VwGH Ra 2016/22/0068

VwGHRa 2016/22/006821.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des Bundesministers für Inneres gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 11. Mai 2016, LVwG 27.20‑1606/2015‑15 (hg. Ra 2016/22/0068) und LVwG 27.20‑1605/2015‑15 (hg. Ra 2016/22/0069), jeweils betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Weiz; mitbeteiligte Parteien: 1. mj. XX (geboren am 17. März 2008) und 2. mj. XY (geboren am 16. September 2014), beide in W, beide vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §58 Abs2
AVG §59 Abs1
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §23 Abs4
NAG 2005 §62
NAG 2005 §69 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016220068.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Die Mitbeteiligten sind die minderjährigen Kinder der B M L C (im Folgenden: Mutter) und des K Y L R (im Folgenden: Vater). Alle sind Staatsangehörige von Guatemala.

1.2. Die Mutter reiste gemeinsam mit der Erstmitbeteiligten auf Grund eines von 3. Juni bis 2. Dezember 2014 gültigen Visums D nach Österreich ein, wo sie am 16. September 2014 den Zweitmitbeteiligten gebar. Am 12. Dezember 2014 stellte die Mutter einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ (Au‑Pair-Kraft) nach § 62 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Die Bezirkshauptmannschaft wies diesen Antrag mit Bescheid vom 15. April 2015 ab. Die Mutter erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

Der Mutter kommt unstrittig die Obsorge über die Mitbeteiligten zu.

1.3. Der Vater hält sich bereits seit dem Jahr 2012 in Österreich auf. Er verfügte zunächst über eine Aufenthaltsbewilligung „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ (Au-Pair-Kraft) nach § 62 NAG und in der Folge über eine Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ nach § 63 NAG.

2.1. Die Erstmitbeteiligte stellte am 23. Jänner 2015, der Zweitmitbeteiligte am 17. März 2015 jeweils einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ nach § 69 Abs. 1 NAG.

2.2. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht (im Folgenden: Behörde) wies die Anträge mit Bescheiden vom 20. und 22. April 2015 (im Ergebnis) ab. Sie führte begründend (unter anderem) aus, nach § 23 Abs. 4 NAG richte sich ein Aufenthaltstitel für die Mitbeteiligten nach jenem der Mutter, zumal eine Obsorgeübertragung an den Vater nicht bescheinigt worden sei. Der Antrag der Mutter auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei aber mit Bescheid vom 15. April 2015 abgewiesen worden, sodass auch den Mitbeteiligten eine Aufenthaltsbewilligung zu versagen sei.

3. Mit Erkenntnis vom 29. März 2016, LVwG 26.20‑1604/2015‑36, gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark der Beschwerde der Mutter gegen den Bescheid vom 15. April 2015 Folge und erteilte dieser die beantragte Aufenthaltsbewilligung für zwölf Monate.

4.1. Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen vom 11. Mai 2016 gab das Verwaltungsgericht ‑ im Hinblick auf die zwischenzeitige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Mutter ‑ den Beschwerden der Mitbeteiligten gegen die Bescheide vom 20. und 22. April 2015 Folge. Es hielt jeweils im Spruch fest, den Mitbeteiligten werde „ein Aufenthaltstitel mit dem Zweckumfang der Familienzusammenführung erteilt, der sich nach dem mit Urteil des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29.03.2016, GZ: LVwG 26.20‑1604/2015‑36, der Mutter [...] erteilten Aufenthaltstitel „[Aufenthaltsbewilligung] Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ als Au‑Pair für zwölf Monate richtet“. In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, nach § 23 Abs. 4 NAG richte sich beim Erstantrag eines Kindes die Art und Dauer des Aufenthaltstitels nach jenem der Mutter; dem Kind sei ein Aufenthaltstitel mit dem Zweckumfang der Familienzusammenführung auszustellen. Vorliegend sei der Mutter mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 29. März 2016 eine Aufenthaltsbewilligung „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ für zwölf Monate erteilt worden. Den Mitbeteiligten sei daher jeweils ein Aufenthaltstitel mit dem Zweckumfang der Familienzusammenführung spruchgemäß auszustellen gewesen, welcher sich insbesondere in Bezug auf die Dauer nach dem Aufenthaltstitel der Mutter richte.

4.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision in Ermangelung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5.1. Gegen diese Erkenntnisse wendet sich die gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B‑VG in Verbindung mit § 3a NAG erhobene außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres (im Folgenden: Revisionswerber).

5.2. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6.1. Der Revisionswerber macht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Es habe in der Sache selbst entschieden und die Aufenthaltstitel konstitutiv erteilt, dabei jedoch verabsäumt, im Spruch den Zweck und die Dauer der Aufenthaltstitel zu bestimmen. So werde nicht genau angeführt, welcher Aufenthaltstitel (für welchen Aufenthaltszweck) erteilt worden sei; die zeitliche Geltungsdauer werde nicht konkretisiert, die einschlägigen Gesetzesnormen würden nicht (vollständig) angeführt. Dem Spruch mangle es daher an der hinreichenden Bestimmtheit.

