BVwG W123 2161376-2

BVwGW123 2161376-211.4.2022

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §8
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W123.2161376.2.00

 

Spruch:

W123 2161376-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch RA Dr. Gustav ECKHARTER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2021, Zl. 1055896702/210537004, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 29.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in dem der Beschwerdeführer einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen und vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen worden war, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 17.05.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien ab (Spruchpunkt II.), erteilte gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 13 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtsanwaltlich vertreten innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde.

4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.06.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.07.2020, W202 2161376-1/7E, wurde die Beschwerde (vollinhaltlich) als unbegründet abgewiesen.

6. Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.07.2020 erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 05.10.2020, Ra 2020/19/0330-6, zurückgewiesen.

7. Am 16.04.2021 stellte der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

8. Mit Schreiben vom 23.04.2021 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Verbesserungsauftrag und forderte diesen auf, binnen vier Wochen ein Lichtbild gemäß § 5 AsylG-DV, ein gültiges Reisedokument (Original) sowie eine Geburtsurkunde oder ein diesem gleichzuhaltenden Dokument (Original und Kopie und Übersetzung) vorzulegen.

9. Mit Schreiben vom 18.05.2021 begründete der Beschwerdeführer, damals vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, den Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels damit, dass der Beschwerdeführer seit sechs Jahren in Österreich sei, jedoch sich seit damals vielfältige Änderungen des Sachverhaltes hinsichtlich seiner Integration im Bundesgebiet ergeben hätten. Der Beschwerdeführer habe in Österreich bereits einen gewichtigen Teil seines Lebens verbracht, habe sich exzellent an das Leben in Österreich angepasst, die deutsche Sprache erlernt und Wurzeln geschlagen, wohingegen ihm mit Indien nichts mehr verbinde. Hinsichtlich des Erfordernisses der Vorlage der Geburtsurkunde und des Reisepasses werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer diese Dokumente „leider“ nicht vorlegen könne, da er keine Kontakte mehr in seine Heimat habe. Daher werde beantragt, die Heilung des Mangels zuzulassen.

10. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 21.04.2021 gemäß § 58 Abs. 10, Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag auf Mängelheilung vom 18.05.2021 wurde gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II).

11. Mit Schriftsatz vom 29.07.2021 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde in vollem Umfang. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass die belangte Behörde auf jegliche Erhebung von Beweismitteln verzichtet habe, insbesondere auf die Durchführung einer Einvernahme des Beschwerdeführers. Der Zeitraum zwischen der Ablehnung des Asylverfahrens bzw. der Erlassung der Rückkehrentscheidung und der Ausstellung des hier angefochtenen Bescheides sei außerdem keineswegs kurz, sondern über ein Jahr und der Beschwerdeführer sei insgesamt bereits über sechs Jahre in Österreich. Zur Integration des Beschwerdeführers sei festzustellen, dass die vorgelegten Unterlagen von der Behörde nicht angemessen beurteilt worden seien, da daraus eine intensive soziale, sprachliche und familiäre Integration des Beschwerdeführers in Österreich zu entnehmen sei, die er in der Zeit seit dem Abschluss des Asylverfahrens entwickelt habe, was im angefochtenen Bescheid jedoch unbeachtet geblieben sei. Der Beschwerdeführer beherrsche die deutsche Sprache auf sehr gutem Niveau, er erwirtschafte seinen eigenen Lebensunterhalt und habe soziale Kontakte in Österreich. Hingegen habe er den Kontakt zu seinem „Heimatland“ verloren.

12. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.01.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der Geschäftsabteilung W124 abgenommen und neu zugewiesen.

13. Mit Schreiben vom 01.03.2022 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer, taxativ aufgezählte Fragen zu seinem Familien- und Privatleben in Österreich zu beantworten (vgl. OZ 9, „Parteiengehör“).

14. Mit Schriftsatz vom 28.03.2022, nunmehr vertreten durch RA Dr. Gustav ECKHARTER, übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme und brachte zum Gesundheitszustand vor, dass sich das Asthma bronchiale massiv erhöht habe. Der Beschwerdeführer stehe durchgehend in ärztlicher Behandlung und verweise darauf, dass die Luftverschmutzung in Punjab ein Vielfaches der von der WHO herausgegebenen Höchstwerte betrage, wodurch der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr seiner Lebensqualität beraubt würde. In Indien würden noch die Mutter, der Bruder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben; mit seinem Bruder und seiner Mutter habe er – über WhatsApp – noch fallweise Kontakt. Die Mutter des Beschwerdeführers leide hochgradig an Diabetes sowie Fieberschüben unbekannter Herkunft, weshalb der Beschwerdeführer von seinem Bruder gebeten worden sei, ihn finanziell zu unterstützen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer war erstmals am 02.04.2015 im Bundesgebiet gemeldet; seitdem besteht eine durchgängige Meldung des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 20.07.2020 unrechtmäßig in Österreich auf.

1.2. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer verdient derzeit seinen Unterhalt als Zeitungszusteller und ist bei der SVS sozialversichert. Der Beschwerdeführer verfügt über ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2, über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag mit der XXXX GmbH sowie über eine Wohnrechtsvereinbarung, abgeschlossen am 09.12.2020.

