OGH 4Ob61/50

OGH4Ob61/5022.9.1950

SZ 23/264

Normen

AußStrG §6
ProkG §1
Verbotsgesetz 1945 §1
ZPO §87
ZPO §108a
ZPO §122
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §534
AußStrG §6
ProkG §1
Verbotsgesetz 1945 §1
ZPO §87
ZPO §108a
ZPO §122
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §534

 

Spruch:

Die bloße Akteneinsicht ersetzt die Zustellung nicht. In diesem Belange besteht auch für die Finanzprokuratur keine Ausnahme.

Entscheidung vom 22. September 1950, 4 Ob 61/50.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Stefanie H. hatte beim Arbeitsgericht gegen den Verlag E. eine Klage auf Kündigungsentschädigung eingebracht, die ihr auch zugesprochen worden war. Später hat der Verlag E. durch die Finanzprokuratur eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Urteils gemäß § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO. eingebracht. In der Klage wurde ausgeführt, daß die Zweigniederlassung Wien der Münchner Firma E. gemäß § 1 VG. 1945 mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (6. Juni 1945) zugunsten der Republik Österreich verfallen ist. Die im Handelsregister eingetragene, durch den Verfall vom Vermögen der Münchner Firma losgelöste und Bestandteil des Vermögens der Republik Österreich gewordene Zweigniederlassung habe daher nach dem Verfall nur durch die Republik Österreich und diese nur durch die Finanzprokuratur vertreten werden können. Im Vorverfahren sei demnach die beklagte Partei nicht durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten gewesen, was das Verfahren nichtig mache.

Das Arbeitsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht das Ersturteil aufgehoben und die Klage zurückgewiesen, wobei sich das Berufungsgericht von folgenden Erwägungen leiten ließ.

Wie aus dem Akte über das frühere Verfahren hervorgehe, seien die gesamten Akten einschließlich der Entscheidung, deren Nichtigerklärung begehrt werde, der Finanzprokuratur am 20. August 1949 zur Einsicht übermittelt worden und seien am 23. August 1949 bei der Finanzprokuratur eingelangt. Die Finanzprokuratur habe daher von dem gesamten Akteninhalt und dem vollen Wortlaut des Urteils des Arbeitsgerichtes Wien in diesem Zeitpunkte Kenntnis erlangt und müsse daher dieser Zeitpunkt als Zustellung des Urteiles an die klagende Partei angesehen werden. Das Berufungsgericht sei daher entgegen der Ansicht des Erstgerichtes der Meinung, daß im vorliegenden Falle die einmonatige Notfrist des § 534 Abs. 1 ZPO. mit dem 23. August 1949 (dem Einlangen des Aktes bei der Finanzprokuratur) zu laufen begonnen hat. Die am 3. November 1949 eingebrachte Nichtigkeitsklage sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurs der Finanzprokuratur gegen diese Entscheidung Folge gegeben und dem Berufungsgericht die Entscheidung in der Sache selbst aufgetragen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da der angefochtene Beschluß immer wieder hervorhebt, daß die klagende Partei schon vor der Zustellung des mit der behaupteten Nichtigkeit behafteten Urteiles Kenntnis vom Nichtigkeitsgrund gehabt hat, scheint das Berufungsgericht den grundlegenden Unterschied zwischen der Z. 1 und der Z. 2 des § 534 Abs. 2 ZPO. übersehen zu haben. Bei der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung (§ 534 Abs. 2 Z. 2 ZPO.) ist nämlich der Zeitpunkt, in welchem die Partei, bzw. deren gesetzlicher Vertreter vom Nichtigkeitsgrund Kenntnis erhält, abweichend vom Fall des § 534 Abs. 2 Z. 1 ZPO. für die Berechnung der Notfrist ohne jeden Belang (GlUNF. 1864, 1632, 741). Die einmonatige Frist zur Einbringung der Nichtigkeitsklage beginnt vielmehr nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes erst mit der ordnungsgemäßen Zustellung des mit der Nichtigkeit behafteten Urteiles an die zur Zeit der Zustellung prozeßfähige Partei oder an ihren wirklichen Bevollmächtigten und bei mangelnder Prozeßfähigkeit an den wirklichen gesetzlichen Vertreter (vgl. hiezu auch Neumann, ZPO., 4. Aufl., S. 1421). Sollte aber das Berufungsgericht der Meinung gewesen sein, daß die Übermittlung des Aktes an die Finanzprokuratur zur Einsicht als Urteilszustellung anzusehen sei, so kann dieser Auffassung nicht beigepflichtet werden. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (E. v. 21. März 1950, 2 Ob 26/50, SZ. XXIII/70), ersetzt die bloße Akteneinsicht nicht die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung; diese kann vielmehr nur nach den Vorschriften der §§ 87 bis 122 ZPO. erfolgen. In diesem Belange besteht auch für die Finanzprokuratur keine Ausnahme.

Da die Finanzprokuratur am 23. September 1949 den Antrag auf Urteilszustellung gestellt, der Richter die Urteilszustellung am 24. September 1949 verfügt und die bezügliche Geschäftsabteilung des Arbeitsgerichtes Wien die begehrte Urteilsabschrift am 3. Oktober 1949 an die Finanzprokuratur abgesendet hat, die Zustellung des Urteiles an die Finanzprokuratur am 4. Oktober 1949 daher glaubhaft ist - ein Rückschein ist im Akte nicht vorhanden -, ist die am 3. November 1949 eingebrachte Nichtigkeitsklage als rechtzeitig eingebracht anzusehen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte