Normen
AVG §18 Abs4;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §62 Abs4;
AVG §66 Abs4;
EMRK Art5;
EMRK Art6;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VStG §1;
VStG §16 Abs1;
VStG §16 Abs2;
VStG §19;
VStG §24;
VStG §44a lita;
VStG §44a litb;
VStG §44a litc;
VStG §44a lite;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §44a Z2 impl;
VStG §44a Z3 impl;
VStG §44a Z5 impl;
VStG §48 Abs1 Z4;
VStG §48 Abs1 Z5;
VStG §48 Abs1 Z6;
VStG §6 impl;
VStG §64 Abs1;
VStG §64 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1987180087.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.610,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eferding vom 29. Juli 1986 wurde der Beschwerdeführer unter anderem schuldig erkannt, er habe am 15. September 1985 um ca. 13.30 Uhr auf der Oed in Bergen, Bezirksstraße, von Haibach/D. kommend, in Rich-tung Hartkirchen, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw bei Straßenkilometer 5,6 in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, wobei er der um 14.00 Uhr bei dem genannten Straßenkilometer an ihn ergangenen Aufforderung durch ein besonders geschultes und von der Behörde hiezu ermächtigtes Organ der Straßenaufsicht, die Atemluft auf Alkoholgehalt überprüfen zu lassen, keine Folge geleistet habe. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; nach der zweitgenannten Gesetzesstelle wurde eine Geldstrafe von S 12.000,-- (Ersatzarreststrafe 840 Stunden) verhängt. Ferner wurde wegen einer - nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bildenden - weiteren Verwaltungsübertretung eine Geldstrafe von S 300,-- über den Beschwerdeführer verhängt; die Beiträge zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens wurden mit S 1.200,-- und S 30,-- angeführt. Obwohl die Summe der beiden Geldstrafen und der beiden Kostenbeiträge somit S 13.530,-- betrug, wurde im Straferkenntnis ausgeführt, der zu zahlende Gesamtbetrag betrage S 13.230,--.
Über die Berufung des Beschwerdeführers nur wegen der Übertretung nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVO erkannte die oberösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 12. Mai 1987 wie folgt:
"Die Berufung vom 14. August 1986 wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 im Zusammenhalt mit § 24 VStG 1950 abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis sowohl hinsichtlich des Schuldspruches als auch der verhängten Strafe bestätigt.
Der Berufungswerber hat gemäß § 64 VStG 1950 als Kostenbeitrag zum Berufungsverfahren den Betrag von S 1.200,-- zu leisten."
Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet das Vorliegen der Aufhebungsgründe der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; er führt einerseits einige seiner Argumente unter beiden Beschwerdegründen an und erhebt andererseits einzelne Rügen, die er einem nicht auf sie zutreffenden Aufhebungsgrund unterstellt, was ihm allerdings, die sachliche Rechtfertigung der Aufhebungsgründe vorausgesetzt, nicht schaden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst erweisen sich folgende Rügen als nicht gerechtfertigt:
Das erstinstanzliche Straferkenntnis entspricht entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers dem § 18 Abs. 4, Satz 1 AVG 1950, weil es vom genehmigenden Organ Mag. S eigenhändig unterschrieben ist; der maschinschriftliche Vermerk auf dem Straferkenntnis "Sachbearbeiter Dr. T" bezog sich auf die interne Behördenorganisation (Referent und genehmigendes Organ); dass Dr. T das genehmigende Organ gewesen sei, ergibt sich nicht aus dem Akt.
Das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 2. Juli 1979, Slg. N.F. Nr. 9898/A, hat sich eingehend mit dem Verhältnis des § 5 Abs. 2 zu § 99 Abs. 1 lit. b StVO auseinander gesetzt und als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 die letzterwähnte Bestimmung der Straßenverkehrsordnung erkannt. Die Ansicht des Beschwerdeführers, auch diese Bestimmung verpflichte ihn nicht zu aktivem Tun, nämlich zum Hineinblasen seiner Atemluft in das Prüfröhrchen (vgl. § 1 der Verordnung des Bundesministers für Handel und Wiederaufbau vom 1.1.1961, BGBl. Nr. 3), ist unrichtig, vielmehr besteht nach den genannten Gesetzesstellen die Verpflichtung des Lenkers, bei der Bedienung des Gerätes mitzuwirken (vgl. Erkenntnis vom 27. Jänner 1972, Slg. N.F. Nr. 8156/A).
