VwGH Ra 2023/20/0289

VwGHRa 2023/20/028925.7.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des E H in E, vertreten durch Mag. Wissam Barbar, Rechtsanwalt in 1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 99/2/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2023, L510 2268523‑1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §37
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023200289.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 6. März 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 28. Februar 2023 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht keine Verhandlung durchgeführt habe.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des ‑ hier maßgeblichen ‑ § 21 Abs. 7 erster Satz BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

9 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der dem folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 6.6.2023, Ra 2023/20/0217, mwN).

10 Weiters ist darauf hinzuweisen, dass es immer dann, wenn selbst im Fall der hypothetischen Richtigkeit des Vorbringens zum Sachverhalt aus den geltend gemachten Tatsachen ‑ allenfalls in Verbindung mit bereits feststehenden Sachverhaltselementen ‑ der behauptete Rechtsanspruch nicht begründet werden kann, keiner Ermittlungen und Feststellungen zur Richtigkeit des ‑ allenfalls: übrigen, noch keinen Feststellungen unterworfenen ‑ sachverhaltsbezogenen Vorbringens bedarf, weil sich die behaupteten tatsächlichen Vorgänge aus rechtlichen Gründen nicht (mehr) als im Sinn des § 37 AVG maßgeblich darstellen. Somit sind dann aber auch weitergehende beweiswürdigende Erwägungen zu solchen Themen ‑ auch in Bezug auf die Frage, ob es der Durchführung einer Verhandlung bedurft hätte ‑ als nicht weiter wesentlich anzusehen. (vgl. VwGH 15.12.2022, Ra 2022/20/0373, mwN; weiters dazu ‑ unter anderem auch unter dem Aspekt der Zulässigkeit des Entfalls einer Verhandlung ‑ ausführlich VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069).

11 Der Revisionswerber zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Leitlinien abgewichen wäre. Der Sache nach betrifft das Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung im Übrigen in erster Linie die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts.

12 Soweit die beweiswürdigenden Erwägungen angesprochen werden, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.6.2023, Ra 2023/20/0209, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, wird vom Revisionswerber nicht dargetan.

13 Es treffen aber auch die Behauptungen des Revisionswerbers nicht zu, die sich der Sache nach gegen die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts wenden, wonach dem Revisionswerber weder der Status des Asylberechtigten noch jener des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen sei. Es ist anhand der Ausführungen in der Revision nicht zu sehen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht zu diesen Themen vorgenommene rechtliche Beurteilung ‑ insbesondere auch zum in der Revision angesprochenen Vorbringen des Revisionswerbers, es drohe ihm Verfolgung, weil er im Herkunftsstaat den Wehrdienst nicht ableisten wolle, weil türkische Streitkräfte in Syrien in von Kurden dominiertem Gebiet operieren würden ‑ mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre.

14 Im Besonderen ist an dieser Stelle ‑ in Bezug auf das Begehren des Revisionswerbers, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ‑ festzuhalten, dass sich weder aus dem Vorbringen des Revisionswerbers, seine Familie habe im Herkunftsland in ärmlichen Verhältnissen gelebt, noch aus dem Hinweis auf „das verheerende Erdbeben in der Türkei“ ableiten lässt, dass ihm im Fall einer Rückkehr in die Türkei jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre.

15 Im Hinblick auf ein derartiges Vorbringen ist zu betonen, dass ein Leben im Herkunftsstaat in ärmlichen Verhältnissen für sich genommen nicht dazu führt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sein könnte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. dazu sowie zu den sonstigen Voraussetzungen, wann von der realen Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen ist, ausführlich VwGH 24.4.2022, Ra 2021/20/0448, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juli 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte