unrichtigkeit die Klägerin nicht nur allgemein, sondern auch bezogen auf die vom Zweitbeklagten kritisierte Vorstellung behauptet und bewiesen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien sind wegen Fehlens von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu Theaterkritik unter dem Gesichtspunkt des § 1330 ABGB zulässig. Das Rechtsmittel der Klägerin ist nicht berechtigt, das der beklagten Parteien berechtigt.

Die Klägerin stützt ihren Unterlassungsanspruch auf § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB. Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schaden oder Entgang des Gewinnes verursacht wurde, ist er nach § 1330 Abs 1 ABGB berechtigt, den Ersatz zu fordern. Gemäß § 1330 Abs 2 erster Satz ABGB gilt dies auch, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährdet und deren Unwahrheit er kannte oder kennen mußte. Beides sind Fälle deliktischer Haftung (SZ 64/36 = JBl 1991, 796 = ÖBl 1991, 161). § 1330 Abs 1 ABGB schützt die Ehre der - natürlichen oder juristischen - Person, § 1330 Abs 2 ABGB auch ihren sogenannten wirtschaftlichen Ruf.

Tatsachen iS des § 1330 Abs 2 ABGB sind nach ständiger Rechtsprechung Umstände, Ereignisse und Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bekannter oder zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit nachprüfbarem Inhalt (MR 1994, 198; MR 1994, 111; SZ 60/255 = ÖBl 1989, 80 uva; Reischauer in Rummel2, Rz 8 zu § 1330 ABGB; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 174; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht 26 f). Die Richtigkeit der verbreiteten Äußerung muß grundsätzlich einem Beweis zugänglich sein, so daß das Verbreiten nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (MR 1994, 111; MR 1993, 14 mwN). Der Begriff der Tatsachenbehauptung ist weit auszulegen (MR 1994, 111; ÖBl 1980, 130; SZ 60/255 uva). Werturteile sind dagegen rein subjektive, einer objektiven Überprüfbarkeit entzogene Aussagen (MR 1994, 198; MR 1994, 111; SZ 60/255 uva; Reischauer aaO Rz 10; Korn/Neumayer aaO 28). Sie werden von § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfaßt, können aber als Ehrenbeleidigung gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen. Bei der Beurteilung der Frage, ob "Tatsachen" verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an (MR 1995, 16; MR 1994, 168; MR 1992, 205

= ÖBl 1992, 213 ua). Der subjektive Wille des Erklärenden ist nicht

maßgeblich (MR 1994, 198; MR 1994, 111; EvBl 1993/134 = MR 1993, 17 =

ÖBl 1993, 84 ua), sondern eine Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - hier durchschnittlich verständigen Kunstinteressenten - bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (vgl MR 1994, 244). Der Täter muß stets die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (MR 1994, 111; SZ 61/193). Auch wertende Äußerungen können nach der Rechtsprechung unter § 1330 Abs 2 ABGB fallen, wenn sie als sogenannte "konkludente" Tatsachenbehauptungen auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, somit dem, eine rein subjektive Auffassung wiedergebenden Werturteil entnommen werden kann, daß es von bestimmten Tatsachen ausgeht (MR 1994, 198; MR 1994, 111; MR 1993, 14 uva; Reischauer aaO Rz 12; Koziol aaO 175; Korn/Neumayer aaO 27). Auch "Urteile", die auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, sind objektiv nachprüfbar, wenn sie greifbare, einem Beweis zugängliche Vorgänge zum Gegenstand haben und von einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Empfänger in diesem Sinn aufgefaßt werden. Daß das Verhalten eines Dritten auf Grund eigener gedanklicher Tätigkeit interpretiert und einer wertenden Stellungnahme unterzogen wird, schließt somit das Vorliegen einer Tatsachenmitteilung noch nicht aus (MR 1994, 111).

