BVwG I403 2275268-2

BVwGI403 2275268-216.9.2024

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
StGB §125
StGB §126 Abs1
StGB §83 Abs1
StGB §84
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:I403.2275268.2.00

 

Spruch:

I403 2275268-2/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Republik Tunesien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Steiermark Außenstelle Leoben (BFA-St-ASt Leoben) vom 25.07.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.09.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das mit Spruchpunkt VI. verhängte Einreiseverbot auf die Dauer von 18 Monaten reduziert wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Zum ersten Asylverfahren:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Tunesiens, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 19.07.2022 wurde er hinsichtlich seines Antrags auf internationalen Schutz von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass die Lage in Tunesien sehr schlecht sei. Er wolle eine Ausbildung machen und hier arbeiten. Im Falle seiner Rückkehr würde man ihn gefangen nehmen, weil er zum Militär hätte müssen. Am 09.06.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde). Er erklärte zu seinen Fluchtgründen, sein einziges Problem sei der Militärdienst, den er bisher noch nicht abgeleistet habe. Er sei dagegen, dass nur die arme Schicht der Bevölkerung zum Militärdienst eingezogen werde und die Reichen nicht. Das seien all seine Fluchtgründe. Er sei nicht gekommen, um Asyl zu beantragen, sondern um zu arbeiten.

Mit Bescheid vom 16.06.2023 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ihm wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14.07.2023 in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.07.2023, I417 2275268-1/3Z, wurde der Beschwerde vom 14.07.2023 gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung bis zum Abschluss einer mündlichen Verhandlung zuerkannt. Am 21.08.2023 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, die jedoch aufgrund des unentschuldigten Nichterscheinens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vertagt wurde. Am 12.10.2023 erfolgte eine weitere mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters und einer Arabisch-Dolmetscherin und in entschuldigter Abwesenheit eines Vertreters der belangten Behörde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.2024, I417 2275268-1/19E wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 16.06.2023 als unbegründet abgewiesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher dieser mit Beschluss vom 02.04.2024, GZ: E 955/2024-5, die aufschiebende Wirkung zuerkannte. Mit Beschluss vom 11.06.2024 wurde in weiterer Folge aber der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Behandlung der Beschwerde abgelehnt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Spruchpunkt III.).

I.2. Zum gegenständlichen Asylverfahren:

Nach seiner auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG gestützten Festnahme am 12.03.2024 stellte der Beschwerdeführer am 13.03.2024 den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit der (erwarteten) Geburt seines Kindes im August 2024 begründete.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 25.07.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gegen ihn wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt (VI.) und wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer den neuen Asylantrag letztlich nur aufgrund der erwarteten Vaterschaft gestellt, aber ansonsten keine Änderungen behauptet habe. Nachdem das Kind noch nicht geboren sei, könne noch nicht von einer starken Beeinträchtigung des Kindeswohls ausgegangen werden und sei es zumutbar, den Kontakt durch Besuche seiner Lebensgefährtin und des Kindes in Tunesien aufrechtzuerhalten. Aufgrund seiner Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung gehe von ihm eine Gefahr aus, der mit einem zweijährigen Einreiseverbot zu begegnen sei.

Gegen diesen Bescheid wurde am 22.08.2024 Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. Neben allgemeinen rechtlichen Ausführungen ohne Zusammenhang zum gegenständlichen Sachverhalt wurde inhaltlich bezüglich des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz nur erklärt, dass sich die „Sicherheits- und Versorgungslage (…) seit der letzten Entscheidung drastisch verschlechtert“ habe, ohne dies aber in irgendeiner Form zu begründen. In der Folge wurde der belangten Behörde vorgeworfen hinsichtlich der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots das Kindeswohl nur unzureichend berücksichtigt zu haben. Bei einer Rückkehrentscheidung gegen einen Vater sei laut der VfGH-Judikatur das Kindeswohl der in Österreich lebenden Kinder zu berücksichtigen und sei die Annahme eines Kontaktes über elektronische Medien lebensfremd. Vom Beschwerdeführer gehe auch keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus; der Verurteilung sei ein emotionaler Ausnahmezustand zugrunde gelegen, da dem Beschwerdeführer zuvor die Eheschließung verweigert worden sei. Er habe nur wahllos um sich geschlagen und seinen Kopf in Selbstverletzungsabsicht gegen die Scheibe des Polizeiautos geschlagen. Er habe inzwischen auch das Haftübel verspürt. Es wurde beantragt, der Beschwerde stattzugeben und den Bescheid, in eventu die Angelegenheit zurückzuverweisen, in eventu die Rückkehrentscheidung bzw. in eventu das Einreiseverbot zu beheben bzw. abzusenken und in eventu die ordentliche Revision zuzulassen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden am 27.08.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Am 16.09.2024 fand eine mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer aus der Schubhaft vorgeführt und seine Lebensgefährtin als Zeugin befragt wurde; die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und ein Vertreter der belangten Behörde nahmen ebenfalls an der Verhandlung bei.

I.3. Zum Schubhaftverfahren:

Mit Bescheid vom 10.06.2024 wurde gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf (Gewährung) internationalen Schutz(es) die Schubhaft verhängt. Nach Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 12.06.2024 wurde er in Schubhaft genommen. Gegen diesen Bescheid und die daran angeschlossene Anhaltung erhob er mit Schreiben vom 14.06.2024 Beschwerde. Am 17.06.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG), Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreter sowie zwei Behördenvertreter (via Videokonferenz) teilnahmen, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin befragt sowie ein Dolmetscher der Sprache Arabisch beigezogen wurde. Mit schriftlicher Ausfertigung des am 17.06.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses am 27.06.2024 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass die weitere Anhaltung in Schubhaft zulässig sei (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von 887,20 Euro zu ersetzen hat (Spruchpunkt III.) und der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe in Form der Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt IV.). Gegen das Erkenntnis wurde eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Das Verfahren ist anhängig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist tunesischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste im Juli 2022 legal auf dem Luftweg aus Tunesien nach Serbien aus und gelangte über Ungarn nach Österreich. Er hält sich zumindest seit seiner Asylantragstellung am 17.07.2022 im österreichischen Bundesgebiet auf und ist seit 09.08.2022 durchgehend melderechtlich erfasst. Von 13.03.2024 bis 12.06.2024 befand sich der Beschwerdeführer in Strafhaft, seither wird er in Schubhaft angehalten.

Der Beschwerdeführer besuchte in Tunesien sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre eine Hauptschule sowie drei Jahre eine allgemeinbildende höhere Schule ohne Maturaabschluss und absolvierte anschließend eine zweijährige Berufsschule für Elektriker. Seinen Lebensunterhalt verdiente er von 2017 bis 2021 als Elektriker, durch die Verrichtung von Tischlertätigkeiten und auch als Gärtner. Er spricht Arabisch, Französisch und Englisch und hat begonnen Deutsch zu lernen. Der Beschwerdeführer hat allerdings keinen Deutschkurs besucht und keine Deutschprüfung absolviert.

In Tunesien leben nach wie vor die Mutter und sechs Geschwister des Beschwerdeführers. Er hat zu seiner Mutter regelmäßigen telefonischen Kontakt. Einige Verwandte leben in Europa, so sein Vater in Frankreich, ein Bruder in Deutschland, ein Onkel in Belgien, weitere Onkel in Belgien und ein Cousin in der Schweiz. Es bestehen aber keine gegenseitigen Abhängigkeiten.

Der Beschwerdeführer ist ledig, führt aber seit August/September 2023 eine Beziehung mit der österreichischen Staatsbürgerin V.K. Das Paar lebte ab dem 20.12.2023 in einem gemeinsamen Haushalt, bis der Beschwerdeführer festgenommen wurde. V.K. hat aus einer früheren Beziehung vier Kinder (geboren 2003, 2004, 2007 und 2012). Die beiden jüngeren Kinder leben gemeinsam mit V.K. in einer Mietwohnung. Der Beschwerdeführer hat während der Zeit, in der er ebenfalls in dieser Wohnung lebte, ein gutes Verhältnis zu den Kindern von V.K. aufgebaut, insbesondere zu den beiden jüngeren, die noch mit V.K. im gemeinsamen Haushalt leben; eine besonders enge Bindung oder Abhängigkeit liegt aber nicht vor.

Am 07.08.2024 wurde der gemeinsame Sohn XXXX geboren; er ist gesund und wird von V.K. versorgt. V.K. ist in der Lage, alleine für das Kind zu sorgen. Der Beschwerdeführer hatte bisher nur zweimal in der Schubhaft und einmal im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, seinen Sohn zu sehen.

Weitere familiäre oder sonstige enge private Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen bestehen nicht.

Der Beschwerdeführer ist seit dem 20.03.2023 Inhaber einer Gewerbeberechtigung mit dem Wortlaut „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener Wartungstätigkeiten“. Es kann nicht festgestellt werden, wieviel der Beschwerdeführer damit verdiente, bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen hat er offene Rückstände in Höhe von 325,42 Euro. Seit Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit bezieht er keine Leistungen mehr aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer legte eine Einstellungszusage vor, wonach er bei einem Unternehmen aus dem Bereich der Sanierungstechnik ab 01.11.2024 eine Vollzeittätigkeit mit einer Entlohnung von etwa 2.100 Euro netto aufnehmen könnte.

1.2. Zum strafrechtlichen Verhalten des Beschwerdeführers sowie zu seinen Verstößen gegen das Asyl- und Fremdenrecht:

Der Beschwerdeführer wurde verdächtigt, am 09.12.2022 gemeinsam mit einem anderen einen Ladendiebstahl begangen zu haben, gab aber in Einklang mit dem anderen an, dass er das entwendete Diebesgut für seinen Freund nur getragen habe. Die entsprechenden Verfahren wurden mit Beschluss der Staatsanwaltschaft XXXX vom 07.02.2023, XXXX eingestellt. Am 04.03.2023 kam es zu einem heftigen Streit mit einem anderen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft, bei dem der Beschwerdeführer dem anderen ohne Vorwarnung einen Schlag gegen den rechten Handrücken verpasst haben soll, ehe der andere ihn dann zu Boden gedrückt und geschlagen haben soll. Im September 2023 wurden V.K. und der Beschwerdeführer vom früheren Lebensgefährten der V.K. mit einer Axt bedroht; sie blieben unverletzt und erstatteten Anzeige. Als der frühere Lebensgefährte trotz einstweiliger Verfügung V.K. am 12.12.2023 stark alkoholisiert erneut belästigte, versetzte der Beschwerdeführer ihm einen Schlag. Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wurde aber eingestellt.