Die Rechtsansicht, nach Beendigung der Lenkertätigkeit dürfe ein Lenker nicht zur Atemluftprobe aufgefordert werden, ist in dieser Allgemeinheit unrichtig; vielmehr kommt es auf die zwischen der Beendigung der Lenkertätigkeit und der Aufforderung verstrichene Zeit an. Ein Lenker ist solange verpflichtet, bei der Atemluftprobe mitzuwirken, als von der Probe noch ein praktisches Ergebnis zu erwarten ist. Das ist bei einem Zeitabstand vom Ende der Lenkertätigkeit bis zur Aufforderung von ca. 15 bis 20 Minuten, wie er hier gegeben war, mit Sicherheit zu bejahen (vgl. z.B. Erkenntnis vom 19. März 1987, Zl. 86/02/0130 und die darin zitierte weitere Judikatur).
Es trifft zu, dass der Erstbehörde ein - gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950 berichtigbarer - Rechenfehler unterlief, als sie die Summe der vom Beschwerdeführer zu zahlenden Geldstrafen und Kostenbeiträge errechnete. Da dieser Rechnungsfehler zugunsten des Beschwerdeführers wirkt - es wurde fälschlich eine geringere Summe errechnet als sich aus der Summe der Geldstrafen und der Kostenbeiträge ergibt - kann der Beschwerdeführer dadurch nicht beschwert sein.
Es trifft zu, dass die belangte Behörde keinen Ausspruch dahin tat, das erstinstanzliche Straferkenntnis werde im Rahmen seiner Anfechtung auch hinsichtlich der Auferlegung des Kostenbeitrages erster Instanz bestätigt. Dies erwies sich auch als nicht notwendig, da der Kostenbeitrag im Sinne des § 64 Abs. 1 und 2 VStG 1950 einen Annex zur Hauptsache dergestalt darstellt, als er, sofern nicht besonders bekämpft, z.B. als falsch berechnet, als mit der Hauptsache bestätigt anzusehen ist.
Es trifft zu, dass die belangte Behörde zur Begründung der Auferlegung eines Kostenbeitrages zum Berufungsverfahren nur § 64 VStG 1950, ohne Absatzbezeichnung, zitiert hat. Dies begründet wegen Eindeutigkeit der herangezogenen Gesetzesstelle, nämlich Absatz 1 und 2 des § 64 VStG 1950, keinen Verfahrensmangel (vgl. Erkenntnisse vom 13. Jänner 1931, Slg. Nr. 16497/A, vom 10. Jänner 1967, Slg. N.F. Nr. 7051/A).
Ein Recht des Beschuldigten oder seines Vertreters, bei der Beweisaufnahme, insbesondere der Vernehmung von Zeugen, anwesend zu sein und an diese Fragen stellen zu dürfen, besteht im Verwaltungsstrafverfahren nicht (vgl. Erkenntnis vom 22. Dezember 1976, Slg. N.F. Nr. 9212/A). Der Vorbehalt der Republik Österreich zu Art. 5 MRK hinsichtlich der Verwaltungsverfahrensgesetze schließt für die unter diese Gesetze fallenden Verfahren auch die Anwendung des Art. 6 MRK aus (VfSlg. 7814/1976; 8234/1978; 8685/1979; 9158/1981); gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird des näheren auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 8. Mai 1987, Zl. 85/18/0257, verwiesen.
Keine Bestimmung der Verwaltungsverfahrensgesetze verbietet es der Berufungsbehörde, ganz oder teilweise auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zu verweisen, unter der Voraussetzung, dass sich die Berufungsbehörde in genügendem Ausmaß mit dem Rechtsmittelvorbringen auseinandersetzt (vgl. Erkenntnisse vom 27. Juni 1966, Slg. N.F. Nr. 6959/A; vom 24. Oktober 1985, Zl. 83/06/0258). Inwieweit das im vorliegenden Fall erfolgt ist, wird noch zu erörtern sein.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass der in der Begründung des angefochtenen Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Diese Regelung schließt keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind aber solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8619/A). Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, dass z.B. eine den Beschwerdeführer belastende Darstellung und nicht dessen Verantwortung den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner eingeschränkten Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).
Insofern der Beschwerdeführer an mehreren Stellen seiner Beschwerde versucht, die Beweiswürdigung der Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens schlechthin und ohne Hinweis auf bestimmte Verfahrensmängel zu bekämpfen, ist er auf diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen.
Mit Recht rügt allerdings der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid hinsichtlich dreier unterlaufener Verfahrensmängel, von denen zwei die Frage der Schuld und einer die Frage der Strafe betreffen.
Der Beschwerdeführer hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Ausforschung und Vernehmung jenes Rot-Kreuz-Fahrers beantragt, der laut Gendarmerieanzeige und laut Zeugenaussage des Gendarmerierevierinspektors W noch vor dem Eintreffen des Gendarmeriebeamten am Unfallsort war und den Beschwerdeführer bereits zum Einsteigen in das Rettungsauto veranlasst hatte. Der angefochtene Bescheid begründete die Unterlassung der Vernehmung dieses Rot-Kreuz-Fahrers erstens damit, es sei auf eventuelle Zustandsänderungen nach Beendigung der Amtshandlung nicht einzugehen. Sofern damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, der Rot-Kreuz-Fahrer sei nach Beendigung der Amtshandlung - Aufforderung zur Atemluftprobe - eingetroffen, stünde diese Annahme in unlösbarem Widerspruch zum aufgezeigten Akteninhalt. Die weiter gegebene Begründung für die Unterlassung dieser Beweisaufnahme geht dahin, dieser Zeuge sei wohl nicht dazu in der Lage, den Zustand des Beschwerdeführers aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Auch diese Begründung ist nicht schlüssig, hatten doch die Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens keine Bedenken dagegen, die medizinischen Laien K und M L über genau dieselben Umstände zu vernehmen und aus deren Bekundungen auch Schlüsse zu ziehen. Schließlich läuft das dritte von der belangten Behörde gebrauchte Argument, das Verhalten des Beschwerdeführers sei bereits von den Zeugen L, W und Dr. M geschildert worden, auf eine vorwegnehmende, somit diesbezüglich unzulässige (vgl. Erkenntnisse vom 20. November 1948, Slg. N.F. Nr. 587/A; vom 25. November 1983, Zl. 81/02/0388) Beweiswürdigung hinaus, nämlich auf die Annahme, der Rot-Kreuz-Fahrer werde nicht anders aussagen als die bisher vernommenen Zeugen.
