Normen
AVG §52
AVG §59 Abs1
BauO Wr §60 Abs1 litd
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021050121.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 17. September 2020 wurde der Revisionswerberin als Bauherrin und Grundeigentümerin gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (BO) die baubehördliche Bewilligung für den von ihr beantragten Gesamtabbruch eines Gebäudes auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien versagt. Das Gebäude sei vor dem zweiten Weltkrieg errichtet worden; im Jahr 1952 sei die im Krieg beschädigte Fassade stark vereinfacht wiederhergestellt worden. Trotz seiner veränderten Gestaltung behalte das Gebäude seine Rolle als Abschluss einer Gebäudezeile aus der Gründerzeit. An seiner Erhaltung bestehe infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild ein öffentliches Interesse gemäß § 60 Abs. 1 lit. d BO.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) die von der Revisionswerberin gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ‑ nach Beiziehung einer Amtssachverständigen für Architektur und Stadtgestaltung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 60 Abs. 1 lit. d BO als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, das Gebäude sei vor dem 1. Jänner 1945 errichtet worden; die Einreichpläne würden aus dem Jahr 1905 stammen. Im Jahr 1952 sei die Wiederherstellung der kriegsgeschädigten Fassade baubehördlich bewilligt worden. Dabei seien gegenüber den ursprünglichen Einreichplänen der Dekor vereinfacht sowie Zierelemente an den Gesimsen und die Attika über dem Eckrisalit entfernt worden. Das Erscheinungsbild mit dieser vereinfachten Fassade weise das Gebäude noch heute auf. Aufgrund seiner Proportionen und seiner Bauform stelle es einen Teil eines näher beschriebenen Ensembles in der S. Straße dar. Der baukulturelle Eigenwert des Gebäudes sei aufgrund der vereinfachten Fassadengestaltung nicht besonders hoch. Es sei aber nach wie vor eindeutig als Teil einer gründerzeitlichen Gruppe zu erkennen, der im Betrachtungsbereich eine das Stadtbild prägende Wirkung zukomme. Als Betonung und Rahmung des gründerzeitlichen Blocks komme dem Gebäude ein Stellenwert zu. Im Fall des Abbruchs des Bauwerkes würden dessen beschriebene Wirkungen im Stadtbild wegfallen, weil eine Lücke entstehen und der architektonische Abschluss des Ensembles in der S. Straße fehlen würde. Der Bauzustand des Gebäudes sei nicht derart schlecht, dass eine Instandsetzung technisch unmöglich wäre oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden könnte.
4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 60 Abs. 1 lit. d BO in der anzuwendenden Fassung sei u.a. der Abbruch von Gebäuden, die vor dem 1. Jänner 1945 errichtet wurden, bewilligungspflichtig, wenn gemäß § 62a Abs. 5a BO der Anzeige des Abbruchs keine Bestätigung des Magistrats angeschlossen sei, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe. Eine Bestätigung gemäß § 62a Abs. 5a BO liege nicht vor, sodass der begehrte Abbruch der Bewilligungspflicht nach § 60 Abs. 1 lit. d BO unterliege. Für Gebäude, die vor dem 1. Jänner 1945 errichtet wurden, dürfe die Abbruchbewilligung nur dann erteilt werden, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe oder sein Bauzustand derart schlecht sei, dass die Instandsetzung technisch unmöglich sei oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden könne. Aufgrund der festgestellten Wirkung des Gebäudes im örtlichen Stadtbild bestehe ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Bauwerkes. Die rechtliche Beurteilung, ob ein solches öffentliches Interesse bestehe, habe nur anhand des heutigen Erscheinungsbildes zu erfolgen. Auf einen historischen Vergleich des nunmehrigen Erscheinungsbildes des Gebäudes mit einem früheren Erscheinungsbild ‑ wie etwa vor der Wiederherstellung aufgrund von Kriegsschäden ‑ komme es nicht an.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Juni 2021, E 1977/2021‑5, ab.
