BVwG I425 2306122-1

BVwGI425 2306122-120.1.2025

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2025:I425.2306122.1.00

 

Spruch:

I425 2306122-1/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Philipp RAFFL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2024, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Marokkos, wurde am 01.09.2024 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Personskontrolle im Bundesgebiet aufgegriffen und infolge seines unrechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 03.09.2024 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendeten Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet und in der Folge ein Verfahren zu Erlangung eines Heimreisezertifikates eingeleitet.

Mit Bescheid des BFA vom 05.09.2024 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbot erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Marokko festgestellt. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Mit Bescheid des BFA vom 30.10.2024 wurde gegen den Beschwerdeführer erneut die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendeten Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Am 19.11.2024 teilte die marokkanische Botschaft Wien dem BFA mit, dass der Beschwerdeführer als marokkanischer Staatsbürger unter den im Spruch genannten Identitätsdaten identifiziert worden sei. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde zugesichert und eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Marokko für den 20.12.2024 anberaumt.

Am 30.11.2024 stellte der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Schubhaft den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner am selben Tag stattfindenden Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er im Wesentlichen an, seinen Herkunftsstaat Marokko vor neun Monaten auf Grundlage eines gültigen Visums mit dem Flugzeug nach Italien verlassen zu haben. Im Anschluss daran habe er sich für etwa vier Monate bei seiner Tante in Turin aufgehalten und sich als Erntehelfer verdingt. Sein Visum sei von Oktober 2023 bis Jänner 2024 gültig gewesen, nach dessen Ablauf sei er jedoch nicht mehr nach Marokko zurückgekehrt. Er wolle nunmehr wieder nach Italien zurück, bei seiner Tante befinde sich auch sein Reisepass. Er habe Marokko verlassen, da er es dort nicht mehr ausgehalten und sich nicht wohlgefühlt habe. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, von unbekannten Personen umgebracht zu werden.

Nach erfolgter Prognoseentscheidung wurde mit Aktenvermerk des BFA vom 30.11.2024 festgestellt, dass Gründe zur Annahme bestehen würden, dass der Beschwerdeführer den Asylantrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt habe und dass die Anhaltung in Schubhaft daher aufrecht bleibe.

Am 09.12.2024 wurde der Beschwerdeführer anlässlich seines verfahrensgegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er im Wesentlichen an, Marokko aus wirtschaftlichen Gründen – zur Arbeitssuche – verlassen zu haben. Seine in Italien lebende Tante habe ihm das Visum besorgt und die Reisekosten bezahlt. Er sei in Marokko niemals persönlich verfolgt oder bedroht worden und habe auch niemals Probleme mit den Behörden seines Herkunftsstaates gehabt. Er wolle jedoch nicht nach Marokko zurückkehren, sondern wieder nach Italien reisen.

Am 17.12.2024 wurde der Beschwerdeführer noch ein weiteres Mal niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hiebei gab er im Wesentlichen an, dass sich seit seiner letzten Einvernahme nichts geändert habe, er halte seine Angaben vom 09.12.2024 aufrecht und wolle nichts abändern. Jedoch wolle er nach wie vor nach Italien, nicht nach Marokko.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.12.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und Z 6 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft gemacht habe und eine wie auch immer geartete Rückkehrgefährdung in Bezug auf seine Person verneint.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 15.01.2025 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Ergänzend wurde hierbei erstmalig vorgebracht, dass der Beschwerdeführer in Marokko als Gemüseverkäufer tätig gewesen und sein Marktstand regelmäßig von der Polizei verwüstet und sein Gemüse weggeworfen worden sei.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2025 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatangehöriger von Marokko, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Er leidet an keiner schweren Gesundheitsbeeinträchtigung und ist erwerbsfähig. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , einer Stadt in der Nähe des Atlantischen Ozeans im Süden Marokkos, wo er bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen drei Geschwistern bei seinen Eltern gelebt hat. Der Vater des Beschwerdeführers ist Berufssoldat in der marokkanischen Armee, seine Brüder arbeiten in der Landwirtschaft, ebenso wie sich der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft sowie als Gemüseverkäufer verdingte. Der Beschwerdeführer steht in wöchentlichem telefonischen Kontakt zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsstaat.

Im Herbst 2023 reiste der Beschwerdeführer legal auf Grundlage eines zuvor eingeholten Visums und unter Verwendung seines marokkanischen Reisepasses auf dem Luftweg von Marokko nach Italien aus, wo er bei einer Tante – die ihn bei der Einholung des Visums sowie den Reisekosten unterstützte – in Turin Unterkunft nahm und als Erntehelfer arbeitete. Nach Ablauf seines Visums im Jänner 2024 reiste er jedoch nicht mehr nach Marokko zurück, sondern verblieb unrechtmäßig in Italien. Am 01.09.2024 wurde er im Zuge einer fremdenpolizeilichen Personskontrolle im Bundesgebiet aufgegriffen und infolge seines unrechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen und über ihn die Schubhaft angeordnet, von wo aus er am 30.11.2024 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

In Österreich ist der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist in Marokko nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung oder einer Verfolgung durch Dritte ausgesetzt. Vielmehr hat er seinen Herkunftsstaat verlassen, da er seine wirtschaftliche Situation unbefriedigend empfand.

Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Marokko einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt ist. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Gemäß § 1 Z 9 HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung) gilt Marokko als sicherer Herkunftsstaat.

Zur aktuellen Lage in Marokko werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Marokko ist eine islamisch legitimierte Monarchie mit konstitutionellen und demokratischen Elementen. Die zentralen politischen Vorrechte und die Führung des Landes liegen bei König Mohammed VI. (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Die Verfassung und die informelle Praxis verleihen dem König einen überwältigenden Einfluss auf die politischen Angelegenheiten, einschließlich der Regierungsbildung. Nach den Verfassungsreformen von 2011 ist der König verpflichtet, den Premierminister aus der Partei zu ernennen, die bei den Parlamentswahlen die meisten Sitze erhält (ÖB Rabat 7.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Die Reformen behielten jedoch fast alle bestehenden Befugnisse des Königs bei. Der Monarch kann die Legislative auflösen, per Dekret regieren und Kabinettsmitglieder entlassen oder ernennen (FH 25.4.2024a). Die neue Verfassung bezeichnet den König als Staatsoberhaupt, obersten Repräsentanten, Symbol der Einheit der Nation, Garant für den Fortbestand und die Kontinuität des Staates und obersten Schiedsrichter sowie als "Befehlshaber der Gläubigen", womit eine Spezifikation und Trennung seiner Funktionen vorgenommen wird (ÖB Rabat 7.2024).

Das Parlament wird explizit als eine der drei Staatsgewalten und nicht mehr lediglich als Staatsorgan bezeichnet. Die Vorrechte des Parlaments in Bezug auf die Gesetzgebung, die Kontrolle und die Bewertung der öffentlichen Politik wurden gestärkt. So verfügt das Parlament nun über das Recht, die Verfassung auch ohne Referendum zu ändern. Außerdem wurden Regeln zur Arbeitsweise der Parlamentarier eingeführt, wie das Verbot, nach der Wahl die Partei zu wechseln und Anwesenheitspflichten. Eine Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein ist erkennbar (ÖB Rabat 7.2024). Dennoch halten König Mohammed VI. und sein Palast die volle Dominanz durch eine Kombination aus beträchtlichen formalen Befugnissen, informellen Einflusslinien in Staat und Gesellschaft und Eigentum an wichtigen wirtschaftlichen Ressourcen. Viele bürgerliche Freiheiten sind in der Praxis eingeschränkt (FH 25.4.2024a).

Die Parlaments- und Kommunalwahlen 2021 markierten einen erdrutschartigen, aber nicht unerwarteten parlamentarischen Niedergang des politischen Islam – teils durch schlechte Performance der konservativ-islamischen PJD (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) in der Regierung, aber auch durch eine erfolgreiche und innovative Kampagne des jetzigen Regierungschefs Aziz Akhannouch. Seine liberal-konservative Koalition aus RNI-PAM-Istiqlal verfügt mit 270 von 395 Sitzen über eine 2/3-Mehrheit. Faktisch handelt es sich – mit Ausnahme der drei Parteiführer – um eine palastnahe Expertenregierung. Der Regierungskoalition steht nach dem Absturz der PJD keine substantiell starke Opposition im Parlament mehr gegenüber (AA 7.6.2024).

Die Judikative wird in der Verfassung 2011 als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist dennoch vergleichsweise wenig ausgebildet. Es besteht eine Diskrepanz zwischen den Gesetzen, die häufig Grauzonen zulassen, und der gelebten sozialen Realität (ÖB Rabat 7.2024).

Im März 2015 wurde eine neue Einteilung des Staatsgebiets in 12 Regionen (inklusive Festlegungen der Präfekturen und Provinzen) vorgenommen, wobei die am wenigsten entwickelten Ortschaften in die wirtschaftlich stabileren Regionen integriert wurden (ÖB Rabat 7.2024). Auch der von Marokko kontrollierte Teil der Westsahara ist Bestandteil dieser Verwaltungsstrukturen (AA 7.6.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 14.3.2024; vgl. FD 14.3.2024). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 14.3.2024). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 12.7.2024; vgl. BMEIA 12.7.2024). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 12.7.2024; vgl. FD 14.3.2024, BMEIA 12.7.2024); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 12.7.2024; vgl. BMEIA 12.7.2024). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/ Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte (BMEIA 12.7.2024).

Im Rif-Gebirge können Spannungen und Demonstrationen nicht ausgeschlossen werden. Es kann zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in die lokale Drogenproduktion und den Drogenhandel involviert sind (EDA 14.3.2024; vgl. AA 12.7.2024).

Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).

Streiks und Demonstrationen, vor allem in den Großstädten, sind jederzeit möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden. In den betroffenen Gebieten kann es zu Straßenblockaden kommen (EDA 14.3.2024; vgl. AA 12.7.2024). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 12.7.2024).

Das französische Außenministerium ruft im Süden an der Grenze zu Algerien zu verstärkter Wachsamkeit auf, wie auch beim Durchqueren der Westsahara. Bestimmte Gebiete sind immer noch vermint (FD 14.3.2024). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 12.7.2024; vgl. EDA 14.3.2024). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Die Lage in der Westsahara ist gespannt. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 14.3.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.7.2024): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content_4 , Zugriff 12.7.2024

 BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (12.7.2024): Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko , Zugriff 12.7.2024

 EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.3.2024): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html#eda46c907 , Zugriff 12.7.2024

 FD - Frankreich Diplomatie - Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères [Frankreich] (14.3.2024): Maroc - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#securite , Zugriff 14.3.2024

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektierte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht immer (USDOS 23.4.2024). In der Praxis unterliegt die Justiz jedoch weiterhin dem Einfluss der Exekutive und ist an die Interessen der Monarchie gebunden (BS 19.3.2024; vgl. FH 25.4.2024a), u.a. durch die Ausweitung der Zuständigkeit der Militärgerichte auf Zivilisten (ÖB Rabat 7.2024). Zudem wird diese Unabhängigkeit durch Korruption (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024, FH 25.4.2024a) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 25.4.2024a; vgl.BS 19.3.2024). Marokko bekennt sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, allerdings weist das Justizsystem Schwächen (mangelnde Unabhängigkeit der Richter, ausstehende Modernisierung der Justizverwaltung, bedenkliche Korruptionsanfälligkeit) auf. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wird von staatlichen und nicht staatlichen Einrichtungen überwacht bzw. kritisch beobachtet (AA 7.6.2024).

Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerorganisationen (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Art. 107ff.) zurück. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt - Oberster Justizrat) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 7.6.2024).

Seit Jänner 2023 ist das neue Gesetz Nr. 38.15 über die Gerichtsorganisation in Kraft. Wichtige Neuerungen sind die Verkündung von Urteilen zu Terminen, die den Parteien bekannt sein müssen, die Implementierung von Schlichtungs- und Vermittlungsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, die Regelung zu abweichenden Meinungen einzelner Richterinnen und Richter, die neue Rolle von „Sozialhilfebüros“ oder auch die Bezeichnung der Gerichte. Zu den Aufgaben der "Sozialhilfebüros" gehören die juristische Orientierung und Begleitung bestimmter hilfsbedürftiger Gruppen, die Durchführung von sozialen Untersuchungen, die Vermittlung und Schlichtung von Fällen, Inspektionsbesuche in Haftanstalten, die Überwachung und Vollstreckung von Sanktionen und gerichtlichen Maßnahmen sowie die Betreuung von Opfern von Verbrechen, insbesondere von Frauen (ÖB Rabat 7.2024).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 7.6.2024). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich. NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam (garde à vue) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz wurde noch nicht verabschiedet (AA 7.6.2024).

Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird (FH 25.4.2024a). Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt, und Verteidiger stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen auf Hindernisse (USDOS 23.4.2024). Nach der Strafprozessordnung hat ein Angeklagter das Recht, nach 24 Stunden Polizeigewahrsam einen Anwalt zu kontaktieren, was auf 36 Stunden verlängert werden kann (USDOS 23.4.2024). NGOs kritisieren, dass Beschuldigte zu Geständnissen gedrängt werden (AA 7.6.2024).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z. B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt und Beschuldigte zu Geständnissen gedrängt werden. König Mohammed VI. ordnet zu religiösen und staatlichen Anlässen regelmäßig Amnestien und den Erlass von Reststrafen an. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden erstmals auch Hirak-Aktivisten berücksichtigt. 2023 wurden knapp 3.205 Häftlinge begnadigt, darunter auch einige Hirak-Häftlinge (AA 7.6.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium (CIA 9.5.2024). Die Forces Auxiliaires sind eine paramilitärische Formation unter Führung des Innenministeriums (ÖB Rabat 7.2024), sie unterstützen die Gendarmerie und die Nationalpolizei, umfassen das Mobile Interventionskorps, eine motorisierte paramilitärische Sicherheitstruppe, die das Militär und die Polizei bei Bedarf ergänzt. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (CIA 9.5.2024; AA 7.6.2024). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED (Direction Générale des Etudes et de Documentation) und den Inlandsdienst DGST (Direction Générale de la Surveillance du Territoire). 2015 kam es mit der Gründung des Bureau central d’investigation judiciaire (BCIJ), zu einer Stärkung der Schlagkraft des Polizeiapparats. Das BCIJ wurde zu einer auf Terrorismusbekämpfung und andere schwerer Delikte spezialisierte Organisationseinheit der Polizei aufgestellt, die besser ausgebildet und besser ausgerüstet ist. Anders als die Kriminalpolizei untersteht das BCIJ dem Inlandsgeheimdienst DGST (AA 7.6.2024; vgl. ÖB Rabat 7.2024). Zeitgleich wurde der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Abdellatif Hammouchi in Personalunion an die Spitze der DGSN – Direction Générale de la Sûreté Nationale berufen. Typisch für das marokkanische politische System ist, dass die Weisungskette der Polizeidienste an der Regierung vorbei unmittelbar zur Staatsspitze führt (ÖB Rabat 7.2024).

Es kommt mitunter zu Gewaltanwendungen durch die Sicherheitskräfte, aber die Ermittlungen gegen Polizei und Sicherheitskräfte sind nicht transparent und es kommt häufig zu langen Verzögerungen und verfahrenstechnischen Hindernissen, die zur Straffreiheit beitragen. Die Regierung verlangt von neuen Polizeibeamten eine von zivilgesellschaftlichen Gruppen geleitete Sicherheits- und Menschenrechtsschulung (USDOS 23.4.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (9.5.2024): CIA - Central Intelligence Agency, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/morocco/#military-and-security , Zugriff 13.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung (Art. 22) und das Gesetz verbieten Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024, AA 7.6.2024). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet (AA 7.6.2024). Aber es gibt nach wie vor glaubwürdige Berichte von übermäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei und von Folter im Gewahrsam (FH 25.4.2024a; vgl. USDOS 23.4.2024). Ferner kommt es auch zu Anwendung exzessiver Gewalt durch die Behörden, wenn diese genehmigte wie auch nicht genehmigte Proteste auflösen (FH 25.4.2024a; vgl. USDOS 23.4.2024, BS 19.3.2024). Gemäß Amnesty International misshandelten und folterten die Behörden einige Personen, die als Kritiker wahrgenommen wurden (AI 24.4.2024). NGOs berichten über die Anwendung solcher Methoden um Geständnisse zu erzwingen (BS 19.3.2024). Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt, Fehlverhalten einzelner Personen und mangelnde Ahndung in Fällen von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte werden indes sehr wohl – dies auch regelmäßig in den Medien – thematisiert (AA 7.6.2024).

Im April 2023 hielten Polizeibeamte willkürlich einen Sahraoui in Laayoune fest, nachdem dieser sich als stolzer Sahraoui und Befürworter für die Selbstbestimmung seines Volkes äußerte und in einem Video eines spanischen Touristen zu sehen war. Die Beamten bedrohten, folterten und misshandelten ihn (AI 24.4.2024).

Im Zuge des Besuches des Gesandten des UN-Generalsekretärs für die Westsahara, Staffan De Mistura im September 2023, lösten Ordnungskräfte eine friedliche Demonstration in Laayoune gewaltsam auf. Die Beamten griffen mindestens 23 saharauische Demonstranten körperlich und verbal an. Am 7.9.2023 nahmen Ordnungskräfte in Dakhla mindestens vier saharauische Aktivisten willkürlich fest und hielten sie sieben Stunden lang in der Polizeistation fest und hinderten sie daran, den Gesandten des UN-Generalsekretärs zu treffen. Am 21.10.2023 hinderten Ordnungskräfte die saharauische Menschenrechtsorganisation CODESA (Kollektiv der saharauischen Menschenrechtsverteidiger) daran, ihren ersten nationalen Kongress in Laayoune abzuhalten. Gemäß Amnesty International, kam es zu körperlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte (AI 24.4.2024).

Staatliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erhielten Berichte über die Misshandlung von Personen in Gewahrsam. Bei der Staatsanwaltschaft gingen in der ersten Jahreshälfte 2023 sechs Beschwerden über Folter und 47 Beschwerden wegen übermäßige Gewalt ein. Zwei Beschwerden wurden strafrechtlich verfolgt, 22 wurden abgeschlossen, und in 23 Fällen liefen die Ermittlungen weiter (Stand: September, letzte verfügbare Information am Jahresende). Die Regierung machte keine Angaben darüber, wie viele Beamte wegen übermäßiger Gewaltanwendung strafrechtlich verfolgt wurden (USDOS 23.4.2024).

Der Nationale Menschenrechtsrat, der Conseil National des Droits de l'Homme (CNDH) ist die in der Verfassung verankerte nationale Menschenrechtsinstitution des Landes und arbeitete unabhängig von der Regierung. Nach Angaben der Global Alliance of National Human Rights Institutions (Globale Allianz der nationalen Menschenrechtsinstitutionen) wurde die CNDH aus öffentlichen Mitteln finanziert und arbeitete im Einklang mit den Pariser Grundsätzen. Die CNDH diente als Überwachungsmechanismus des Landes zur Verhinderung von Folter. Sie beaufsichtigte auch das Nationale Institut für Menschenrechtsschulung, das in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen Schulungen für die Zivilgesellschaft, die Medien, die Strafverfolgungsbehörden, medizinisches Personal, Pädagogen und Juristen durchführte (USDOS 23.4.2024). Laut CNDH wurden im Jahr 2021 mehr als 20 Untersuchungen wegen Beschwerden über Folter oder erniedrigende Behandlung eingeleitet. In einigen Fällen versäumten es die Behörden, die Anti-Folter-Bestimmungen durchzusetzen, die eine medizinische Untersuchung vorschreiben, wenn Gefangene Foltervorwürfe erheben. Der Sicherheitsapparat ist nach wie vor weitgehend nicht rechenschaftspflichtig, da gegen Beamte nur selten wegen willkürlicher Inhaftierung oder Folter ermittelt wird (BS 19.3.2024). Unter der Schirmherrschaft des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter (NPMT) organisierte die CNDH Schulungen mit der Polizei, um auf der Grundlage von Menschenrechten Methoden bei der Ausübung der polizeilichen Pflichten zu verbessern und zu fördern (USDOS 23.4.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Morocco/Western Sahara 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2108009.html , Zugriff 31.5.2024

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Korruption

Korruption stellt ein Problem dar (USDOS 23.4.2024). In Marokko gilt Korruption als endemisch und durchdringt die gesamte Gesellschaft, da unzureichende Kontrollmechanismen das Auftreten von Korruption selbst auf höchster Ebene nicht eindämmen können, zudem fördert eine ineffiziente Strafverfolgung die Korruption weiter. Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Beamte vor, die in korrupte Praktiken verwickelt sind (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024), aber die Regierung setzt das Gesetz nicht wirksam um (USDOS 23.4.2024; vgl. BS 19.3.2024), was zu Straffreiheit führt (BS 19.3.2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Beamtinnen und Beamten wegen Korruption erfolgt selten (AA 7.6.2024). Es gibt immer wieder Berichte über Korruption in der Regierung (USDOS 23.4.2024). Hochrangige Beamte und Behörden neigen dazu, sich der Rechenschaftspflicht bei Korruptionsskandalen zu entziehen. Die Korruption ist in den staatlichen Institutionen, in der Exekutive, der Justiz und der Legislative zu finden (BS 19.3.2024), ferner ist Korruption auch in der Wirtschaft und im täglichen Leben weit verbreitet (FH 25.4.2024a). Die Regierung erklärte, dass sie gegen Polizeibeamte ermittelt, die der Korruption beschuldigt werden (USDOS 23.4.2024).

Das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung wurde 2021 verabschiedet (BS 19.3.2024), und das Parlament bemühte sich um eine Stärkung der nationalen Antikorruptionsbehörde (AA 7.6.2024). Trotz der offiziellen Rhetorik zur Korruptionsbekämpfung haben der Palast und die Regierung eine gemischte Bilanz bei der Durchsetzung der Gesetze vorzuweisen, und die Fortschritte wurden durch einen Mangel an politischem Willen, geringe institutionelle Kapazitäten und den Einfluss von Eliten, die vom Status quo profitieren, gebremst (FH 25.4.2024a).

Das Parlament erweiterte 2021 die Definition von Korruption (FH 25.4.2024a). Diese erhielt stärkere Untersuchungsrechte und arbeitet nun mit einer weiter gefassten Definition von Korruption (AA 7.6.2024). Mit dem Gesetz wurde die Definition von Korruption auf Interessenkonflikte, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Korruption in öffentlichen Verwaltungen und Behörden ausgeweitet. Es gibt jedoch keine eindeutigen Hinweise darauf, dass der politische Wille zur wirksamen Bekämpfung der Korruption vorhanden ist. Der Nationale Korruptionsbekämpfungsausschuss, der für die Leitung des nationalen Plans zur Korruptionsbekämpfung zuständig ist, kann Korruptionsvorwürfen nicht nachgehen (BS 19.3.2024). Das Parlament gab der Antikorruptionsbehörde größere Ermittlungsbefugnisse; die Ergebnisse dieser Reform bleiben abzuwarten (FH 25.4.2024a).

Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern (EU, Europarat, EU-Mitgliedstaaten) soll die Justiz effizienter, unabhängiger und weniger korruptionsanfällig gemacht werden. Noch liegt sie allerdings in ihrer Unabhängigkeit und Bindung an Recht und Gesetz hinter den in der Verfassung normierten Ansprüchen (Art. 107ff.) zurück (AA 7.6.2024).

2022 wurde Marokko zusammen mit Katar und Mauretanien in "Qatargate" verwickelt - die Anwerbung und Bestechung eines Mitglieds des Europäischen Parlaments, Pier Antonio Panzeri, um politische Debatten in Straßburg zu beeinflussen (FH 25.4.2024a).

Im April 2023 verhaftete die Regierung Mohamed Moubdill, den Vorsitzenden des Gemeinderats der Stadt Fkih Bensalah, den Parlamentsabgeordneten und Mitglied der Partei der Volksbewegung, unter anderem wegen Korruption. Moubdill blieb bis Ende des Jahres in Untersuchungshaft (USDOS 23.4.2024).

Gegenüber dem Vorjahr war 2023 in Marokko keine Veränderung der Korruption zu verzeichnen (Laenderdaten 7.2024; vgl. TI 6.2023). Somit belegt Marokko auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2023 den 97. von insgesamt 180 Plätzen (TI 6.2023). Marokko scheint eine langfristige Vision und ein ernsthafter politischer Wille zur Korruptionsbekämpfung zu fehlen (BS 19.3.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 Laenderdaten - Laenderdaten.info (7.2024): Ausmaß der öffentlichen Korruption in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/korruption.php , Zugriff 24.9.2024

 TI - Transparency International (6.2023): CPI Morocco, https://www.transparency.org/en/countries/morocco , Zugriff 24.9.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Es gibt in Marokko eine lebendige und aktive Zivilgesellschaft mit nationalen und internationalen NGOs (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 23.4.2024), die bei Beachtung der „roten Linien“ [Anm.: Kritik an König, Islam oder territorialer Einheit (Westsahara)] unbehelligt agieren kann (AA 7.6.2024). Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft dar (ÖB Rabat 7.2024); die 30.000 bis 50.000 Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) haben mit praktischen Hindernissen zu kämpfen, insbesondere diejenigen, die sich mit Menschenrechtsfragen befassen (BS 19.3.2024). Sie sind rechtlichen Schikanen, Reisebeschränkungen, aufdringlicher Überwachung und anderen Behinderungen in ihrer Arbeit ausgesetzt (FH 25.4.2024a; vgl. BS 19.3.2024). Die Behörden verweigern regelmäßig NGOs die Registrierung, die Verbindungen zu Justice and Charity [Anm.: Islamistische Bewegung, vom Staat grundsätzlich toleriert aber illegal] haben oder sich für die Rechte marginalisierter Gemeinschaften einsetzen (FH 25.4.2024a; vgl. AA 7.6.2024). Ohne schriftliche Eingangsbestätigung ist ihre Arbeit nicht legal (AA 7.6.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Auf lokaler Ebene kämpfen zivilgesellschaftliche Akteure darum, ihre Unabhängigkeit vom Staat oder von politischen Parteien zu wahren. Sie sind meist auf öffentliche Mittel angewiesen, was es ihnen erschwert, ihre ursprünglichen Ziele zugunsten der Agenda ihrer Geldgeber zu verteidigen (BS 19.3.2024).

Die Haltung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen divergiert, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensibilität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024). Human Rights Watch (HRW) ist nach einer Aufforderung der Regierung, ihre Aktivitäten in Marokko und der Westsahara einzustellen, nicht mehr akkreditiert (AA 7.6.2024). Seit 2015 ist auch Amnesty International die Durchführung von Recherchen in Marokko untersagt (FH 25.4.2024a). NGOs berichten von willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, und Freedom House meldet den "weit verbreiteten" Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung (USDOS 23.4.2024).

NGOs müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen, für sie gilt das Vereinsrecht. Ohne schriftliche Eingangsbestätigung (Genehmigung) ist die Arbeit von NGOs nicht legal, und ohne offizielle Registrierung haben NGOs keinen Zugang zu staatlicher Förderung und auch nicht das Recht, Spenden anzunehmen. Ausländische Zuwendungen müssen gemeldet werden, was bei Missachtung zur Auflösung der NGO führen kann. Bei Überschreitung der „roten Linien“ kann wegen „Nichtregistrierung“ vorgegangen werden (AA 7.6.2024). Diese rechtlichen Schikanen der Behörden behindern die Arbeit der NGOs, bzw. hat sich dies im Laufe der Jahre verschlechtert. Einigen NGOs wird der Rechtsstatus oder der Zugang zu öffentlichen Mitteln verweigert. Manchmal wird NGOs die Registrierung verweigert und ihre Veranstaltungen werden abgesagt, wenn sie als Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen werden (BS 19.3.2024). Und auch die Arbeit der größten unabhängigen Menschenrechtsguppe des Landes, die Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte (Association Marocaine des Droits Humains = AMDH) wird weiterhin von den Behörden gestört und behindert bzw. werden diese häufig von der Regierung ins Visier genommen (FH 25.4.2024a; vgl. HRW 11.1.2024), was ihre Fähigkeit, grundlegende Aufgaben zu erfüllen, beeinträchtigt (USDOS 2024). Die Behörden haben in den letzten Jahren zahlreiche AMDH-Veranstaltungen abgesagt und sind dafür bekannt, ihre Bemühungen, Räumlichkeiten zu mieten und Bankkonten zu eröffnen, zu behindern (FH 25.4.2024a; vgl. HRW 11.1.2024). Selbst nach Verwaltungsgerichtsurteilen zugunsten der AMDH blieben diese Praktiken bestehen (ÖB Rabat 7.2024). Staatlichen Repressionen gegen Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten haben zugenommen. Insbesondere hat der Staat Akteure ins Visier genommen, die die Monarchie, die Korruption oder die Regierungspolitik kritisieren. Die Behörden schikanieren nach wie vor regimekritische Mitglieder der Zivilgesellschaft und bringen sie zum Schweigen. Einige werden der Spionage beschuldigt, andere der Geldwäsche oder der Vergewaltigung. Ziel ist es, ihr Image zu schädigen und sie zu diskreditieren (BS 19.3.2024).

Darüber hinaus berichtet die AMDH bereits 2021 und auch 2022 von weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen, die ebenfalls von der Verweigerung des Rechtsstatus oder der Ablehnung von Verwaltungsverfahren durch die Behörden betroffen waren, darunter Gruppen, die sich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen, und Jugendgruppen (HRW 11.1.2024; vgl. BS 19.3.2024). Nur 1,4 % der Vereinigungen befassen sich mit Menschenrechten. Ihre Rolle bei der Förderung eines echten demokratischen Prozesses bleibt begrenzt (BS 19.3.2024).

Es gibt eine aktive und sich artikulierende Menschenrechtsverteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains), die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains) und Amnesty International Maroc. NGOs nehmen sich auch individueller Anliegen an, eine Möglichkeit, die Schutzsuchenden in Städten eher offen steht als auf dem Land (ÖB Rabat 7.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2103231.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Ombudsmann

Für die Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte fungiert die Institution des Mediators als allgemeine Ombudsstelle. Sie befasst sich mit Anschuldigungen wegen staatlicher Ungerechtigkeiten und ist befugt, Untersuchungen und Ermittlungen durchzuführen, Disziplinarmaßnahmen vorzuschlagen und Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten (USDOS 23.4.2024).

Menschenrechtsangelegenheiten werden seitens Regierungsorganisationen durch den CNDH (Conseil National des droits de l’homme - Nationaler Menschenrechtsrat), die interministerielle Delegation für Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 23.4.2024).

Zur Kontrolle der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte wurde nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2011 der CNDH als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik (AA 7.6.2024). Der CNDH ist sichtbar, aktiv und produktiv (Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten). Im Wege von Begutachtungsverfahren und durch Stellungnahmen zu einzelnen Gesetzesvorhaben übt der CNDH kraft seines moralischen Gewichts nicht selten Einfluss auf Gesetzesinhalte aus, wo Menschenrechtsinteressen betroffen sind. 13 Außenstellen des CNDH wurden in Provinzstädten eingerichtet, sodass eine stärkere räumliche Nähe zu potenziellen Beschwerdeführern angeboten wird (ÖB Rabat 7.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage vor allem in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB Rabat 7.2024). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Zur Kontrolle der Gewährleistung dieser Rechte wurde ein „Nationaler Menschenrechtsrat“ (CNDH) als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik. Der CNDH wird jedoch nicht von allen unabhängigen Menschenrechtsorganisationen unterstützt (AA 7.6.2024).

Marokko ist seit 2022 Mitglied im VN-Menschenrechtsrat. Besonders aktiv ist es mit Initiativen gegen häusliche Gewalt. Im Rahmen des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahren (UPR) nahm Marokko 232 der 306 eingegangenen Empfehlungen an. Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen (AA 7.6.2024).

Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten weiterhin, dass die Regierung Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand strafrechtlicher Anschuldigungen wie Spionage oder sexueller Übergriffe inhaftiert (USDOS 23.4.2024).

Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ [Anm.: Kritik am König, dem Islam oder der territorialen Integrität] der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024). Trotz Reformbemühungen bleibt die Menschenrechtslage nach wie vor kritisch – insbesondere, was die Meinungs- und Pressefreiheit betrifft (DW 8.7.2024). So belegt Marokko Platz 129 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF 8.1.2024; vgl. DW 8.7.2024). Medienschaffende in Marokko arbeiten in einem Spannungsfeld von nominell geschützter Freiheit durch die Verfassung und reellen Einschränkungen (DW 8.7.2024).

Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter ständigem Druck und die Regierung, die unter Aziz Akhannouch geführt wird, hat ihre Kontrolle über diesen Sektor verstärkt. Das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2024a). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (RSF 2024b; vgl. AA 7.6.2024).

Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt. Vereinzelt werden Journalisten vor Gericht gebracht, wenn sie zuvor sehr kritisch über sensible Themen berichtet hatten. Zum Einschüchterungsrepertoire gehören Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Einbrüche und Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Weite Teile der Medienlandschaft sind staatlich beeinflusst bis gelenkt (AA 7.6.2024). Selbstzensur und staatliche Beschränkungen bei sensiblen Themen sind nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse. Freedom House berichtet 2023, dass diese Verhaftung von Journalisten, Bloggern und Aktivisten wegen kritischer Äußerungen abschreckend wirkt (USDOS 23.4.2024). Für das Jahr 2024 wurde Marokko auf Platz 129 von 180 gelisteten Staaten zur Pressefreiheit eingestuft (RSF 8.1.2024). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (RSF 2024b). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernsthaftes Problem, und die Verhaftung von Journalisten, Bloggern und Aktivisten wegen kritischer Äußerungen wirkt abschreckend auf eine ungehemmte Debatte in der breiten Bevölkerung (FH 25.4.2024a; vgl. USDOS 23.4.2024).

Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 7.6.2024). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem (USDOS 23.4.2024). Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien, insbesondere Pegasus, durch die Regierung ist weit verbreitet und mitverantwortlich für die zunehmende Selbstzensur von Journalisten und die Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen (FH 25.4.2024a). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB Rabat 7.2024). Es gab mehrere Berichte über Verhaftungen und Anklagen aufgrund von Aktivitäten in den sozialen Medien (USDOS 23.4.2024).

Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht sichtbar statt, staatliche Einflussnahme ist jedoch erkennbar. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 7.6.2024)., bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vgl. AA 7.6.2024), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024,ÖB Rabat 7.2024). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB Rabat 7.2024). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 23.4.2024).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Amnesty International und Transparency International berichteten über anhaltende willkürliche Einschränkungen des Rechts auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, insbesondere für Personen, die die Unabhängigkeit der Westsahara unterstützen (USDOS 23.4.2024). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 23.4.2024). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 7.6.2024; vgl. FH 25.4.2024a, USDOS 23.4.2024).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 23.4.2024). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 11.1.2024). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 23.4.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 DW - Deutsche Welle (8.7.2024): Die DW Akademie in Marokko, https://akademie.dw.com/de/die-dw-akademie-in-marokko/a-18402540 , Zugriff 29.10.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2103231.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 RSF - Reporter ohne Grenzen (8.1.2024): Marokko - Drei Journalisten nach jahrelanger Haft begnadigt, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/laender/nahost/marokko/alle-meldungen/meldung/drei-journalisten-nach-jahrelanger-haft-begnadigt , Zugriff 16.10.2024

 RSF - Reporter ohne Grenzen (2024a): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental , Zugriff 16.10.2024

 RSF - Reporter ohne Grenzen (2024b): Marokko - Westsahara, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/laender/nahost/marokko-westsahara , Zugriff 16.10.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Haftbedingungen

Die Zustände in den Gefängnissen haben sich verbessert, entsprechen jedoch in einigen Fällen nicht internationalen Standards (USDOS 23.4.2024). Art. 23 der neuen Verfassung garantiert Gefangenen menschenwürdige Haftbedingungen. Ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2016 zur Einführung der Standardmindestregeln der Vereinten Nationen für die Behandlung Gefangener wurde immer noch nicht verabschiedet (AA 7.6.2024). Österreichische Häftlinge in Marokko bestätigten gegenüber der Botschaft die prekären Unterbringungsbedingungen, schlechte Ernährung und medizinische Versorgung, wiesen allerdings nicht auf Folterpraktiken hin (ÖB Rabat 7.2024). Übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei und Folter in Gewahrsam kommen weiterhin vor (FH 25.4.2024a).

Die Lage in den Haftanstalten bleibt vor allem wegen der chronischen Überbelegung problematisch, derzeit sind 75 % der Gefängnisse überbelegt oder in schlechtem Zustand (AA 7.6.2024). Die Gefängnispopulation beträgt mit Oktober 2023 103.302, bei einer offiziellen Kapazität von 64.600 (ÖB Rabat 7.2024). Mit einer Verringerung der Überbelegung würden sich auch die problematischen (u. a. Hygiene- und Gesundheits-) Verhältnisse entspannen. Das Problem ist bekannt und wird angegangen. Mit Stand 2022 waren laut der zentralen Strafvollzugsbehörde (DGAPR) 97.204 Personen in 75 Einrichtungen inhaftiert, davon 39.708 (41 %) Untersuchungshäftlinge, 1.028 Minderjährige und ca. 2.085 Frauen. Zwischen Männern und Frauen herrscht in allen Haftanstalten eine strikte Trennung. Säuglinge und Kleinkinder können bei ihren Müttern verbleiben. In älteren Gefängnissen wird meist keine Trennung zwischen Untersuchungshäftlingen und verurteilten Inhaftierten eingehalten. Es gibt vier Strafanstalten für Jugendliche; mitunter erfolgt die Unterbringung gemeinsam mit erwachsenen Inhaftierten (AA 7.6.2024). In neueren Gefängnissen sind verurteilte Straftäter und Untersuchungshäftlinge getrennt untergebracht (USDOS 23.4.2024).

Der Menschenrechtsrat CNDH und die Strafvollzugsbehörde DGAPR haben das Mandat, Haftbedingungen auf Anfrage des Inhaftierten zu prüfen. Sie erfüllen effektiv die Funktion eines Ombudsmanns (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 7.6.2024). Die DGAPR bearbeitet jährlich etwa 1.800 Beschwerden (AA 7.6.2024). Die Regierung gestattet bestimmten NGOs mit Menschenrechtsauftrag, unbegleitete Kontrollbesuche durchzuführen. Die Regierungspolitik erlaubt den Zutritt zu den Gefangenen, um diesen soziale, erzieherische oder religiöse Dienstleistungen zukommen zu lassen. Die Regierung berichtete, dass 34 verschiedene Einrichtungen mit den Gefängnissen zusammenarbeiteten, um Dienstleistungen wie medizinische Versorgung, Opferbetreuung und Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten. Die CNDH führte bis Juni 81 Kontrollbesuche durch (USDOS 23.4.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Todesstrafe

Die Gerichte in Marokko verhängen weiterhin Todesurteile. Die letzte Hinrichtung fand am 5.9.1993 statt (AI 24.4.2024; vgl. ECPM 23.4.2024), es gilt seitdem ein de-facto-Moratorium. Im Jahr 2023 feierte Marokko dreißig Jahre Moratorium. Dennoch ist die Todesstrafe nicht aus der Gesetzgebung verschwunden (ECPM 23.4.2024).

Im Jahr 2022 wurden drei Personen zum Tode verurteilt (ECPM 23.4.2024). In Marokko/Westsahara wurden im Jahr 2023 (2+) Menschen zum Tode verurteilt (AI 1.5.2024). Laut offiziellen Angaben befanden sich am 31.3.2023 83 zum Tode verurteilte Personen in marokkanischen Gefängnissen, darunter 81 Männer und zwei Frauen (ECPM 23.4.2024). Es konnten keine Hinrichtungen festgestellt werden. Gemäß Amnesty International wurden in 27 Ländern: wie in Marokko /Westsahara Umwandlungen oder Begnadigungen von Todesurteilen registriert (AI 1.5.2024).

Dennoch zählt Marokko zu den Ländern, die die Todesstrafe für gewöhnliche Verbrechen wie Mord beibehalten, aber in der Praxis als Abolitionisten gelten können, da sie in den letzten 10 Jahren oder mehr niemanden hingerichtet haben und von denen angenommen wird, dass sie eine Politik oder etablierte Praxis haben, keine Hinrichtungen durchzuführen (AI 1.5.2024; vgl. ECPM 23.4.2024).

Die Zahl der zum Tode verurteilten Personen, die in marokkanischen Gefängnissen einsitzen, ist in den letzten dreißig Jahren erheblich zurückgegangen, was vor allem auf die Ausübung des königlichen Begnadigungsrechts zurückzuführen ist. Während 1993 noch 197 zum Tode verurteilte Personen inhaftiert waren, waren es 2023 nur noch 83. Das Begnadigungsrecht wird gemäß Artikel 58 der Verfassung vom König ausgeübt. König Mohammed VI. hat von diesem Recht mehrfach Gebrauch gemacht, um Todesurteile kollektiv oder individuell anlässlich nationaler Feiertage in lebenslange Haftstrafen umzuwandeln (ECPM 23.4.2024).

Quellen

 AI - Amnesty International (1.5.2024): Death Sentences and Executions 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2110112.html#alert , Zugriff 4.6.2024

 AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Morocco/Western Sahara 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2108009.html , Zugriff 31.5.2024

 ECPM - Ensemble contre la peine de mort (23.4.2024): Trente ans de moratoire au Maroc : une attente interminable, https://www.ecpm.org/peine-de-mort-maroc-2023 , Zugriff 5.6.2024

Religionsfreiheit

Mehr als 99 % der Bevölkerung sind sunnitische Muslime und weniger als 0,1 % der Bevölkerung sind schiitische Muslime (USDOS 30.6.2024). Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha’i) machen weniger als 1 % der Bevölkerung aus (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, BS 19.3.2024).

Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist Staatsreligion. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema-Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher Fatwas) ist weithin akzeptiert. Das Ministerium für Stiftungen und islamische Angelegenheiten (MEIA) kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, BS 19.3.2024). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 7.6.2024).

Art. 3 der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. In Marokko existieren neben einer schiitischen Minderheit (ca. 3.000 bis 8.000 Personen) auch eine christliche (15.000 bis 25.000 Personen, inzwischen v. a. Einwanderer aus Westafrika) und eine jüdische (2.000 bis 3.000 Personen) sowie einige hundert Baha’i. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 7.6.2024).

Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt. Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim „zu erschüttern“ und zu missionieren (Art 220 Abs. 2 des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 7.6.2024).

Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt (AA 7.6.2024; vgl. BS 19.3.2024). Beleidigung des Islam wird kriminalisiert und kann mit einer Haftstrafe geahndet werden (USDOS 30.6.2024; vgl. BS 19.3.2024). Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, wird aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 7.6.2024). Nicht-Muslime müssen offiziell zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (USDOS 30.6.2024; vgl. AA 7.6.2024).

Die Behörden verweigern weiterhin christlichen Gruppen die Freiheit, in Kirchen ihren Glauben auszuüben, das Recht auf christliche Heirat sowie Begräbnis und das Recht, Kirchen zu errichten (USDOS 30.6.2024). Schiitische Quellen berichteten, sie hätten Ashura privat beobachtet, um gesellschaftliche Belästigungen zu vermeiden. Schiitische Muslime sagten, dass viele es in Gebieten, in denen ihre Zahl geringer sei, versäumen, ihre Religionszugehörigkeit offenzulegen. Öffentliche Ashura-Prozessionen sind für sunnitische Muslime erlaubt, für schiitische Muslime jedoch verboten. Vertreter religiöser Minderheiten bestätigten, dass die Angst vor gesellschaftlicher Schikane, einschließlich der Ächtung durch die Familien der Konvertiten, vor sozialem Spott, Diskriminierung am Arbeitsplatz und potenzieller Gewalt, die Hauptgründe dafür seien den Glauben diskret zu praktizieren. Jüdische Bürger gaben weiterhin an, dass sie in Sicherheit leben und den Gottesdienst in der Synagoge besuchen können, waren jedoch nach dem Hamas-Terroranschlag auf Israel am 7.10.2023 zunehmend besorgt über Antisemitismus. Sie können regelmäßig religiöse Stätten besuchen und jährliche Gedenkfeiern abhalten (USDOS 30.6.2024).

Marokkanische Christen und andere Religionsgemeinschaften üben ihren Glauben in der Regel nur im privaten Bereich aus. Marokkaner werden von staatlichen Organen gehindert, Gottesdienste in „ausländischen“ Kirchen zu besuchen, und riskieren bei jeder öffentlichen Glaubenspraxis den Vorwurf des Missionierens (AA 7.6.2024).

Medien, Aktivisten, Gemeindeleiter und christliche Konvertiten berichten, dass christliche Bürger von nicht christlichen Familienangehörigen und Freunden unter Druck gesetzt werden, zum Islam zu konvertieren oder ihrem christlichen Glauben abzuschwören. Einige junge christliche Konvertiten, die noch bei ihren muslimischen Familien leben, geben Berichten zufolge ihren Glauben nicht preis, weil sie glauben, sie könnten von zu Hause vertrieben werden, wenn sie sich nicht vom Christentum abschwören würden (USDOS 30.6.2024).

Angehörige der Bahai-Religion geben an, dass sie mit Familie, Freunden und Nachbarn offen über ihren Glauben sprechen (USDOS 30.6.2024).

Kinder und Jugendliche muslimischer Bürger besuchen weiterhin private christliche und jüdische Grund- und Oberschulen, da diese Schulen den Ruf haben, eine qualitativ hochwertige Bildung zu bieten (USDOS 30.6.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Religious Freedom: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111925.html , Zugriff 25.9.2024

Ethnische Minderheiten

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht bekannt. Die Verfassung enthält auch die Anerkennung der berberischen Wurzeln, Traditionen und Sprache gleichberechtigt neben dem arabischen und jüdischen Kulturerbe. Die jüdischen Wurzeln der Nation werden geschützt und gepflegt (AA 7.6.2024).

Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft liegt ein generell diskriminierendes Verhaltensmuster gegen Berber nicht vor, Premierminister Akhannouch ist berber-stämmig. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40 % der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen (ÖB Rabat 7.2024). Viele der Regionen mit einer überwiegend amazighischen Bevölkerung sind unterentwickelt und verfügen nicht über grundlegende Dienstleistungen (BS 19.3.2024).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische/amazigh Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen (AA 7.6.2024). Die Regierung betrachtete die Amazigh als einen Kernbestandteil der marokkanischen Identität (USDOS 23.4.2024). Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Seit der Verfassungsreform 2011 ist der berberische Dialekt Tamazight Amtssprache. Generell fördert der Staat sowohl Sprache als auch Kultur der Amazigh (AA 7.6.2024; vgl. FH 25.4.2024a). Mindestens 40 % der Bevölkerung sind Amazigh, und die Mehrheit der Marokkaner hat amazighische Wurzeln. Die Amazigh-Eliten haben Zugang zur Monarchie und ihre Interessen werden im Parlament vertreten, doch der Großteil der Amazigh-Bevölkerung ist sozial, wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Die jüngsten Unruhen in der Rif-Region und in anderen Städten Marokkos, die unter dem Namen Hirak Rif zusammengefasst sind, sind größtenteils auf die Ungerechtigkeiten zurückzuführen, die viele Amazigh-Bewohner erleben, und auf ihre Unfähigkeit, ihren Missständen durch das politische System Abhilfe zu verschaffen (FH 25.4.2024a). Amazigh ist seit Mitte 2019 per Gesetz Unterrichtssprache (AA 7.6.2024). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus (d. h. keine höhere Bildung in berberischer Sprache möglich) (ÖB Rabat 7.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Bewegungsfreiheit

Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen, obwohl sie die Bewegungsfreiheit auf Gebiete beschränkt, in denen weitverbreitete Unruhen herrschen (USDOS 23.4.2024). Zudem wird dieses Recht auch in der Praxis eingeschränkt, begünstigt durch schlechte wirtschaftliche Bedingungen und Korruption (FH 25.4.2024a).

Obwohl die Verfassung solche Maßnahmen verbietet, kommt es ohne Gerichtsverfahren, zu willkürlichen oder auch unrechtmäßigen Eingriffen in die Bewegungsfreiheit durch Überwachung von Privatpersonen durch die Regierung (USDOS 23.4.2024). Insbesondere diejenigen, die sich mit Menschenrechtsfragen befassen, sehen sich mit praktischen Hindernissen konfrontiert. Ihre Mitglieder berichten, dass sie überwacht werden und Reisebeschränkungen unterliegen (BS 19.3.2024).

NGO berichten, dass die Behörden Auslandsreisen manchmal durch eine gerichtliche Anordnung von bis zu zwei Monaten Dauer einschränkten, die bis zu fünfmal verlängert werden konnte (was einem "Reiseverbot" von bis zu einem Jahr entspricht). In der Praxis untersagten die Behörden Auslandsreisen für noch längere Zeiträume, vorwiegend für Kritiker, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten (USDOS 23.4.2024).

Die Sahraoui genießen landesweit uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (AA 7.6.2024). Die Regierung stellt Sahrauis weiterhin Reisedokumente zur Verfügung. Ferner ermutigt die Regierung die Rückkehr von saharauischen Flüchtlingen aus Algerien und anderen Ländern, sofern sie die Souveränität der Regierung über die Westsahara anerkennen. Flüchtlinge, die zurückkehren wollen, müssen sich die entsprechenden Reise- oder Ausweispapiere bei einem marokkanischen Konsulat im Ausland besorgen (USDOS 23.4.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html , Zugriff 31.5.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

IDPs und Flüchtlinge

Marokko ist, trotz Covid-19-Pandemie, sowohl Herkunftsland von Migration in Richtung Europa als auch Transitland für irreguläre Migration und Schlepperei aus der Sub-Sahara (AA 7.6.2024; vgl. ÖB Rabat 7.2024, UNHCR 8.2024). Marokko kooperiert mit der EU (FRONTEX) und insbesondere Spanien (ÖB Rabat 7.2024).

Die Regierung kooperiert ebenfalls mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen und Asylwerbern sowie anderen vulnerablen Personen Schutz und Hilfe zukommen zu lassen. Asylanträge und Entscheidungen über die Flüchtlingseigenschaft werden in Marokko traditionell ausschließlich durch UNHCR durchgeführt bzw. erfolgt der Zugang zum Asylrecht über UNHCR (USDOS 23.4.2024). Im Juni 2019 begann das marokkanische Außenamt Flüchtlingsausweise an vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge auszugeben. Gemäß UNHCR hätten ca. 6244 Flüchtlinge damit Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, Wohn- bzw Arbeitsgenehmigungen (ÖB Rabat 7.2024). Bis zur Einrichtung eines nationalen Asylsystems setzt das UNHCR die Registrierung neuer Asylwerber und die Durchführung von Feststellungen des Flüchtlingsstatus, fort. Alle anerkannten Fälle werden zur Überprüfung an das Bureau des Réfugiés et des Apatrides (BRA) des MAECAMRE als interministerielle Kommission für Regularisierung in Rabat weitergeleitet. UNHCR nimmt an den Anhörungen der Kommission teil. Bis zum 30.6.2024 wurden 283 Flüchtlinge in 40 Anhörungen vom BRA angehört (UNHCR 8.2024). Viele Flüchtlinge und Migranten nehmen die Angebote des UNHCR und der marokkanischen Regierung nicht in Anspruch, da sie auf ihre Weiterreise nach Europa hoffen. 2013 wurde eine Nationale Migrations- und Asylstrategie beschlossen; die Regierung hat den Entwurf noch nicht angenommen. Ein Migrationsgesetz aus dem Jahr 2003 bleibt in Kraft, das die irreguläre Einreise unter Strafe stellt und keine Ausnahme für Flüchtlinge und Asylsuchende vorsieht. 2016 wurde ein Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels verabschiedet und Marokko hat nach dem Marrakesch-Gipfel 2018 (Global Compact on Migration) eine Führungsrolle in Migrationsfragen auf dem afrikanischen Kontinent übernommen; im Dezember 2020 wurde das „Observatoire de la Migration Africaine“ eröffnet (AA 7.6.2024).

Anerkannte Flüchtlinge dürfen üblicherweise arbeiten und haben Zugang zum Gesundheitswesen und zu Bildung, auch Berufsausbildung. Frauen und Kinder werden üblicherweise sofort anerkannt und haben sofort Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen. Der Zugang zum Gesundheitswesen für Asylwerber bleibt allerdings schwierig, wenn sie nicht als Flüchtling anerkannt wurden, bzw. wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben (USDOS 23.4.2024). Mit Stand 30.6.2024 waren 9.059 Flüchtlinge und 8.670 Asylsuchende in 80 Orten in Marokko aufhältig. Vom 1.1.2024 bis zum 30.6.2024 registrierte das UNHCR 1.949 neue Asylanträge und erkannte 155 Flüchtlinge an. Insgesamt sind 17.791 Flüchtlinge und Asylsuchende aus über 60 Ländern sind beim UNHCR registriert (UNHCR 8.2024). Im Rahmen von Regularisierungskampagnen erhielten seit 2014 ca. 50.000 Migranten überwiegend aus Subsahara-Afrika und Syrien einen Aufenthaltstitel. Mit der Aufenthaltsgenehmigung erhalten Migranten erleichterten Zugang zu Schule, Arbeitsmarkt und Gesundheitsvorsorge (AA 7.6.2024). IOM und UNHCR berichten immer wieder von Fällen von Ab- und Rückschiebungen von Illegalen (einschließlich vulnerabler Personen) durch die marokkanischen Behörden unter menschenverachtenden Bedingungen (Schub-Pingpong an der marokkanisch-algerischen Grenze), davon sind nicht nur Schwarzafrikaner betroffen, sondern auch Syrer, die visumfrei nach Algerien hatten einreisen können. Die marokkanischen Behörden bringen immer wieder und ohne jeglichen Beistand Gruppen von Illegalen aus dem Norden in die städtischen Ballungsräume weiter südlich (Casablanca, Rabat ...), wo diese buchstäblich auf der Straße landen und auf Almosen angewiesen sind (ÖB Rabat 7.2024). Ein Teil von ihnen hält sich in illegalen Camps nahe der beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla auf (AA 7.6.2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 ÖB Rabat - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (7.2024): Asylländerbericht Marokko 7.2024

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (8.2024): Morocco: Factsheet, https://reporting.unhcr.org/morocco-factsheet-9238 , Zugriff 6.11.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html , Zugriff 13.5.2024

Grundversorgung

Die Marokkanische Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess von einer Agrar- hin zu einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft (WKO 7.10.2024). Im Dienstleistungsbereich hat sich Marokko zu einem wichtigen Finanzstandort entwickelt (ABG 8.2024). Für 2024 wird ein Wirtschaftswachstum von 3,2 % erwartet (WKO 7.10.2024). Die Herausforderungen sind groß (WKO 9.2024): Marokko gilt als sehr anfällig für den Klimawandel (BS 19.3.2024) - denn die zunehmende Anzahl an Dürrejahren beeinträchtigt die Landwirtschaft und stellt eine Herausforderung dar (ABG 8.2024). Wasserknappheit infolge einer seit sechs Jahren andauernden Dürreperiode, einhergehend mit geringer werdenden Wasserressourcen, wachsender Bevölkerung und steigenden Lebensstandards (WKO 9.2024). Im Wassersektor sind in den kommenden zehn Jahren u. a. Vorhaben zur Meerwasserentsalzung geplant. Zugleich bieten das wachsende Interesse an Strom aus erneuerbaren Energien und die Produktion von grünem Wasserstoff auch ein großes Entwicklungspotenzial (ABG 8.2024; vgl. WKO 9.2024). Der drittwichtigste Devisenbringer ist aber nach wie vor Phosphat (18 %) (WKO 9.2024).

Die Wirtschaft hängt von Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus ab, die alle sehr stark vom Klimawandel betroffen sind. Probleme wie Wasserknappheit, Ernährungsunsicherheit, Wüstenbildung und Küstenerosion haben sich verschärft. Da die meisten Gebiete trocken oder halbtrocken sind, benötigt die Landwirtschaft rund 80 % der Wasserressourcen. Der Plan „Grünes Marokko“ verschleiert die Umweltschäden, die bereits vorhanden sind (BS 19.3.2024). Im Lebensmittelbereich konnte sich Marokko als wichtiger Lieferant von Gemüse nach Europa etablieren (Exportanteil 19 %) (WKO 9.2024). Kleinbauern haben mit dem Absinken des Grundwasserspiegels und der Verarmung der Böden zu kämpfen (BS 19.3.2024).

