OGH 7Ob217/99h

OGH7Ob217/99h16.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C***** R*****, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 11,882.913,46 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19. April 1999, GZ 14 R 224/98h-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1. September 1998, GZ 11 Cg 139/97k-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der Beklagten die mit S 42.816,95 (darin enthalten S 7.136,16 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der klagende Verein (Bank) gewährte am 16. 6. 1994 und am 3. 7. 1995 der J***** R***** GmbH & Co KG Kredite, aus denen per 27. 5. 1997 trotz wiederholter Mahnungen noch S 10,186.736,21 und S 1,696.177,25, insgesamt also S 11,882.913,46 aushaften. Komplementär dieser KG war die J***** R***** GmbH, deren alleiniger Geschäftsführer - der Ehegatte der Beklagten - der ebenso wie sie für die eingeräumten Kredite als Mitschuldner haftete. Die Beklagte war nie an der Geschäftsführung beteiligt, sondern im Haushalt tätig und geschäftlich vollkommen unerfahren. Ihr Kommanditanteil an der KG betrug nur S 11.400,-- (von insgesamt S 190.000,--). Ihr wurden die Kreditverträge zur Unterfertigung als Mitschuldnerin von ihrem Ehegatten in der ehelichen Wohnung mit der Erklärung vorgelegt, dass mit der Firma alles in Ordnung sei und die Aufnahme der Kredite notwendigen Investitionen diene. Beim zweiten Kredit erklärte er auch, dass dieser für den Weiterbestand der Firma notwendig wäre. Sonst gab er keine näheren Aufklärungen, ebensowenig die klagende Partei, für die die Bonität der Beklagten bei Einräumung der Kredite unerheblich war.

Die Beklagte war von ihrem Ehegatten wirtschaftlich völlig abhängig und verfügte über keinerlei persönliches Einkommen, Ersparnisse oder Vermögen. Sie erhielt nur wöchentlich von ihm S 3.500,-- zur Führung des Haushaltes. Die Kreditverbindlichkeiten wurden auch noch durch eine Hypothek auf einer Liegenschaft im Eigentum ihres Ehegatten gesichert. Erst Ende 1995 wurde die Beklagte von der Klägerin über die wirtschaftliche Lage der KG informiert, über die dann am 23. 5. 1996 ein Konkursverfahren eröffnet wurde, ebenso über die Komplementär GmbH. Im Zuge der Gespräche mit der Klägerin wurde dann die Notwendigkeit des Verkaufes des Hauses erörtert und ein Einverständnis darüber erzielt, dass die Beklagte aus der ehelichen Wohnung auszieht und dann das Haus verkauft wird, wofür sie S 25.000,--, die aus einem Bausparvertrag kamen, behalten durfte. Auch über die Verwertung der sonstigen bei der Klägerin deponierten Sicherheiten wie Sparbücher und Wertpapiere, die von der Familie bei der Klägerin hinterlegt worden waren, wurde das Einverständnis zur Verwertung gegeben. Die Beklagte verpflichtete sich gegenüber einem Angestellten der Klägerin auch noch zu einer monatlichen Rückzahlung von S 1.500,-- (offenbar gemeint auf die gegenständliche Kreditschuld).

