OGH 3Ob390/54

OGH3Ob390/5430.6.1954

SZ 27/191

Normen

ZPO §104
ZPO §106
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §104
ZPO §106
ZPO §529 Abs1 Z2

 

Spruch:

Wenn die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, so ist eine Nichtigkeitsklage nur dann zulässig, wenn das in dieser Sache ergangene Versäumnisurteil einer empfangsberechtigten Person zugestellt worden ist.

Entscheidung vom 30. Juni 1954, 3 Ob 390/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger ficht das Versäumnisurteil vom 23. November 1953, 22 C 2858/53, unter Berufung auf § 529 Z. 2 ZPO. als nichtig an mit der Behauptung, es seien ihm in diesem Verfahren weder die Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung, noch auch das Versäumungsurteil zugestellt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß Nikolaus S. in der Zeit vom 12. Oktober bis 24. Dezember 1953 sich in Untersuchungshaft befunden habe. Am 9. Oktober 1953 sei gegen die prot. Firma Nikolaus S., Wien, VII., L.-Gasse 53, eine Klage eingebracht worden. Diese Klage sei am 18. November 1953 nach vorhergehender Aufforderung hinterlegt worden. Am 23. November 1953 sei ein Versäumungsurteil gefällt worden. Dieses sei nach Angabe der unrichtigen Anschrift Wien VII, S.-Gasse 53, vom Postorgan an die Anschrift Graz, M.-Straße 230, weitergeleitet und dort mit Datum 10. Dezember 1953 unter Beisetzung der Stampiglie Nikolaus S. & Sohn, Elektrotechn. Fabrik und Gerätebau Graz offenkundig von einem Angestellten J. für E. übernommen worden. Am 29. Dezember 1953 sei vom Rechtspfleger die Vollstreckbarkeit bestätigt worden, worauf zu 51 E 32/54 am 5. Jänner 1954 die Exekution beantragt und bewilligt worden sei. Die erfolgte Zustellung der Exekutionsbewilligung am 9. Jänner 1954 sei unbestritten. Aus diesem Sachverhalte ergebe sich, daß ein Grund zur Nichtigkeitsklage nicht vorliege, weil die Nichtigkeit der Zustellung allein zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht berechtige. Außerdem wäre der Kläger als Kaufmann verpflichtet gewesen, trotz Untersuchungshaft für die ordnungsgemäße Fortführung des Geschäftes zu sorgen. Er sei auch nicht von Wien abwesend gewesen, so daß ein Mangel in der Zustellung nicht zu ersehen sei.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Da sich der Kläger am Tage der Zustellung in Untersuchungshaft befunden habe, habe die Zustellung durch Hinterlegung nicht wirksam vorgenommen werden können. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liege nicht vor. Durch die nicht ordnungsgemäße Zustellung sei der Kläger vom Verfahren zur Gänze ausgeschlossen gewesen, und daher im Verfahren überhaupt nicht vertreten gewesen. Die Voraussetzungen des § 529 Z. 2 ZPO. liegen daher diesbezüglich vor. Die Sache sei aber nicht spruchreif, weil die Nichtigkeitsklage nur gegen ein rechtskräftiges Urteil erhoben werden könne. Da der Nichtigkeitskläger behauptet, es sei ihm auch das Versäumungsurteil nicht zugestellt worden, werde das Erstgericht zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung vorlägen, bzw. ob der Mangel in der Zustellung des Versäumungsurteiles gemäß § 108a ZPO. saniert worden sei. Sollten diese Erhebungen ergeben, daß die Zustellung des Versäumungsurteiles nicht wirksam gewesen sei, könne der die Nichtigkeitsklage bildende Nichtigkeitsgrund nur mit Berufung gegen das Urteil geltend gemacht werden.

Der Rekurs gegen diesen Beschluß blieb ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen (SZ. XIX/193, RZ. 1937/295, I Ob 886/52, 3 Ob 183/54 u. a.) ausgesprochen hat, setzt das Gesetz bei Zustellung nach den Vorschriften der §§ 104 Abs. 1, 106 ZPO. voraus, daß die Person, der zugestellt werden soll, ortsanwesend ist, so daß sie die Möglichkeit hat, auf Grund der Aufforderung oder der späteren Verständigung zur Entgegennahme der Sendung anwesend zu sein oder sie bei der Post zu beheben. War aber der Empfänger, wie hier festgestellt worden ist, in Untersuchungshaft, so war er zwar ortsanwesend, hatte aber keine Möglichkeit, auf Grund der Aufforderung oder der späteren Verständigung zur Entgegennahme der Sendung anwesend zu sein oder sie bei der Post zu beheben. Die Ersatzzustellung war daher unwirksam und die Zustellung gilt erst in jenem Zeitpunkt als bewirkt, in dem das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, wurde nicht behauptet. Der Kläger hatte somit von der Einleitung des Verfahrens keine Kenntnis und keine Gelegenheit, an der Verhandlung teilzunehmen. Der Richter hat über die Rechtsverhältnisse einer Partei entschieden, die vom Verfahren nichts gewußt hat. Der Kläger war aus diesem Gründe im Verfahren überhaupt nicht vertreten. Die Voraussetzungen des § 529 Z. 2 ZPO. sind deshalb gegeben. Diese Rechtsansicht entspricht der herrschenden Rechtsprechung, die eine Nichtigkeitsklage nur dann ablehnt, wenn die Nichtigkeit lediglich die Zustellung der Entscheidung betrifft (SpR. 29 neu). Hier wird aber von der Nichtigkeit nicht die Zustellung der Entscheidung betroffen, sondern die Grundlage der Entscheidung selbst.

Wenn der Rekurswerber in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Klägers behauptet und sich hiebei auf die Entscheidung SZ XIII/67 beruft, ist dies verfehlt, weil dort ein wesentlich anderer Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegen ist.

Das Berufungsgericht führt aber auch zutreffend aus, daß eine Nichtigkeitsklage nur gegen ein formell rechtskräftiges Urteil zulässig ist. Nun hat zwar der Kläger behauptet, das Versäumungsurteil sei ihm nicht zugestellt worden. Wäre der Zustellungsvorgang hinsichtlich des Versäumungsurteiles nichtig, wäre dieses noch nicht in Rechtskraft erwachsen, so daß eine Nichtigkeitsklage ausgeschlossen wäre. Nun ergibt sich aber aus dem Akte 22 C 2658/53, daß dieses Versäumungsurteil, wenn auch nicht an der Anschrift des dortigen Beklagten, sondern in Graz von einem J. für E. übernommen wurde und daß dieser sich auf eine Vollmacht des Klägers berufen hat. Weil somit nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, daß die Vornahme der Ersatzzustellung doch wirksam war, überdies die Frage ob die Zustellung des Urteils ordnungsgemäß erfolgt und das Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen ist von Amts wegen zu prüfen ist, hat das Berufungsgericht mit Recht bezügliche Erhebungen angeordnet.

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