Die Landwirtschaft muss sich durch die anhaltenden, zu geringen Regenfällen im Winter auf anhaltende Wassermangelwirtschaft einrichten. Massive Ernteausfälle in den letzten Jahren haben das BIP-Wachstum stark gebremst, ein Trend, der sich auch 2024 fortsetzt. Um die Wasserknappheit zu bekämpfen, wurden mehrere Entsalzungsanlagen errichtet, die mit grüner Energie betrieben werden sollen. Brauchwasser aus Kläranlagen soll besser genutzt werden und auch Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft werden durch Importerleichterungen gefördert (WKO 9.2024).

Obwohl das Land ein umfangreiches Projekt zur Erzeugung erneuerbarer Energien in Angriff genommen hat, ist der Energiesektor immer noch stark von importierten Kohlenwasserstoffen abhängig. Der nationale Klimaplan zielt auf den Aufbau einer grünen Wirtschaft in Marokko ab. Bis 2030 sollen 52 % der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen stammen. Der Plan zielt auch darauf ab, die Subventionen für Brennstoffe zu reduzieren, Abwässer zu reinigen und die Aufforstung zu verstärken (BS 19.3.2024).

Besonders stark vertreten sind der Automobilsektor und die Flugzeugindustrie (ABG 8.2024). Marokko ist mit einer Steigerung der Exporte um 27,4 % im Jahr 2023 zum größten Automobilexporteur Afrikas geworden (WKO 9.2024).

Der Tourismus ist ebenfalls von Bedeutung. Dank Ausrichtung der Fußball-WM 2030 stehen zahlreiche Hoch- und Tiefbauprojekte an (ABG 8.2024). Die Weltmeisterschaft wird die Großprojekte der nächsten Jahre bestimmen – Ausbau des Eisenbahnnetz und die Verlängerung der bestehende Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindung zwischen Casablanca und Tanger über Marrakesch (Finanzierung steht bereits) nach Agadir (Finanzierung noch im Entstehen). Weiters werden Stadien renoviert und gebaut, Zugangsinfrastruktur neu geschaffen (WKO 9.2024).

Neben dem Ausbau an grüner Energie durch Wind und Solarkraft, die auf die Herstellung von grünem Wasserstoff abzielt. Allerdings liegt momentan die Produktionskapazität von erneuerbaren Energien bei 37 %, bis 2027 möchte man die 50 %-Marke des im Land erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen erreichen. Alternative Energieformen wie Biogasanlagen und ähnliches werden ebenfalls verstärkt gefördert, setzen sich aber nur sehr langsam durch. Zudem kommen auch noch die rezenten Gaslagerstättenfunde vor der marokkanischen Küste hinzu, welchen den Bedarf an importierten, fossilen Brennstoffen langfristig vermindern (WKO 9.2024).

Ferner ist der Export von Phosphat einer der wichtigsten Devisenbringer. Um die Wertschöpfung zu erhöhen, möchte die staatliche OCP das Produkt durch Zusetzung von Ammoniak, das durch im Land erzeugten grünen Wasserstoff hergestellt werden soll, aufwerten. Bis 2027 soll das Projekt abgeschlossen sein. Es ist das Einzige bislang in Umsetzung befindliche Projekt im Bereich grüner Wasserstoff in Marokko. Für zukünftige Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff wurden 2024 die Rahmenbedingungen im Offre Maroc Hydrogène Vert veröffentlicht (WKO 9.2024).

Trotz Dezentralisierungsbemühen bestehen weiterhin Ungleichheiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen (BS 19.3.2024).

Die marokkanische Wirtschaft hat sich angesichts verschiedener Herausforderungen als widerstandsfähig erwiesen, zu denen eine Verlangsamung der Weltwirtschaft, ein Inflationsschock und das Erdbeben in der Provinz Al Haouz gehören. Trotz dieser Hindernisse hat sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt. Die wichtigsten Katalysatoren für diese Beschleunigung waren die Erholung des Tourismussektors, die exportorientierten Nischen des verarbeitenden Gewerbes, insbesondere der Automobil- und Luftfahrtsektor sowie die Erholung des privaten Konsums (WB 2024). Mittels robuster Steuerzuflüsse und graduellen Subventionsabbaus gelang es 2023, das Haushaltsdefizit von 5,2 auf 4,7 % vom BIP zurückzufahren. Gemäß dem aktuellen Haushaltsgesetz wird die Konsolidierung 2024 fortgesetzt bis hin zur völligen Streichung staatlicher Preisstürzen ab 2025 für Butangas, Weizen und Zucker. Zur sozialen Abfederung werden die staatliche Krankenversicherung ausgeweitet und Transferleistungen für die Bedürftigsten erbracht (GTAI 31.5.2024).

Allerdings haben die marokkanischen Unternehmen und Haushalte Schwierigkeiten, sich von den jüngsten Schocks zu erholen. Marokko verzeichnet einen starken Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. Trotz beschleunigtem Wirtschaftswachstum blieb die Arbeitsmarktleistung im Jahr 2023 enttäuschend, wobei in ländlichen Gebieten fast 200.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Als Ausdruck der kumulativen Auswirkungen der jüngsten Schocks auf das Wohlbefinden erreichte der Pro-Kopf-Verbrauch nicht wieder das Niveau vor der Pandemie. Das neue direkte Sozialhilfeprogramm der Regierung verspricht jedoch eine erhebliche Erleichterung für die ärmsten Haushalte (WB 2024).

Die Wirtschaft dürfte sich 2024 aufgrund einer schlechten Agrarkampagne leicht verlangsamen. Das Wirtschaftswachstum wird voraussichtlich auf 2,9 % sinken. Dies ist vor allem auf einen Rückgang der landwirtschaftlichen Wertschöpfung um 3,3 % aufgrund der schlechten Wetterbedingungen während des gesamten Wirtschaftsjahres 2023-2024 zurückzuführen. Das BIP außerhalb der Landwirtschaft wird widerstandsfähiger sein, da es von einer Erholung der Binnennachfrage und einem stärkeren Industriesektor getragen wird. Das Wachstum dürfte sich ab 2025 unter der Annahme einer normalen Agrarsaison beschleunigen. Das Leistungsbilanzdefizit dürfte sich bis 2024 auf 1,5 % des BIP ausweiten, während das Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren allmählich auf das Niveau vor der Pandemie zurückgehen dürfte (WB 2024). Für 2024 und 2025 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie die Afrikanische Entwicklungsbank Wachstumsraten von rund 3,5 %. So sorgen verbesserte Ergebnisse in der Agrarproduktion, weiterhin die abflauende Inflation sowie soziale Transferleistungen für einen steigenden Konsum. Die privaten Investitionen profitieren insbesondere vom Wiederaufbau der vom Erdbeben 2023 zerstörten Gebiete, weiterhin von den umfangreichen Vorhaben in den Sektoren Wasser, Energie und Infrastruktur (GTAI 31.5.2024).

Die Produktivitätsleistung des Privatsektors war enttäuschend, was hauptsächlich auf eine Verschlechterung der Allokationseffizienz zurückzuführen ist. Große Unternehmen weisen tendenziell eine geringere Produktivität auf als ihre kleineren Pendants, was darauf hindeutet, dass die Märkte effizientere und innovativere Unternehmen nicht ausreichend belohnen. Darüber hinaus haben die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Marokko Schwierigkeiten, sich zu entwickeln, und die Dichte an wachstumsstarken Unternehmen ist nach wie vor sehr gering (WB 2024).

Dies ist ein problematischer Aspekt des Privatsektors, denn in anderen Kontexten hat sich gezeigt, dass diese Unternehmen unverhältnismäßig stark zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. Die Überwindung der Beschränkungen, mit denen der Privatsektor konfrontiert ist, würde die geringe Fähigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen, die die marokkanische Wirtschaft in den letzten Jahren gezeigt hat, überwinden (WB 2024). Probleme bereitet die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit von 13,3 %. Besonders hoch fällt diese mit 17 % in städtischen Gebieten aus. Bei den 15- bis 24-Jährigen liegt die Arbeitslosenquote sogar bei 38,2 %, wovon 49,7 auf urbane und 23,3 % auf ländliche Regionen entfallen (GTAI 31.5.2024). Die Fluktuation ist in Marokko hoch, das Gehaltsgefüge undurchsichtig. Unternehmen vor Ort beschreiben es als schwierig, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und zu halten. Gleichzeitig fühlen sich viele, vor allem junge Menschen überqualifiziert und unterbezahlt (ABG 8.2024).

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 7.6.2024).

Die kumulativen Auswirkungen der jüngsten Schocks auf den Sozialschutz spiegeln sich darin wider, dass der Pro-Kopf-Verbrauch nur knapp das Niveau von vor der Pandemie erreicht hat. Der reale Pro-Kopf-Verbrauch der Haushalte erreichte erst 2023 wieder das Niveau vor der Pandemie. Die negativen Auswirkungen des Schocks dürften vulnerable, arme und einkommensschwache Gruppen stärker betreffen, da Lebensmittel, bei denen der Preisdruck stärker war, einen größeren Anteil am Warenkorb der armen und gefährdeten Haushalte ausmachen (WB 2024). In einer in drei Städten, Casablanca, Marrakesch und Tanger, mit einem repräsentativen Sample, vom 3. bis zum 26.12.2023, durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben nur 32 % der Befragten an, ausreichend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen zu können. Weitere 36 % schaffen es gerade so, genug Nahrung zu kaufen, während 27 % Schwierigkeiten haben, genügend Lebensmittel zu beschaffen. Die Preise für Konsumgüter wie Kleidung und Schuhe stellen ebenfalls eine Belastung dar. Nur 31 % der Befragten können problemlos grundlegende Konsumgüter für ihre Familien bereitstellen. Weitere 27 % schaffen dies nur knapp, während 36 % große Schwierigkeiten haben, diese Güter zu erwerben. Die allgemeinen Lebenserhaltungskosten stellen ebenfalls eine große Herausforderung für viele Haushalte dar. Besonders die Wohnkosten (Miete, Heizung, Strom und Wasser) belasten viele Familien. Nur 41 % der Befragten in Casablanca können ihre Wohnkosten problemlos decken, während 24 % große Schwierigkeiten haben und weitere 14 % diese Kosten überhaupt nicht tragen können. In Marrakesch und Tanger sieht es ähnlich aus: In Marrakesch schaffen es nur 30 %, ihre Wohnkosten problemlos zu decken, während es in Tanger 52 % der Befragten geling (STDOK 31.12.2023).

