VwGH Ra 2024/20/0347

VwGHRa 2024/20/03471.7.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, in der Rechtssache der Revision des A K, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Barnabitengasse 3/11, gegen das am 27. März 2024 mündlich verkündete und mit 15. April 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G301 2283553‑1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art130 Abs1
B-VG Art135 Abs1
B-VG Art135 Abs2
B-VG Art83 Abs2
Geschäftsverteilung BVwG §20
Geschäftsverteilung BVwG §21
MRK Art3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024200347.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Syrien und seit dem Jahr 2016 auch von Venezuela. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet (wie sich aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zum tatsächlichen Zweck der Einreise und des Aufenthalts des Revisionswerbers ergibt, nämlich sich bloß aus wirtschaftlichen Gründen hier dauerhaft niederzulassen, lagen die Voraussetzungen für eine visumfreie Einreise und einen visumfreien Aufenthalt als Staatsangehöriger von Venezuela nach § 15 und § 31 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 sowie Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/399 [Schengener Grenzkodex] und Art. 6 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2018/1806 [Visumpflichtverordnung] nicht vor) am 21. Juli 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 27. November 2023 den vom Revisionswerber gestellten Antrag ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Venezuela zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision ‑ nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert ‑ vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichts sei wegen eines Verstoßes gegen die Geschäftsverteilung dieses Gerichts nicht zuständig gewesen. Der Revisionswerber sei „Doppelstaatsbürger“. Daher sei die alphabetische Reihenfolge der betreffenden Staatennamen maßgeblich gewesen. Hinsichtlich des Herkunftsstaates Syrien liege nach der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts eine Asylangelegenheit der Zuweisungsgruppe „AFR‑W3“ vor. Für eine solche Angelegenheit sei die Gerichtsabteilung G301, der die Rechtssache des Revisionswerbers zugewiesen worden sei, aber nicht zuständig gewesen.

8 Der gegenständliche Rechtsfall langte den vorgelegten Verfahrensakten zufolge am 2. Jänner 2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung G301 zur Entscheidung zugewiesen. Eine spätere Änderung dieser Zuteilung (etwa durch Neuzuteilung durch den Geschäftsverteilungsausschuss) erfolgte danach nicht.

9 Für die Beurteilung, ob das Bundesverwaltungsgericht in gesetzmäßiger Besetzung entschieden hat, ist im gegenständlichen Fall sohin allein die bei Einlangen der Beschwerde am 2. Jänner 2024 geltende Geschäftsverteilung dieses Gerichts maßgeblich (vgl. VwGH 26.4.2018, Ra 2017/21/0252; 3.3.2020, Ra 2019/01/0446 und 0447; ferner zu dieser Konstellation sowie einer solchen, in der später eine Änderung der Zuteilung durch den Geschäftsverteilungsausschuss erfolgt ist, VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0184 und 0185). Dabei handelte es sich um die Geschäftsverteilung 2023 des Bundesverwaltungsgerichts in der Fassung vom 12. Dezember 2023 (in der Folge kurz: GV BVwG 2023).

10 Die GV BVwG 2023 enthält in ihrem § 2 Z 5 eine Legaldefinition für den in dieser Geschäftsverteilung verwendeten Begriff „Herkunftsstaat“, auf den sich auch der Revisionswerber bezieht. Diese lautet:

„§ 2. Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Geschäftsverteilung sind zu verstehen:

1. ...

...

5. Herkunftsstaat: der Herkunftsstaat iSd. § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 ist der Staat, von dem das BFA im angefochtenen Bescheid ausgeht, bei Beschwerden gemäß § 8 Abs. 6 AsylG 2005 und bei Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerden) sowie bei Beschwerden, bei denen dem angefochtenen Bescheid kein Herkunftsstaat zu entnehmen ist, der Staat, von dem der Beschwerdeführer ausgeht. Kommen danach zwei oder mehr Staaten in Frage, so entscheidet die alphabetische Reihenfolge der betreffenden Staatennamen.

6. ...“

11 Gemäß § 21 GV BVwG 2023 ergeben sich die für die Zuweisung der Rechtssachen vorgesehenen Rechtsbereiche und Zuweisungsgruppen sowie die in den einzelnen Zuweisungsgruppen zusammengefassten Rechtsgebiete und Rechtsgrundlagen (Rechtsvorschriften) aus der Anlage 1 zur GV BVwG 2023.

12 § 20 GV BVwG 2023 legt unter der Überschrift „Geschäftsbereiche der Kammern und Zuständigkeit der Gerichtsabteilungen“ ‑ soweit fallbezogen maßgeblich ‑ fest, dass die Geschäftsbereiche der Kammern die ihnen in der Anlage 2 jeweils zugeordneten Zuweisungsgruppen umfassen (Abs. 1). Die Zuständigkeit einer Gerichtsabteilung erstreckt sich auf den gesamten Geschäftsbereich jener Kammer, der sie angehört, sofern sich aus der Anlage 2 nicht anderes ergibt (Abs. 2).

13 Die Anlage 1 der GV BVwG 2023 enthält (u.a.) den Rechtsbereich „Asyl- und Fremdenrecht“. Die Zuweisungsgruppe AFR bezieht sich auf Rechtssachen nach dem „Asylgesetz, Fremdenpolizeigesetz, BFA‑Verfahrensgesetz, Grundversorgungsgesetz‑Bund, sowie Verfahren nach § 35 AVG (Mutwillensstrafen) mit Berührungspunkten zu Verfahren nach den oben genannten Gesetzen“ und wird weiters unterteilt in Untergruppen, die sich auf bestimmte Staaten beziehen.

14 Von der Zuweisungsgruppe AFR‑G2 werden die soeben genannten Rechtssachen „betreffend die Herkunftsstaaten: Staaten Amerikas, Australien und Neuseeland“ erfasst.

15 Die vom Revisionswerber angesprochene Zuweisungsgruppe AFR‑W3 erfasst die genannten Rechtssachen „betreffend die Herkunftsstaaten: Iran und Syrien“.

16 Für die Zwecke der GV BVwG 2023 und somit der Bestimmung, welche Gerichtsabteilung für einen konkreten Fall zuständig ist, enthält diese Geschäftsverteilung ‑ wie oben erwähnt ‑ eine eigenständige Definition des Begriffs des „Herkunftsstaates“. In den oben erwähnten Zuweisungsgruppen wird maßgeblich auf den „Herkunftsstaat“ (evident gemeint: in Bezug auf die beschwerdeführende Partei) abgestellt. Beim Verständnis des Umfangs der von der jeweiligen Zuweisungsgruppe erfassten Rechtssachen ist mithin auf die in der GV BVwG 2023 enthaltene Legaldefinition abzustellen.

17 Nach der Legaldefinition des § 2 Z 5 GV BVwG 2023 ist für die Bestimmung des Herkunftsstaates (im Sinn der GV BVwG 2023) jener Staat maßgeblich, „von dem das BFA im angefochtenen Bescheid ausgeht“. Kommen danach zwei oder mehr Staaten in Frage, so entscheidet die alphabetische Reihenfolge der betreffenden Staatennamen. Die anderen in dieser Definition genannten Konstellationen (Beschwerden gemäß § 8 Abs. 6 AsylG 2005 [ein Herkunftsstaat des Asylwerbers konnte nicht festgestellt werden]; Säumnisbeschwerden; Beschwerden, bei denen dem angefochtenen Bescheid kein Herkunftsstaat zu entnehmen ist) liegen fallbezogen nicht vor und haben daher hier außer Betracht zu bleiben.

18 Im gegenständlich Fall ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im beim Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Revisionswerber Staatsangehöriger von Venezuela sei. Dass die Behörde in ihrem Bescheid davon ausgegangen wäre, der Revisionswerber wäre auch syrischer Staatsangehöriger ist dem Bescheid hingegen nicht zu entnehmen. Vielmehr wurde darin festgehalten, dass vom Revisionswerber ein Identitätsdokument, das das Bestehen der syrischen Staatsangehörigkeit hätte beweisen können, nicht in Vorlage gebracht worden sei.

19 Der Revisionswerber blendet in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision das im letzten Satz des § 2 Z 5 GV BVwG 2023 enthaltene Wort „danach“ gänzlich aus. Dass das Bundesverwaltungsgericht letztlich festgestellt hat, dass der Revisionswerber sowohl Staatsangehöriger von Venezuela als auch Syrien ist (und dass er selbst dies früher behauptet hat), ist im Hinblick darauf, dass nach der genannten Bestimmung der GV BVwG 2023 maßgeblich ist, wovon die Behörde in ihrem Bescheid ausgegangen ist, nicht maßgeblich.

20 Anderes lässt sich auch aus einer in der Revision zitierten Passage im angefochtenen Erkenntnis nicht ableiten. Dort hielt das Bundesverwaltungsgericht nämlich ausdrücklich fest, dass „im angefochtenen Bescheid keine konkrete Sachverhaltsfeststellung zum Vorliegen auch der syrischen Staatsangehörigkeit des BF getroffen“ worden sei. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dann in seinen beweiswürdigenden Überlegungen weiter festhielt, dass es die Ansicht vertrete, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei um das Vorliegen auch der syrischen Staatsangehörigkeit in Kenntnis gewesen, so ändert dies letztlich nichts daran, dass dem fraglichen Bescheid nur Aussagen dahin zu entnehmen sind, der Revisionswerber sei Staatsangehöriger von Venezuela.

21 Das war aber letztlich maßgeblich, um allein diesen Staat ‑ und nicht auch Syrien ‑ als den Herkunftsstaat im Sinn des § 2 Z 5 GV BVwG 2023 anzusehen. Der letzte Satz dieser Bestimmung kam fallbezogen daher nicht zur Anwendung.

22 Somit wurde die gegenständliche Rechtssache zu Recht als eine solche der Zuweisungsgruppe AFR‑G2 gewertet.

23 Dass für Angelegenheiten der Zuweisungsgruppe AFR‑G2 (neben anderen Gerichtsabteilungen auch) die Gerichtsabteilung G301 zuständig ist, wird in der Revision nicht in Frage gestellt. Dies ergibt sich ‑ wie hier ergänzend festzuhalten ist ‑ ohne jeden Zweifel aus Punkt VI. der Anlage 2 zur GV BVwG 2023. Dass fallbezogen weitere besondere Regelungen des Punktes VI der Anlage 2 zur GV BVwG 2023 anzuwenden gewesen wären, nach denen für den gegenständlichen Rechtsfall die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsabteilung gegeben gewesen wäre, der ebenfalls Rechtsfälle aus der Zuweisungsgruppe AFR‑G2 zugewiesen werden, wird vom Revisionswerber nicht behauptet. Dass der entscheidende Richter der Leiter der Gerichtsabteilung G301 ist, ist ebenfalls in eindeutiger Weise der GV BVwG 2023 zu entnehmen. Dies wird vom Revisionswerber auch nicht bezweifelt.

24 Der Einwand des Revisionswerbers, es habe über seine Beschwerde ein nach der GV BVwG 2023 nicht zuständiger Richter entschieden, trifft sohin nicht zu.

25 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision wird weiters geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen zur Situation in Syrien getroffen habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich aus Anlass der Staatenwerdung des Kosovo in mehreren Erkenntnissen, im Besonderen im Erkenntnis vom 9. November 2004, 2003/01/0534, damit beschäftigt, wie sich das Vorliegen mehrerer Herkunftsstaaten auf das asylrechtliche Anerkennungsverfahren auswirke und welche Prüfungsschritte dabei vorzunehmen seien.

26 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch schon in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 12.3.2024, Ra 2024/20/0062, mwN).

27 Mit dem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen in der Revision wird nicht aufgezeigt, dass das angefochtene Erkenntnis mit einem für den Verfahrensausgang relevanten Verfahrensmangel behaftet wäre. Wesentlich ist zudem im vorliegenden Fall schon, dass das Bundesverwaltungsgericht ‑ was in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision verschwiegen wird ‑ ausgeführt hat, dass dem Revisionswerber weder in Venezuela noch in Syrien eine asylrelevante Verfolgung drohe und, selbst wenn im Fall der Rückkehr nach Syrien eine asylrelevante Verfolgung als gegeben angenommen werden würde, es ihm möglich und auch zumutbar sei, den Schutz der staatlichen Einrichtungen Venezuelas in Anspruch zu nehmen.

28 All jenem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers, in dem entgegen den Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen wird, er werde in Syrien aus asylrelevanten Gründen verfolgt, ist somit der Boden entzogen. Dass aber die diesbezüglichen beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel behaftet wären (vgl. zum im Revisionsverfahren maßgeblichen Prüfmaßstab in Bezug auf die Beweiswürdigung etwa VwGH 7.5.2024, Ra 2024/20/0267, mwN), wird vom Revisionswerber mit den ‑ sich im Übrigen allein in den Revisionsgründen findenden ‑ Ausführungen nicht dargetan.

29 Wenn der Revisionswerber unter Hinweis auf das oben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2004, 2003/01/0534, vorbringt, es fehle an „ausreichend klarer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Berücksichtigung einer Doppel- oder Mehrfachstaatsangehörigkeit im asylrechtlichen Anerkennungsverfahren“, ist dem entgegenzuhalten, dass nach dem Gesagten die Lösung des gegenständlichen Rechtsfalles von den in der Revision gesehenen Rechtsfragen nicht abhängt.

30 Weiters wendet sich der Revisionswerber gegen die Versagung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz. In der Zulässigkeitsbegründung wird vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, eine Einzelfallprüfung im Sinn einer Würdigung der persönlichen Umstände des Revisionswerbers unter Einbeziehung der Feststellungen zur Situation in Venezuela durchzuführen.

31 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der ‑ vom Revisionswerber angesprochenen ‑ Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448, mwN).

32 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein ‑ im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen ‑ höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2021/20/0448, mwN).

33 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. nochmals VwGH Ra 2021/20/0448). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung für sich genommen selbst ein Leben im Herkunftsstaat in ärmlichen Verhältnissen nicht dazu führt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sein könnte (vgl. VwGH 9.11.2023, Ra 2023/20/0530 und 0531; 25.7.2023, Ra 2023/20/0289).

34 Entgegen dem Vorbringen in der Revision ist auf Grundlage des Inhalts der angefochtenen Entscheidung nicht zu sehen, dass das Bundesverwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre. Das Verwaltungsgericht traf ausreichende Feststellungen zur Situation in Venezuela und bezog diese in seine auf den konkreten Einzelfall bezogenen Erwägungen unter Bedachtnahme auf die persönliche Situation des Revisionswerbers ein. Warum es dabei nicht allen Angaben des Revisionswerbers gefolgt ist (etwa dass die Angaben des Revisionswerbers zur Dauer der bisherigen Aufenthalte in Venezuela und zu seinen Kenntnissen der spanischen Sprache unglaubwürdig seien und vielmehr von einer deutlich längeren Aufenthaltsdauer sowie hinreichenden Sprachkenntnissen auszugehen sei, und dass der ‑ durch Reisen in diverse Staaten in und außerhalb Europas erkennbar mobile ‑ Revisionswerber in Wahrheit nach Auskundschaftungen im Rahmen seiner Reisen trachte, sich ein Land in Europa für sein weiteres Leben auszusuchen, in dem er für sich die besten wirtschaftlichen Vorteile sehe), hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung in nachvollziehbarer Weise dargelegt.

35 Es gelingt dem Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehlerhaftigkeit litte.

36 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juli 2024

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