Der Beschwerdeführer besitzt keinen zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigenden Aufenthaltstitel. Er verschleierte zudem im Vorverfahren seine Identität, indem er angegeben hatte, über keine Reisedokumente zu verfügen, während er im Zuge der Vaterschaftsanerkennung vor dem Standesamt XXXX unterschiedliche Dokumente in Vorlage brachte. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung beharrlich nicht nach und wurde daher am 12.03.2024 gemäß § 40 BFA-VG festgenommen.

Er versuchte sich seiner Festnahme zu entziehen und zu fliehen. Mit Urteil des LG XXXX vom 15.05.2024, Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am selben Tag, wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, schwerer Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und schwerer Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten verurteilt, wovon 9 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren ausgesprochen wurden.

Der Beschwerdeführer wurde für schuldig befunden, er habe am 12.03.2023

I. mehrere Beamte mit Gewalt an Amtshandlungen zu hindern versucht, und zwar gemäß § 170 Abs 1 Z 1 iVm § 171 Abs 2 Z 1 StPO durch Verspannen, Losreißen, Um-sich-Schlagen, Versetzen von Ellbogenstößen, heftiges Herauswinden, Zwicken, Kratzen, Ziehen an der Kleidung und Zusammendrücken von Körperstellen der Beamten sowie Greifen auf die Dienstwaffe eines Beamten , wodurch diese zu Boden fiel, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil es den Beamten schließlich mit vereinten Kräften gelang, den Beschwerdeführer in Bauchlage am Boden zu fixieren, ihm die Handfesseln am Rücken sowie die Fußfesseln anzulegen, ihn zum Dienstfahrzeug zu tragen und ins Fahrzeug zu setzen,

2. mehrere Beamte an der Aufrechterhaltung der Festnahme gemäß § 170 Abs 1 Z 1 iVm § 171 Abs 2 Z 1 StPO zu hindern versucht, indem er mehrmals in Richtung der Beamten trat, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil er nach wie vor mittels Hand- und Fußfesseln fixiert war;

II. durch die zu I.1. angeführte Tathandlung zwei Polizeibeamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt

III. fremde Sachen, die teils einen wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur (§ 74 Abs 1 Z 11), nämlich der öffentlichen Sicherheit, darstellen, beschädigt und unbrauchbar gemacht, und zwar die Daunenjacke eine Beamten seitlich aufriss (Schaden in der Höhe von EUR 300,00), das Dienstfahrzeug VW Transporter, grün, mit dem behördlichen Kennzeichen, indem er seinen Kopf mehrmals gegen die Seitenscheibe der rechten hinteren Schiebetüre des Dienstfahrzeuges schlug, wodurch die Scheibe brach und das Fahrzeug nicht mehr einsatzbereit war (Schaden zum Nachteil der Republik Österreich in der Höhe von EUR 1.594,62), und die Korrekturzelle einer Polizeiinspektion , indem er die Gummimatte am Boden der Zelle zerriss, versuchte, den Gummibezug in Streifen zu reißen, und die Metallabdeckung der WC-Spülung sowie die dahinterliegende Verkabelung aus der Wand riss, wodurch die Zelle nicht mehr benutzt werden konnte (Schaden zum Nachteil der Republik Österreich in unbekannter Höhe).

Als mildernd wurden das Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel und dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend die Massivität des Widerstandes sowie das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.

Der Beschwerdeführer wurde am 12.03.2024 festgenommen und am 12.06.2023 wieder aus der Strafhaft entlassen. Seit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 12.06.2024 befindet er sich in Schubhaft. In der Schubhaft fiel der Beschwerdeführer wiederholt auf, so besteht der Verdacht, dass er am 22.06.2024 den Deckenlüfter im WC des Haftraumes beschädigte, indem versucht wurde, den Lüfter aus der Decke zu reißen.

1.3. Zum gegenständlichen Verfahren:

Der Beschwerdeführer stellte am 17.07.2022 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Nach einem inhaltlich geführten Verfahren wurde der Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom 16.06.2023 abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des BVwG vom 05.02.2024 als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer stellte am 13.03.2024 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Allerdings hat sich seit der letzten inhaltlichen Entscheidung vom 05.02.2024 weder die Situation in Tunesien maßgeblich geändert noch liegt eine – für die Frage des internationalen Schutzes entscheidungsrelevante - wesentliche Änderung der Umstände die Person des Beschwerdeführers betreffend vor.

Der Beschwerdeführer stützte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz auf die gleichen Fluchtgründe, die er bereits im vorigen Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz geltend gemacht hatte. Er hat keine neuen Gründe geltend gemacht.

1.4. Zur Lage in Tunesien:

Bei Tunesien handelt es sich um einen sicheren Herkunftsstaat nach § 1 Z 11 der Herkunftsstaaten-Verordnung.

Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Tunesien (Version 8, 03.08.2023) ergeben sich zudem folgende Feststellungen, welche auch der Entscheidung im Vorverfahren zugrunde gelegt worden waren:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Tunesien ist vor allem in den südlichen Wüstengebieten (Grenze zu Libyen und Algerien) angespannt, sowie entlang der Grenze zu Algerien im Westen des Landes, dort vor allem im Gebiet um den Jebel Chaambi westlich von Kasserine. Das Risiko von terroristischen Anschlägen ist weiterhin gegeben, es ist aber eine spürbare Verringerung in den letzten Jahren feststellbar. Das Jahr 2015 bildete mit drei großen Anschlägen einen Höhepunkt, seitdem und vor allem 2021 und 2022 kam es zu einer deutlichen Reduktion terroristischer Aktivitäten. Gefahr geht dabei vorwiegend von Rückkehrern aus, v. a. aus Libyen. Die Terrorismusbekämpfung und die Sicherheit an den Grenzen gehören somit weiterhin zu den wichtigsten Prioritäten der tunesischen Regierung. Die tunesischen Behörden haben eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um Terrorzellen zu zerschlagen, insbesondere wurde die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht. Die Zahl der Terroranschläge in Tunesien ist in der Folge in den letzten Jahren zurückgegangen, da sich die Sicherheitsstrukturen des Landes erheblich verbessert haben, was zu einer Stabilisierung der Lage geführt hat. Dies ist auch an statistischen Auswertungen des Global Terrorism Index der Jahre 2021 und 2022 ersichtlich (STDOK 11.4.2023).

Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach mehreren Anschlägen 2015 und einem schweren Angriff von IS-Milizen auf die Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage zwar verbessert (AA 22.6.2023), bleibt jedoch besonders angespannt (AA 13.7.2023) und es kommt immer wieder zu Anschlägen (AA 22.6.2023). Mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz in diesen Regionen ist zu rechnen (AA 13.7.2023). Zuletzt im Mai 2023, verübte ein Angehöriger der maritimen Nationalgarde einen Anschlag während einer jüdischen Wallfahrt an der La Ghriba-Synagoge und tötet 5 Menschen (AA 22.6.2023).

Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen, es kommt zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen (BMEIA 5.6.2023).

Laut österreichischem Außenministerium gilt (für österreichische Staatsbürger) eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen terroristischer Organisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 5.6.2023). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 9.5.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023).

Im Juni 2022 wurden zwei Sicherheitskräfte bei einem Messerangriff im Zentrum von Tunis verletzt und bereits im Jänner kam es zu einem Messerangriff in einem Tram bei Tunis (EDA 9.5.2023).

Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte Ausnahmezustand ist nach wie vor in Kraft, wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land (AA 24.5.2023). Er gewährt den Sicherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft kritisch beobachtet wird (ÖB 10.2022; vgl. FH 13.4.2023). Die Behörden verfügen somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 13.4.2023). Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit zu rechnen (AA 13.7.2023).

Landesweit kommt es regelmäßig zu vor allem wirtschaftlich und sozial motivierten, oftmals spontanen Protesten, die nicht selten auch in Gewalt umschlagen. Gegen den Staatsumbau von Staatspräsident Saïed kam es im Laufe des Jahres 2022 und rund um die Parlamentswahlen zu Jahresbeginn 2023 zu regelmäßigen Protesten von Ennahdha und anderen Oppositionsparteien/-bündnissen, die jedoch friedlich blieben und derzeit merklich abgeflaut sind (AA 22.6.2023). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften können dabei nicht ausgeschlossen werden (AA 13.7.2023).

Ferner besteht südlich, bzw. südöstlich in den Sperrzonen der Grenzgebiete zu Algerien und Libyen sowie abseits der Touristenzentren am Rande der Sahara ein erhöhtes Entführungsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 13.7.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.7.2023): Tunesien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tunesiensicherheit/219024 , Zugriff 13.7.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 BMEIA - Bunesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Tunesien (Tunesische Republik), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/tunesien/ , Zugriff 7.6.2023

 EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tunesien/reisehinweise-fuertunesien.html#eda931a7d , Zugriff 7.6.2023

 FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Tunisia, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090194.html , Zugriff 25.5.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 27.7.2023

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2090998/NAFR_THEM_Terrorismus_2023_04_11_KE.pdf , Zugriff 13.7.2023

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Regierung respektiert die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz nicht (USDOS 22.3.2023). Im September 2021 setzte Präsident Saïed die Verfassung von 2014 größtenteils außer Kraft und erteilte sich selbst nahezu unbegrenzte Befugnisse, um per Dekret zu regieren. Er nutzte diese Befugnis zur Konsolidierung der Macht im Jahr 2022, indem er eine Reihe von regressiven Reformen einführte und die Unabhängigkeit der Justiz untergrub (HRW 12.1.2023). Die nur langsam voranschreitende Justizreform war und ist eine der wichtigsten Säulen des tunesischen Transitionsprozesses. Das Programm zur Unterstützung der Justizreform (PARJ) dessen Finanzierungsvereinbarung den Reformprozess der Regierung erleichtern und die Rechtsstaatlichkeit in Tunesien stärken sollte, ist zum Stillstand gekommen. Zwischen den Prinzipien der Verfassung und den Gesetzen, die in Tunesien tatsächlich in Kraft sind, gibt es noch große Diskrepanzen (ÖB 10.2022). In der neuen Verfassung sind zwar viele Rechte verankert, doch wurden die für ihren Schutz erforderlichen Kontrollmechanismen ausgehebelt. Die Unabhängigkeit der Justiz und des Verfassungsgerichts wird nicht vollständig gewährleistet (HRW 12.1.2023).

Bereits im September 2021 setzte Präsident Saied die Verfassung von 2014 größtenteils außer Kraft und erteilte sich selbst nahezu unbegrenzte Befugnisse, um per Dekret zu regieren (HRW 12.1.2023). Ferner nutze Saïed diese Befugnisse und führte eine Reihe von regressiven Reformen ein, welche die Unabhängigkeit der Justiz untergruben. In der neuen Verfassung sind zwar viele Rechte verankert, doch werden die für ihren Schutz erforderlichen Kontrollmechanismen ausgehebelt. Die Unabhängigkeit der Justiz und des Verfassungsgerichts, das Tunesien erst noch einrichten muss, wird nicht vollständig gewährleistet (HRW 12.1.2023; vgl. AI 27.3.2023). Aktivisten der Zivilgesellschaft erklärten, dass das Versäumnis der Regierung, ein Verfassungsgericht einzurichten, das Land ohne Kontrolle der Exekutivgewalt und ohne eine unabhängige Instanz zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen, insbesondere in Bezug auf die Grundfreiheiten und die Rechte des Einzelnen, dastehen lässt (USDOS 20.3.2023). Die neue im August 2022 in Kraft getretene Verfassung stellt einen weiteren Schritt des Präsidenten Richtung Autoritarismus dar. Darüber hinaus untersagt die Verfassung Richtern zu streiken und schränkt damit ihr Recht auf friedliche Versammlung und Protest erheblich ein (ÖB 10.2022).

Die Regierungen und Gesetzgeber haben es jedoch wiederholt versäumt, den Verfassungsgerichtshof einzurichten, wie es die Verfassung von 2014 vorsieht; seine Aufgabe wäre es gewesen, die Verfassungsmäßigkeit von Verordnungen und Gesetzen zu bewerten. Das Fehlen eines solchen Gerichts wurde 2021 besonders problematisch, da es keinen maßgeblichen Mechanismus gab, um die Verfassungsmäßigkeit der Notstandsmaßnahmen von Saïed zu beurteilen (FH 13.4.2023). Die neue Verfassung enthält zwar Bestimmungen zur Schaffung eines solchen Gerichts, räumt aber dem Präsidenten das letzte Wort bei der Ernennung der Mitglieder ein (AI 27.3.2023).

Am 12.2.2022 löste Saïed den Obersten Justizrat (High Judicial Council- HJC) auf (USDOS 20.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023, FH 13.4.2023). Der Oberste Justizrat war das höchste Gremium der tunesischen Justiz und überwachte die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten, ihre Disziplin und ihre berufliche Entwicklung. Präsident Saïed ersetzte den Obersten Justizrat durch ein provisorisches Gremium, das zum Teil vom Präsidenten ernannt wurde, und erteilte sich selbst die Befugnis, in die Ernennung, Laufbahn und Entlassung von Richtern und Staatsanwälten einzugreifen (HRW 12.1.2023). Präsident Kaïs Saïed hat sich dadurch weitgehende Einflussmöglichkeiten auf die Justiz gesichert (AA 22.6.2023).

Während die neue Verfassung sowohl den Obersten Justizrat als auch das Verfassungsgericht dem Namen nach beibehält, räumt sie dem Präsidenten die endgültige Befugnis zur Ernennung von Richtern auf Vorschlag des Obersten Justizrates ein, während die Charta von 2014 die Ernennungsempfehlungen des Obersten Justizrates für die Exekutive verbindlich gemacht hatte. Darüber hinaus wurde in der neuen Verfassung eine Klausel der Verfassung von 2014 gestrichen, die dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis einräumte, über den Umfang der Befugnisse des Präsidenten zu entscheiden (FH 13.4.2023).

Am 1.7.2022 erließ Saïed ein Dekret, das die Unabhängigkeit der Justiz weiter aushöhlte (HRW 12.1.2023; vgl. AA 22.6.2023) und entließ einseitig 57 Richter, darunter den ehemaligen Präsidenten des Obersten Justizrats, nachdem er Korruptions- und andere Fehlverhaltensvorwürfe erhoben hatte, von denen Kritiker bezweifelten, dass sie tatsächlich begründet seien. Zivilgesellschaftliche Organisationen wiesen weitgehend Behauptungen zurück, die Entlassungen hätten irgendetwas mit Antikorruptionsbemühungen zu tun und behaupteten, die Entlassungen seien ein Vorwand gewesen, um freie Stellen in der Justiz mit Richtern zu besetzen, die den Präsidenten eindeutig unterstützen würden. Ab dem 6.6.2022 startete die Vereinigung tunesischer Richter (AMT) einen vierwöchigen landesweiten Streik aus Protest gegen die Entlassungen. Während des Streiks setzte das AMT Gerichtsverfahren außer in Fällen im Zusammenhang mit Terrorismus und Bestattungsgenehmigungen aus (USDOS 20.3.2023).

Am 25.7.2022 ordnete Präsident Saïed ein nationales Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf an, der die Verfassung von 2014 ersetzen soll. Saïeds Verfassungsentwurf wurde von einem Gremium ausgearbeitet, dessen Mitglieder der Präsident selbst ernannte und das hinter verschlossenen Türen arbeitete und kaum oder gar keine Beiträge von anderen einholte. Der Entwurf wurde nur drei Wochen vor dem Referendum veröffentlicht, sodass praktisch keine Zeit für eine öffentliche Debatte blieb. Die neue Verfassung wurde am 26.7.2022 von 94,6 % der Wahlberechtigten angenommen, bei einer Wahlbeteiligung von nur 30,5 %. Sie trat am 17.8.2022 nach Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse in Kraft (HRW 12.1.2023).

Allerdings setzte das Verwaltungsgericht Tunis am 10.8.2022 die Entscheidung des Präsidenten in Bezug auf 49 der 57 Richter aus und ordnete ihre Wiedereinstellung an. Aber das Justizministerium weigerte sich, die Richter wieder einzustellen (HRW 12.1.2023; vgl. AI 27.3.2023).

Am 22.9.2022 fällte der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker ein wichtiges Urteil, in dem er feststellte, dass die von Saïed getroffenen außergewöhnlichen Maßnahmen unverhältnismäßig waren. Das Gericht ordnete die Aufhebung mehrerer Dekrete an, einschließlich des Dekrets, mit dem der größte Teil der Verfassung von 2014 außer Kraft gesetzt wurde, und ordnete die Einrichtung des Verfassungsgerichts innerhalb von zwei Jahren an (HRW 12.1.2023).

Dem Justizsystem mangelt es an Effizienz und Unabhängigkeit; lange Verfahrensdauer, mangelnde Beachtung der Prozedere und Kapazität haben einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung zur Folge. Die heikle Sanierung in Richtung einer unabhängigen und professionellen Justiz ist dringend geboten, um Korruption und Steuerflucht effizient zu bekämpfen. Das Fehlen eines Verfassungsgerichtshofs wird auch international angeprangert (ÖB 10.2022).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist gesetzlich verankert, und die unabhängige Justiz setzt dieses Recht im Allgemeinen durch, obwohl sich Angeklagte darüber beschweren, dass die Behörden die gesetzlichen Bestimmungen über die Gerichtsverfahren nicht konsequent befolgen. Vor zivilen Gerichten haben Angeklagte das Recht auf die Unschuldsvermutung. Sie haben auch das Recht, einen Anwalt zu konsultieren oder auf öffentliche Kosten einen Anwalt stellen zu lassen, Zeugen und Beweise vorzulegen und Urteile gegen sie anzufechten. Das Gesetz schreibt vor, dass Angeklagte unverzüglich und detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert werden müssen, gegebenenfalls mit freier Auslegung. Sie müssen auch ausreichend Zeit und Gelegenheit erhalten, ihre Verteidigung vorzubereiten, und dürfen nicht gezwungen werden, auszusagen oder Schuld zu bekennen (USDOS 20.3.2023).

Die Militärgerichte verfolgten weiterhin Zivilisten, allerdings seltener als im Jahr 2021 (AI 27.3.2023). Militärgerichte sind befugt, Fälle zu verhandeln, in denen es um Angehörige der Sicherheits- oder Streitkräfte und Zivilisten geht, denen nationale Sicherheitsverbrechen oder Straftaten wie die Beleidigung des Präsidenten (als Oberbefehlshaber der Streitkräfte) oder anderer Militärangehöriger vorgeworfen werden. Berufungen gegen Entscheidungen der Militärgerichte, an denen Zivilisten beteiligt sind, werden vom Kassationsgericht, dem höchsten Berufungsgericht des Landes, verhandelt und sind Teil des zivilen Justizsystems (USDOS 20.3.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 AI - Amnesty International (27.6.2023): The Human Rights Council should address the rapidly growing human rights crisis in Tunisia, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2023/06/MDE3069262023ENGLISH.pdf , Zugriff 9.7.2023

 FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Tunisia, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090194.html , Zugriff 25.5.2023

 HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085505.html , Zugriff 30.5.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 27.7.2023

 USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089227.html , Zugriff 30.5.2023

 

Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Nationalpolizei und übt die Exekutivfunktion bzw. Strafverfolgung in Großstädten aus. Die Nationalgarde bzw. Gendarmerie übt die Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und kleineren Städten aus, patrouilliert dort und übernimmt die Grenzsicherung. Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es weiterhin regelmäßig zu ungestraften Übergriffen durch die Sicherheitskräfte kommt (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023, CIA 16.5.2023). Die Behörden haben es weitgehend versäumt, Angehörige der Sicherheitskräfte, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, zur Rechenschaft zu ziehen (AI 27.3.2023). Es gibt seit langem Beschwerden über Brutalität seitens der Polizei, wobei die Beamten beschuldigt werden, Zivilisten und Inhaftierte ungestraft zu misshandeln (FH 13.4.2023). Die Sicherheitskräfte unterbinden regelmäßig Demonstrationen, indem sie den Zugang zu bestimmten Orten blockieren und übermäßige Gewalt anwenden, um Demonstranten zu vertreiben (HRW 12.1.2023). Die Polizeigewerkschaften haben sich einer Reform widersetzt, mit der das Problem angegangen werden sollte (FH 13.4.2023). Die Regierung unternimmt Schritte, um gegen Beamte zu ermitteln, die mutmaßlich Übergriffe begangen haben, aber die diesbezüglichen Untersuchungen sind nicht transparent und es kommt häufig zu langen Verzögerungen und verfahrenstechnischen Hindernissen (USDOS 20.3.2023).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011 vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Zwar wurde die Geheimpolizei („police politique“) aufgelöst, allerdings steht eine umfassende Reform des Innenministeriums und der nachgeordneten Behörden bis heute aus. Die Sicherheitskräfte stehen immer wieder in der Kritik; es mangelt an Transparenz, zudem hält die Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte an (AA 22.6.2023).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z. B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 22.6.2023).

 

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Tunisia 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089657.html , Zugriff 9.7.2023

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (21.6.2023): The World Factbook, Tunisia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/ , Zugriff 30.6.2023

 FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Tunisia, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090194.html , Zugriff 25.5.2023

 HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085505.html , Zugriff 30.5.2023

 USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089227.html , Zugriff 30.5.2023

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Wehrpflicht war in der Verfassung von 2014 noch explizit verankert, in der per Referendum im Juli 2022 in Kraft gesetzten neuen Verfassung findet sich jedoch nur noch der Satz: „Die Verteidigung der Heimat ist eine heilige Pflicht für jeden Bürger.“ (Art. 14). In der Praxis hat schon vorher nur ein verschwindender Anteil der Wehrpflichtigen tatsächlich Dienst geleistet (Schätzungen liegen bei 2 %) (AA 22.6.2023). Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss von männlichen Staatsbürgern im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich bereits ab 18 Jahren zum Militärdienst melden. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 21.6.2023; vgl. AA 22.6.2023). In Tunesien besteht eine rein theoretische Wehrpflicht von 12 Monaten: Ab dem 18. Lebensjahr kann, mit dem 20. Lebensjahr muss jeder Tunesier theoretisch den Dienst leisten. De facto werden nur noch sich freiwillig Stellende und diese nur nach einer genauen Sicherheitsüberprüfung eingezogen. Im Jahr 2017 meldeten sich von 31.000 Einberufenen nur 506 zur Absolvierung ihres Wehrdienstes (ÖB 10.2022). Im Jahr 2021 waren etwa 20–25.000 aktive Militärangehörige Wehrpflichtige (CIA 21.6.2023). Seit März 2003 gibt es auch für Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes (AA 22.6.2023; vgl. CIA 21.6.2023).

Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des Service National abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen (AA 29.4.2022). Immer wieder angekündigte grundlegende Reformen des Militärdienstes in Richtung Frauen, Freiwilligkeit, Ausbildung und Verdienst scheiterten bislang u. a. am laufenden Regierungswechsel (ÖB 10.2022).

Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt (AA 22.6.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (21.6.2023): The World Factbook, Tunisia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/tunisia/ , Zugriff 30.6.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 27.7.2023

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 13.4.202), Emigration sowie Wiedereinbürgerung. Die Regierung respektiert im Allgemeinen diese Rechte auch in der Praxis (USDOS 20.3.2023). Bereits im Jahr 2021 genehmigte Präsident Saïed Berichten zufolge die Anwendung von Reiseverboten für Einzelpersonen, gegen die ein Gerichtsverfahren anhängig war (USDOS 20.3.2023)

Allerdings haben die Behörden im Rahmen des Ausnahmezustands weitreichende Befugnisse, die Bewegungsfreiheit von Personen einzuschränken, ohne formale Anklagen zu erheben, und Tausende von Menschen sind von solchen Anordnungen betroffen (FH 13.4.2023; vgl. HRW 16.1.2023). Die Behörden verhängten willkürliche Reiseverbote gegen mindestens drei Personen (AI 27.3.2023); so wurden beispielsweise die ehemaligen Parlamentarierinnen Saida Ounissi und Jamila Ksiksi daran gehindert, Tunesien zu verlassen (HRW 12.1.2023), wie auch Parlamentsmitglieder, die sich öffentlich gegen Präsident Saïed gestellt hatten (AI 27.3.2023). Menschenrechtsgruppen kritisierten die Reiseverbote, die nach der Ergreifung außerordentlicher Vollmachten durch den Präsidenten im Juli 2021 verhängt wurden, als willkürliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (FH 13.4.2023). Zudem stellen diese fest, dass die Behörden das Gesetz nicht konsequent anwenden und dass die Sicherheitskräfte Gerichtsentscheidungen zur Aufhebung von Reisebeschränkungen nicht immer respektieren (USDOS 20.3.2023).

Zivilgesellschaftliche Gruppen berichten, dass das Innenministerium weiterhin eine informelle Liste mit Reiseverboten, namens „S17“-Beobachtungsliste nützt, um eine zusätzliche Kontrolle durch Beamte an den Grenzkontrollpunkten zu ermöglichen. Mehrere ehemalige Parlamentsmitglieder und Politiker gaben öffentlich bekannt, dass sie daran gehindert wurden, ins Ausland zu reisen, obwohl gegen sie kein Gerichtsverfahren eingeleitet wurde (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz schreibt vor, dass die Behörden diejenigen, die von Reisebeschränkungen betroffen sind oder deren Reisepass beschlagnahmt wurde, unverzüglich über die Gründe für diese Entscheidungen informieren. Darüber hinaus haben die betroffenen Personen gesetzlich das Recht, die Entscheidung anzufechten, und das Gesetz sieht eine maximale Frist von 14 Monaten vor, in der ihre Reise eingeschränkt werden kann, bevor eine erneute gerichtliche Anordnung erforderlich ist (USDOS 20.3.2023).

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 22.6.2023).

Quellen:

 AA- Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf Zugriff 28.6.2023,

 AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Tunisia 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089657.html , Zugriff 30.5.2023

 FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Tunisia, 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090194.html , Zugriff 25.5.2023

 HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085505.html , Zugriff 30.5.2023

 USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089227.html , Zugriff 30.5.2023

Grundversorgung und Wirtschaft

Elf Jahre nach der Jasminrevolution konnten die hohen Erwartungen hinsichtlich eines besseren und gerechteren Lebens in wirtschaftlicher Hinsicht nicht realisiert werden. Großen Fortschritten im Bereich Meinungsfreiheit und Parteienvielfalt stehen eine schwere Wirtschaftsrezession und eine Verarmung weiter Bevölkerungsschichten gegenüber. Keiner der zahlreichen Regierungen seit 2011 ist es gelungen, substanzielle und für die Bevölkerung spürbare Verbesserungen ihrer Lebensumstände herbeizuführen; das Gegenteil war der Fall. Auslöser der Jasminrevolution von 2011 waren Armut, sozialer Ausschluss, Ungerechtigkeit und Mangel an Perspektiven. Elf Jahre später hat sich die Lage keineswegs verbessert, es haben sich die Lebensumstände für viele Tunesier zum Teil dramatisch verschlechtert und die Korruption alle Lebensbereiche erfasst (ÖB 10.2022). Tunesien erlebt derzeit einen Zustand des Aufruhrs und der Spannungen, da die meisten Preise für Grundnahrungsmittel von den Märkten ausgegangen sind, insbesondere Zucker und Speiseöl. Parallel dazu heizten die hohen Preise und die steigenden Steuern und Treibstoffkosten, parallel zur verspäteten Zahlung der Gehälter, die Situation an (MW 11.3.2022). Waren die Herausforderungen in wirtschaftlicher, sozialer, moralischer und kultureller Hinsicht bereits bisher enorm, sind sie nun seit Ausbruch der COVID-19-Krise Mitte März 2020 nochmals um ein Vielfaches angewachsen (ÖB 10.2022).

So erlebte Tunesien 2022 einen Zustand des Aufruhrs und der Spannungen, da die meisten Grundnahrungsmittel nicht mehr auf den Märkten erhältlich waren, insbesondere Zucker und Speiseöl. Parallel dazu heizten die hohen Preise und die steigenden Steuern und Treibstoffkosten, parallel zu verspäteten Auszahlungen der Gehälter, die Situation weiter an (MW 11.3.2022).

Trotz Beruhigung der COVID-19-Situation bekommt Tunesien die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu spüren. Die ukrainischen Weizenlieferungen blieben lange Zeit aus und die Preise für Erdöl und Erdgas haben stark angezogen (WKO 4.2023). Traditionell importiert Tunesien über 50 % seines Getreidebedarfs aus der Ukraine (WKO 4.2023; DFK 14.3.2023), was eine sehr hohe Inflation zur Folge hat. Laut dem tunesischen Institut für Statistik lag die nationale Inflationsrate im Feber 2023 bei 10,4 % – Tendenz steigend. Zusätzlich zu den steigenden Preisen komme es ständig zu Engpässen bei Gütern des Grundbedarfs; Grundnahrungsmittel wie Milch und Butter werden knapp, der Preis für Speiseöl verdoppelte sich zuletzt (DFK 14.3.2023). Die Knappheit gewisser Rohstoffe und Energieträger und die daraus induzierten Preissteigerungen führten zu einem Anstieg der Inflation. Die Folge ist, dass die Kaufkraft der Tunesier weiter sinkt. Zudem stieg COVID-bedingt die Arbeitslosigkeit 2020 auf 15,9 %. Im Jahresverlauf 2022 war diese wiederum leicht rückläufig aufgrund des langsam wieder anlaufenden Tourismus und belief sich auf 15,5 %. Die tunesischen Exporte entwickeln sich ebenfalls positiv (WKO 4.2023).

Generell hat sich die wirtschaftliche Lage im Land und damit die Situation der Menschen in den vergangenen Jahren konstant verschlechtert. Laut tunesischem Jurist und Politikexperte Hamadi Redissi ist die wirtschaftliche Lage des Landes „dramatisch“. Die Rating-Agentur Moody's stufte Tunesien bereits Ende Jänner 2023 auf die schlechteste Klasse herab (DFK 14.3.2023).

Somit bleibt Tunesien auch finanziell in einer Schieflage. Die Regierung hofft auf einen Milliarden-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF), um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Der IWF fordert im Gegenzug die Aufhebung von Subventionen unter anderem für Kraftstoffe und Nahrungsmittel sowie weitere Reformen. Das wiederum lehnen die Gewerkschaften ab (DFK 14.3.2023; vgl. WKO 4.2023).

Die Weltbank erklärte, dass die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise auf den internationalen Märkten zu einem höheren tunesischen Haushaltsdefizit führen werden, welches für 2023 auf -6,1 % und für 2024 auf -5,2 % des BIP geschätzt wird. Im Jahr 2021 betrug die Staatsverschuldung Tunesiens 81,8 % des BIP und Ende 2022 betrug die Schuldenquote bereits 88,8 % des BIP. Ein Finanzierungsbedarf von 19,9 Mrd. TND (d.s. 13,7 % des BIP) ist nötig, um das Budgetdefizit auszugleichen, doch die steigende Inflation und die Situation in der Ukraine werden wohl höhere Zuschüsse erforderlich machen. Die Weltbank merkt auch an, dass Tunesiens Schwierigkeiten beim Zugang zu internationalen Finanzmitteln zunehmen werden, um die Defizite auch künftig finanzieren zu können. Die tunesische Wirtschaft bleibt somit weiterhin unter Druck. Die Regierung hofft auf ein Darlehen in Höhe von 1,9 Mrd. USD des Internationalen Währungsfonds (IWF), um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Ohne rasche Umsetzung von Strukturreformen, den Verkauf von staatlichen Unternehmen und Grundbesitz, einer grundlegenden Reform des Subventionssystems und der Kontrolle des Anstiegs der Gehälter aller öffentlich Bediensteten, um den Haushalt zu sanieren (WKO 4.2023; vgl. HBS 7.3.2023). Es ist allerdings wohl kein neues Abkommen mit dem IWF zu erwarten (WKO 4.2023).

Tunesiens Präsident lehnte die Bedingungen des IWF Rettungspakets am 6.4.2023 deutlich ab (AN 6.4.2023). Vergangenen September (2022) hatte sich Tunesien mit dem IWF im Grundsatz auf einen Kredit über 1,9 Milliarden Dollar (1,74 Mrd Euro) geeinigt (NTV 6.4.2023; SRF 16.6.2023). Dessen Bewilligung liegt jedoch in weiter Ferne, da Tunesien die vom IWF formulierten Voraussetzungen dafür nicht erfüllt. Im Zentrum steht eine Übereinkunft zwischen der landesweit größten Gewerkschaft UGTT, der Regierung, dem Präsidenten und dem Arbeitgeberverband UTICA (HBS 7.3.2023). Da Tunesien bereits wichtige Verpflichtungen versäumt hat, und die Geber davon ausgehen, dass die Finanzen des Staates zunehmend von den Zahlen abweichen werden, die zur Berechnung der Vereinbarung herangezogen wurden. Ohne einen Kredit steht Tunesien vor einer ausgewachsenen Zahlungsbilanzkrise und der Zahlungsunfähigkeit (AN 6.4.2023) bzw. einem Staatsbankrott (HBS 7.3.2023).

Die Rettungsgespräche mit dem IWF sind seit Monaten ins Stocken geraten. Zudem haben die drei großen internationalen Ratingagenturen das Fehlen eines IWF-Darlehens als Hauptgrund für die Herabstufung der Bonitätsbewertungen tunesischer Staatsanleihen in den letzten Monaten angegeben. Diese schlechten Bonitätsbewertungen haben den Import von lebenswichtigen Gütern wie Weizen behindert (AN 6.4.2023). Gleichzeitig hängt die Industrieproduktion von der Konjunktur in Europa ab. Die Prognosen für das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) liegen für 2023 bei knapp unter 2 %. Welche Reformen auf den Weg gebracht werden, ist nach wie vor unklar. Die Verzögerung der Entscheidung des IWF zeigt, dass Klärungsbedarf besteht. Währenddessen nehmen die Spannungen zwischen Regierung, Zentralbank und Gewerkschaften zu. Einige der zu erwartenden Maßnahmen, wie die Reform von Staatsunternehmen und die weitere Senkung von Subventionen, bergen Zündstoff (GTAI 15.4.2023).

Gemäß Weltbankstatistiken leben mehr als 2,5 Mio. Tunesier (bei einer Bevölkerung von 12 Mio.) unter der Armutsgrenze. Allein aufgrund der COVID-19-Krise kamen über 600.000 dazu. Somit ist deren Zahl von 15,5 % vor der Krise auf 21 % angestiegen. Es bestehen regional große Unterschiede. In einigen Regionen im Landesinneren beträgt der Armutsanteile über 50 %. Die Regierung lässt den Ärmsten unregelmäßig – von der Weltbank finanzierte – direkte Unterstützungen zukommen, ohne allerdings die zugrunde liegenden Ursachen zu bekämpfen. Ein flächendeckendes direktes Unterstützungsprogramm für bedürftige Familien ist in Ausarbeitung und soll – wie vom IWF gefordert – das bisherige produktorientierte Subventionssystem ablösen (ÖB 10.2022).

Die Kaufkraft der Tunesier sinkt, jedoch war die Arbeitslosigkeit im Jahresverlauf 2022 mit 15,5 % leicht rückläufig. Grund dafür ist die positive Entwicklung bzw. Erholung des Tourismus und der tunesischen Exporte (WKO 14.4.2023; vgl. WKO 4.2023). Mit Stand März 2023 lag die Arbeitslosenquote bei 14,7 % (WKO 4.2023). Zu dem hohen Anteil an jungen und diplomierten Arbeitslosen kommen die Schulabbrecher (jährlich ca. 100.000), die vom privaten Sektor und vor allem auch im Tourismus krisenbedingt Entlassenen sowie das Heer an Beschäftigten des informellen Sektors (der auf 50 % der Wirtschaftsleistung geschätzt wird), welchen ihre Existenzgrundlage entzogen wurde (ÖB 10.2022). Aufgrund der relativ hohen Inflation müssen Gehälter fortwährend angepasst werden. So variiert die Beschäftigungsquote je nach Region innerhalb Tunesiens. Tendenziell ist die Lage an der Küste und im Norden des Landes besser, was auf die Tourismusbranche sowie die dort angesiedelte Industrie zurückzuführen ist (ABG 2.2023).

Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar [160-250 Euro]. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar [310-500 Euro]. Der staatliche Mindestlohn (sogenannter SMIG), liegt bei 403 Dinar [ca. 120 Euro]. Etwa 25,4 % der Bevölkerung leben in Armut, d. h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (sogenannter SMIG), der umgerechnet bei ca. 140 Euro liegt. Auch für die bisherige Mittelschicht wird die Diskrepanz zwischen Verdienst und Deckung der tatsächlichen Bedürfnisse immer größer und die Verschuldung der Privathaushalte hat stark zugenommen. Die Kaufkraft der tunesischen Bevölkerung ist seit der Revolution 2011 um 30 % zurückgegangen. Grund für die dramatische Verschlechterung der Einkommenssituation sind Jahrelanges (so gut wie) Nullwachstum, im Jahr 2020 eine schwere Rezession bedingt durch COVID-19, hohe Inflation, der stets zunehmende Mangel an Arbeitsplätzen für die z. T. schlecht bzw. nicht den Bedürfnissen entsprechend ausgebildeten Arbeitskräfte, ein Niedergang des in Tunesien sehr bedeutenden staatlichen Industriesektors, Misswirtschaft sowie Korruption. Der Wegbruch des Tourismus traf Tunesien besonders hart, er trägt 11 % zum BNP bei (ÖB 10.2022).

Laut Weltbank führen die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise auf den internationalen Märkten zu einem höheren tunesischen Haushaltsdefizit (WKO 4.2023). Immerhin gibt es in einigen Bereichen Erfolgsmeldungen. Die Einnahmen aus dem Tourismus stiegen bereits 2022 wieder stark an, für 2023 haben mehrere Fluglinien ihre Verbindungen nach Tunesien ausgebaut (GTAI 15.3.2023). Der tunesische Tourismussektor erholt sich langsam von der COVID-Pandemie. Die Einnahmen beliefen sich im Jahr 2022 auf 1,2 Mrd. Euro. Aufgrund der Situation in der Ukraine kommt es zu einem Ausbleiben der Touristen aus dieser Region, was etwa 7 % der Gesamteinnahmen dieses Tourismus-Sektors ausmacht. Das Wirtschaftswachstum für das Jahr 2022 betrug +2,5 % (WKO 4.2023).

Der Agrarsektor kam vergleichsweise gut durch das Corona-Jahr 2020. Und auch zu Beginn 2020 lief die Produktion von Phosphat gut. Die Pharmaindustrie gilt weiterhin als Hoffnungsträger und bietet Exportchancen. Nachdem es 2019 gute Aussichten für die Textilbranche gab, ist die Produktion im letzten Jahr um circa 20 % zurückgegangen. Mit mehr als 100.000 Beschäftigten ist Tunesien ein etablierter IT-Standort. Zudem etabliert sich das Land als Start-up-Hub für die Region. E-Commerce und Digitalisierung profitieren auch in Pandemiezeiten. Wegen niedriger Gehälter wandern jährlich allerdings etwa 2.500 Informatiker ins Ausland ab (ABG 2.2023).

Bei einer in drei tunesischen Städten (Great Tunis, Sousse und Sfax) durchgeführten Umfrage zu sozio-ökonomischen Faktoren wurden, mittels Computer Assisted Telephone Interviewing (CATI)-Methode und Quotenstichproben auf der Grundlage der neuesten verfügbaren offiziellen Bevölkerungsdaten im Zeitraum 5.-8.1.2022 in jeder der genannten Zielstädte, Einwohner, bzw. eine Stichprobe von 300 Personen zwischen 16 und 35 Jahren, von One to One for Research and Polling befragt. Dort geben 42 % der Befragten an, dass sie ihren Haushalt kaum oder gar nicht mit Lebensmitteln versorgen können, was eine schwierige Situation für den Großteil der Befragten darstellt. Problematischer ist es, wenn es um den Kauf von grundlegenden Konsumgütern wie Kleidung oder Schuhe geht, denn nur 16 % schaffen es, ihren Haushalt mit diesen Gütern zu versorgen, 28 % schaffen es gerade so, und 53 % können diese Art von Gütern entweder kaum oder gar nicht für ihren Haushalt besorgen. Dennoch geben 44 % der Befragten an, eher zufrieden zu sein mit ihrem Leben. Unter den Einwohner mit niedrigen Einkommen sind 37,3 % der Befragten eher zufrieden, 28,2 % sind gar nicht zufrieden und 16,7 % sind sehr zufrieden mit ihrem Leben. Die für dieses Ergebnis ausschlaggebende demografische Variable ist das Einkommensniveau (BFA 5.2.2022).