Seit Dezember 2023 gibt es im Marokko eine direkte finanzielle Sozialhilfe. Diese kommt sowohl bedürftigen sozialen Gruppen als auch schulpflichtigen und auch beeinträchtigten Kindern, Neugeborenen und Familien in prekären Situationen ohne schulpflichtige Kinder, insbesondere Menschen mit älteren Angehörigen, zugute (TBT 26.12.2023). Laut Premierminister Aziz Akhannouch werden die Begünstigten (Africa News 13.8.2024), nach seiner vollständigen Einführung im Jahr 2026 (WB 2024) wird es monatliche Zahlungen von 200 Dirham pro Kind mit einem Mindestbetrag von 500 Dirham pro Familie (entspricht 50 US-Dollar) gewähren, einschließlich derjenigen ohne Kinder. Die Umsetzung dieses Programms wird ein Budget von 25 Milliarden Dirham (etwa 2,5 Milliarden Euro) für 2024 erfordern, so Regierungssprecher Mustapha Baitas (Africa News 13.8.2024; vgl. WB 2024). Insgesamt wird erwartet, dass fast eine Million Familien davon profitieren werden. Diese gezielten Familienzuschüsse sind Teil einer umfassenderen Sozialreform, die von König Mohammed VI. im Jahr 2020 initiiert wurden (TBT 26.12.2023). Diese Initiative beinhaltet auch die Ausweitung der Sozialversicherung für alle Marokkaner (TBT 26.12.2023; vgl. Africa News 13.8.2024).

Diese Sozialreformen werden vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Rückgangs und der tiefgreifenden sozialen Ungleichheiten eingesetzt und um gezielte Hilfen für die Unterprivilegierten zu schaffen. Bislang ist die Sozialhilfe indirekt und nicht zielgerichtet, da Marokko bestimmte Konsumgüter über einen Ausgleichsfonds subventioniert (Africa News 13.8.2024; vgl. TBT 26.12.2023). Das neue direkte Sozialhilfeprogramm der Regierung dürfte für ärmere Haushalte eine wichtige Entlastung darstellen. Mit dem neuen Bargeldtransfer wird der Umfang der Finanzhilfe für marokkanische Haushalte erhöht, während gleichzeitig die Zielgenauigkeit durch das einheitliche Sozialregister verbessert und die Komplexität und Fragmentierung früherer Sozialschutzsysteme beseitigt wurde (WB 2024).

Die neue Regelung ist vergleichsweise großzügig, und die gesamte finanzielle Unterstützung, die durch das neue Programm mobilisiert wird, dürfte eine erhebliche Erleichterung bieten, um die sozialen Auswirkungen der jüngsten und künftigen Schocks abzumildern. Es wird daher erwartet, dass es zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommensverteilung und der Armutsindikatoren führen wird. Zwischen dem 2.12.2023 und dem 31.3.2024 erhalten mehr als 3,5 Millionen Familien direkte Hilfe. Darüber hinaus erhielten mindestens 1,4 Millionen kinderlose Familien eine monatliche Pauschalbeihilfe von 500 Dirhams (WB 2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 ABG - Africa Business Guide (8.2024): Wirtschaft in Marokko, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/marokko , Zugriff 23.10.2024

 Africa News - Africa News (13.8.2024): Morocco: Direct welfare payment introduced for a million disadvantaged families, https://www.africanews.com/2023/12/26/morocco-direct-welfare-payment-introduced-for-a-million-disadvantaged-families , Zugriff 23.10.2024

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 GTAI - Germany Trade and Invest (31.5.2024): Wirtschaftsausblick Marokko, https://www.gtai.de/de/trade/marokko-wirtschaft/wirtschaftsausblick , Zugriff 23.10.2024

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Morocco: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105199/mses23.pdf , Zugriff 7.11.2024

 TBT - The Brussels Times (26.12.2023): Morocco: Direct welfare payments to poorer families for the first time, https://www.brusselstimes.com/853012/morocco-direct-welfare-payments-to-poorer-families-for-the-first-time , Zugriff 23.10.2024

 WB - Weltbank (2024): Morocco Economic Update, https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://documents1.worldbank.org/curated/en/099826007162422517/pdf/IDU12f69bf581e7fa144061b0cf15dc97f2b2bbd.pdf&ved=2ahUKEwiOy__hvKGJAxU4avEDHV-_AowQFnoECBUQAQ&usg=AOvVaw2iWCoox1axZEU7bsoAZ0_Y , Zugriff 22.10.2024

 WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.10.2024): Marokko: Wirtschaftslage, https://www.wko.at/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftslage , Zugriff 24.10.2024

 WKO - Wirtschaftskammer Österreich (9.2024): Wirtschaftsbericht Marokko

Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert (AA 7.6.2024). Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Marokko ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (Laenderdaten 2024). Außerhalb der großen Städte ist die medizinische Versorgung nur beschränkt gewährleistet (EDA 14.3.2024). Auf dem Lande hingegen kann die medizinische Versorgung bezüglich der apparativen Ausstattung bzw. Hygiene problematisch sein (AA 12.7.2024). In Rabat und Casablanca finden sich jedoch gute Privatkliniken von hohem Standard (AA 12.7.2024; vgl. BMEIA 12.7.2024). Die Krankenhäuser verlangen vor Behandlungen eine finanzielle Garantie oder eine Vorschusszahlung (EDA 14.3.2024).

Die wichtigste Errungenschaft der Regierung war die Einführung der medizinischen Pflichtversicherung. Der Staat ist der primäre Anbieter von Gesundheitsleistungen, und außerhalb der großen Städte sind die Gesundheitsdienste nach wie vor sehr begrenzt. In ländlichen Gebieten bieten die Gesundheitszentren hauptsächlich Präventivmedizin an; und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung bestehen weiterhin Ungleichheiten zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, da sich die meisten Krankenhäuser und Ärzte in den Großstädten befinden, und so hat ein erheblicher Teil der Bevölkerung immer noch keinen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten. In Marokko gibt es mehr private Krankenhäuser als öffentliche Einrichtungen: 389 von 613 Einrichtungen sind private Kliniken (BS 19.3.2024).

Der Sektor (Gesundheitswesen) leidet unter einem Mangel an verfügbaren Fachkräften und finanziellen Ressourcen, und ist durch Misswirtschaft und Verschwendung von Mitteln gekennzeichnet. Der Mangel an Gesundheitspersonal und Krankenhausbetten trägt zu einer niedrigen Qualität der Gesundheitsversorgung bei (BS 19.3.2024). Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,0 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung. Mit rund 27.200 ausgebildeten Ärzten in Marokko stehen pro 1000 Einwohner rund 0,73 Ärzte zur Verfügung (Laenderdaten 2024). Im Jahr 2022 waren nur 23 % der Marokkaner mit dem Gesundheitssystem zufrieden (BS 19.3.2024).

Gemäß einer in drei Städten, Casablanca, Marrakesch und Tanger, mit einem repräsentativen Sample, vom 3.12. bis zum 26.12.2023, durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage stellt die Finanzierung von und Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ein Problem dar. Betreffend einem Hausarzt, also primäre medizinische Versorgung, geben 36 % der Befragten an, immer Zugang zu haben und sich den Arztbesuch leisten zu können, 51 % haben Zugang können sich den Arztbesuch aber nicht leisten, 12 % haben überhaupt keinen Zugang. Nur etwa 30 % der Befragten haben immer Zugang zu Impfungen und können sie sich leisten und etwa 35 % haben stets Zugang zu Medikamenten und können diese auch bezahlen. Grundsätzlich hat ein großer Teil der Bevölkerung zwar Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, können diese aber nicht finanzieren (61 % bei Impfungen, 54 % bei Medikamenten). Ferner haben 12 % überhaupt keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung. 32 % haben keinen Zugang zu fachärztlicher Versorgung und 40 % haben überhaupt keinen Zugang zu fortgeschrittenen medizinischen Behandlungen, wie Operationen und/oder Krebstherapien (STDOK 31.12.2023).

Allerdings kann durch die medizinische Versorgung in Marokko die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand etwa 24 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (Laenderdaten 2024). Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch HIV/AIDS lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung z. T. zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 7.6.2024).

Marokko verfolgt eine nationale HIV-Strategie und verfügt über 16 spezialisierte Behandlungszentren. Gleichwohl werden HIV-infizierte Patientinnen und Patienten Diskriminierungen ausgesetzt. Wird die notwendige medizinische Behandlung verweigert, sorgen NGOs für Abhilfe (AA 7.6.2024).

Das marokkanische Sozialversicherungssystem deckt Beschäftigte im öffentlichen und privaten Sektor ab. Die Caisse Nationale des Organismes de Prévoyance Sociale (CNOPS), die 2019 in die Caisse Marocaine de l'Assurance Maladie (CMAM) umgewandelt wurde, deckt Staatsbedienstete und Studenten ab. Die Zahl der Begünstigten erreichte im Jahr 2020 7,3 Millionen. Die Caisse Nationale de Sécurité Sociale (CNSS) deckt Angestellte in der Privatwirtschaft und Selbstständige ab. Mit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung im Jahr 2020 übersteigt die Zahl der Versicherten Anfang 2023 23 Millionen (BS 19.3.2024). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine „Carte RAMED“ zur kostenfreien Behandlung erhalten. Eine umfassende Reform der sozialen Sicherungssysteme, die eine allgemeine Kranken-, Familien-, Renten- und Arbeitslosenversicherung umfassen soll, ist in Arbeit und soll bis 2026 abgeschlossen sein (AA 7.6.2024).

Die obligatorische Krankenversicherung, die früher nur für Beamte und Angestellte des privaten Sektors galt, kommt laut der Nachrichtenagentur MAP bereits über 3,8 Millionen nicht angestellten Arbeitnehmern und ihren Familien zugute (TBT 26.12.2023). Außerdem wurde die medizinische Versorgung auf über 10 Millionen benachteiligte Personen ausgedehnt, wobei der Staat die Kosten für ihre Beiträge übernimmt (Africa News 13.8.2024; vgl. TBT 26.12.2023).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.7.2024): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content_4 , Zugriff 12.7.2024

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 Africa News - Africa News (13.8.2024): Morocco: Direct welfare payment introduced for a million disadvantaged families, https://www.africanews.com/2023/12/26/morocco-direct-welfare-payment-introduced-for-a-million-disadvantaged-families , Zugriff 23.10.2024

 BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (12.7.2024): Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko , Zugriff 12.7.2024

 BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html , Zugriff 31.5.2024

 EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (14.3.2024): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html#eda46c907 , Zugriff 12.7.2024

 Laenderdaten - Laenderdaten.info (2024): Gesundheitswesen in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php , Zugriff 14.6.2024

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Morocco: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105199/mses23.pdf , Zugriff 7.11.2024

 TBT - The Brussels Times (26.12.2023): Morocco: Direct welfare payments to poorer families for the first time, https://www.brusselstimes.com/853012/morocco-direct-welfare-payments-to-poorer-families-for-the-first-time , Zugriff 23.10.2024

Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 7.6.2024).

Die Kontrollen an den offiziellen Grenzübergangspunkten sind gründlich und umfassend. Erforderlich für die Einreise ist ein Reisepass oder Sonderpapier für bestimmte Grenzgängerinnen und Grenzgänger oder ein von einer marokkanischen Auslandsvertretung ausgestellter Laissez-passer zur Rückreise. Jede Ein- oder Ausreise wird an den Grenzübertrittstellen erfasst und in einem zentralen Computersystem zusammengeführt; an den Flughäfen werden keine Handzettel mehr ausgefüllt. Jedes vorgelegte Reisedokument erhält einen Ein- bzw. Ausreisestempel mit Datumsangabe und Grenzübergangsstelle. Der EU-Laissez-Passer wird zur Einreise nicht anerkannt (AA 7.6.2024).

Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS, welches vom BMI in Österreich noch zumindest bis 2026 umgesetzt wird, teilzunehmen (IOM 26.7.2023).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehren, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Postarrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u. a. eine prepaid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2024).

Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2024).

Zur längerfristigen Reintegrationsunterstützung erhalten Rückkehrer ein Postreturn Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mithilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Postreturnpakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2024).