Theaterkritik, die ja facettenreich ist und deren Spektrum von der Kurzrezension bis zum kulturphilosophischen Essay reicht, verbreitet regelmäßig keine Tatsachen iS des § 1330 Abs 2 ABGB. Wenn Schauspieler, Sänger oder Regisseure in einer Theaterkritik angegriffen werden, geht es regelmäßig um Werturteile. Aussagen über die Qualität einer darstellerischen Leistung oder einer Inszenierung sind Ausdruck der persönlichen Überzeugung des Kritikers. Ihre "Richtigkeit" ist in aller Regel nicht beweisbar (Eidenmüller, Der unliebsame Kritker: Theaterkritik und Schmähkritik in NJW 1991, 1439 ff). Dies erhellt ja schon daraus, daß nicht selten - wie gerichtsbekannt ist - über eine Aufführung ganz unterschiedliche Kritiken vorliegen. Polemik, Ironie und Satire sind die legitimen Ausdrucksformen der Theaterkritik, die von pointierter Verkürzung lebt. Im deutschen Rechtsbereich gilt bei vergleichbarer Rechtslage auch unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit eine ehrverletzende oder herabsetzende Äußerung im Rahmen einer Theaterkritik dann als rechtswidrig, wenn der Kritisierte beschimpft wird oder es sich um sogenannte diffamierende Schmähkritik handelt (Eidenmüller aaO 1440 mwN in FN 17; Thomas in Palandt BGB54, Rz 189 zu § 823 mwN), wenn als Ziel des Kritikers nicht die sachliche Auseinandersetzung mit einer Theateraufführung - auch Opern- oder Operettenaufführung - , sondern die vorsätzliche Kränkung des angegriffenen Künstlers im Vordergrund steht, wenn der Kritiker primär diffamieren will. Angesprochen ist damit die, oft nicht leicht feststellbare Willensrichtung des Kritikers. Der BGH vertrat in NJW 1974, 1762 die Auffassung, der Verzicht auf die Angabe von "Bezugspunkten" könne ein Anzeichen für die Diffamierungsabsicht des Kritikers sein. Die Kritik müsse erkennen lassen, welches sachliche Anliegen die Kritik verfolge und worauf sich die kritischen Äußerungen stützten. Wer etwa ein vernichtendes Werturteil über die fehlende schauspielerische oder sängerische Präsenz des Kritisierten abgibt, sei diesem eine knappe Begründung dafür schuldig. Fehle sie, könne er rechtswidrig iS eines Wertungsexzesses handeln. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, tatbildlich für § 111 StGB seien Wertungsexzesse, das heißt durch ein überzogenes Werturteil ehrverletzende Kritik, formale Ehrenbeleidigungen, bei denen sich die Ehrverletzung schon aus der Form der Äußerung ergibt, und solche abfällige Werturteile, die als völlig unverhältnismäßig überzogen anzusehen sind, jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen oder wegen des Fehlens eines entsprechenden Sachverhaltssubstrats jenseits sachlicher Kritik liegen (EvBl 1993/173 = MR 1993, 175 mit Anm von Kienapfel).

Nach Auffassung des erkennenden Senates darf sich der Theaterkritiker grundsätzlich auch scharfer und "übersteigerter" Ausdrücke, polemischer und überspitzter Kritik bedienen, darf aber den kritisierten Künstler weder beschimpfen noch in der Wertschätzung des angesprochenen Publikums unnötig herabsetzen. Was noch zulässige Theaterkritik ist, muß jeweils aufgrund der konkreten Fakten des Einzelfalls beurteilt werden.

Zu beurteilen ist nun hier eine kritische Auseinandersetzung über die im Zusammenhang mit der Aufführung einer Operette gebotenen künstlerischen Leistungen einer eine Hauptrolle gebenden Sängerin anläßlich der Premiere. Die inkriminierte Äußerung des Zweitbeklagten muß als Einheit gesehen werden und ist in Übereinstimmung mit der zutreffenden Auffassung der zweiten Instanz in Ansehung der Äußerung "... (Klägerin) ist so gut wie nicht vorhanden: keine Stimme, kein Spiel, kein Ausdruck" als rein subjektives Werturteil des zweitbeklagten Kritikers zu beurteilen. Auf die Frage, ob der Klägerin insoweit der Wahrheitsbeweis überhaupt gelungen ist, kommt es damit ebensowenig an wie bei der weiteren Äußerung des zweitbeklagten Theaterkritikers, "Die Dame (gemeint die Klägerin) gehört an die Kasse eines Selbstbedienungsrestaurants, nicht aber ins Weiße Rößl", ist dieses doch gleichfalls nur ein Werturteil und enthält entgegen der Auffassung der zweiten Instanz nicht den Tatsachenkern, daß die Klägerin bei dieser Operettenpremiere - noch weniger generell, wie die zweite Instanz annimmt - als Sängerin und Darstellerin der "Rößlwirtin" ungeeignet sei, sondern führt das zuerst genannte Werturteil weiter, indem es dieses mit einem drastischen Ausdruck abschließt. Der durchschnittlich verständige Leser einer Premierenkritik wird diese Zusammenfassung keinesfalls als "Empfehlung" an die klagende Künstlerin auffassen, nunmehr Kassierin in einem Selbstbedienungsrestaurant zu werden, sondern als zusammenfassende bildliche Wertung der vorher genannten, konkreten kritischen Wertungen über den Gesamteindruck von der durch die Klägerin am Premierenabend zur Darstellung gebrachten Bühnenfigur:

Stimm-und Spieleinsatz sowie darstellende Ausdruckskraft der Darbietung der Bühnenfigur "Rößlwirtin" als Chefin eines gehobenen gastwirtschaftlichen Betriebes mit individueller Bedienung reiche eben - um im Metier zu bleiben - bestenfalls für eine Chargenrolle, eine Kassierin in einem Massenrestaurant.

Für die Anwendbarkeit des § 1330 Abs 1 ABGB ist zwar die strafgesetzliche Tatbestandsmäßigkeit einer Ehrenbeleidigung nicht Voraussetzung (MR 1994, 244; MR 1992, 205; 6 Ob 1007/95 ua). Eine Ehrenbeleidigung nach bürgerlichem Recht ist vielmehr schon jedes der Ehre eines anderen nahetretende Verhalten, ohne daß es darauf ankommt, ob im konkreten Fall auch eine strafrechtliche

Ahndungsmöglichkeit besteht (EvBl 1993/160 = MR 1993, 57; SZ 64/182 =

JBl 1992, 326 = EvBl 1992/65 = ecolex 1992, 233 = ÖBl 1992, 51 uva,

zuletzt etwa 6 Ob 11/95; Harrer in Schwimann, Rz 2 zu § 1330 ABGB). Ob ein Ausdruck den Tatbestand nach § 1330 Abs 1 ABGB erfüllt, ist aber aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, zu beurteilen (MR 1991, 146 mit Anm von Korn = ÖBl 1992, 47 = RdW 1991, 323).

Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ausgehend, stellt die inkriminierte Kritik des Zweitbeklagten, auch der in die Gesamtkritik eingebettete drastische Abschluß (noch) keine Ehrenbeleidigung iS des § 1330 Abs 1 ABGB dar.

Selbst wenn man aber diese Zusammenfassung der Kritik des Zweitbeklagten an der Klägerin als einer Verspottung iS des § 115 Abs 1 zweiter Fall StGB nahekommend und als zivilrechtliche Ehrenbeleidigung werten wollte, wäre damit für die Klägerin nichts gewonnen: Jeder Unterlassungsanspruch setzt nämlich die Rechtswidrigkeit der begangenen oder drohenden Eingriffshandlung voraus (MR 1994, 198; ÖBl 1991, 23 = WBl 1990, 382 ua). Sowohl die Ehre als auch der wirtschaftliche Ruf einer Person sind absolute Rechte (MR 1993, 221; SZ 64/36 mwN uva). Nicht jede Beeinträchtigung eines absoluten Rechts ist rechtswidrig, wenn auch in der Handlung selbst ein gewisses Indiz für die Rechtswidrigkeit liegt. Die Rechtswidrigkeit kann vielmehr nur auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden (MR 1994, 111; SZ 64/36; SZ 61/210 = EvBl 1989/47 = MR 1989, 15 = GRURInt 1990, 236 uva;

Reischauer aaO Rz 7a; Korn/Neumayer aaO 59 f mwN). Stets müssen den Interessen am gefährdeten Gut auch die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden (SZ 64/36 ua;

Korn/Neumayer aaO 60 mw). Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer untragbaren Einschränkung der Interessen anderer und auch jener der Allgemeinheit führen (MR 1994, 111; SZ 56/124 = EvBl 1984/60 = ÖBl 1984, 18 mwN). Dies gilt auch für die Abgrenzung zwischen übler Nachrede und Ehrenbeleidigung einerseits und zulässiger Kritik bzw Werturteil andererseits (EvBl 1993/160; MR 1991, 146). Bei dieser Interessenabwägung kommt es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesse an (SZ 61/210; Korn-Neumayer aaO 60), aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung (vgl Thomas aaO).

Auf Freiheit der Kunst bei künstlerischem Schaffen, Vermittlung der

Kunst sowie deren Lehre (Art 17a StGG 1867) als allgemeiner, bei der

Interessenabwägung mitzuberücksichtigender Rechtfertigungsgrund

könnten sich die Beklagten hier entgegen der Rechtsauffassung in

ihrer Revisionsbeantwortung freilich nicht mit Erfolg berufen. Fehlt

es doch in aller Regel am Wesentlichen der künstlerischen Betätigung,

der freien schöpferischen Gestaltung, weil Bericht und Wertung im

Vordergrund stehen. Soweit der Theaterkritiker literarische

Stilmittel verwendet, geschieht dies zur Verdeutlichung seines

Standpunktes. Sie sind ihm nicht Zweck. Die Kunstkritik ist deshalb

in aller Regel nicht Kunst (vgl NJW 1993, 1462; Eidenmüller aaO

1440). Auch im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltspunkte - etwa

durch Einkleidung der Rezension in eine eigenständige künstlerische

Form, etwa eine Satire - dafür vor, daß die Kunstkritik des

Zweitbeklagten selbst Kunst wäre. Die Grundsätze der Rechtsprechung

(JBl 1992, 246 = EvBl 1992/50 = MR 1992, 19 = ÖBl 1992, 49 = RdW

1992, 174 = ecolex 1992, 163 mwN) zu Karikatur oder Satire als

Kunstformen sind daher hier unanwendbar.