Nachdem die Berufungsbehörde ihren Amtssachverständigen Dr. N zweimal und ihre weitere Amtssachverständige Dr. K einmal (jeweils schriftlich) hatte Stellung nehmen lassen, beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10. April 1987 unter Bezugnahme auf das schon früher vorgelegte Privatgutachten des Dr. M, ein "psychologisches Gutachten" einzuholen, wobei er im Schriftsatz aus dem Privatgutachten den Schluss zog, es seien beim Beschwerdeführer "massive vegetative Begleiterscheinungen bis hin zu Bewusstseinseinengungen verschiedenen Grades und bis zu psychogenen Lähmungen und Sprachstörungen" vorgelegen. Die belangte Behörde hat in ihrer Begründung nicht dargelegt, warum sie diesem Beweisantrag nicht gefolgt ist. Das würde allerdings dann keinen Verfahrensmangel bedeuten, wenn sich aus dem Akteninhalt die Überflüssigkeit dieses Beweisantrages ergäbe. Dies kann aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht mit Sicherheit gesagt werden. Dr. M, praktischer Arzt aus A, war nach dem Lenker des Rot-Kreuz-Kraftwagens und offenbar - siehe die Zeugenaussage des Revierinspektors W - auch nach dem Gendarmeriebeamten am Unfallsort eingetroffen. In seiner Zeugenaussage vom 28. Jänner 1986 sprach Dr. M einerseits davon, der Beschwerdeführer habe sich in einem Schockzustand, ausgelöst durch den Unfall mit schwerem Sachschaden, befunden; dadurch, dass sich der Beschwerdeführer einer Atemluftprobe habe unterziehen sollen, sei der Schockzustand verstärkt worden. Andererseits habe der Beschwerdeführer gegenüber dem Arzt nicht über Schmerzen im Brustbereich geklagt. Damals an Ort und Stelle habe er, Dr. M, gegen eine Durchführung einer Atemluftprobe keine Bedenken gehabt und dies auf Frage des Gendarmeriebeamten auch gesagt. Da der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers sich verschlechtert habe, habe er ihn nach ca. 5 Minuten mit dem Rot-Kreuz-Auto in das Allgemeine Krankenhaus Linz transportieren lassen. Die Verschlechterung des Zustandes habe sich in schlechter Ansprechbarkeit und sichtbarem Schwindel beim Beschwerdeführer geäußert.
Als vom Beschwerdeführer herangezogener Privatgutachter verfasste dieser selbe Dr. M am 2. März 1987 ein Schriftstück, welches als Grundlage seine eigenen Wahrnehmungen am Tatort zur Tatzeit und die Akteneinsicht nannte. In diesem Schriftstück wird behauptet, aus dem Unfallsschock des Beschwerdeführers habe sich sofort ein hysterisches Zustandsbild mit Überreaktion und Verkrampfung besonders der Brustmuskulatur entwickelt, ferner sei eine Bewusstseinstrübung mit leichtem Tremor aufgetreten und habe die logische Schlussfähigkeit gemangelt. Der Eintritt eines derartigen Zustandes könne auch durch Reizung einer hysterogenen Zone, z.B. durch Druck auf den Bereich unterhalb des Schlüsselbeines oder durch Druck auf die Brust (allenfalls durch den Sicherheitsgurt) verursacht worden sein. Der Eintritt und der Verlauf des hysterischen Anfalles könne vom Wachbewusstsein nicht kontrolliert werden, sodass dem Beschwerdeführer sein Nichtentsprechen hinsichtlich der Aufforderung zur Atemluftprobe nicht vorgeworfen werden könne.
Die Amtssachverständige der belangten Behörde, Dr. K, äußerte sich am 31. März 1987 zu diesem Privatgutachten unter anderem dahin, durch eine Schreckreaktion könnten mitunter massive vegetative Begleiterscheinungen bishin zu Bewusstseinseinengungen verschiedenen Grades ausgelöst werden. Die Behauptung (ergänze: Dris. M), dass sich aus dem Unfallsschock sofort ein hysterisches Zustandsbild entwickelt habe, könne nicht "aufrechterhalten werden" - richtig wohl: bestätigt werden. Es stimme, dass ein hysterischer Charakter affektlabil sei und dass die hysterischen Beschwerden bis zu psychogenen Lähmungen und Sprachstörungen führen könnten. Reagiere jedoch ein Mensch nach einem Unfall mit nur Sachschaden mit einem hysterischen Anfall, so sei grundsätzlich seine Fahrtauglichkeit in Frage zu steilen, denn das hysterische Syndrom komme bei Psychopathien und bei abnormen Persönlichkeiten zur Geltung, die ihrerseits einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen seien.