Quellen

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)

 BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2024): Return from Austria - Marokko, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html , Zugriff 5.9.2024

 IOM - International Organization for Migration (26.7.2023): IOM Austria Anfrage der Staatendokumentation zur freiwilligen Rückkehr zu Marokko via E-Mail

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Marokko.

Auskünfte aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, dem zentralen Melderegister und dem Strafregister wurden ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt eingeholt.

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seiner im Verwaltungsakt dokumentierten Identifizierung durch die Behörden seines Herkunftsstaates fest. Bezüglich seines Reisepasses behauptete er, dass sich dieser noch bei seiner Tante in Turin befinde.

Die Feststellungen zur Herkunft, den Lebensumständen, den Familienverhältnissen, der Berufserfahrung, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Konfession und der Ausreise nach Europa ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren bzw. aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass er sich laufend in Schubhaft befindet und somit haftfähig ist. Im Akt ist dokumentiert, dass er von 28. bis 30.10.2024 aufgrund seines Verhaltens in der Schubhaft zwangsweise gemäß § 8 UBG in einem Krankenhaus stationär untergebracht worden war, nach seiner Entlassung am 30.10.2024 jedoch sogleich wieder in Schubhaft genommen wurde. Im Zuge seiner Einvernahmen vor dem BFA machte er nur noch geltend, derzeit lediglich aufgrund von Nerven-Schmerzen an der Hand Medikamente einzunehmen, ansonsten sei er gesund. Auch wisse er, dass es in Marokko Apotheken und Krankenhäuser gebe, wo er die entsprechenden Medikamente bekommen würde. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers wurde weder vorgebracht, noch ist eine solche aus dem Akteninhalt abzuleiten. Auch in der Beschwerde wurde keine Gesundheitsbeeinträchtigung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers geltend gemacht, weswegen die entsprechenden Feststellungen zu treffen waren.

Der Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister sowie dem zentralen Melderegister.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ist durch eine Abfrage im Strafregister der Republik belegt.

2.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt wie bereits die belangte Behörde zum Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung seiner Person in Marokko glaubhaft zu machen.

Sofern der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung noch abstrakt in den Raum stellte, im Falle seiner Rückkehr zu befürchten, von „unbekannten Personen“ umgebracht zu werden, ist zu betonen, dass dieses Vorbringen während der gesamten Dauer des Behörden- und Beschwerdeverfahrens nicht mehr geltend gemacht wurde. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass diese gänzlich unsubstantiierte Behauptung, die auch den höchstgerichtlichen Vorgaben, wonach das Vorbringen eines Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss (vgl. VwGH 19.04.2023, Ra 2022/14/0056, mwN), nicht einmal im Ansatz gerecht wurde, einem reinen Gedankenkonstrukt entspringt, um für den Beschwerdeführer schnell eine beliebige Begründung für seine Asylantragstellung bereit zu stellen, die während seiner Anhaltung in Schubhaft und im Vorfeld seiner bereits für den 20.12.2024 anberaumten Abschiebung mit dem offenkundigen Kalkül erfolgte, um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme hintanzuhalten. Diese Annahme wird zusätzlich dadurch gestützt, dass der Beschwerdeführer in der Folge im Rahmen seiner detaillierten Einvernahme vor dem BFA am 09.12.2024 ausdrücklich verneinte, in seiner Heimat je von staatlicher Seite oder von Dritten verfolgt worden zu sein.

Sofern der Beschwerdeführer vor dem BFA geltend machte, Marokko aus wirtschaftlichen Gründen – zur Arbeitssuche – verlassen zu haben, ist zu betonen, dass wirtschaftlichen Migrationsmotiven keine Asylrelevanz innewohnt. Dazu hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Stammrechtssatz fest, dass allein wirtschaftliche Gründe eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. VwGH 20.02.1985, 85/01/0052). Ebenso wenig können Schwierigkeiten eines Asylwerbers, im Heimatland einen seiner Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen, als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention gewertet werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 93/01/0348, mwN).

Erstmalig in der Beschwerde wurde nunmehr behauptet, der Beschwerdeführer sei in Marokko als Gemüseverkäufer tätig gewesen und sei sein Marktstand regelmäßig von der Polizei verwüstet und sein Gemüse weggeworfen worden. Derartige Vorfälle mögen für einen Betroffenen zwar unbefriedigend sein, jedoch ist auch darin noch keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie zu erblicken, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist, wie etwa das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182, mwN). Außerdem ist aus diesem Vorbringen allenfalls ein übergriffiges Verhalten einzelner Sicherheitsorgane im Umfeld des Marktstandes des Beschwerdeführers abzuleiten, jedoch keine systematische, landesweite staatliche Verfolgung seiner Person. Eine solche erscheint bereits in Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer Marokko laut eigenen Angaben legal unter Verwendung seines marokkanischen Reisepasses verließ und hierbei offenkundig unbehelligt die Ausreisekontrollen auf einem Flughafen seines Herkunftsstaates passieren konnte, nicht maßgeblich wahrscheinlich.

In einer Gesamtbetrachtung ist es dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen, eine aktuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Da nach der Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (vgl. VwGH 24.04.2024, Ra 2024/20/0111, mwN).

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch den tragenden Erwägungen des BFA hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig, zudem ledig und ohne Sorgepflichten. Er hat bereits in seinem Herkunftsstaat Marokko Berufserfahrung in der Landwirtschaft sowie als Gemüseverkäufer gesammelt, überdies war er auch nach seiner Ausreise auch noch in Italien als Erntehelfer tätig. Auch wenn er seine wirtschaftliche Situation als unbefriedigend empfunden haben mag, sind keine Gründe ersichtlich, weshalb er nicht in der Lage sein sollte, sich in seinem Herkunftsstaat durch die neuerliche Aufnahme einer derartigen oder anderweitigen Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um eine Hilfstätigkeit handelt, eine Lebensgrundlage zu schaffen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat über ein intaktes familiäres Netzwerk in Gestalt seiner Eltern und Geschwister verfügt, mit denen er bereits bis zu seiner Ausreise im gemeinsamen Haushalt gelebt hat, sodass davon auszugehen ist, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr erneut familiäre Unterstützung zu Teil würde. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in Marokko ebenso gewährleistet und steht es dem Beschwerdeführer darüber hinaus im Bedarfsfall naturgemäß offen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen oder sich an eine in seinem Herkunftsstaat tätige, karitative Organisation zu wenden (vgl. Punkt II.1.3.).

Aus dem Gesagten war somit die Feststellung zu treffen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Marokko nicht automatisch dazu führt, dass er einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Auch ist er angesichts der dort weitgehend stabilen Sicherheitslage nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht. Nicht zuletzt gilt Marokko gemäß § 1 Z 9 HStV als sicherer Herkunftsstaat.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 04.04.2001, 2000/01/0348, mwN).

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Verfahren auch nicht substantiiert entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abs. A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG 2005 erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233, mwN).

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.2. umfassend dargelegt, konnte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall keine Gründe glaubhaft machen, die für eine asylrelevante Verfolgung sprächen. Er ist in Marokko nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung oder einer Verfolgung durch Dritte ausgesetzt, während seinen ansonsten geltend gemachten wirtschaftlichen Gründen für das Verlassen seines Heimatstaates keine Asylrelevanz innewohnt.

Eine darüberhinausgehende Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch war eine solche für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar.

Dem Beschwerdeführer ist es damit im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Marokko keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 01.07.2024, Ra 2024/20/0347, mwN).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2024/20/0347, mwN).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung für sich genommen selbst ein Leben im Herkunftsstaat in ärmlichen Verhältnissen nicht dazu führt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sein könnte (vgl. erneut VwGH Ra 2024/20/0347, mwN).

Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Marokko mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

Dem Beschwerdeführer droht in Marokko keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung. Es droht ihm auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art. 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art. 3 EMRK – was in Marokko aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann – ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die in Marokko leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden. So liegt hinsichtlich des Beschwerdeführers kein stichhaltiger Grund dafür vor anzunehmen, dass er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr liefe, die Todesstrafe oder Hinrichtung, die Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung zu erleiden oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt zu sein.

Nachdem keine Gründe ersichtlich sind, die auf den Vorwurf einer Straftat, welche zur Verhängung der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat hindeuten könnten, ist ein "ernsthafter Schaden" im Sinne des Art. 15 der Statusrichtlinie auszuschließen.

Ein bewaffneter Konflikt besteht in Marokko ebenfalls nicht. Zwar ist die Sicherheitslage nicht mit jener in Österreich vergleichbar, jedoch erreichen die nach den einschlägigen Länderberichten vorgekommenen sicherheitsrelevanten Vorfälle nicht ein derart hohes Niveau, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen würden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Marokko alleine durch seine Anwesenheit im Staatsgebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. Punkt II.1.3.). Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den Beschwerdeführer wurden im Verfahren ebenfalls nicht substantiiert vorgebracht und wurde nicht dargelegt, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation in Marokko und den hiermit verbundenen Umständen spezifisch von willkürlicher Gewalt betroffen wäre. Solche Umstände sind im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Nicht zuletzt gilt Marokko gemäß § 1 Z 9 HStV als sicherer Herkunftsstaat.

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage in Marokko (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen ebenfalls nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Marokko mit existentiellen Nöten konfrontiert ist.

Es wurden im Verfahren auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers keine exzeptionellen Umstände aufgezeigt, wonach im Falle seiner Rückkehr nach Marokko die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall nicht gedeckt werden könnten (vgl. Punkt II.2.2.). Der Umstand, dass sein Lebensunterhalt in Marokko möglicherweise bescheidener ausfallen mag, als er in Österreich sein könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, ihm wäre im Falle der Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten (vgl. VfGH 24.02.2020, E 3683/2019; zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).

Aus den dargestellten Umständen ergibt sich somit, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Marokko nicht automatisch dazu führt, dass er in eine unmenschliche Lage bzw. eine existenzielle Notlage geraten und in seinen durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würde.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.4. Zur Frist für die freiwillige Ausreise und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides):

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte seitens der belangten Behörde gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG, da der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt (Z 1) und gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist (Z 6).

Gegenständlich stammt der Beschwerdeführer aus Marokko, was gemäß § 1 Z 9 HStV als sicherer Herkunftsstaat gilt. Zudem war gegen ihn bereits mit Bescheid des BFA vom 05.09.2024 – und sohin vor seiner verfahrensgegenständlichen Asylantragstellung am 30.11.2024 - rechtskräftig eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen worden. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte daher zu Recht.

Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird, ergibt sich bereits unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG, sodass es hierfür keiner normativen Anordnung im Spruch des angefochtenen Bescheides bedarf. Insoweit kann der Beschwerdeführer auch nicht in Rechten verletzt sein.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich der Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (vgl. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (vgl. VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (vgl. VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 u.a.). Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC (vgl. VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht lediglich etwa ein Monat liegt - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht in den entscheidungswesentlichen Punkten zur Gänze angeschlossen. Die wesentlichen Feststellungen, insbesondere zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers, sind unbestritten geblieben und wurde in der Beschwerde auch in Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung kein sachbezogenes Vorbringen erstattet, dass den beweiswürdigenden Erwägungen und getroffenen Feststellungen der belangten Behörde in substantiierter Weise entgegentreten würde (vgl. Punkt II.2.2.), sodass sich der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt erweist. Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 24.01.2023, Ra 2022/14/0236, mwN).

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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