OGH 8Ob559/87

OGH8Ob559/8719.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef J***, Pensinist, 1190 Wien, Formanekgasse 1 a, vertreten durch Dr. Paul Bachmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I*** S*** Max S***

Gesellschaft mbH & Co KG, 4020 Linz, Ellbognerstraße 26, vertreten durch Dr. Hans Oberndorfer, Rechtsanwalt in Linz, wegen 89.576,49 S sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. Jänner 1987, GZ 2 R 334/86-24, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. September 1986, GZ 6 Cg 164/85-20, aufgehoben und die Nichtigkeitsklage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.243,80 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin die Umsatzsteuer von 385,80 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit der am 24.5.1985 beim Erstgericht eingebrachten Nichtigkeitsklage begehrte der Kläger die Nichtigerklärung des "gegen ihn" vom Erstgericht am 9.7.1984 erlassenen Versäumungsurteiles zu 6 Cg 199/84. Er brachte dazu im wesentlichen vor, ihm seien weder die Klage noch die Ladung zur ersten Tagsatzung, noch das Versäumungsurteil vom 9.7.1984 im Verfahren 6 Cg 199/84 des Landesgerichtes Linz zugestellt worden. Die Zustellung sei unter der Adresse Alserbachstraße 19, 1090 Wien, erfolgt, wo er weder gewohnt noch einen Firmensitz gehabt habe. Erst durch die Zustellung der Exekutionsbewilligung am 20. Mai 1985 habe er Kenntnis von diesem Urteil erhalten. Offensichtlich handelte es sich bei der Klageforderung zu 6 Cg 199/84 um eine Forderung gegen die "J*** Gesellschaft m.b.H.", welche unter der angeführten Adresse ihren Firmensitz aufweist. Er selbst befinde sich aber seit 14.3.1983 in Pension und habe mit der Adresse Alserbachstraße 19, 1090 Wien, nichts zu tun. Eine Zustellung der oben angeführten Schriftstücke an ihn sei nicht erfolgt, weshalb das gesamte Verfahren gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (§ 529 Abs 1 Z 2 ZPO) nichtig sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte im wesentlichen vor, daß der Kläger sehr wohl unter der Adresse Alserbachstraße 19, 1090 Wien, geschäftliche Tätigkeiten entfaltet habe, und zwar als Alleininhaber der zu HRA 6023 a des Handelsgerichtes Wien protokollierten Firma Josef J*** DS Strickmaschinen. Außerdem sei er Gesellschafter der Firma J*** Gesellschaft mbH gewesen. Jedenfalls habe er über seine Angestellten von den erwähnten Schriftstücken Kenntnis genommen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:

Im Verfahren 6 Cg 199/84 des Landesgerichtes Linz begehrte die nunmehrige Beklagte von der "Firma Josef J***,

DS Strickmaschinen", 1090 Wien, Alserbachstraße 19, 89.576,49 S sA. für durchgeführte Speditions- und Frachtführerleistungen. Die Klage sowie die Ladung zur ersten Tagsatzung für den 25.6.1984 wurden von Brigitte K***, der Geschäftsführerin der "J*** Gesellschaft mbH" mit dem Sitz in 1090 Wien, Alserbachstraße 19, am 27.6.1984 übernommen. Über diese am 14.3.1983 gegründete Gesellschaft wurde am 11.3.1985 der Konkurs eröffnet. Die nach einem Postfehlbericht am 9.7.1984 neuerlich anberaumte erste Tagsatzung blieb von der damals beklagten Partei unbesucht, sodaß ein Versäumungsurteil erging, welches am 11.7.1984 von einer Arbeitnehmerin der J*** Gesellschaft mbH übernommen wurde. Am 20.8.1984 wurde die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles bestätigt. Brigitte K*** übernahm die an die Firma Josef J***

DS Strickmaschinen gerichteten Schriftstücke deshalb, weil zum einen eine solche Firma nicht existierte und zum anderen die Klageforderung ohnedies die Firma J*** Gesellschaft mbH betraf. Der nunmehrige Kläger Josef J*** erteilte zu den der Klage zugrundeliegenden Leistungen niemals einen Auftrag, noch übernahm er eine Ware. Obwohl Brigitte K*** als Geschäftsführerin mehrmals die Richtigstellung der Firmenbezeichnung auf "J*** Gesellschaft m. b.H." von der damaligen Klägerin verlangte, geschah dies niemals. Aus all diesen Gründen konnte der Kläger erst anläßlich einer Exekutionsführung am 20. Mai 1985 Kenntnis vom Verfahren 6 Cg 199/84 des Landesgerichtes Linz nehmen. Zur Zeit der Klagezustellung wohnte er nicht in 1090 Wien, Alserbachstraße 19, und hatte dort auch keinen Firmensitz. Er war früher Inhaber der Firma Juliana und Josef J*** OHG, welche er im März 1983 an die Firma DS Strickmaschinen in München verkaufte. Im gleichen Jahr legte er seine Gewerbeberechtigung zurück, wobei die Registerordnung erst im Jahre 1984 hergestellt wurde.