6 Gegen das angefochtene Erkenntnis richtet sich auch die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit u.a. vorbringt, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob vom Schutzzweck des § 60 Abs. 1 lit. d BO auch Gebäude erfasst seien, die zwar vor 1945 als gründerzeitlich in Erscheinung tretende Häuser errichtet worden seien, jedoch nach 1945 ihre charakteristische gründerzeitliche äußere Erscheinung „zum größten Teil“ verloren hätten.
7 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, die Revision kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist mangels Rechtsprechung zur Frage, ob vom Schutzzweck des § 60 Abs. 1 lit. d BO auch vor dem 1. Jänner 1945 errichtete Gebäude, die jedoch nach 1945 ihre charakteristisch gründerzeitliche äußere Erscheinung zum Teil verloren haben, erfasst sind, zulässig. Im Ergebnis ist sie auch begründet.
9 Die hier relevanten Bestimmungen der Bauordnung für Wien (BO), LGBl. Nr. 11/1930 in der für das angefochtene Erkenntnis maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 69/2018, lauten auszugsweise:
„Ansuchen um Baubewilligung
§ 60.
(1) Bei folgenden Bauvorhaben ist, soweit nicht die §§ 62, 62a, 70a oder 70b zur Anwendung kommen, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken:
[...]
d) Der Abbruch von Bauwerken in Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre sowie der Abbruch von Gebäuden, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, wenn der Anzeige des Abbruchs gemäß § 62a Abs. 5a keine Bestätigung des Magistrats angeschlossen ist, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht. Für Bauwerke in Schutzzonen und Gebäude, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, darf die Abbruchbewilligung nur erteilt werden, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden kann.
[...]
Bewilligungsfreie Bauvorhaben
§ 62a.
[...]
(5a) Der Abbruch von Bauwerken in Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre sowie der Abbruch von Gebäuden, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, ist spätestens vier Wochen vor dem geplanten Beginn der Arbeiten der Behörde vom Bauherrn schriftlich anzuzeigen. Der Anzeige ist eine Bestätigung des Magistrats anzuschließen, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht. Nach Vorlage einer solchen Bestätigung darf mit dem Abbruch begonnen werden.
[...]“
10 Die Revision macht zusammengefasst geltend, die Änderung der Bestimmung des § 60 Abs. 1 lit. d BO durch die Novelle LGBl Nr. 37/2018 hätte vor Augen gehabt, einen historischen, vor 1945 errichteten, Baubestand in Verbindung mit dessen historischem gründerzeitlichen Erscheinungsbild zu schützen. Daraus ergebe sich auch der Schutzzweck der Norm. Ein Gebäude, welches mit einer stark vereinfachten Gestaltung nach 1945 in Erscheinung trete, sei vom Schutzzweck der Bestimmung nicht erfasst. Auch sei das Abstellen auf ein „Mindestmaß“ an gemeinsamen Charakteristika nicht ausreichend, um von einem historischen Ensemble ausgehen zu können, das geschützt werden solle. Das Verwaltungsgericht berücksichtige weiters nicht, dass bei Abbruch des Gebäudes keine Lücke bleiben würde, sondern ein Neubauvorhaben geplant sei, welches das Stadtbild positiv beeinflussen würde. Es müsste eine Gesamtbeurteilung des Projekts (Abbruch und Neubau) vorgenommen werden. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht über einen Tatbestand abgesprochen, der von der Revisionswerberin nicht geltend gemacht worden sei, indem es Feststellungen zur (mangelnden) technischen und wirtschaftlichen Abbruchreife getroffen habe.