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist zwar vor allem dank staatlicher Subventions- und Interventionspolitik bis auf saisonale Versorgungsengpässe einigermaßen gesichert, hingegen besteht ein eklatantes Einkommensgefälle zwischen wohlhabenderer Küstenregion sowie dem Großraum Tunis (mit allein ca. 50 % der Bevölkerung) und den benachteiligten ruralen Gebieten im Hinterland (ÖB 10.2022).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNAM und CNSS) (AA 22.6.2023). Das tunesische Sozialsystem bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95 % (ÖB 10.2022). Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 22.6.2023). Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien (ÖB 10.2022).

Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Gemäß Nationalem Statistikinstitut INS zählt der informelle Sektor rund 1,5 Mio. Beschäftigte, die nicht mit einer Finanzhilfe rechnen können. Laut tunesischem Industrieverband UTICA wurden alleine während der ersten COVID-19-Welle 165.000 Arbeitsplätze vernichtet. Während der COVID-Lockdowns kam es zu zahlreichen Protesten, da sich viele ihrer Einkommensgrundlage beraubt sahen. Die früher relativ breite, weit definierte Mittelschicht Tunesiens aus selbstständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten sieht ihre Kaufkraft zunehmend schwinden und droht, in die Prekarität abzugleiten. Die schmale Oberschicht aus traditionell einige Wirtschaftszweige beherrschenden Familien ist mehr an Machterhalt als an Beschäftigung zusätzlicher Arbeitskräfte interessiert. Die allmächtige traditionelle Gewerkschaft UGTT lehnt bisher jede Änderung des Status quo rigoros ab und behindert so eine Umstrukturierung des ineffizienten auf Nepotismus und Rentenmentalität beruhenden öffentlichen Sektors. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 10.2022).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 ABG - Africa Business Guide (2.2023): Länderprofil Wirtschaft in Tunesien: Etablierter Produktionsstandort mit Blick auf Europa, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/tunesien , Zugriff 21.7.2023

 AN - Arab News (6.4.2023): Tunisia president rejects IMF ‘diktats’, casting doubt on bailout, https://www.arabnews.com/node/2282506/middle-east , Zugriff 23.6.2023

 BFA Staatendokumentation (Herausgeber) [Österreich], ONE TO ONE for Research and Polling (Autor) (5.4.2022): Dossier Tunisia; Socio-Economic Survey 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071025/TUNISIA_Socio-Economic+Survey+2022.pdf , Zugriff 25.7.2023

 DFK- Deutschlandfunk Kultur (14.3.2023): Verhaftungswelle und Proteste Tunesien kämpft gegen einen Frontalangriff auf die Demokratie, https://www.deutschlandfunkkultur.de/tunesien-innenpolitische-lage-proteste-100.html , Zugriff 22.6.2023

 GTAI - Germany Trade & Invest (15.4.2023): Politische Lähmung dämpft wirtschaftliche Aussichten, https://www.gtai.de/de/trade/tunesien/wirtschaftsumfeld/politische-laehmung-daempft-wirtschaftliche-aussichten-241246 , Zugriff 12.6.2023

 HBS - Heinrich Böll Stiftung (7.3.2023):Verschwörungstheorien und Gewalt: Tunesien rutscht tiefer in die Krise, https://www.boell.de/de/2023/03/07/verschwoerungstheorien-und-gewalt-tunesien-rutscht-tiefer-die-krise , Zugriff 23.6.2023

 MW - MideastWire (11.3.2022): Experts to Arabi 21: Confusing social tension in Tunisia foreshadows explosion, https://mideastwire.com/page/articleFree.php?id=77461 , Zugriff 25.7.2023

 NTV- ntv Nachrichtenfernsehen GmbH (6.4.2023): Hilfe nur gegen Reformen Tunesien überwirft sich mit Internationalem Währungsfonds, https://www.n-tv.de/ticker/Tunesien-ueberwirft-sich-mit-Internationalem-Waehrungsfonds-article24038669.html , 12.6.2023

 SRF- Schweizer Radio und Fernsehen (16.6.2023): Staatsverschuldung Tunesiens-Der IWF fordert Wirtschaftsreformen in Tunesien, https://www.srf.ch/news/international/staatsverschuldung-tunesiens-der-iwf-fordert-wirtschaftsreformen-in-tunesien , Zugriff 23.6.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 27.7.2023

 WKO [Österreich] (14.4.2023): Tunesien: Neuer Wirtschaftsbericht, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-tunesische-wirtschaft.html , Zugriff 12.6.2023

 WKO [Österreich] (4.2023): Wirtschaftsbericht Tunesien – Außenwirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/tunesien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 12.6.2023

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 22.6.2023) - es ist zumindest in Tunis gut. Außerhalb der Hauptstadt ist mit einigen Einschränkungen zu rechnen (AA 13.7.2023). Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert, es gibt in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen. Allerdings sind die rund 2.200 Einrichtungen trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand. Gerade die COVID-19-Pandemie zeigte die starken Defizite auf (ÖB 10.2022). Üblicherweise ist eine weitreichende Versorgung in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen (AA 22.6.2023).

Bei einer in drei tunesischen Städten (Great Tunis, Sousse und Sfax) durchgeführten Umfrage zu sozioökonomischen Faktoren wurden, mittels Computer Assisted Telephone Interviewing (CATI)-Methode und Quotenstichproben auf der Grundlage der neuesten verfügbaren offiziellen Bevölkerungsdaten zwischen 5. und 8.1.2022 in jeder der genannten Zielstädte, Einwohner, bzw. eine Stichprobe von 300 Personen zwischen 16 und 35 Jahren, von One to One for Research and Polling befragt. Demnach ist die Verfügbarkeit von Fachärzten insbesondere in Sfax nicht mehr so einfach wie früher. Etwa 34,7 % der befragten Einwohner gaben an, dass sie immer Zugang zu Fachärzten haben, wogegen in Groß-Tunis und Sousse etwa 44 % der befragten Einwohner angaben, immer Zugang zu Fachärzten zu haben. Grundsätzlich ist für Frauen die Verfügbarkeit zu Fachärzten höher als jene für Männer. 44,7 % der befragten Frauen gaben an, immer Zugang zu haben, wogegen 22 % angaben, nur eingeschränkten Zugang zu haben (BFA 5.2.2022).

Eine stark angestiegene Anzahl an gut ausgestatteten Privatkliniken bedient meist Ausländer, u. a. zahlungskräftige Libyer und Algerier (ÖB 10.2022; vgl. AA 13.7.2023). Außerhalb der Hauptstadt ist mit einigen Einschränkungen zu rechnen (AA 13.7.2023).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 22.6.2023).

In Einzelfällen kann es - insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten - Versorgungsprobleme geben (BMEIA 5.6.2023; vgl. EDA 9.5.2023). Krankenhäuser verlangen in der Regel vor der Behandlung eine finanzielle Garantie (schriftlich garantierte Kostenübernahme oder Vorschusszahlung)(EDA 9.5.2023). Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 22.6.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.7.2023): Tunesien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/tunesiensicherheit/219024 , Zugriff 21.7.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 BFA Staatendokumentation (Herausgeber) [Österreich], ONE TO ONE for Research and Polling (Autor) (5.4.2022): Dossier Tunisia; Socio-Economic Survey 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071025/TUNISIA_Socio-Economic+Survey+2022.pdf , Zugriff 25.7.2023

 BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/ , Zugriff 7.6.2023

 EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tunesien/reisehinweise-fuertunesien.html#eda931a7d , Zugriff 7.6.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 29.12.2022

Rückkehr

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrunde liegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in § 35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bis 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im vergangenen Jahr ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen dann nicht zur Anwendung, wenn Personen das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 22.6.2023).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 22.6.2023).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und eingeschränkten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen u. a. der Schweiz und Norwegens (Programm AVRR). Rückkehrprojekte umfassen z. B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben oder im Bereich der Landwirtschaft, haben jedoch gem. Beobachtungen bislang kaum Erfolg gezeigt (ÖB 10.2022).

Als zweite Institution ist das ICMPD seit 10. Juni 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm). Neben Ländern wie Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko und Syrien wird Tunesien dabei als „Plattform“ (interaktiv zu verfolgen unter: www.eurotun-migr.net ) für folgende Arbeitsbereiche gesehen:

• IBM: Integrated Border Management (IBM): technische und operative Unterstützung der nationalen Institutionen im Bereich grüne und blaue Grenzsicherung

• MIEUX: Migration EU Expertise : eine gemeinsame EU-ICMPD Initiative zur Stärkung der Nationalen Migrationsstrategie, insbesondere des Nationalen Migrationsobservatoriums (ONM)

Im Dezember 2020 hat die UGTT, der tunesischen Gewerkschaft, ein Büro für ausländische Arbeiter zum Schutz gegen Ausbeute, Rassismus und Verletzung ihrer sozialen - wie wirtschaftlichen Rechte eröffnet (ÖB 10.2022).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.6.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tunesien (Stand: Mai 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2093953/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Tunesien%2C_22.06.2023.pdf , Zugriff 28.6.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (10.2022): Asylländerbericht Tunesien 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2084785/2022_10_00_%C3%96B_Asyll%C3%A4nderbericht_2022_Tunesien.docx , Zugriff 27.7.2023

 

2. Beweiswürdigung:

Als Vorverfahren gilt jenes, in dem zuletzt inhaltlich entschieden wurde und damit das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.2024, I417 2275268-1/19E abgeschlossen worden war. In den entsprechenden Gerichtsakt wurde ebenso Einsicht genommen wie in den Gerichtsakt zum Schubhaftverfahren zu G307 2293700-1.

Darüber hinaus wurde am 16.09.2024 eine mündliche Verhandlung abgehalten, in welcher auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin befragt wurde.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht anhand seiner vorgelegten Geburtsurkunde, seines Staatsbürgerschaftsnachweises und der Kopie des Reisepasses fest. Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und seiner Erwerbsfähigkeit ergeben sich aus dem Umstand, dass keine gesundheitlichen Einschränkungen geltend gemacht wurden.

Die Einreise des Beschwerdeführers wie die sodann erfolgte/n Asylantragstellung/en ergeben sich aus der Beschwerdevorlage vom 17.06.2024 und dem Datenbestand des zentralen Fremdenregisters (IZR). Im IRZ spiegelt sich auch die fehlende Existenz einer – wie auch immer gearteten – Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wieder.

Änderungen in der Person des Beschwerdeführers wurden im Verfahren nicht vorgebracht, so dass die bereits im Vorverfahren getroffenen Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Religionszugehörigkeit, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seinen Lebensumständen in Tunesien, seiner familiären Situation sowie seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung in Tunesien übernommen werden konnten.