Die Beklagte war bereits vor Aufnahme der hier maßgeblichen Kredite, die ausschließlich der KG zur Führung des Unternehmens zuflossen, schon als Mitschuldnerin bei Krediten der Klägerin an die KG aufgetreten. Eine Aufklärung über das Risiko der Verpflichtungen durch die Klägerin erfolgte nie. Die 49-jährige Beklagte bezieht derzeit Sozialhilfe in Höhe von S 7.591,--.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten unter Berufung auf deren Mitschuldnerhaftung die fällig gestellten Kredite in Höhe von zusammen S 11,882.913,46 samt 16,5 % Zinsen seit 28. 5. 1997. Die Beklagte wäre weder überrumpelt noch zur Unterfertigung gezwungen worden. Sie habe auf Grund ihrer Stellung als Kommanditistin der Kreditnehmerin ausreichenden Einblick in die Geschäftsgebarung und die wirtschaftliche Entwicklung der Kreditnehmerin und auch ein wesentliches Eigeninteresse an den Kreditaufnahmen gehabt. Zur Absicherung des Kredites sei die Mithaftung des Ehegatten, sowie beim ersten Kredit auch die der weiteren Gesellschafter und die Sicherstellung auf der Liegenschaft des Ehegatten der Beklagten vorgesehen gewesen. Die Klägerin habe die Haftung der Beklagten nie verharmlost. Die Klägerin habe auch nicht andere Schuldner vereinbarungswidrig aus der Haftung entlassen, vielmehr sei bei diesen kein verwertbares Vermögen vorhanden gewesen. Ein der Klägerin zurechenbarer Irrtum der Beklagten sei nicht vorgelegen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen die Nichtigkeit des Schuldbeitrittes ein. Trotz ihrer - nur aus steuerlichen Gründen erfolgten - völlig unbedeutenden Kommanditeinlage habe sie keinerlei Kenntnis von der wirtschaftlichen Entwicklung der KG gehabt, sondern sei nur als Hausfrau tätig gewesen war. Die Verpflichtungserklärung habe sie nur über Druck ihres Ehegatten im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Abhängigkeit unterfertigt. Die Haftung stehe auch in einem groben Missverhältnis zu ihrer praktischen Einkommens- und Vermögenslosigkeit. Die Klägerin habe entgegen den Vereinbarungen andere Solidarschuldner zum Nachteil der Beklagten aus ihrer Haftung entlassen, obwohl diese über ein teilweise erhebliches Vermögen verfügten. Es wären auch die anderen Mitgesellschafter zur Zahlung der Verbindlichkeiten heranzuziehen gewesen. Im Zeitpunkt der Aufstockung des Kredites sei die KG bereits überschuldet gewesen. Der Kreditvertrag vom 3. 7. 1995 werde auch wegen Irrtums angefochten, da dieser entgegen den Ausführungen in dem Vertrag nicht dazu geführt habe, dass dem Kreditnehmer weitere S 5 Mio zur Verfügung gestellt worden seien, sondern es sei damit nur die Besicherung älterer, bereits bestehender Verpflichtungen vorgenommen worden. Die Klägerin habe jegliche Aufklärung, insbesondere aber über die schlechte finanzielle Lage der Kreditnehmerin, gegenüber der Beklagten unterlassen. Da die Hausbank bereits seit Jänner 1995 keine Überweisungen mehr vorgenommen habe, sei die Konkursreife der Kreditnehmerin ersichtlich gewesen. Schließlich stützte sich die Beklagte auch noch auf das richterliche Mäßigungsrecht nach § 25d KSchG. Es liege ein Missverhältnis zwischen ihrer Leistungsfähigkeit und der Höhe der Kreditschuld vor Auch auf ihre Zwangssituation bei der Haftungsübernahme sei Bedacht zu nehmen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich, dass die Übernahme der Haftung durch die Beklagte nichtig sei, weil die Beklagte durch der Klägerin zuzurechnende Umstände in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt gewesen sei. Ausgehend von dem unzulänglichem Einkommen der Beklagten und dem faktischen Übergewicht der Klägerin bei den Verhandlungen sowie der beim zweiten Kreditvertrag bereits bestehenden Überschuldung der Hauptschuldnerin, der mangelnden Auszahlung der Kreditvaluta, der unzureichenden Darlegung des Kreditrisikos durch die Klägerin, der gefühlsmäßigen Bindung sowie der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Beklagten von ihrem Ehegatten, sei die Verpflichtungserklärung nicht wirksam zustandegekommen. Die Beklagte habe auch nicht unmittelbar von der Kreditsumme profitiert. Im Hinblick auf ihre Vermögenslosigkeit sei ihre Haftung für die Klägerin wirtschaftlich auch weitgehend wertlos, sodass insgesamt ein die Sittenwidrigkeit begründendes Missverhältnis im Sinne des § 879 ABGB anzunehmen sei.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und schloss sich im Wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Eine allfällige Sittenwidrigkeit eines Schuldbeitritts eines Angehörigen sei anzunehmen, wenn ein grobes Missverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und den gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnissen vorliege. Die Beklagte habe kein wesentliches Eigeninteresse an der Kreditaufnahme gehabt; ihre Kommanditistenstellung habe ihr keine zusätzlichen Einkunftsquellen erschlossen. Die Beklagte sei geschäftlich unerfahren gewesen. Sie sei über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens im Unklaren gelassen worden und von ihrem Ehegatten wirtschaftlich abhängig gewesen. Dies habe der Klägerin bekannt sein müssen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht ohne nähere Begründung als zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist ungeachtet des nicht bindenden Ausspruches des Berufungsgerichtes (vgl § 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die Bestimmungen der §§ 25b ff KSchG idF BGBl I 1997/6, womit der Gesetzgeber in der Frage der Haftung volljähriger Familienangehöriger ohne zulängliches Vermögen und Einkommen bei der Übernahme von Interzessionen eine von den Grundzügen der Entscheidung 1 Ob 544/95 (= SZ 68/64 = JBl 1995, 651 [Mader] = ÖBA 1995, 804 [Graf, 776] = EvBl 1995/156) abweichende Regelung gefunden hat (vgl dazu auch Mader in Schwimann2, § 1346 ABGB Rz 12), sind hier noch nicht maßgeblich, weil diese Regelung gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG nicht auf Verträge anzuwenden ist, die - wie die vorliegenden - vor dem 1. Jänner 1997 geschlossen wurden (ÖBA 1999, 647; OGH 6 Ob 200/99a).

