Normen
AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6
FrPolG 2005 §55
FrPolG 2005 §60 Abs3
NAG 2005 §46 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210085.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine russische Staatsangehörige, reiste im Mai 2019 im Besitz eines ihr von der Österreichischen Botschaft Moskau ausgestellten Visums D in das Bundesgebiet ein, wo sie am 8. August 2019 einen österreichischen Staatsbürger heiratete. Am 30. Oktober 2019 wurde ihr mit Bezug darauf ein Aufenthaltstitel als Familienangehörige ausgestellt.
2 Über am 25. Mai 2020 von ihrem Ehemann eingebrachte Klage wurde die genannte Ehe mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 4. Juni 2021 geschieden. Einer von der Revisionswerberin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 18. November 2021 keine Folge gegeben.
3 Mit Bescheid vom 30. November 2020 hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen die Revisionswerberin gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung, verbunden mit einem gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG (Fehlen von Unterhaltsmitteln) auf die Dauer von zwölf Monaten befristeten Einreiseverbot, erlassen. Es stellte unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG ‑ ohne Nennung eines Zielstaates ‑ fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin zulässig sei. Gemäß § 55 FPG bestimmte das BFA eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise der Revisionswerberin.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. November 2021 hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) das erwähnte Einreiseverbot ersatzlos auf und wies im Übrigen die von der Revisionswerberin gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde mit der Maßgabe, dass ihre Abschiebung „in die Russische Föderation“ zulässig sei, als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin, soweit ihre Beschwerde abgewiesen worden war, zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 1.3.2022, E 4625/2021, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die in der Folge, nämlich am 22. April 2022, beim BVwG eingebrachte außerordentliche Revision erweist sich als unzulässig.
7 Der Revisionswerberin war ‑ wie sie selbst in ihrer Revision vorbringt und belegt ‑ bereits am 25. Jänner 2022 der bis zum 25. Jänner 2023 gültige Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ ausgestellt worden. Die hieraus folgende Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts bewirkte ‑ über die Fälle des § 60 Abs. 3 FPG hinaus ‑ die Gegenstandslosigkeit der (vorliegend ausschließlich bekämpften) Rückkehrentscheidung und der damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche, demzufolge insbesondere auch des darauf aufbauenden Ausspruchs nach § 52 Abs. 9 FPG. Der Eintritt der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts steht nämlich der Aufrechterhaltung einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts anknüpft, entgegen (vgl. VwGH 15.3.2016, Ra 2015/21/0174, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, sowie darauf Bezug nehmend, betreffend das ex lege eintretende „Erlöschen“ einer Rückkehrentscheidung und der mit ihr im Zusammenhang stehenden Aussprüche durch den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, Rn. 14, und VwGH 21.6.2022, Ra 2022/22/0058, Rn. 10).
8 Ein davon abweichendes Ergebnis zeigt die Revisionswerberin auch in ihrer mit Eingabe vom 10. Oktober 2022 erfolgten Stellungnahme nicht auf, in der mit näherer Begründung geltend gemacht wird, das Rechtsschutzinteresse sei jedenfalls nicht zur Gänze weggefallen.
9 Bei den diesbezüglichen Überlegungen übersieht die Revisionswerberin nämlich, dass sich die Gegenstandslosigkeit (das „Erlöschen“) nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ‑ wie erwähnt ‑ nicht nur auf die Rückkehrentscheidung, sondern auch auf die darauf aufbauenden Aussprüche, etwa nach § 52 Abs. 9 FPG, erstreckt.
10 Auf die durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegenstandslos gewordene Rückkehrentscheidung, die damit ‑ anders als die Revisionswerberin in ihrer Stellungnahme wiederholt meint ‑ aus dem Rechtsbestand ausgeschieden ist, kann somit rechtens weder eine Abschiebung gestützt werden, noch können hieraus andere für die Revisionswerberin nachteilige Rechtsfolgen entstehen. Dasselbe gilt für den durch die Gegenstandslosigkeit gleichfalls aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen feststellenden Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG. Dazu kommt, dass dieser Ausspruch für sich genommen ‑ entgegen dem Standpunkt der Revisionswerberin ‑ keinen Titel für die Vornahme einer Abschiebung bildet. Ein ‑ von der Revisionswerberin für möglich erachtetes ‑ von dieser Rechtslage abweichendes Vorgehen von Behörden wäre rechtswidrig und somit im entsprechenden Verfahren zu bekämpfen.
11 Dass die genannte Rückkehrentscheidung bereits während ihrer Existenz bis zu der am 25. Jänner 2022 erfolgten Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Revisionswerberin nachteilige Wirkungen entfaltet hätte, zeigt sie in ihrer Stellungnahme aber gar nicht auf.
12 Demnach konnte die Revisionswerberin in Bezug auf die bekämpfte Rückkehrentscheidung sowie die darauf aufbauenden Aussprüche nach § 52 Abs. 9 FPG und nach § 55 FPG schon im Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Revision im April 2022 nicht mehr in Rechten verletzt werden. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes käme im vorliegenden Fall somit nur mehr abstrakt-theoretische Bedeutung zu (vgl. dazu etwa VwGH 29.3.2012, 2011/23/0686). Davon ausgehend war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen (siehe dazu neuerlich VwGH 15.3.2016, Ra 2015/21/0174, aaO).
Wien, am 10. November 2022
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