Dieses Gutachten hat nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Angaben Dris. M nicht widerlegt. Die Amtssachverständige scheint übersehen zu haben, dass es vorliegendenfalls nicht um die Beurteilung einer Fahrtauglichkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 StVO oder der geistigen und körperlichen Eignung zur Erteilung einer Lenkerberechtigung im Sinne des § 64 Abs. 2 des Kraftfahrgesetzes 1967 geht, sondern um die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers im Sinne des § 99 Abs. 1 lit. b StVO. Dass die aus medizinischen Gründen bestehende Unfähigkeit, die Atemluftprobe abzulegen, einen Mangel an Tatbestand darstellt, entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Erkenntnisse vom 16. September 1981, Zl. 81/03/0045, vom 15. Februar 1984, Zl. 83/03/0130).
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, dass das Privatgutachten Dris. M unter keiner von den Verwaltungsverfahrensgesetzen oder dem Strafgesetzbuch ausgehenden Wahrheitssanktion erstattet wurde - allerdings handelte Dr. M unter disziplinarrechtlicher Sanktion seiner ärztlichen Standesvertretung. Der Inhalt des Privatgutachtens ist auch, für den Laien erkenntlich, nicht derart unsinnig oder in sich widerspruchsvoll, dass es keine Bedenken gegen die Annahmen der Amtssachverständigen, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit durchaus in der Lage gewesen, der Aufforderung zur Atemluftprobe zu entsprechen, erwecken könnte.
Aus diesen Gründen hätte sich die belangte Behörde mit dem Inhalt dieses Privatgutachtens auseinander setzen müssen; hätte sie Zweifel an der Wahrheitsliebe Dris. M gehabt, so hätte sie ihn als sachverständigen Zeugen vernehmen müssen. Wären ihr die medizinischen Darlegungen des Dris. M unbegründet oder unklar erschienen, so hätte sie sich eines Sachverständigen - wohl nicht aus dem Fache der Psychologie, sondern der Psychiatrie - bedienen müssen, um die aus den Darlegungen Dris. M sich ergebenden Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens der Amtssachverständigen zu zerstreuen. In der Unterlassung eines solchen Vorgehens liegt ein weiterer Verfahrensmangel.
Aber auch der Strafausspruch erscheint mit folgendem Verfahrensmangel behaftet:
Zu Recht behauptet der Beschwerdeführer, die über ihn verhängte Geldstrafe erreiche nur 40 %, die verhängte Ersatzarreststrafe aber ungefähr 83 % des gesetzlichen Höchstrahmens. Es entspricht zwar der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. Erkenntnis vom 22. September 1955, Slg. N.F. Nr. 3825/A; vom 17. Juni 1983, Zl. 83/02/0010), dass Geldstrafe und Ersatzarreststrafe nicht nach einem festen Umrechnungsschlüssel zu bemessen sind und dass es auch zulässig ist, die Geldstrafe mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse und die Sorgepflichten des Täters - allenfalls im Berufungsverfahren - herabzusetzen, ohne die Ersatzarreststrafe niedriger zu bemessen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist für ein solches Vorgehen dann, wenn zwischen der Höhe der verhängten Geldstrafe und der angedrohten Ersatzarreststrafe ein erheblicher, nach dem Verhältnis zur Höchststrafe zu bemessender Unterschied besteht - im vorliegenden Fall ein Unterschied über 100 % - eine Begründung erforderlich (vgl. Erkenntnis vom 27. November 1979, Zl. 2554/79). An einer solchen Begründung mangelte es aber sowohl im erstinstanzlichen Straferkenntnis als auch im angefochtenen Bescheid. Eine Nachholung einer fehlenden Begründung erst in der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift, wie dies die belangte Behörde am 2. Oktober 1987 versuchte, ist ungenügend (vgl. Erkenntnisse vom 22. Juni 1973, Zl. 628/73, vom 10. September 1980, Zl. 2244/79).
Durch die oben aufgezeigten Verfahrensmängel hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ihr Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren an Stempelmarken war abzuweisen, weil für die Beschwerde in zweifacher Ausfertigung, für die aus drei Bogen bestehende Beilage und für die nur in beglaubigter Abschrift vorgelegte Vollmacht insgesamt nur S 340,-- an Stempelmarken zuzusprechen waren.
Wien, am 5. November 1987
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