7.2. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber jedoch keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

8.1. Gemäß § 59 Abs. 1 AVG, der nach § 17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, hat der Spruch (eines Erkenntnisses) die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 2014, Ra 2014/22/0010 bis 0014). Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2016, Ro 2014/03/0079). Wie der Verwaltungsgerichtshof vor allem im Zusammenhang mit der Dauer bzw. dem Zeitraum eines Anspruchs oder einer Pflicht wiederholt hervorgehoben hat (vgl. ‑ im Anschluss an das bereits genannte hg. Erkenntnis Ra 2014/22/0010 bis 0014 ‑ etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0116 bis 0117, und vom 28. Mai 2015, Ra 2015/22/0001), ist (unter anderem) darüber im Spruch eindeutig bestimmbar abzusprechen. Das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit des Spruchs ist auch bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels bei sonstiger Rechtswidrigkeit der Entscheidung zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2016, Ra 2016/22/0063).

8.2. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. in dem Sinn etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 2016, Ro 2014/03/0035, und vom 31. März 2009, 2007/10/0301). So darf etwa neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden, wenn der Spruch als individuelle Norm einer Auslegung bedarf (vgl. etwa VwSlg. 7869 A/1970, uva.). Dabei genügt es, wenn sich aus der Einbeziehung der Begründung in die Auslegung des Spruchs der Inhalt der Entscheidung mit ausreichender Deutlichkeit ergibt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 23. Mai 2017, Ra 2016/05/0122). Auch das Unterbleiben der Anführung von Gesetzesbestimmungen (im Spruch wie ebenso in der Begründung) führt nicht zur Aufhebung eines Bescheids, wenn mit Rücksicht auf die Eindeutigkeit des Gegenstands kein Zweifel darüber bestehen kann, welche Vorschriften seine Grundlage gebildet haben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2011, 2008/21/0411, sowie vom 18. Juni 2014, 2012/08/0187). Nicht zuletzt hängen die Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit stets von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0079 sowie das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, 2001/08/0034).

9. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend ‑ entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ‑ eine vom Verwaltungsgerichtshof als Abweichung von der Rechtsprechung aufzugreifende unzureichende Bestimmtheit der angefochtenen Erkenntnisse nicht ersichtlich.

9.1. Das Verwaltungsgericht hat zwar in den angefochtenen Erkenntnissen den jeweils erteilten Aufenthaltstitel nicht ausdrücklich als Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 NAG bezeichnet. Dies ist jedoch bei Auslegung des Spruchs unter Heranziehung der Entscheidungsgründe im Sinn der oben erörterten Grundsätze unschädlich. Einerseits war der von den Mitbeteiligten gestellte Erstantrag ausdrücklich auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ nach § 69 Abs. 1 NAG gerichtet und hat das Verwaltungsgericht erklärter Maßen unter Abänderung der erstinstanzlichen Bescheide die von den Mitbeteiligten beantragten (und keine anderen) Aufenthaltstitel zuerkannt. Andererseits hat das Verwaltungsgericht im Spruch der angefochtenen Erkenntnisse ohnehin die verba legalia des § 23 Abs. 4 NAG, die zum Teil in der damit eng verbundenen Sonderregelung des § 69 Abs. 1 NAG fortgeschrieben werden, verwendet und sich auch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auf § 23 Abs. 4 NAG berufen. Im Hinblick darauf ergibt sich aber fallbezogen mit ausreichender Deutlichkeit ‑ die gegenteilige Auffassung würde eine unzulässige Überspannung der Anforderungen an die Bestimmtheit bedeuten ‑, dass mit den angefochtenen Erkenntnissen jeweils eine von der Mutter (als Inhaberin einer Aufenthaltsbewilligung nach § 62 NAG) abgeleitete Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 NAG erteilt wurde.

9.2. Was die Dauer der den Mitbeteiligten erteilten Aufenthaltsbewilligung betrifft, so ist in § 23 Abs. 4 NAG ‑ auf den sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich berufen hat und dessen verba legalia es bei der Fassung des Spruchs verwendet hat ‑ festgehalten, dass sich die Dauer des abgeleiteten Aufenthaltstitels eines Kindes nach dem Aufenthaltstitel der Mutter oder eines anderen mit der Pflege und Erziehung betrauten Fremden richtet. In § 69 Abs. 1 NAG wird nochmals hervorgehoben, dass sich „die Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung (...) nach der Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung des Drittstaatsangehörigen“ richtet. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich aber zweifelsfrei, dass die Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 NAG mit jener der Aufenthaltsbewilligung der Zusammenführenden befristet ist.

Wurde daher ‑ wie vorliegend ‑ der Mutter eine Aufenthaltsbewilligung nach § 62 NAG für zwölf Monate erteilt, so ist auch die abgeleitete Aufenthaltsbewilligung der Mitbeteiligten mit diesem Zeitraum begrenzt und endet zeitgleich mit der Aufenthaltsbewilligung der Mutter. Im Hinblick darauf ist aber die Dauer der den Mitbeteiligten erteilten Aufenthaltsbewilligung „Familiengemeinschaft“ gemäß § 69 Abs. 1 NAG hinreichend bestimmbar.

10. Insgesamt wird daher in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, die im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzugreifen wäre. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 21. September 2017

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