11 Dem Revisionsverfahren liegt ein Bewilligungsverfahren nach § 60 Abs. 1 lit. d BO zu Grunde. Eine Bestätigung des Magistrats gemäß § 62a Abs. 5a leg. cit. liegt unstrittig nicht vor. § 60 Abs. 1 lit. d BO verlangt für die Zulässigkeit des Abbruchs eines vor dem 1. Jänner 1945 errichteten Gebäudes, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder die ‑ hier vorerst nicht zu thematisierende ‑ technische oder wirtschaftliche Abbruchreife gegeben ist. Im Revisionsfall ist folglich eine Auseinandersetzung mit der Frage notwendig, ob ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Bauwerkes durch seine Wirkung auf das örtliche Stadtbild besteht oder nicht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, ist dabei nicht auf das historische Erscheinungsbild abzustellen, sondern auf das aktuelle Erscheinungsbild im Zeitpunkt des Bewilligungsverfahrens nach § 60 Abs. 1 lit. d BO. Wenn das Gebäude nach 1945 rechtmäßig eine Änderung erfahren hat, ist diese daher zu berücksichtigen, um die Wirkung auf das örtliche Stadtbild unter Einbeziehung dieser Änderung zu beurteilen. Eine Einbeziehung von Änderungen am Gebäude in die Prüfung der Wirkung auf das Stadtbild erlaubt es, das Ausmaß der Veränderung zu berücksichtigen. Erfolgten solche Umgestaltungen in einer Weise, dass das Gebäude auf das örtliche Stadtbild keine schützenswerte Wirkung mehr entfaltet, ist der Abbruch zu bewilligen. Wurden die Änderungen jedoch in einer Weise durchgeführt, die dem Gebäude weiterhin ein öffentliches Interesse an seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild zukommen lässt, ist der Abbruch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu bewilligen. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass das konkrete Gebäude trotz der Veränderungen nach 1945 weiterhin schützenswert sein kann, ist daher nicht zu beanstanden.
12 Der Gesetzgeber stellt dabei nach dem Wortlaut des Gesetzes auf die genannte „Wirkung auf das örtliche Stadtbild“ eines Gebäudes ab, die zu dessen Erhaltungswürdigkeit führen soll; die Beurteilung, ob an der Erhaltung eines Gebäudes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht, hat dabei regelmäßig auf der Grundlage des Gutachtens eines einschlägig ausgebildeten Sachverständigen zu erfolgen (vgl. VwGH 2.2.1993, 92/05/0274, und auch 11.12.2019, Ra 2017/05/0257). Unter Ortsbild bzw. Stadtbild versteht man in erster Linie die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles, gleichgültig, ob nun die Betrachtung von innen oder von einem Standpunkt außerhalb des Ortes erfolgt. Geprägt wird dieses Ortsbild grundsätzlich von den baulichen Anlagen eines Ortes selbst. Der Schutz des Stadtbildes ist somit mit den baulichen Anlagen eines Ortes untrennbar verbunden (vgl. VwGH 24.10.2017, Ra 2016/06/0012, mit Verweis u.a. zur BO auf VwGH 20.9.2005, 2004/05/0121). Die von der Revisionswerberin vertretene Rechtsansicht, wonach das Gebäude und dessen stadtbildliche Wirkung ausschließlich isoliert auf der Ebene des Einzelobjektes betrachtet werden müssten, ist weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch vom Gesetzeswortlaut „infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild“ gedeckt. Das Verwaltungsgericht hat sich nach Einholung des Gutachtens einer Amtssachverständigen für Architektur und Stadtgestaltung zutreffend auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung gestützt, wonach jenes Gebiet miteinzubeziehen ist, das für das maßgebliche Erscheinungsbild des Ortes oder Ortsteiles von Bedeutung ist (vgl. VwGH 21.7.2005, 2005/05/0119; 20.9.2005, 2004/05/0121, mwN). Entgegen der Argumentation der Revisionswerberin ist daher nicht nur die unmittelbare Wirkung eines Gebäudes im örtlichen Stadtbild relevant, sondern auch dessen mittelbare Wirkung. Die Berücksichtigung der Wirkung des Bauwerkes als Eckgebäude eines architektonischen Ensembles erfolgte somit zu Recht.