Die Beklagten könnten sich aber auf das gemäß Art 10 Abs 1 MRK, Art 13 Abs 1 StGG 1867 jedermann verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht, Meinungen einschließlich Wertungen und Stellungnahmen (Kritik) an Leistungen, Entscheidungen und Erklärungen anderer, wie etwa an wissenschaftlichen Arbeiten, Gerichtsurteilen, künstlerischen Werken - wie hier - oder literarischen Werken frei zu äußern, berufen. Da die Freiheit der Meinungsäußerung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft bildet und eine der grundlegenden Voraussetzungen für ihren Fortschritt und die Selbstverwirklichung jedes einzelnen ist, gilt die Äußerung der Meinungsfreiheit auch für solche Aussagen, die als verletzend, schockierend oder irritierend empfunden werden; das verlangen der Pluralismus, die Toleranz und Großzügigkeit, ohne die keine demokratische Gesellschaft existieren kann (EGMR, MR 1986, H 4, 11 ua; MR 1994, 162; MR 1991, 171 mwN). Ob sich der sachlich Kritisierte irritiert oder verletzt fühlt, ist unmaßgeblich. Im Lichte der jedermann garantierten Meinungsfreiheit kann das Recht zur kritischen Bewertung von Tatsachen auch nicht allein jenen vorbehalten bleiben, die mit hinlänglicher Fachkompetenz ausgestattet sind: Die Meinung eines Außenseiters, Querdenkers oder Dilettanten ist ebenso zu respektieren wie die eines Experten (EvBl 1993/173) oder auch eines Kunstkritikers, mag er sich auch nur - rein subjektiv - für einen solchen zu halten. Nach Art 10 Abs 2 MRK kann die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung durch Gesetz (nur) zur Wahrung bestimmter wichtiger Rechtsgüter - darunter auch zum Schutz des guten Rufs oder der Rechte anderer - so weit beschränkt werden, als es zur Wahrung dieser Rechtsgüter unentbehrlich ist. Ein solcher Gesetzesvorbehalt ist dann konventions- und somit verfassungskonform, wenn er kumulativ allen drei Bedingungen der Gesetzesvorbehalte entspricht, der Eingriff also erstens gesetzlich vorgesehen ist, zweitens einen zulässigen Zweck verfolgt und drittens in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist (MR 1994, 244 mwN ua). Daß die Ehre desjenigen desjenigen, der von einer Verspottung betroffen wird, leiden kann, liegt auf der Hand; sein Schutz ist deshalb ohne Zweifel notwendig (vgl MR 1994, 244). Die Meinungsfreiheit gilt zwar nur für wertende Äußerungen und bedeutet weder einen Freibrief für das Aufstellen unrichtiger Tatsachenbehauptungen (MR 1994, 244) noch für kritische Wertungen, die in persönliche Beleidigungen oder Verunglimpfung ausarten (Hager-Walenta, Persönlichkeitsschutz im Straf-und Medienrecht2, 10). Im Rahmen einer Theaterkritik, die sich an eine Sängerin richtet, die selbst an die Öffentlichkeit getreten ist, wobei wohl daher die Grenzen zulässiger Kritik weiter gesteckt sein müssen, kann aber die hier gemachte Gesamtäußerung des Zweitbeklagten auch unter dem im Freiheitsbegriff inkludierten Mißbrauchsverbot doch noch als legitime Äußerung einer Theaterkritik, bei der es im allgemeinen nicht zuletzt auch auf eine guten Pointe ankommt, wegen erkannt werden. Die beklagten Parteien könnten sich daher hier auf ihr Recht der freien Meinungsäußerung berufen.

Es muß daher auch das von der Rechtsprechung - bei Wiederholungsgefahr - bejahte, verschuldensunabhängige Unterlassungsbegehren (MR 1995, 16; MR 1994, 198 mwN; EvBl 1991/61 = MR 1991, 20 ua: Reischauer aaO Rz 23 ; Harrer aaO Rz 32; Korn/Neumayer aaO 73). gänzlich abgewiesen werden.

Der außerordentlichen Revision der Klägerin ist daher nicht, der der beklagten Parteien hingegen Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 41 ZPO, in Ansehung des Rechtsmittelverfahrens iVm § 50 ZPO. Der Streitwert für die Berufung der beklagten Parteien beträgt, wovon sie noch im Berufungsschriftsatz selbst ausgehen, 250.000 S und nicht, wovon sie irrtümlich im Kostenverzeichnis ON 33 AS 141 ausgehen, 500.000 S.

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