In Indien lebt die Mutter, sein Bruder und zwei Schwestern. Der Beschwerdeführer steht mit seinem Bruder und seiner Mutter fallweise in Kontakt. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Familienangehörige in Österreich. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.3. Der Befund von Dr. XXXX , Fachärztin für Lungenkrankheiten, vom 18.01.2022, lautet auszugsweise:

„Diagnosen: Asthma br.

Therapie: SINGULAIR FTBL 10 MG 28 ST OP1

SYMBICORT TRBH 160/4,5 120 HB 1 ST OP 1

LUFU: […] Unauffällige LUFO unter Therapie, Besserung zu Vorbefund“

1.4. Der Beschwerdeführer brachte nicht vor, dass ihm in Indien eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit droht. Aufgrund seines Alters und Gesundheitszustandes ist er zu einer eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts in Indien in der Lage. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und beherrscht die Sprache seines Herkunftsstaates.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

2.2. Die Feststellungen zu den familiären, sozialen und beruflichen Bindungen Österreich beruhen auf den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sowie aufgrund der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 28.03.2022.

2.3. Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 20.07.2020 unrechtmäßig in Österreich aufhält, beruht auf der rechtskräftigen Abweisung der Beschwerde des Beschwerdeführers durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.07.2020, W202 2161376-1/7E.

2.4. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, beruht auf den bisherigen Feststellungen sowie aufgrund des jüngsten Befundes der Fachärztin für Lungenkrankheiten vom 18.01.2022. Zwar ist aus dem Befund ersichtlich, dass beim Beschwerdeführer die „Asthma br.“ diagnostiziert wurde, jedoch findet sich kein Hinweis dahingehend, dass der Beschwerdeführer aufgrund dieser Erkrankung nicht arbeitsfähig wäre bzw. dass aufgrund dieser Diagnose eine Rückkehr nach Indien von Vornherein verunmöglicht wäre. Dass aber „Asthma br.“ In Indien grundsätzlich nicht behandelbar wäre, ist zudem im Verfahren nicht hervorgekommen, noch wurde es seitens des Beschwerdeführers behauptet.

Im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist überdies anzumerken, dass weder im Schriftsatz vom 18.05.2021 („Antragsbegründung“), noch in der Beschwerde vom 29.07.2021 ein Vorbringen dahingehend erstattet worden ist, dass der Beschwerdeführer Krankheiten aufweisen bzw. bereits seit längerem an „Asthma br.“ leiden würde (vgl. dagegen erstmals die Ausführungen in der Stellungnahme am 28.03.2022: „Mein Asthma bronchiale hat sich massiv erhöht, stehe ich durchgehend in ärztlicher Behandlung […]“).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Der Beschwerdeführer stellte am 16.04.2021 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ aus Gründen des Art. 8 EMRK, der mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde als unzulässig zurückgewiesen wurde. In der rechtlichen Beurteilung wies die belangte Behörde zusammenfassend darauf hin, dass beim Beschwerdeführer kein schützenswertes Privat- und Familienleben festgestellt werden könne bzw. keine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten sei.

3.2. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nach Abs. 2 leg. cit. nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt.

3.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK zulässig ist, ist weiters eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Zl. Ra 2015/19/0247).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf allerdings nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie - anders als im vorliegenden Fall - Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0249 mwN).

3.4. Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Sachverhalt:

Zunächst ist festzuhalten, dass aufgrund des klaren Wortlautes des § 55 Abs. 1 AsylG die in den Ziffern 1 und 2 genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. Für den gegenständlichen Sachverhalt bedeutet die, dass selbst bei Zutreffens der Voraussetzungen nach Z 2 (Erfüllens des Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz) weder eine „Aufenthaltsberechtigung plus“, noch eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen ist.

Zwar wird nicht verkannt, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr seit 7 Jahren durchgehend in Österreich befindet, auf selbstständiger Basis Beschäftigungen nachging und über eine Wohnrechtsvereinbarung ist. Jedoch besteht gegen den Beschwerdeführer seit dem 20.07.2020 eine Ausreiseverpflichtung und hält sich der Beschwerdeführer somit seit diesem Zeitraum unrechtmäßig in Österreich auf. Das Gewicht allfälliger Integrationsleistungen des Beschwerdeführers nach diesem Zeitpunkt ist somit als gemindert zu qualifizieren, zumal der Beschwerdeführer lediglich über das ÖSD-Zertifikat A2 verfügt. Schließlich sind auch keine nennenswerten ehrenamtlichen Engagements bzw. Vereinsmitgliedschaften des Beschwerdeführers hervorgetreten. Ein allfällig zu berücksichtigendes Familienleben nach Art. 8 EMRK ist schon deshalb zu verneinen, da sich seine Familienangehörigen in Indien befinden.

3.5. Aufgrund obiger Ausführungen ist daher festzuhalten, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG schon deshalb nicht in Betracht kommt, da es gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK beim Beschwerdeführer nicht geboten ist. Folglich musste auf die Frage, ob der Antrag (auch) gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückzuweisen war, nicht mehr eingegangen werden.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.6. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss.

Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung – ungeachtet des Antrages im Beschwerdeschriftsatz – abgesehen werden. Zudem wurde das Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG gewahrt (vgl. OZ 9).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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