Die Feststellung zur Beziehung des Beschwerdeführers mit V.K. ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers sowie den Angaben seiner Lebensgefährtin im Zuge der mündlichen Verhandlung am 16.09.2024. Der bis zur Inhaftierung bestehende gemeinsame Wohnsitz seit Dezember 2023 ist aus dem aktuellen ZMR-Auszug ersichtlich. Die Feststellungen zu seiner Beziehung zu den Kindern von V.K. ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers sowie den Angaben seiner Lebensgefährtin im Zuge der mündlichen Verhandlung am 16.09.2024. Die Geburt des gemeinsamen Sohnes ergibt sich aus dem der Beschwerde beigelegten Vaterschaftsanerkenntnis und der ebenfalls der Beschwerde beigelegten Geburtsurkunde.

Die festgestellten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers gründen auf dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin in der Beschwerdeverhandlung am 16.09.2024. Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben keinen Deutschkurs besucht und auch keine Sprachprüfung absolviert.

Die Feststellungen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers seit März 2023 ergeben sich aus einem aktuellen GVS-Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem, einer Einsichtnahme in die Datenbank der Sozialversicherungsträger, und einem Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria in Zusammenschau mit einer Anfragebeantwortung der SVS vom zu den offenen Beitragsrückständen des Beschwerdeführers.

Die Zusage für eine Einstellung ab 01.11.2024 ergibt sich aus einem in der Verhandlung am 16.09.2024 vorgelegten Einstellungszusage vom 10.09.2024.

2.2. Zum strafrechtlichen Verhalten des Beschwerdeführers sowie zu seinen Verstößen gegen das Asyl- und Fremdenrecht:

Die Verurteilung folgt dem Inhalt des auf die Person des Beschwerdeführers lautenden Auszuges aus dem Strafregister wie der im Akt zum Vorverfahren einliegenden Urteilsausfertigung. Die Umstände des Ladendiebstahls am 09.12.2022 ergeben sich aus den Abschlussberichten der LPD XXXX vom 24.01.2023, GZ.: XXXX und vom 01.02.2023, GZ.: XXXX . Die Umstände des Streits mit einem anderen Asylwerber in der Unterkunft am 04.03.2023 ergeben sich aus dem Abschlussbericht der LPD XXXX vom 06.04.2023, GZ.: XXXX . Die Feststellungen zur Bedrohung durch den früheren Lebensgefährten von V.K. ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Protokoll der Zeugenvernehmung von V.K. am 30.09.2023 (LPD XXXX , GZ.: XXXX ).

Dass der Beschwerdeführer die Fremdenbehörde über die Existenz seines Reisepasses getäuscht hat, ist den im Akt einliegenden Kopien (AS 223-233), die das Standesamt XXXX der belangten Behörde übermittelt hatte, zu entnehmen. Der Beschwerdeführer hatte im vorangegangenen Asylverfahren angegeben, kein Reisedokument zu besitzen, da er seinen Reisepass in Serbien verloren habe. Anfang März 2024 legte der Beschwerdeführers im Zuge der Vaterschaftsanerkennung allerdings seinen Reisepass in Kopie dem Standesamt Leoben vor, zudem einen Auszug aus dem Personenregister, ausgestellt in XXXX am 20.10.2023 und eine Bestätigung der Botschaft der tunesischen Republik in Wien vom 07.03.2024. In der Schubhaftverhandlung vom 17.06.2024 dazu befragt, verwickelte sich der Beschwerdeführer in Widersprüche, gab er doch an, dass er nur einen tunesischen Staatsbürgerschaftsausweis, die Verlustanzeige für den Reisepass und seine Geburtsurkunde vorgelegt habe – was aber im Widerspruch zur im Akt einliegenden Kopie des Reisepasses steht. Auch in der mündlichen Verhandlung am 16.09.2024 konnte der Beschwerdeführer die Angelegenheit nicht aufklären, vielmehr erklärte er zunächst, dass er keinerlei Identitätsnachweise besessen zu haben und sich im Zuge der Vaterschaftsanerkennung im Frühjahr 2024 bei der tunesischen Vertretungsbehörde um Ausweise bemüht zu haben. Darauf hingewiesen, dass dies nicht erklären könne, wie er zu seinem im Jahr 2017 ausgestellten Führerschein bzw. zu seinem 2020 ausgestellten Reisepass gekommen sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass ihm sein Führerschein zugeschickt worden sei, er seinen Reisepass aber tatsächlich verloren und eine Kopie vorgelegt habe. Auch wenn man dies als wahr unterstellt, ändert es nichts daran, dass er der belangten Behörde im Vorverfahren weder seinen Führerschein noch die Kopie des Reisepasses vorgelegt hatte und so jedenfalls nicht an der Feststellung seiner Identität mitgewirkt hatte.

Der Verdacht der Sachbeschädigung in der Schubhaft ergibt sich aus einem im Akt einliegenden Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 22.06.2024, GZ: XXXX .

2.3. Zu einer Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asylrelevante Lage im Herkunftsstaat:

Im „Vergleichserkenntnis“ vom 05.02.2024 stützte sich das BVwG auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 8 vom 03.08.2023, welches auch im gegenständlichen Verfahren von der belangten Behörde herangezogen wurde. Eine Änderung ist daher nicht ersichtlich.

Soweit in der Beschwerde eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes im Sinne einer drastischen Verschlechterung der Versorgungs- und Sicherheitslage behauptet wurde, wurde dies nicht näher ausgeführt. In der Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer und der Rechtsvertretung die Möglichkeit dazu gegeben, dies zu belegen, doch verwies der Beschwerdeführer nur auf die seit Jahrzehnten herrschende Korruption und die andauernden Konflikte zwischen Regierung und islamischen Bewegungen, während die Rechtsvertretung auf eine Stellungnahme verzichtete. Es ergibt sich somit aus der Einsicht in die Länderberichte keine maßgebliche Änderung der den Beschwerdeführer betreffenden Lage in Tunesien.

2.4. Zu einer Änderung der sonstigen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umstände:

Dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren bezüglich seines Antrags auf internationalen Schutz keine neuen Gründe geltend machte, sondern sich hiebei nur auf jene bereits im vorherigen Verfahren geltend gemachten gestützt hat, ergibt sich aus seinen Aussagen bei der Erstbefragung am 13.03.2024, vor der belangten Behörde am 18.07.2024 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2024. Er betonte stets, dass es keine Änderung hinsichtlich seiner Fluchtgründe gegeben habe und dass er den gegenständlichen Antrag nur wegen seines Kindes bzw. der erwarteten Geburt seines Kindes gestellt habe.

Auch aus den Beschwerdeausführungen lässt sich nicht erkennen, worin ein gegenüber dem Vorverfahren geänderter Sachverhalt liegen sollte. Zusammengefasst kann daher in Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine, in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides:

Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist „Sache“ eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (vgl. etwa VwGH 19.12.2018, Ra 2016/06/0063; 28.2.2019, Ra 2018/22/0237, jeweils mwN).

 

Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175).

 

Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0234, mwN), an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. dazu etwa grundlegend VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

 

Gegenständlich hat sich seit der letzten inhaltlichen Entscheidung vom 05.02.2024 weder die Situation in Tunesien maßgeblich geändert noch liegt eine wesentliche Änderung der Umstände die Person und die Fluchtgründe des Beschwerdeführers betreffend vor. Somit hat sich die Sachlage zwischen dem Abschluss des ersten Asylverfahren und der Entscheidung durch das BFA nicht geändert. Eine Änderung der Rechtslage liegt ebenfalls nicht vor. Das BFA hat daher den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

 

3.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

 

 

3.3. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der Beschwerdeführer hält sich etwas mehr als zwei Jahren in Österreich auf. Die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet ist daher nicht als lang anzusehen. Insbesondere ist auch zu berücksichtigen, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nur vorläufig aufgrund seiner zweifachen Antragstellung nach dem AsylG 2005 rechtmäßig war (§ 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG). Die Dauer des bisherigen Aufenthaltes ist auch nicht in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet (§ 9 abs. 2 Z 9 BFA-VG).

 

In diesem Zusammenhang muss auch hervorgehoben werden, dass der Beschwerdeführer für Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, verantwortlich zeichnet: Er stellte zwei letztlich erfolglose Anträge auf internationalen Schutz, kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und enthielt den Behörden seine Identitätsdokumente solange vor, bis er diese nützte, um eine Vaterschaftsanerkennung zu erlangen. Zudem wurde der Beschwerdeführer verurteilt, unter anderem wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG), und zeigt somit sein Verhalten, dass er die österreichische Rechtsordnung und die Bestimmungen des europäischen Fremdenrechts nicht akzeptiert und nicht bereit ist, sich regelkonform zu verhalten (§ 9 Abs. 2 Z 7 BFA-VG).

 

Vor etwa einem Jahr begann er eine Beziehung mit der österreichischen Staatsbürgerin V.K., in deren Wohnung er mehrere Monate später zog. Es ist daher unbestritten, dass der Beschwerdeführer ein Familienleben in Österreich führt (§ 9 Abs. 2 Z 2 BFA-VG). Zum Zeitpunkt des Eingehens der Beziehung war sowohl dem Beschwerdeführer wie auch seiner jetzigen Ehefrau die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise bewusst (§ 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG), so dass das Familienleben mit seiner Lebensgefährtin maßgeblich relativiert ist.

 

Der Beschwerdeführer hat durchaus beachtliche Schritte gesetzt, um sich in Österreich zu integrieren (§ 9 Abs. 2 Z 3 und 4 BFA-VG); so hat er ein Gewerbe angemeldet, sich von der Grundversorgung abgemeldet und für sein eigenes Einkommen gesorgt. Auch sind seine Deutschkenntnisse – zumindest unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er erst seit zwei Jahren in Österreich ist und dass er keine Deutschprüfung absolviert und keinen Kurs besucht hat – durchaus beachtlich. Der Beschwerdeführer hat sich auch ein soziales Netzwerk im Bundesgebiet geschaffen und hat Verwandte in den Nachbarländern, wobei keine besonderen Abhängigkeiten diesbezüglich bestehen.

 

Allerdings ist auch nicht davon auszugehen, dass keine Bindungen mehr zum Herkunftsstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) bestehen, leben doch etwa die Mutter und zahlreiche Geschwister des Beschwerdeführers dort und hielt er sich bis vor zwei Jahren dort auf.

