Normen
AVG §63 Abs3
BauO Tir 2018 §6 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §9
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021060223.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 668/1, KG I. (in der Folge: Baugrundstück) und beantragte mit Eingabe vom 24. September 2019 die Erteilung einer Baubewilligung für ein näher beschriebenes Bauvorhaben („Neubau Lager und Garage sowie Neubau von Sicht- und Stützwänden“) auf diesem Grundstück. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2019 erteilte die belangte Behörde dem Revisionswerber die begehrte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte, deren Grundstück (Nr. .101, KG I) an jenes des Revisionswerbers angrenzt, Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol (in der Folge: LVwG), in der sie die Aufhebung des Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde begehrte.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG dieser Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, wies das Bauansuchen ab (1.) und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (2.).
3 Begründend führte das LVwG ‑ soweit vorliegend relevant ‑ zusammengefasst aus, die zwischen dem Baugrundstück und dem südlich davon gelegenen Grundstück Nr. 666, KG. I., geplante Absturzsicherung befinde sich stirnseitig in unmittelbarer Nähe zur gemeinsamen Grundgrenze des Baugrundstückes mit dem Grundstück der Mitbeteiligten (Nr. .101). Das für die Zulässigkeit dieser Absturzsicherung im Mindestabstand zum Grundstück Nr. .101 maßgebliche Geländeniveau sei sowohl auf Seiten des Revisionswerbers als auch auf Seiten der Mitbeteiligten mit 692,78 müA anzusetzen; auf dem Baugrundstück sei das Gelände seit zumindest 1971 unverändert auf diesem Niveau gelegen, auf dem Grundstück .101 verlaufe entlang der gemeinsamen Grundgrenze mit dem Grst. Nr. 666 und dem Baugrundstück eine Brüstungsmauer, die im relevanten Bereich des Zusammentreffens der drei Grundstücke ebenfalls auf einem Gelände mit dieser Höhenlage fuße. Die geplante Absturzsicherung überschreite die gemäß § 6 Abs. 4 lit. d Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) im Mindestabstand zulässige Höhe von 2 m um 0,38 m, weshalb deren Errichtung unzulässig sei. Eine Rechtsverletzung der Mitbeteiligten habe zwar nur im Hinblick auf die Höhe dieser zu errichtenden Absturzsicherung festgestellt werden können, da der Revisionswerber aber eine Teilung, Einschränkung oder Modifizierung des Bauvorhabens nicht gewünscht habe, sei das Bauansuchen spruchgemäß abzuweisen gewesen.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, es sei bei der Ermittlung der zulässigen Höhe der Absturzsicherung von einer anderen als der vom LVwG festgestellten Höhe des Geländes auszugehen; es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob Grundstücksteile geringer Größe [...] hinsichtlich des Geländeniveaus zu berücksichtigen“ seien, „ob Geländeveränderungen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, hinsichtlich der Ermittlung der Geländehöhe jedenfalls unberücksichtigt zu bleiben haben“ und „von welchem höheren anschließenden Gelände auszugehen“ sei, „wenn eine bauliche Anlage an der Grenze zu drei unmittelbar aneinandergrenzenden Grundstücken errichtet werden“ solle. Außerdem habe das LVwG den Beschwerdeantrag überschritten und sei damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 15.12.2021, Ra 2021/05/0203; 8.11.2021, Ra 2021/05/0146; 8.11.2021, Ra 2021/05/0150).
9 Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (vgl. etwa VwGH 2.7.2021, Ra 2019/05/0309; 25.5.2021, Ra 2020/06/0256, jeweils mwN). Fallbezogen hat das LVwG im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit der Errichtung der in Rede stehenden Absturzsicherung im Mindestabstand zum Grundstück der Mitbeteiligten mit ausführlicher Begründung Feststellungen zum Geländeniveau sowohl auf Seiten des Revisionswerbers als auch auf Seiten der Mitbeteiligten getroffen und ist zum Ergebnis gelangt, dass dieses jeweils mit 692,78 müA anzusetzen ist (s. oben Rz 3). Auf dem Baugrundstück sei das Gelände seit zumindest 1971 unverändert auf diesem Niveau gelegen. Diesen Feststellungen tritt der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung nicht konkret entgegen und zeigt insbesondere nicht auf, dass die hier im Einzelfall vorgenommene Beurteilung hinsichtlich des heranzuziehenden Geländeniveaus in einer unvertretbaren, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Weise erfolgt wäre. Die in der Zulässigkeitsbegründung angesprochenen Fragen „ob Grundstücksteile geringer Größe [...] hinsichtlich des Geländeniveaus zu berücksichtigen“ seien, bzw. „ob Geländeveränderungen, die länger als 10 Jahre zurückliegen, hinsichtlich der Ermittlung der Geländehöhe jedenfalls unberücksichtigt zu bleiben haben“ sind damit, abgesehen davon, dass § 6 Abs. 1 TBO 2018 seinem eindeutigen Wortlaut zufolge (vgl. § 6 Abs. 1 Einleitungssatz leg. cit.) (nur) auf den Bauplatz abstellt, nur theoretischer Natur, da sich der Revisionswerber im Zusammenhang mit diesem Vorbringen von den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes entfernt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zuständig (vgl. etwa VwGH 14.4.2021, Ra 2019/06/0167 oder auch den, ebenfalls den Revisionswerber und die Mitbeteiligte betreffenden Beschluss VwGH 23.12.2020, Ra 2019/06/0164, jeweils mwN).
