VwGH 83/02/0010

VwGH83/02/001017.6.1983

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Degischer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberrat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger, über die Beschwerde des A Z in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. November 1982, Zl. I/7-St-K-80 320, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

VStG §16 Abs1;
VStG §19;
VStG §16 Abs1;
VStG §19;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 29. Oktober 1980 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 26. Mai 1980 um 21.06 Uhr in Schwechat auf der Bundesstraße B 9 bei der Einmündung der Mannswörther Straße als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws ein Verbotszeichen "erlaubte Höchstgeschwindigkeit 70 km/h" nicht beachtet, indem er dort eine wesentlich höhere Fahrgeschwindigkeit innegehabt habe; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 52 Z. 10 a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a dieses Gesetzes begangen; nach der letztgenannten Gesetzesstelle wurde eine Geldstrafe von S 600,-- (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) verhängt. In der Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer gebe an, dass er wegen der Rot zeigenden Ampel die Fahrgeschwindigkeit verlangsamt habe, es möge aber sein, dass die Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen sich noch langsamer fortbewegt habe als der Beschwerdeführer auf dem linken Fahrstreifen. Wegen der vor ihm fahrenden Kolonne habe der Beschwerdeführer keine Fahrgeschwindigkeit über 70 km/h erreichen können. Dazu werde bemerkt, dass der anzeigende Polizeibeamte während der Annäherung, der Vorbeifahrt und des Entfernens des Fahrzeuges des Beschwerdeführers die Geschwindigkeit mit ca. 110 km/h geschätzt habe, dies auf einer Wegstrecke von ca. 200 m. Auf Grund dieser Wahrnehmung sei die Übertretung erwiesen.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung , beharrte der Beschwerdeführer auf seiner Ansicht, er habe die am Tatort erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten. Er berief sich erstmals auf zwei Zeugen, die in einem Pkw Marke Fiat vor ihm zur Tatzeit am Tatort gefahren seien.

Die Berufungsbehörde veranlasste die Vernehmung des Meldungslegers als Zeugen, welcher auch eine Skizze beibrachte, ferner die Vernehmung des J und der H K als Zeugen, und ließ den Beschwerdeführer ergänzend als Beschuldigten vernehmen.

Mit Bescheid vom 10. November 1982 gab die Niederösterreichische Landesregierung der Berufung keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsstrafverfahrens ausgeführt, der Meldungsleger habe als Zeuge die Angaben seiner Anzeige bestätigt und eine maßstabgetreue Skizze des Tatortes vorgelegt. Darnach habe er von seinem Standort aus das Herannahen des Fahrzeuges des Beschwerdeführers aus einer Entfernung von etwa 150 m beobachten können, nach dem Passieren seines Standortes habe er das Fahrzeug noch etwa 50 m beobachten können. Zwar bestätigten die Zeugen J und H K die Angaben des Beschwerdeführers, wonach dieser den linken Fahrstreifen benützt habe, wonach Kolonnenverkehr geherrscht und die Ampel bei der Annäherung des Beschwerdeführers Rot gezeigt habe, darnach habe der Beschwerdeführer die Fahrgeschwindigkeit verringert und kurz darauf wieder beschleunigt, als die Ampel Grün gezeigt habe. Die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers hätte somit im Ampelbereich etwa 70 km/h betragen. Diese beiden Zeugenaussagen stünden in Widerspruch zur Angabe des Meldungslegers, sie vermöchten letztere nicht zu entkräften. Einerseits seien J und H K Bekannte des Beschwerdeführers, die als solche bestrebt seien, eine für den Beschwerdeführer möglichst günstige Aussage zu machen. Andererseits sei es denkbar, dass diese Bekannten die zulässige Höchstgeschwindigkeit durchaus eingehalten hätten, der Beschwerdeführer aber mit seinem Fahrzeug aus irgendeinem Grunde vom Fahrzeug der K weiter entfernt gewesen sei und durch erhöhte Geschwindigkeit versucht habe, den Abstand zu verringern. Nach den Lebenserfahrungen sei es einem vorausfahrenden Fahrzeuglenker nicht möglich, die Geschwindigkeit eines hinter ihm fahrenden, aufschließenden Fahrzeuges zu schätzen. Demnach sei erwiesen, dass der Beschwerdeführer zur Tatzeit am Tatort die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten habe. Der geschulte Beamte der Straßenaufsicht sei in der Lage, die Fahrgeschwindigkeit vorbeifahrender Fahrzeuge zu schätzen. Die Überschreitung habe mehr als 25 % der zulässigen Geschwindigkeit betragen. Der Meldungsleger stehe als Zeuge unter strafrechtlicher Sanktion, der Beschwerdeführer könne sich verantworten, wie er wolle. Daher sei der Tatbestand als erwiesen anzunehmen; der Beschwerdeführer habe zumindest grob fahrlässig gehandelt. Es folgen Erwägungen zur Strafbemessung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG 1965 gebildeten Senat erwogen:

Die erhobene Rechtsrüge dahin, die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz habe eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, die in einem Missverhältnis zur Geldstrafe stehe, ist nicht gerechtfertigt, da im Verwaltungsstrafrecht die für den Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe festzusetzende Arreststrafe nicht nach einem festen Umrechnungsschlüssel zu bemessen ist. Die Behörden sind vielmehr berechtigt, die Geldstrafe mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse und die Sorgepflicht des Täters sowohl herabzusetzen, ohne die Ersatzarreststrafe niedriger zu bemessen, als auch die primäre Geldstrafe und die subsidiäre Arreststrafe in einem Verhältnis festzusetzen, welches nicht einer aus dem Verhältnis der Höchststrafe errechneten Schlüsselzahl entspricht. (Erkenntnisse vom 22. September 1955, Slg. N.F. Nr. 3825/A; vom 14. Dezember 1973, Zl. 933/72; vom 25. Februar 1983, Zl. 82/02/0224.)

Die erhobene Verfahrensrüge ist hingegen gerechtfertigt.

Der Berufungswerber brachte zulässigerweise in seiner Berufung die Neuerung vor, unmittelbar vor seinem Pkw sei ein Pkw der Marke Fiat gefahren, in dem sich J und H K befunden hätten, diese hätten Wahrnehmungen über die gefahrene Geschwindigkeit gemacht. Nun hat die Berufungsbehörde wohl die Vernehmung dieser beiden Zeugen veranlasst, ließ aber den Meldungsleger M S nicht zu diesen neuen Erhebungsergebnissen Stellung nehmen, das heißt, man befragte ihn nicht darüber, ob er Wahrnehmungen über ein vor dem Fahrzeug des Beschwerdeführers fahrendes Fahrzeug, allenfalls der Marke Fiat, gemacht habe, insbesondere über die Geschwindigkeit beider Fahrzeuge.

Gemäß § 25 Abs. 2 VStG 1950 sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.

Es widerspricht diesem Grundsatz, dass die Entlastungsbeweise wohl aufgenommen werden, aber in keiner Weise versucht wird, ihren Widerspruch mit den belastenden Beweisen zu klären, im vorliegenden Fall also, den Meldungsleger zu den Zeugenaussagen K zu befragen. Die Berufungsbehörde hat sich damit begnügt, einerseits auf das Naheverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und den Zeugen K zu verweisen, und andererseits die - nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht näher untermauerte - Erfahrungsthese aufzustellen, es sei nicht möglich, die Geschwindigkeit eines hinterherfahrenden aufschließenden Fahrzeuges zu schätzen.

Gerade die letzterwähnte These findet in den Zeugenaussagen K keine Stütze, weil weder J noch H K aussagten, der Beschwerdeführer habe hinter ihnen aufgeschlossen im Sinne einer Verringerung des Abstandes beider Fahrzeuge. Vielmehr sagten J und H K übereinstimmend aus, J K habe zunächst seine Fahrgeschwindigkeit verringert und dann wieder beschleunigt, der Beschwerdeführer sei etwa mit derselben Geschwindigkeit hinter ihm gefahren. Es ist daher unerfindlich, woher die belangte Behörde ihre Annahme "vom Aufschließen des Beschwerdeführers" nimmt.

Durch diese Unterlassungen und Unschlüssigkeiten hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2. lit. c Z. 3 VwGG 1965 aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 2 lit. a, 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 17. Juni 1983

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