Der Oberste Gerichtshof übernahm in der Entscheidung 1 Ob 544/95 die Wertungen der deutschen Rechtsprechung bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen zugunsten von Verwandten bzw deren Firmen durch Familienangehörige ohne zulängliches Einkommen. Die Verbindung der strukturell ungleich größeren Verhandlungsstärke der Gläubigerbank gegenüber einem dem Hauptschuldner gutstehenden Angehörigen, dessen Verpflichtung seine gegenwärtigen und in absehbarer Zukunft zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei weitem übersteigt, mit weiteren, in der Person des gutstehenden Angehörigen liegenden, seine Entscheidungsfreiheit weitgehend beeinträchtigenden und der Gläubigerbank zurechenbaren Umständen begründet in Ausnahmefällen die Sittenwidrigkeit und damit die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts wegen Vorliegens eines Ausbeutungstatbestands. Dabei sind demonstrativ aufgezählte, für die Sittenwidrigkeitsfrage beachtliche Gesichtspunkte maßgeblich, deren Gesamtwürdigung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Der Rechtsprechung diente diese Leitentscheidung seither als Richtschnur zur Beurteilung der jeweiligen Einzelfälle (ÖBA 1997, 1027, JBl 1998, 36; ÖBA 1998, 723 uva; RIS-Justiz RS0048300, RS0048309, RS0048312).

Konkret setzt ein Sittenwidrigkeitsurteil

a) die inhaltliche Missbilligung des Interzessionsvertrags des Interzedenten,

b) die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten und

c) die Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber voraus (ÖBA 1999, 647 mwN; SZ 71/117).

Das eine weitere Inhaltskontrolle auslösende krasse Missverhältnis des Haftungsumfangs (hier: 12 Mio S) und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (- einkommens- und vermögenslose Hausfrau -) im Zeitpunkt der Haftungsübernahme war im vorliegenden Fall unzweifelhaft gegeben und der klagenden Bank offensichtlich auch bekannt bzw hätte ihr bekannt sein müssen. Steht ein solches krasses Missverhältnis als objektives Element fest, so bilden dann die für die Inhaltskontrolle sonst rechtserheblichen, in der Leitentscheidung demonstrativ aufgezählten und von Graf (ÖBA 1995, 776) abstrahierend gruppierten Gesichtspunkte ein bewegliches Beurteilungssystem, dessen Anwendung ein Sittenwidrigkeitsurteil dann erlaubt, wenn entsprechende Indikatoren im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in allen drei Systemelementen verwirklicht waren und diesen in der Gesamtschau - je nach den Umständen des Einzelfalls - erhebliches Gewicht beizumessen ist (ÖBA 1999, 647; SZ 71/117).

Hier werfen die maßgeblichen Umstände keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf und geben keinen Anlass zur Weiterentwicklung der dargestellten Rechtsprechung.

Eine der Gläubigerbank zurechenbare Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Beklagten wurde von der zweiten Instanz in vertretbarer Weise bejaht. Die Beklagte hat im Betrieb nicht mitgearbeitet. Sie wurde von der klagenden Bank in keiner Weise über die Risken der Haftungsübernahme aufgeklärt. Die Verpflichtungserklärung erfolgte unter dem Einfluss des Ehegatten der Klägerin, von dem diese wirtschaftlich völlig abhängig war. Auch ein wesentliches Eigeninteresse der Klägerin an der Kreditaufnahme kann verneint werden. Die Kreditaufnahme diente nicht der beruflichen Existenz beider Ehegatten (vgl SZ 68/64, 8 Ob 2315/96s); die Klägerin war an der kreditnehmenden Firma nur als Kommanditistin ohne Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnisse (vgl §§ 164, 170 HGB) mit einem geringfügigen, keinerlei Einkommen vermittelnden Kommanditanteil beteiligt (vgl allgemein auch JBl 1999, 333 = ÖBA 1999, 563, insb 566).

Wenn das Berufungsgericht bei Abwägung aller subjektiven Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls unter Bedachtnahme auf die nach der Rechtsprechung als relevant angesehenen Umstände, die Haftung der Klägerin unter Beachtung des krassen Missverhältnisses des Haftungsumfangs und der völlig fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten als sittenwidrig iSd § 879 ABGB beurteilte, kann darin eine der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürftige krasse Fehlbeurteilung und eine darin liegende erhebliche Rechtsfrage nicht erblickt werden.

Auf den erstmals in der Revision erhobenen Einwand der Klägerin, dass die Beklagte im Scheidungsverfahren einen Hälfteanteil an der ehelichen Wohnung beanspruche und dies - sowie weitere Gesellschaftsanteile - als Vermögen der Beklagten zu berücksichtigen seien, ist nicht weiter einzugehen, weil keine entsprechende Behauptungen im Verfahren erster Instanz aufgestellt wurden.

Mangels erheblicher Rechtsfragen ist die Revision zurückzuweisen (vgl schon ÖBA 1999, 647; 9 Ob 48/97t; 10 Ob 98/99f uva). Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin hingewiesen.

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