10 Wenn in der Zulässigkeitsbegründung weiters die Frage gestellt wird „von welchem höheren anschließenden Gelände auszugehen“ sei, „wenn eine bauliche Anlage an der Grenze zu drei unmittelbar aneinandergrenzenden Grundstücken errichtet werden“ solle, erweist sich auch diese Frage fallbezogen nicht als entscheidungsrelevant, da es vorliegend nur um die Zulässigkeit der Errichtung der Absturzsicherung im Mindestabstand zum Grundstück der Mitbeteiligten geht und außerdem, wie bereits gesagt, § 6 Abs. 1 TBO 2018 auf den Bauplatz abstellt.
11 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass er nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern ‑ diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. dazu etwa VwGH 17.12.2020, Ra 2018/06/0139, 4.5.2021, Ra 2021/06/0069 oder auch 30.7.2021, Ra 2021/05/0073, jeweils mwN). Angesichts der konkret vorliegenden, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommenen ausführlichen Begründung des angefochtenen Erkenntnisses in Bezug auf das heranzuziehende Geländeniveau und die im Zusammenhang damit stehende Zulässigkeit der Errichtung der projektierten Absturzsicherung wirft das Zulässigkeitsvorbringen der Revision weder über den Einzelfall hinausreichende Fragen auf, noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass dem LVwG eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.
12 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung weiters gerügt wird, die Mitbeteiligte habe in ihrer Beschwerde die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit der belangten Behörde beantragt; indem das LVwG das Bauansuchen abgewiesen habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 63 Abs. 3 AVG abgewichen, ist schließlich auf Folgendes hinzuweisen:
13 Der Verwaltungsgerichtshof judizierte zu § 63 Abs. 3 AVG, bei der Auslegung des Begriffs „begründeter Berufungsantrag“ sei kein übertriebener Formalismus anzuwenden. Es sei vielmehr der wesentliche Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lasse, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Daran anknüpfend wurde diese Rechtsprechungslinie auf die Beschwerdebegründung und den Beschwerdeantrag übertragen und festgehalten, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die grundsätzlichen Anforderungen an bei Verwaltungsgerichten eingebrachte Beschwerden gegenüber den Anforderungen des AVG an Berufungen verschärft werden sollten. Demnach genüge es, wenn das vor dem Verwaltungsgericht erhobene Rechtsmittel erkennen lasse, was die Partei anstrebe und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaube (vgl. etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0420, mwN).
14 Einen „innerhalb der Sache des Beschwerdeverfahrens“ gelegenen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht entsprechend dem aus der Beschwerde eindeutig erkennbaren Ziel als Abänderungsantrag zu behandeln (vgl. nochmals VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0420, mwN). Die Einschätzung des LVwG, die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung lägen gegenständlich nicht vor, ist daher auch vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung, wonach ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte festgelegt ist und diesbezügliche Ausnahmen strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken sind (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/01/0027; 14.1.2021, Ra 2020/02/0294; 23.4.2021, Ra 2019/06/0161, jeweils mwN), nicht zu beanstanden.
15 Da der Beschwerdeantrag der Mitbeteiligten innerhalb der Sache des Beschwerdeverfahrens (nämlich der Frage der Erteilung oder Versagung der vom Revisionswerber begehrten Baubewilligung) lag, zeigt die Revision mit dem diesbezüglichen Zulässigkeitsvorbringen kein Abweichen des LVwG von der hg. Rechtsprechung auf; die von der Revision genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 8.10.2014, 2013/10/0262 und 18.2.2010, 2009/07/0050) sind nicht einschlägig.
16 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. Mai 2022
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