13 Das von der Revisionswerberin ebenfalls in Kritik gezogene Abstellen auf ein Mindestmaß an gemeinsamer Charakteristik im Stadtbild entspricht ebenso der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 30.4.2009, 2006/05/0258, mwN, und jüngst VwGH 3.10.2022, Ra 2022/06/0097). Auch ein bereits einigermaßen durch störende Eingriffe beeinträchtigtes Ortsbild ist noch schützenswert, sofern es überhaupt noch vorhanden ist (vgl. wiederum VwGH 30.4.2009, 2006/05/0258, mwN; s. auch erneut VwGH 21.7.2005, 2005/05/0119).
14 Dass im Rahmen des Verfahrens über den Antrag auf Abbruchbewilligung nicht auf eine mögliche positive Wirkung des projektierten Neubaus auf das örtliche Stadtbild abgestellt werden kann, entspricht ebenso der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Bei einem Bewilligungsverfahren nach der BO handelt es sich stets um ein Projektgenehmigungsverfahren, in dem das in den Einreichplänen und sonstigen Unterlagen dargestellte Projekt zu beurteilen ist (vgl. etwa VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0030, mwN). Dieses ist im konkreten Fall ein Abbruchvorhaben und nicht das separat eingereichte Neubauvorhaben. Soweit in der Revision verfassungsrechtliche Bedenken gegen die anzuwendenden Normen geäußert werden, ist darauf zu verweisen, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde der Revisionswerberin gegen das gegenständliche Erkenntnis mit dem bereits erwähnten Beschluss vom 25. Juni 2021, E 1977/2021‑5, abgelehnt hat.
15 Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gebäudes aufgrund seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild wurde vom Verwaltungsgericht daher zu Recht bejaht. Die Revisionswerberin zeigt damit insoweit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.
16 Mit ihrem weiteren Revisionsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe über einen Tatbestand abgesprochen, der nicht von der Revisionswerberin beantragt worden und somit nicht verfahrensgegenständlich gewesen sei, zeigt die Revision eine Rechtswidrigkeit auf:
17 Zunächst ist zu klären, was „Sache“ des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens war, um beurteilen zu können, ob das Verwaltungsgericht seine Prüfbefugnis überschritten hat.
18 Nach § 60 Abs. 1 BO ist bei bestimmten Bauvorhaben, soweit nicht die §§ 62, 62a, 70 a oder 70 b zur Anwendung kommen, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken. Darunter fällt gemäß lit. d leg. cit. auch der gegenständliche Antrag auf Abbruch. In einem antragsbedürftigen Verwaltungsverfahren bestimmt in erster Linie der Antragsteller, was Gegenstand des Verfahrens ist; der Antrag legt fest, was Sache des Genehmigungsverfahrens ist (vgl. VwGH 30.5.2017, Ro 2017/07/0008, mwN). Aus der Antragsbedürftigkeit der Baubewilligung folgt, dass die Baubehörde über das Parteibegehren, wie es sich aus dem Ansuchen, den Plänen, der Baubeschreibung etc. ergibt, abzusprechen hat (vgl. VwGH 4.5.2020, Ra 2019/05/0291; 30.7.2019, Ra 2018/05/0190; 28.9.2010, 2007/05/0287).
19 Fraglich ist nun aber, worauf sich der verfahrenseinleitende Antrag konkret gestützt hat. Der Antrag der Revisionswerberin an die belangte Behörde lautete „Ansuchen um Abbruch gemäß § 60(1)d ‑ Abbruch eines Wohn und Geschäftshauses“. Beigelegt war dem Antrag das Privatsachverständigengutachten eines Architekten und Ziviltechnikers zur Beurteilung der Wirkung des Gebäudes auf das öffentliche Stadtbild.
20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Dabei kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. VwGH 14.1.2022, Ra 2020/10/0082, mwN). Der Antrag der Revisionswerberin war erkennbar nur auf den ersten Tatbestand des § 60 Abs. 1 lit. d BO gerichtet, denn zur Begründung ihres Antrages auf Abbruch legte sie ausschließlich ein Gutachten zur Wirkung des Gebäudes auf das örtliche Stadtbild, nicht jedoch zu dessen Bauzustand, bei.
21 In einem weiteren Schritt stellt sich die Frage, ob ein solch „eingeschränkter“ Antrag nach § 60 Abs. 1 lit. d BO zulässig ist. § 60 Abs. 1 lit. d BO nennt als Gründe, die einen Abbruch möglich machen, drei Alternativen (kein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild; Bauzustand derart schlecht, dass Instandsetzung technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar). Hinweise auf eine „Untrennbarkeit“ des Verfahrensgegenstandes „Antrag auf Abbruch gemäß § 60 Abs. 1 lit. d BO“ lassen sich dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen (vgl. dazu etwa VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0156). Zieht man die Zulässigkeit eines Teilbescheides als Kriterium für die Frage der Trennbarkeit eines Verfahrensgegenstandes heran, hat der Verwaltungsgerichtshof zu § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG bereits als Voraussetzung festgehalten, dass jeder der getrennten Bescheidpunkte für sich allein und ohne inneren Zusammenhang mit anderen Punkten einem gesonderten Abspruch zugänglich ist. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn ein Bescheidpunkt die notwendige Grundlage (Vorstufe) für den weiteren Bescheidinhalt darstellt (vgl. etwa VwGH 20.12.2005, 2004/05/0317, und 3.2.2022, Ra 2021/09/0230). Die Entscheidung über jeden der Punkte muss ohne Einfluss auf die Entscheidung über alle anderen Punkte sein, sodass jeder Punkt als Hauptfrage für sich entschieden werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rn. 103 ff und die dort angeführte Judikatur). Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Die Behörde kann über ein Abbruchansuchen wegen Verneinung eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild entscheiden, ohne dass die Entscheidung von Einfluss auf ein Abbruchverfahren wegen seines Bauzustandes ist. Die drei in § 60 Abs. 1 lit. d BO genannten Alternativen sind daher gleichrangig. Die Bestimmung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, von einem untrennbaren Verfahrensgegenstand auszugehen. Damit konnte die belangte Behörde zu Recht davon ausgehen, dass die Einschränkung des Antrags auf den ersten Tatbestand des § 60 Abs. 1 lit. d BO zulässig und dieser Tatbestand allein Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war.
22 Vor diesem Hintergrund ist der Bescheid der belangten Behörde vom 17. September 2020 zu betrachten, nach dessen Spruch gemäß § 70 BO „die baubehördliche Bewilligung für den am 5. Mai 2020 beantragten Gesamtabbruch des Wohngebäudes auf der im Betreff angeführten Liegenschaft versagt“ wurde. Aus dem Spruch selbst lässt sich der Gegenstand des Bescheides nicht mit hinreichender Klarheit erkennen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Bescheid objektiv seinem Wortlaut nach auszulegen (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2015/06/0053, mwN); Spruch und Begründung bilden eine Einheit. In diesem Sinn ist die Begründung zur Auslegung eines allenfalls unklaren Spruches heranzuziehen (vgl. etwa VwGH 12.4.2021, Ra 2019/06/0118, mwN, und zu alldem VwGH 10.11.2022, Ra 2022/06/0079). Die belangte Behörde schränkte hier in ihrem Spruch nicht auf die Thematik „örtliches Stadtbild“ ein, nahm darin aber Bezug auf den konkreten Antrag. In der Begründung des Bescheides thematisierte sie nur die Wirkung des Gebäudes auf das örtliche Stadtbild, nicht jedoch seinen Bauzustand, und stellte in ihrer inhaltlichen Prüfung ausschließlich auf die beiden Gutachten zum Stadtbild ab. Aus Spruch samt Begründung geht folglich hervor, dass die Behörde über den von der Revisionswerberin (nur) auf Abbruch mangels öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Bauwerkes gestützten Antrag abgesprochen hat, auch wenn dies durch den allgemein gehaltenen Spruch erst im Zusammenhalt mit der Begründung des Bescheides klar ersichtlich wird und der geprüfte Tatbestand im Interesse der Rechtsklarheit bereits aus dem Spruch selbst hervorgehen sollte.
23 Auch die Beschwerde stellt lediglich auf die Frage der Wirkung des Bauwerkes auf das örtliche Stadtbild ab. Das Verwaltungsgericht erteilte der Amtssachverständigen einen Gutachtensergänzungsauftrag zu architektonisch‑stadtgestalterischen Fragestellungen und erörterte die Gutachten in der Verhandlung. Zum Gegenstand der Verhandlung gab die Revisionswerberin durch ihre anwaltliche Vertretung zu Protokoll, „(d)er Bauzustand des Gebäudes, also die wirtschaftliche und technische Abbruchreife, ist im gegenständlichen Verfahren kein Thema. Diesbezüglich haben wir den Zustand des Gebäudes noch nicht genau überprüft. Im gegenständlichen Verfahren wird die wirtschaftliche und technische Abbruchreife nicht geltend gemacht.“
24 Im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses ergänzte das Verwaltungsgericht die im angefochtenen Bescheid angeführten Rechtsgrundlagen um „§ 28 Abs. 1 und 2 (...) VwGVG (...) iVm § 60 Abs. 1 lit. d (...) BO“. Aus diesem (weiterhin) unklaren Spruch ist unter Berücksichtigung der in den Entscheidungsgründen auch zum Bauzustand getroffenen Feststellungen und Rechtsausführungen zu schließen, dass das Verwaltungsgericht ‑ anders als die belangte Behörde ‑ über alle Alternativtatbestände des § 60 Abs. 1 lit. d BO absprechen wollte, das heißt auch über die den Bauzustand betreffenden Tatbestände der technischen Unmöglichkeit oder wirtschaftlichen Unzumutbarkeit einer Instandsetzung.
25 Der Verwaltungsgerichtshof verneint zwar in ständiger Rechtsprechung eine strenge Bindung der Verwaltungsgerichte an die in der Beschwerde enthaltenen Gründe (vgl. Forster/Pichler in Köhler/Brandtner/Schmelz, VwGVG, § 27 Rn. 23 ff und die dort dargestellte Rechtsprechung des VwGH, insbesondere VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; aus der jüngeren Rechtsprechung vgl. etwa erneut VwGH 3.2.2022, Ra 2021/09/0230, mwN). Die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte ist aber keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides. Maßgeblicher Abgrenzungspunkt ist nicht die Beschwerde, sondern die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht, „deren äußerster Rahmen durch jene Angelegenheit begrenzt wird, die den Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheides gebildet hat“ (vgl. wiederum Forster/Pichler in Köhler/Brandtner/Schmelz, VwGVG, § 27 Rn. 26 f und die dort dargestellte Rechtsprechung des VwGH; vgl. auch wiederum VwGH 3.2.2022, Ra 2021/09/0230, mwN).
26 Wie oben dargestellt, sprach die belangte Behörde über den von der Revisionswerberin ‑ zulässigerweise, siehe oben Rn. 21 ‑ nur auf Abbruch mangels öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Bauwerkes gestützten Antrag ab. Zutreffend zeigt die Revision auf, dass von der Revisionswerberin eine technische oder wirtschaftliche Abbruchreife des Gebäudes in keinem Verfahrensstadium vorgebracht wurde und sie sich zu keiner Zeit auf diese Tatbestände des § 60 Abs. 1 lit. d BO gestützt hat. Sie wurden daher nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Das Verwaltungsgericht hat verkannt, dass es mit einer Entscheidung über sämtliche Alternativen des § 60 Abs. 1 lit. d BO die durch den behördlichen Bescheid festgelegte Verwaltungssache überschreitet, was seine Entscheidung ‑ bezogen auf den Umfang der Anfechtung ‑ im Sinn des § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274 mit Verweis auf VwGH 1.9.2017, Ra 2016/03/0055).
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. April 2023
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