 

In einer Gesamtschau dieser Umstände ist jedenfalls nicht von einem Überwiegen des Interesses des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen auszugehen. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass der Sohn des Beschwerdeführers vor etwa einem Monat auf die Welt gekommen ist. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 11.3.2021 in der Rs C-112/20, MA klargestellt, dass auch dann, wenn ein Kind gar nicht von der Maßnahme, aber von den Folgen einer Rückkehrentscheidung betroffen ist, das Kindeswohl zu prüfen ist; das Wohl des Kindes ist daher gebührend zu berücksichtigen, selbst wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um einen Minderjährigen, sondern um dessen Vater handelt.

 

Grundsätzlich hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen (Art. 24 Abs. 3 GRC/Art. 2 Abs. 1 B-VG Kinderrechte). Allerdings ist relativierend zu berücksichtigen, dass es bislang noch keine Bindung des Kindes an den Beschwerdeführer gibt, haben sie sich bislang doch immer nur für einige Minuten im Rahmen der Schubhaft bzw. der mündlichen Verhandlung gesehen. Es bestand auch nie ein gemeinsamer Haushalt, was nach der Judikatur des EGMR (CASE OF LOUKILI v. THE NETHERLANDS, 11.3.2023) ebenfalls als relativierend anzusehen ist. Der Sohn des Beschwerdeführers ist als österreichischer Staatsbürger auch nicht gezwungen, weder de-facto noch de-jure, das Bundesgebiet zu verlassen, wenn der Beschwerdeführer nach Tunesien zeiht. Seine Mutter V.K. hat bereits vier Kinder, die sie in den letzten zehn Jahren allein betreut hat, und fühlt sich nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung in der Lage, ein weiteres Kind großzuziehen. V.K. kann bei der Betreuung von Yasin auch von ihren älteren Kindern unterstützt werden und ist die Versorgung des Kindes abgesichert.

 

Auch wenn die Bedeutung der Bindung eines Vaters zum Kind in den ersten Lebensmonaten für die Entwicklung eines Kindes durchaus anerkannt wird, muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es dem Beschwerdeführer – und auch der Kindesmutter – bewusst sein musste, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich gefährdet ist. Für die erkennende Richterin entstand in der mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass der Beschwerdeführer eine rasche Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin durchaus begrüßte, um seine Chancen auf eine Aufenthaltsberechtigung zu verbessern. Während der Beschwerdeführer in der Verhandlung darauf verwies, dass er rund um die Zeugung des Kindes gar nicht an seinen Aufenthaltsstatus gedacht habe, weil alles „so natürlich“ erschienen sei und seine Lebensgefährtin die Pille nicht gewollt habe, erklärte seine Lebensgefährtin – aus Sicht der erkennenden Richterin glaubhafter - dass sie schon vorher darüber gesprochen hätten und der Beschwerdeführer ein Kind gewollt habe. Es entspricht nun der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden muss, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. etwa VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0226 bis 0228, mwN).

 

Ebenso ist im gegebenen Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Berücksichtigung des Kindeswohls im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung darstellt; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. etwa VwGH 08.09.2021, Ra 2021/20/0166 bis 0170, mwN). Es ist daher jedenfalls einzubeziehen, dass die Lebensgemeinschaft und die Schwangerschaft zu einem Zeitpunkt begründet wurden, als dem Beschwerdeführer bewusst sein musste, dass er nicht darauf vertrauen konnte, langfristig rechtmäßig in Österreich bleiben zu dürfen. Stattdessen stellte er missbräuchlich seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Gerade wenn ein Antrag auf internationalen Schutz missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt wird, wiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besonders schwer (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235).

 

Es steht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, von Tunesien aus einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen. Der Beschwerdeführer hat bereits gute Deutschkenntnisse erworben und kann in den nächsten Monaten in Tunesien einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, um so die (finanziellen) Voraussetzungen des NAG zur Erlangung eines entsprechenden Aufenthaltstitels zu erfüllen. Auch V.K. plant nach Ende der Karenzzeit wieder eine Beschäftigung aufzunehmen. Nach der Judikatur des VwGH (VwGH 10.11.2022, Ra 2022/21/0085) erlischt eine Rückkehrentscheidung „ex lege“, wenn eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt wird.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kann sich auch der Einschätzung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid anschließen, dass es V.K. möglich sein sollte, den Beschwerdeführer während der Dauer eines ordnungsgemäßen Niederlassungsverfahrens in Tunesien zu besuchen (VwGH 05.03.2020, Ra 2019/19/0524).

 

In einer Zusammenschau all dieser Elemente, insbesondere auch der Straffälligkeit des Beschwerdeführers, schlägt die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessensabwägung auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus.

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaige wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt jedoch im Fall des volljährigen, gesunden und erwerbsfähigen Beschwerdeführers ebenfalls nicht vor.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind ebenso erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (etwa vorübergehend nach Art. 8 EMRK, vgl. § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

 

3.4. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Diesbezüglich ist darauf zu hinzuweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 27.04.2021, Ra 2021/19/0082, mwN).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR im Sinne des § 50 Abs. 3 FPG entgegen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

3.5. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):

Ein "Einreiseverbot" im Sinne des Art. 3 der RL 2008/115/EG [über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger] ist „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht“. Die Dauer des Einreiseverbotes ist ab dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem der Betroffene tatsächlich das Territorium der Mitgliedstaaten verlassen hat (vgl. EuGH 26.07.2017, C-225/16, Ouhrami).

Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen, wobei sich die belangte Behörde dabei auf § 53 Abs. 1 Z 1 FPG stützte, welcher folgendermaßen lautet:

„Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren (…), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;“

Der Beschwerdeführer erfüllt diesen Tatbestand unbestritten, wurde er doch mit Urteil des LG XXXX vom 15.05.2024, Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am selben Tag, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, schwerer Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und schwerer Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten verurteilt, wovon 9 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren ausgesprochen wurden. Der Beschwerdeführer hatte am 12.03.2023 versucht, sich seiner Festnahme zu entziehen und mit seiner massiven Gegenwehr zwei Beamte verletzt (siehe Punkt 1.2.). Als mildernd wurden bei der Strafbemessung das Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend die Massivität des Widerstandes sowie das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich (in Freiheit) wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. dazu etwa VwGH 01.02.2022, Ra 2021/21/0032, Rn. 12, mwN). Die Straftat liegt allerdings erst einige Monate zurück, so dass noch nicht von einem Gesinnungswandel ausgegangen werden kann, auch wenn der Beschwerdeführer in der Verhandlung erklärte, sein damaliges Verhalten zu bereuen. Doch auch die in der Beschwerde vorgebrachte „emotionale Ausnahmesituation“ des Beschwerdeführers bei seiner Festnahme entschuldigt sein Verhalten nicht, würde doch letztlich damit jede Gewaltanwendung bei einer Festnahme gerechtfertigt. Gerade in derartigen Situation ist es für die öffentliche Ordnung und Sicherheit von höchster Relevanz, dass die behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen von den dazu befugten Organen umgesetzt werden können, ohne dass diese um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen. Auch im Urteil wurde die „Massivität des Widerstandes“ hervorgehoben und beruhigte sich der Beschwerdeführer nach seiner Festnahme auch für längere Zeit nicht, sondern zerschlug er mit seinem Kopf die Scheibe des Polizeiautos und wütete er dann auch noch in der Zelle weiter. Es ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer sich in den letzten Monaten von seinen damaligen Verhaltensweisen glaubhaft und nachhaltig distanziert hat, zumal es auch während der Schubhaft Beschwerden über sein Verhalten gab. Auch der Umstand, dass er mit dem früheren Lebensgefährten seiner Freundin in einen körperlichen Konflikt geriet (ohne dabei zu verkennen, dass die weitaus massivere Gefährdung vom früheren Lebensgefährtin seiner Freundin ausgegangen war) und ebenso ein verbaler Streit in der Flüchtlingsunterkunft, der in eine körperliche Auseinandersetzung mündete, zeigen seine Bereitschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sowie in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers kann eine von ihm ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen, insbesondere der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden. Es kann der belangten Behörde daher nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging und erweist sich das gegen den Beschwerdeführer verhängte Einreiseverbot somit dem Grunde nach als gerechtfertigt, weshalb eine Aufhebung nicht in Betracht kommt.

Bezüglich der Befristung des Einreiseverbotes ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung, sondern auch bei einem - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässigen – Einreiseverbot im Sinne des § 53 FPG, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird, die Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist (vgl. VwGH 14.02.2022, Ra 2020/21/0200, mwN).

Die belangte Behörde verhängte gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. Er führt eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, doch waren sich beide beim Eingehen der Beziehung des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst. Zudem entstammt dieser Beziehung ein erst ein Monat altes Kind. Das Kindeswohl ist auch bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes zu berücksichtigen. Nachdem es bislang aber keinen gemeinsamen Wohnsitz gegeben hatte und noch keine Bindung aufgebaut wurde, erscheint es auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls im gegenständlichen Fall verhältnismäßig, ein Einreiseverbot auszusprechen, doch war dieses auf 18 Monate abzusenken. In diesem Zeitraum kann die Beziehung auch durch Besuche in Tunesien aufrechterhalten bzw. in Bezug auf das Kind aufgebaut werden. In dieser Zeit sollte der Beschwerdeführer auch alle Voraussetzungen, um einen Aufenthaltstitel nach dem NAG erfolgreich zu beantragen, nachweisen können.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung eines für die Dauer von höchstens fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes liegen im Falle des Beschwerdeführers nach Maßgabe des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG somit eindeutig vor und erweist sich die seitens der belangten Behörde verhängte Dauer von zwei Jahren vor dem Hintergrund einer grundsätzlich zulässigen Höchstdauer von fünf Jahren sowie den im gegenständlichen Fall vorliegenden Umständen als geringfügig zu lang und wird diese daher auf 18 Monate abgesenkt.

Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß dahingehend zu berichtigten, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Einreiseverbot auf die Dauer von 18 Monaten reduziert wird, die dagegen erhobene Beschwerde war jedoch dem Grunde nach ebenso gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.5. Zur Nicht-Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte VII. des angefochtenen Bescheides):

Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG nicht besteht, ergibt sich schon unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG, sodass es hierfür keiner normativen Anordnung im Spruch des angefochtenen Bescheides bedarf. Insoweit kann der Beschwerdeführer auch nicht in Rechten verletzt sein.

 

Die Beschwerde war somit auch hinsichtlich Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

 

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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