In der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes schloß sich das Erstgericht der Meinung Faschings, Zivilprozeßrecht Rz 2044, an, wonach "Rechtskraft" im Sinne des § 529 Abs 1 ZPO nur bedeute, daß die Entscheidung nach der Aktenlage rechtskräftig sein muß. Bei Scheinrechtskraft habe demnach die Partei die Wahl zwischen einem Zustellantrag und der Nichtigkeitsklage.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und wies das Klagebegehren, es werde das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Linz vom 9.7.1984, 6 Cg 199/84, seinem gesamten Inhalt nach für nichtig erklärt, zurück. Weitere Aussprüche faßte es nicht, weil sich der Streitwert der Nichtigkeitsklage nach jenem des Vorprozesses richte und daher 89.576,49 S sA betrage und im übrigen die Bestimmung des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO über die grundsätzliche Zulässigkeit des Rekurses gegen seine diesbezügliche Entscheidung Anwendung finde. Rechtlich gelangte das Berufungsgericht zu der Auffassung, daß nach ständiger Judikatur eine Nichtigkeitsklage gegen ein Versäumungsurteil nur zulässig sei, wenn es rechtswirksam (§ 416 ZPO) geworden und die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen ist. Im vorliegenden Fall wäre die Entscheidung nur dann rechtskräftig geworden und damit die Nichtigkeitsklage zulässig, wenn das Versäumungsurteil ordnungsgemäß zugestellt worden wäre. Wie aber feststehe, wurden die Klage, die Ladung zur ersten Tagsatzung sowie das Versäumungsurteil vom 9.7.1984 dem Kläger unter einer Anschrift zugestellt, an der er weder wohnte noch eine Firma führte. Dem Kläger stehe in diesem Fall der Weg offen, die neuerliche Zustellung des Versäumungsurteiles an ihn zu verlangen und dieses dann im Instanzenweg anzufechten oder nach eingetretener Rechtskraft die Nichtigkeitsklage zu erheben.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Klägers, in welchem er die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes beantragt.

Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung (§ 521 a Abs 1 Z 3 ZPO), den Rekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt. Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß der Streitwert des Hauptprozesses gleich hoch ist wie jener einer Rechtsmittelklage (vgl. SZ 10/9; 8 Ob 36/81; 4 Ob 548/83; 8 Ob 607/86 ua). Es bedurfte daher keines Ausspruches über die Höhe des Streitwertes der vorliegenden Nichtigkeitsklage. Das Berufungsgericht verwies auch zutreffend darauf, daß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nach ständiger Rechtsprechung analog auf jene Beschlüsse Anwendung zu finden hat, mit denen - wenn auch ohne Wahrnehmung einer Nichtigkeit - dem Verfahren ein Ende gesetzt wurde (RZ 1974/92 S 172; SZ 49/25; MietSlg 37.260 ua). Demgemäß war auch kein Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit des Rekurses im Sinne der §§ 500 Abs 3, 526 Abs 3 ZPO erforderlich. Entscheidend ist die Zurückweisung der Klage und damit die abschließende Verweigerung des Rechtsschutzes (EvBl 1975/63; 6 Ob 648/78 ua).

Schließlich ist dem Berufungsgericht im Gegensatz zu den Ausführungen des Rekurswerbers zuzustimmen, daß die Bestimmung des § 529 Abs 1 ZPO das Bestehen einer rechtskräftigen Entscheidung als Voraussetzung für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage verlangt. Im Gegensatz zur Lehre Faschings IV, 484 bzw. Zivilprozeßrecht 2044 von der sogenannten Scheinrechtskraft vertritt die ständige Rechtsprechung (MietSlg 22.637; EvBl 1969/397; SZ 39/129, JBl. 1956, 412 uva; zuletzt auch 8 Ob 583, 584/84) den Standpunkt, daß unter "Rechtskraft" nur die wirkliche Rechtskraft zu verstehen ist. Eine Nichtigkeitsklage gegen ein Versäumungsurteil ist demnach nur zulässig, wenn es rechtswirksam (§ 416 ZPO) geworden und die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen ist (1 Ob 255/72; vgl. SZ 27/191, SZ 47/99). Eine Nichtigkeitsklage setzt daher sogar die Prozeßbehauptung voraus, daß die Zustellung der angefochtenen Entscheidung rechtswirksam erfolgte und das Urteil rechtskräftig geworden ist. Demgegenüber stellte sich aber der Kläger selbst auf den Standpunkt, daß ihm im Verfahren zu 6 Cg 199/84 weder die Klage, noch die Ladung zur ersten Tagsatzung noch das Versäumungsurteil vom 9.7.1984 zugestellt worden seien (AS 3). Auch im vorliegenden Rechtsmittel hält er fest (AS 117), daß die Geschäftsführerin der J*** GesmbH keine Ermächtigung erhalten habe, an ihn adressierte Schriftstücke in Empfang zu nehmen. Bei dieser Sachlage ging das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß eine ordnungsgemäße Zustellung des Versäumungsurteiles - zumal dessen bloße Kenntnisnahme hiefür nicht ausreicht (EvBl 1986/144; SZ 23/264; 3 Ob 1032/85; 1 Ob 667/86 ua) - an ihn bisher nicht erfolgte, weshalb eine wesentliche Voraussetzung zur Geltendmachung des vorliegenden Anspruches mit Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs 1 ZPO, nämlich die Rechtskraft des Versäumungsurteiles, nicht gegeben und die Klage daher mit Recht zurückzuweisen war.

Dem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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